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Götterblut - Kapitel 2: Gut geplant ist halb gewonnen
5 verfasser
Seite 10 von 13
Seite 10 von 13 • 1, 2, 3 ... 9, 10, 11, 12, 13
Re: Götterblut - Kapitel 2: Gut geplant ist halb gewonnen
Wirklich Angst flöste Johanna die Geschichte die Melinda erzählte nicht ein. Nein. Sie war beunruhigt, doch das lag wohl zusätzlich mit der unheimlichen Umgebung zusammen. Die Reise in dieses Waisenhaus war ohne Probleme verlaufen. Johanna hatte Alan noch bis zu ihrem jetzigen Standpunkt gestützt, löste sich jetzt aber langsam von ihm. Es hätte sie alle schlimmer treffen können, das war der Gedanke, der Johanna durch den Kopf ging. Es war nicht sauber, alles war alt und sah teilweise Morsch aus, doch was sollte man erwarten von einem verlassenen Waisenhaus, das angeblich Spukt? Sie sollten lieber alle zufrieden sein das sie einen Unterschlupf gefunden hatten, auch wenn Johanna fast schon unter Verfolgungswahn litt. Das Charles sich mehr oder weniger entspannte, erleichterte aber auch Johanna.
"Wir könnten ja auch hier eine Art Lager aufschlagen. Alle zusammen. Sollte etwas passieren..wird die Gruppe hier wenigstens nicht getrennt.. und ich glaube, das wäre irgendwie sicherer", warf Johanna unsicher ein, nachdem Melinda vorschlug in verschiedene Zimmer zu ziehen. Johanna wäre ein Nachtlager wirklich lieber. Nach dem Mord bei Melinda war es ihr am liebsten, wenn Charles im gleichen Raum war wie sie. Und auch Melinda. Ohne die Beiden würde sie nicht mehr Leben, zumindest vermutete Johanna das. Auf Alan konnte man womöglich nicht zählen. Sein Zustand war fast noch schlimmer als der von Charles. Vor allem was das Geistige betraf.
"Wir könnten ja auch hier eine Art Lager aufschlagen. Alle zusammen. Sollte etwas passieren..wird die Gruppe hier wenigstens nicht getrennt.. und ich glaube, das wäre irgendwie sicherer", warf Johanna unsicher ein, nachdem Melinda vorschlug in verschiedene Zimmer zu ziehen. Johanna wäre ein Nachtlager wirklich lieber. Nach dem Mord bei Melinda war es ihr am liebsten, wenn Charles im gleichen Raum war wie sie. Und auch Melinda. Ohne die Beiden würde sie nicht mehr Leben, zumindest vermutete Johanna das. Auf Alan konnte man womöglich nicht zählen. Sein Zustand war fast noch schlimmer als der von Charles. Vor allem was das Geistige betraf.
Scáth- Forenzombie
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Re: Götterblut - Kapitel 2: Gut geplant ist halb gewonnen
Drake machte sich schon einmal gedanklich Notizen, obwohl er das Protokoll später mit Sicherheit noch einmal durchgehen würde, um die darin enthaltenen Informationen herauszuarbeiten und diese mit Kommentaren zu versehen.
Nachdem Dr. Tremaine erzählte, dass Mr. Norly berichtet hatte, etwa vierzig Minuten vor der Behandlung verletzt worden zu sein, erkundigte sich Drake nach der Uhrzeit von Norlys Ankunft an der Praxis. Der Protokollführer notierte Tremaines Angabe. Wenn man davon aussging, dass dies stimmte, war Scarface vor dem Zündeln und dem Anschlag auf John Hyde mit der Flasche verwundet worden. Dies passte noch immer zu Drakes Vermutungen, die einen Partner oder Hills Haushälterin als Täter in Betracht zogen.
Damit, dass „der Schlächter“ sich für das Chirurgenhandwerk interessierte, war zu rechnen gewesen, dennoch klang unerfreulich. Und dem Mord- und Brandanschlag auf Chief Commissioner Hill, beziehungsweise dessen Haus, nach zu urteilen, war sicher Hass im Spiel, den Scarface für den Polizeipräsidenten empfand. Dies klang plausibel – und den Inspector wunderte es auch nicht, dass Scarface Hill angesprochen hatte, weil dies zum Gesamtbild von Tremaines Aussage passte.
„Überraschend höflich und zurückhaltend...“, wiederholte Drake. Er merkte: Wenn er mit der Sprache nicht herausrücken würde, würde er auf keinen grünen Zweig kommen. Jedoch hatte Dr. Tremaine ihm damit einen interessanten Ansatz geliefert.
„Sie haben mir vorhin berichtet, dass Sie Mrs. Mauney aufgesucht haben, um Informationen von ihr zu erhalten. Des Weiteren berichteten Sie mir von der Theorie, dass Mr. Norly womöglich unschuldig sei. Brachte er Sie auf diese Idee? Hat er irgendetwas gesagt, das sie und Stirling dazu bewegte, an seiner Schuld zu zweifeln?“
Tatsächlich, das war es also. "Dann haben sie mich falsch verstanden, Detective Chief Inspector. Wenn sie nämlich in ihrem Protokoll nachlesen, werden sie feststellen, dass ich nicht gesagt hatte, das Scarface unschuldig sei, sondern das einige Morde eventuell auch der an Harrold Mauney anderen Tätern zuzuschreiben sind."
„Nun gut“, erwiderte der Inspector mit einem versöhnlichen Lächeln. Drake beließ es dabei.
„Erzählen Sie mir mehr über Alan Stirling. Sie beschrieben ihn als einen ihrer Patienten. So wie es sich anhört, scheinen Sie sich gut zu kennen“, vermutete er mit lediglich leicht fragendem Unterton. Aus Dr. Tremaines Aussage und Beschreibungen war zumindest ersichtlich gewesen, dass die beiden sich mit Vornamen ansprachen – und sich daher wahrscheinlich auch duzten.
Nachdem Dr. Tremaine erzählte, dass Mr. Norly berichtet hatte, etwa vierzig Minuten vor der Behandlung verletzt worden zu sein, erkundigte sich Drake nach der Uhrzeit von Norlys Ankunft an der Praxis. Der Protokollführer notierte Tremaines Angabe. Wenn man davon aussging, dass dies stimmte, war Scarface vor dem Zündeln und dem Anschlag auf John Hyde mit der Flasche verwundet worden. Dies passte noch immer zu Drakes Vermutungen, die einen Partner oder Hills Haushälterin als Täter in Betracht zogen.
Damit, dass „der Schlächter“ sich für das Chirurgenhandwerk interessierte, war zu rechnen gewesen, dennoch klang unerfreulich. Und dem Mord- und Brandanschlag auf Chief Commissioner Hill, beziehungsweise dessen Haus, nach zu urteilen, war sicher Hass im Spiel, den Scarface für den Polizeipräsidenten empfand. Dies klang plausibel – und den Inspector wunderte es auch nicht, dass Scarface Hill angesprochen hatte, weil dies zum Gesamtbild von Tremaines Aussage passte.
„Überraschend höflich und zurückhaltend...“, wiederholte Drake. Er merkte: Wenn er mit der Sprache nicht herausrücken würde, würde er auf keinen grünen Zweig kommen. Jedoch hatte Dr. Tremaine ihm damit einen interessanten Ansatz geliefert.
„Sie haben mir vorhin berichtet, dass Sie Mrs. Mauney aufgesucht haben, um Informationen von ihr zu erhalten. Des Weiteren berichteten Sie mir von der Theorie, dass Mr. Norly womöglich unschuldig sei. Brachte er Sie auf diese Idee? Hat er irgendetwas gesagt, das sie und Stirling dazu bewegte, an seiner Schuld zu zweifeln?“
Tatsächlich, das war es also. "Dann haben sie mich falsch verstanden, Detective Chief Inspector. Wenn sie nämlich in ihrem Protokoll nachlesen, werden sie feststellen, dass ich nicht gesagt hatte, das Scarface unschuldig sei, sondern das einige Morde eventuell auch der an Harrold Mauney anderen Tätern zuzuschreiben sind."
„Nun gut“, erwiderte der Inspector mit einem versöhnlichen Lächeln. Drake beließ es dabei.
„Erzählen Sie mir mehr über Alan Stirling. Sie beschrieben ihn als einen ihrer Patienten. So wie es sich anhört, scheinen Sie sich gut zu kennen“, vermutete er mit lediglich leicht fragendem Unterton. Aus Dr. Tremaines Aussage und Beschreibungen war zumindest ersichtlich gewesen, dass die beiden sich mit Vornamen ansprachen – und sich daher wahrscheinlich auch duzten.
Umbra- Tiefseemonster
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Re: Götterblut - Kapitel 2: Gut geplant ist halb gewonnen
Charles schenkte Melinda noch einmal ein gesondertes Lächeln, als sie höflich seinen Dank ausschlug, und folgte ihr dann mit seinem Blick, während sie erst mit der Hand das Holz der Treppe befühlte und dann auf ihn zukam. Jedoch galt ihre Aufmerksamkeit nun dem Fleck, auf den er vermieden hatte zu treten. Charles zog etwas verwundert die Augenbrauen nach oben, als sie ihm davon erzählte, wie es zu diesem Fleck auf dem Läufer gekommen war – und ihm damit bestätigte, dass es sich dabei tatsächlich um Blut handeln musste, wie er schon angenommen hatte. An Spukgeschichten glaubte er nicht, aber auch der an dieser Stelle geschehene Mord, von dem er gerade erst erfahren hatte, gab ihm keinen Anlass zur Beunruhigung. Abergläubisch war er gewiss nicht. War es nicht vielmehr Ironie des Schicksals, dass sie in einem Haus, in dem sonst niemand mehr wohnen wollte, nun Schutz und Unterkunft suchten?
Davids Gesichtsausdruck hingegen sah, während Melinda erzählte, alles andere als begeistert aus. Dem Burschen gefiel nicht, hier zu sein, das wusste Charles. Die Erinnerungen, die der junge Kutscher mit Maybrick Manor verband, waren alles andere als fröhlich, und wahrscheinlich war David froh, zur Zeit des Mordes (so sehr Ms. Mitchell so einen Tod auch verdient haben mochte), kein Kind mehr in diesem Heim gewesen zu sein. Charles fand es bedauerlich, dass Heime dieser Art, die unglücklichen, verwaisten Seelen eigentlich eine Zuflucht bieten sollten, meist eher Ort waren, an denen sich die Kinder nicht wohl fühlten. An die sechzig hatten laut Melinda zuletzt in Maybrick Manor gelebt. Viele, in der Tat, doch dieses Gebäude schien groß genug und geeignet für diesen Zweck.
Charles hatte Maybrick Manor nie zuvor betreten, jedoch ähnelten Bauten einer Stilepoche vom Aufbau her alle einander, sodass Charles mit ziemlicher Sicherheit sagen konnte, dass das Erdgeschoss ursprünglich für das öffentliche Geschehen und die Bediensteten gedacht gewesen war, während die obere Etage den Hauptwohnraum für die Familie des Hausherrn dargestellt haben musste. Daher nahm er an, dass, in der Zeit, in der Maybrick Manor ein Waisenheim gewesen war, die Kinder im Erdgeschoss untergebracht gewesen waren, unterdessen Ms. Mitchell und einige Angestellte bestimmt in der ersten Etage gelebt hatten, um sich physisch und auch symbolisch von ihnen abzugrenzen.
Oben würde die Gruppe also bestimmt brauchbaren Wohnraum finden. Gedanklich schon auf dem Weg die Stufen hinauf, unterbrach Johanna ihn mit dem Vorschlag, sich hier in der Eingangshalle einzurichten, anstatt Zimmer zu beziehen.
Charles ließ sich zu einem belustigten Schmunzeln hinreißen.
„Wir sind nicht hierhergekommen, um zu kampieren, Johanna. Das wäre auch etwas ungebührlich, meinst du nicht?“ Es wunderte ihn schon etwas, dass eine junge, wohlerzogene Dame in einem Raum mit ihr fremden Männern schlafen wollte. Selbst Charles, der schon an Orten genächtigt hatte, an denen übermäßige Empfindlichkeit wohl eine arge Erschwernis gewesen wäre, konnte sich nicht mit dem Gedanken anfreunden, hier in der Eingangshalle zu schlafen.
„Die Geselligkeit in allen Ehren, doch ich schätze ein bequemes Bett und meine Privatsphäre“, sagte er dann. Was könnte privater sein als das Schlafzimmer – außer dem Badezimmer, vielleicht? Den Gedanken daran, in der gefühlten Ungeschütztheit dieses riesigen Raums zu schlafen, nicht weit entfernt von Alan oder dem Doktor, die ihn dabei schamlos angaffen konnten, ohne dass er es merkte, fand er grauenhaft.
„Sicherer“ wäre bestimmt nicht das Wort, dass Charles für die Eingangshalle als Schlafplatz im Vergleich zu einem dafür bestimmtem Zimmer wählen würde.
Das größte Problem für ihn war, dass er hier vermutlich erst zu spät merken würde, sollte sich womöglich auch jemand Fremdes an ihn heranschleichen. Ihrem Gastgeber wäre Charles beispielsweise in der letzten Nacht vorerst aufgeliefert gewesen, hätte Melinda sich nicht eingemischt. Bestimmt hätte sich die Gelegenheit geboten, den Chirurgen zu überwältigen, hätte dieser ihn wirklich versucht zur Polizei zu bringen, aber Charles wollte es zu Situationen solcher Art lieber erst gar nicht kommen lassen. Hätte der Arzt ihn erschießen wollen, wäre Charles nun tot gewesen. Sein Schlaf war nicht der leichteste, bedachte er, dass er gar nicht bewusst wahrgenommen hatte, dass Tremaine ins Zimmer gekommen war und ihm seinen Revolver abgenommen hatte.
Deswegen zog Charles es vor, wenn er sich zum Schlafen zurückzuziehen und hinter sich Türen abschließen und verriegeln konnte. Nur, wenn er die Welt aussperren konnte, konnte er sich wahrlich entspannen und sichergehen, dass es zumindest nicht einfach war, sich ihm unbemerkt zu nähern. Wenn er dann auch noch lärmende Stolperfallen aufstellen würde… Viel zu viel war geschehen, als dass Charles noch blind vertrauen könnte.
„Ich habe in letzter Zeit viel zu oft Kompromisse eingehen müssen, was meine Schlafstätte betrifft“, fuhr Charles fort und deutete damit nur an, dass er es nicht immer so behaglich wie in Hills Haus gehabt hatte. Nicht nur seine Würde, sondern auch sein Rücken konnte getrost darauf verzichten, auf hartem, schmutzigem Untergrund zu schlafen. Er war hier nicht in der Wildnis Afrikas, Arabiens oder Asiens (da war dies unvermeidlich gewesen, obwohl er dort meist zumindest ein Zelt, eine Pritsche oder Hängematte gehabt hatte), sondern im zivilisierten London – und dazu in einem, trotzdem man es hatte schleifen lassen, prachtvollen Herrenhaus, in dem sich der Luxus nur unter ein wenig Staub versteckte.
„Hätten wir tatsächlich die Lagerhalle an den Docks aufgesucht, die ich im Sinn gehabt hatte, hätten wir wohl keine andere Wahl gehabt als uns ein Lager aufzuschlagen und auf dem Boden zu schlafen, doch ich für meinen Teil werde die Ressourcen nutzen, die dieses Gemäuer bietet.“
Es galt noch herauszufinden, wie genau diese aussahen. Charles war in Hinblick darauf neugierig und motiviert, Bestand aufzunehmen, während er sich jedes noch so kleine Zimmer ansehen würde, und dabei die Geheimnisse von Maybrick Manor zu lüften.
Sich an seinem Oberschenkel abstützend, beugte er – oder vielmehr bemühte er – sich hinab, um seinen Seesack, locker gefüllt mit seinem Werkzeug, Bauteilen und Munition, wieder vom blutfleckigen Läufer aufzunehmen.
Johannas Besorgnis war fürwahr rührend. War Melindas Geschichte wirklich so beunruhigend gewesen?
„Spukende Geister brauchen dir wirklich keine Sorge bereiten. Maybrick Manor ist zwar groß, aber es gibt genug Türen, die man versperren kann, und ich werde immer in der Nähe sein. Wenn du irgendwelche unheilvollen Erscheinungen siehst und meine Hilfe brauchst, kannst du mich ja rufen“, fügte Charles noch scherzhaft an und lächelte seiner Tochter ermutigend zu, während er das schwere Ding von Seesack vorsichtig schulterte.
Vor den Lebenden muss man sich fürchten, nicht vor den Toten.
„Nun kommt“, forderte er die Runde auf, „richten wir uns oben ein.“
Damit war dieses Thema für ihn erledigt. Der Tonfall in seiner Stimme bezeugte, dass er sich in Bezug auf seinen Schlafplatz nicht würde umstimmen lassen.
Charles machte sich auf den Weg nach oben. Seinen Spazierstock hielt er nun wieder locker mit seiner Prothese fest und hatte ihn sich wieder unter seinen Arm geklemmt. Behutsam begann er, eine der gewundenen Treppen zu erklimmen. Hätte er eine Hand freigehabt, hätte er vermutlich am staubigen Handlauf Halt gesucht.
Den Stock als Gehhilfe zu verwenden, kam ihm jedoch nicht in den Sinn. Auch, wenn er verletzt war: So schlimm war es nun auch wieder nicht. Seine aus Stolz geborene Sturheit hatte zur Folge, dass seine geschundenen Knochen, denen es für die eigentlich übliche Leichtfüßigkeit an Energie fehlte, etwas unelegant die Stufen hochstapften. Er hörte, dass David ihm nicht weniger schwerfällig folgte – doch der junge Mann war mit Alans Seesack, den er sich umgehängt hatte, und jeweils Johannas und Charles‘ Koffer in einer Hand beladen und schien sich dabei bemühen zu müssen, nicht schnaufend atmen.
Charles genoss die Aussicht von der Treppe auf die Halle und die Galerie. Bei dem Anblick, der sich ihm bot, kam ihm in den Sinn, dass Maybrick Manor mit ein wenig Zeitaufwand, einigen Renovierungsarbeiten und Pflege im alten Glanz erstrahlen könnte – dies wäre jedoch ein großes Vorhaben, für das bestimmt eine ganze Horde von Handwerkern nötig gewesen wäre. Es war schade, dass man sich nicht ausreichend um dieses Herrenhaus gekümmert hatte. Scheinbar hatte Ms. Mitchell es niemandem vermacht und die Bank hatte keine Interessenten gefunden, weswegen es nun leer stand. Im Hinblick auf der Vergangenheit als Waisenhaus und des grausigen Endes der ehemaligen Besitzerin war dies zwar nachvollziehbar, aber angesichts der zentralen Lage und des zugehörigen, großen Grundstücks wäre dieses Gemäuer durchaus eine Investition wert gewesen, fand Charles. Aber ihm konnte es nur recht sein, dass niemand sich um Maybrick Manor gekümmert hatte – das konnten sie nun übernehmen und das Herrenhaus zum Ausgangspunkt ihres weiteren Vorgehens machen. Nach den Fehlschlägen der letzten Nacht und des nun angebrochenen Tages, bestand Grund zur Zuversicht.
Oben angekommen, durchschritt Charles den offenen, auf kunstvoll verzierte Pfeiler gestützten Durchgang von der Galerie zum oberen Flur – oder, besser, Korridor, da diese Bezeichnung dem langen Raum, der sich quer durch die erste Etage zog, eher gerecht wurde. Die Dielen knarrten leise unter dem elegant gemusterten Läufer, der sich über die gesamte Länge des Korridors zog. Dunkles Holz und eine edle Tapete dominierten die Sicht, jedoch hingen, wie in der Galerie zuvor auch, hier ebenfalls Szenerien und Portraits in schweren Rahmen an den Wänden. Auf staubigen Sockeln standen ebenso staubige Statuen oder Glasvitrinen – die meisten waren leer, einige Scheiben hatten es nicht überstanden.
Charles fühlte sich von den gemalten Augenpaaren, die er passierte, ein wenig beobachtet. Neugierig spähte er in Räume hinein, deren Türen in an den Korridor angrenzten – allesamt Schlafzimmer mit luxuriöser Ausstattung, jedoch ließ er sich nicht im erstbesten nieder, sondern schaute sich erst einmal um. Erst war er nach links gegangen, dann war er umgekehrt und hatte sich dem südwestlichen Ende des Flurs zugewandt. Dort, angrenzend an das hintere Treppenhaus, fand er den Raum, der ihm sofort zusagte: Das Schlafzimmer des Kopfes der Familie Maybrick und, darauf folgend, auch der Waisenheimleiterin. Dass es sich bei seiner Wahl um genau jenes handeln musste, erkannte er sowohl an dessen Position Ende des Korridors als auch daran, dass ihm nicht entging, dass David hinter ihm ärgerlich etwas vor sich hinbrummelte, in dem das Wort „Hexe“ vorkam, und ihm nur widerwillig über die Türschwelle folgte.
Charles fand, dass ihm das Zimmer des Hausherrn durchaus zustand. Es war großzügig geschnitten, teuer möbliert und erhellt von viel Tageslicht, das durch die Fenster fiel. Das Himmelbett lud zum Schlafen ein, wofür Charles nun leider aber keine Zeit hatte – Aufgaben, darunter auch das Auftreiben von Dr. Tremaine, standen auf der Agenda. Bevor er sich hinlegen könnte, müsste er sich aber sowieso erst einmal säubern, denn Leeland Smithsons Blut hatte Charles‘ Kleidung bis auf die Haut durchweicht und ließ diese unangenehm an seinem Körper kleben. Um sich waschen zu können, müsste er wiederum erst einmal dafür sorgen, dass sie hier Wasser hatten. Bestimmt hatte man die Leitungen abgeklemmt, damit sie im Winter nicht kaputtfroren.
Doch erfreulich war, wenn es auch noch kein fließend Wasser gab, dass zumindest die Ausstattung des eigenen Badezimmers, das zum Hauptzimmer gehörte, sehr ansprechend war. Auch hatte er sein eigenes WC und einen Ankleideraum. Mitten im Bad thronte, wie Charles begeistert entdeckte, eine freistehende Wanne auf goldenen, geschwungenen Füßen. Darauf, diese anzutesten, freute er sich schon. An seinem geschundenen, verspannten Körper würde ein heißes Bad sicher Wunder wirken.
Während er sich noch umsah, hatte David Charles‘ Koffer schon neben dem Bett abgestellt und war in den Flur zurückgetreten. Dort sah der junge Kutscher Melinda im benachbarten Zimmer verschwinden. Offenbar hatte sie sich dieses ausgesucht. Seufzend ließ David Johannas Koffer zu Boden sinken, um zu verschnaufen, und ließ etwas verloren seinen Blick wandern. In diesem Teil des Herrenhauses war er sehr selten gewesen. Allgemein war es sehr lange her, dass er diesen Ort das letzte Mal von innen gesehen hatte.
Davids Gesichtsausdruck hingegen sah, während Melinda erzählte, alles andere als begeistert aus. Dem Burschen gefiel nicht, hier zu sein, das wusste Charles. Die Erinnerungen, die der junge Kutscher mit Maybrick Manor verband, waren alles andere als fröhlich, und wahrscheinlich war David froh, zur Zeit des Mordes (so sehr Ms. Mitchell so einen Tod auch verdient haben mochte), kein Kind mehr in diesem Heim gewesen zu sein. Charles fand es bedauerlich, dass Heime dieser Art, die unglücklichen, verwaisten Seelen eigentlich eine Zuflucht bieten sollten, meist eher Ort waren, an denen sich die Kinder nicht wohl fühlten. An die sechzig hatten laut Melinda zuletzt in Maybrick Manor gelebt. Viele, in der Tat, doch dieses Gebäude schien groß genug und geeignet für diesen Zweck.
Charles hatte Maybrick Manor nie zuvor betreten, jedoch ähnelten Bauten einer Stilepoche vom Aufbau her alle einander, sodass Charles mit ziemlicher Sicherheit sagen konnte, dass das Erdgeschoss ursprünglich für das öffentliche Geschehen und die Bediensteten gedacht gewesen war, während die obere Etage den Hauptwohnraum für die Familie des Hausherrn dargestellt haben musste. Daher nahm er an, dass, in der Zeit, in der Maybrick Manor ein Waisenheim gewesen war, die Kinder im Erdgeschoss untergebracht gewesen waren, unterdessen Ms. Mitchell und einige Angestellte bestimmt in der ersten Etage gelebt hatten, um sich physisch und auch symbolisch von ihnen abzugrenzen.
Oben würde die Gruppe also bestimmt brauchbaren Wohnraum finden. Gedanklich schon auf dem Weg die Stufen hinauf, unterbrach Johanna ihn mit dem Vorschlag, sich hier in der Eingangshalle einzurichten, anstatt Zimmer zu beziehen.
Charles ließ sich zu einem belustigten Schmunzeln hinreißen.
„Wir sind nicht hierhergekommen, um zu kampieren, Johanna. Das wäre auch etwas ungebührlich, meinst du nicht?“ Es wunderte ihn schon etwas, dass eine junge, wohlerzogene Dame in einem Raum mit ihr fremden Männern schlafen wollte. Selbst Charles, der schon an Orten genächtigt hatte, an denen übermäßige Empfindlichkeit wohl eine arge Erschwernis gewesen wäre, konnte sich nicht mit dem Gedanken anfreunden, hier in der Eingangshalle zu schlafen.
„Die Geselligkeit in allen Ehren, doch ich schätze ein bequemes Bett und meine Privatsphäre“, sagte er dann. Was könnte privater sein als das Schlafzimmer – außer dem Badezimmer, vielleicht? Den Gedanken daran, in der gefühlten Ungeschütztheit dieses riesigen Raums zu schlafen, nicht weit entfernt von Alan oder dem Doktor, die ihn dabei schamlos angaffen konnten, ohne dass er es merkte, fand er grauenhaft.
„Sicherer“ wäre bestimmt nicht das Wort, dass Charles für die Eingangshalle als Schlafplatz im Vergleich zu einem dafür bestimmtem Zimmer wählen würde.
Das größte Problem für ihn war, dass er hier vermutlich erst zu spät merken würde, sollte sich womöglich auch jemand Fremdes an ihn heranschleichen. Ihrem Gastgeber wäre Charles beispielsweise in der letzten Nacht vorerst aufgeliefert gewesen, hätte Melinda sich nicht eingemischt. Bestimmt hätte sich die Gelegenheit geboten, den Chirurgen zu überwältigen, hätte dieser ihn wirklich versucht zur Polizei zu bringen, aber Charles wollte es zu Situationen solcher Art lieber erst gar nicht kommen lassen. Hätte der Arzt ihn erschießen wollen, wäre Charles nun tot gewesen. Sein Schlaf war nicht der leichteste, bedachte er, dass er gar nicht bewusst wahrgenommen hatte, dass Tremaine ins Zimmer gekommen war und ihm seinen Revolver abgenommen hatte.
Deswegen zog Charles es vor, wenn er sich zum Schlafen zurückzuziehen und hinter sich Türen abschließen und verriegeln konnte. Nur, wenn er die Welt aussperren konnte, konnte er sich wahrlich entspannen und sichergehen, dass es zumindest nicht einfach war, sich ihm unbemerkt zu nähern. Wenn er dann auch noch lärmende Stolperfallen aufstellen würde… Viel zu viel war geschehen, als dass Charles noch blind vertrauen könnte.
„Ich habe in letzter Zeit viel zu oft Kompromisse eingehen müssen, was meine Schlafstätte betrifft“, fuhr Charles fort und deutete damit nur an, dass er es nicht immer so behaglich wie in Hills Haus gehabt hatte. Nicht nur seine Würde, sondern auch sein Rücken konnte getrost darauf verzichten, auf hartem, schmutzigem Untergrund zu schlafen. Er war hier nicht in der Wildnis Afrikas, Arabiens oder Asiens (da war dies unvermeidlich gewesen, obwohl er dort meist zumindest ein Zelt, eine Pritsche oder Hängematte gehabt hatte), sondern im zivilisierten London – und dazu in einem, trotzdem man es hatte schleifen lassen, prachtvollen Herrenhaus, in dem sich der Luxus nur unter ein wenig Staub versteckte.
„Hätten wir tatsächlich die Lagerhalle an den Docks aufgesucht, die ich im Sinn gehabt hatte, hätten wir wohl keine andere Wahl gehabt als uns ein Lager aufzuschlagen und auf dem Boden zu schlafen, doch ich für meinen Teil werde die Ressourcen nutzen, die dieses Gemäuer bietet.“
Es galt noch herauszufinden, wie genau diese aussahen. Charles war in Hinblick darauf neugierig und motiviert, Bestand aufzunehmen, während er sich jedes noch so kleine Zimmer ansehen würde, und dabei die Geheimnisse von Maybrick Manor zu lüften.
Sich an seinem Oberschenkel abstützend, beugte er – oder vielmehr bemühte er – sich hinab, um seinen Seesack, locker gefüllt mit seinem Werkzeug, Bauteilen und Munition, wieder vom blutfleckigen Läufer aufzunehmen.
Johannas Besorgnis war fürwahr rührend. War Melindas Geschichte wirklich so beunruhigend gewesen?
„Spukende Geister brauchen dir wirklich keine Sorge bereiten. Maybrick Manor ist zwar groß, aber es gibt genug Türen, die man versperren kann, und ich werde immer in der Nähe sein. Wenn du irgendwelche unheilvollen Erscheinungen siehst und meine Hilfe brauchst, kannst du mich ja rufen“, fügte Charles noch scherzhaft an und lächelte seiner Tochter ermutigend zu, während er das schwere Ding von Seesack vorsichtig schulterte.
Vor den Lebenden muss man sich fürchten, nicht vor den Toten.
„Nun kommt“, forderte er die Runde auf, „richten wir uns oben ein.“
Damit war dieses Thema für ihn erledigt. Der Tonfall in seiner Stimme bezeugte, dass er sich in Bezug auf seinen Schlafplatz nicht würde umstimmen lassen.
Charles machte sich auf den Weg nach oben. Seinen Spazierstock hielt er nun wieder locker mit seiner Prothese fest und hatte ihn sich wieder unter seinen Arm geklemmt. Behutsam begann er, eine der gewundenen Treppen zu erklimmen. Hätte er eine Hand freigehabt, hätte er vermutlich am staubigen Handlauf Halt gesucht.
Den Stock als Gehhilfe zu verwenden, kam ihm jedoch nicht in den Sinn. Auch, wenn er verletzt war: So schlimm war es nun auch wieder nicht. Seine aus Stolz geborene Sturheit hatte zur Folge, dass seine geschundenen Knochen, denen es für die eigentlich übliche Leichtfüßigkeit an Energie fehlte, etwas unelegant die Stufen hochstapften. Er hörte, dass David ihm nicht weniger schwerfällig folgte – doch der junge Mann war mit Alans Seesack, den er sich umgehängt hatte, und jeweils Johannas und Charles‘ Koffer in einer Hand beladen und schien sich dabei bemühen zu müssen, nicht schnaufend atmen.
Charles genoss die Aussicht von der Treppe auf die Halle und die Galerie. Bei dem Anblick, der sich ihm bot, kam ihm in den Sinn, dass Maybrick Manor mit ein wenig Zeitaufwand, einigen Renovierungsarbeiten und Pflege im alten Glanz erstrahlen könnte – dies wäre jedoch ein großes Vorhaben, für das bestimmt eine ganze Horde von Handwerkern nötig gewesen wäre. Es war schade, dass man sich nicht ausreichend um dieses Herrenhaus gekümmert hatte. Scheinbar hatte Ms. Mitchell es niemandem vermacht und die Bank hatte keine Interessenten gefunden, weswegen es nun leer stand. Im Hinblick auf der Vergangenheit als Waisenhaus und des grausigen Endes der ehemaligen Besitzerin war dies zwar nachvollziehbar, aber angesichts der zentralen Lage und des zugehörigen, großen Grundstücks wäre dieses Gemäuer durchaus eine Investition wert gewesen, fand Charles. Aber ihm konnte es nur recht sein, dass niemand sich um Maybrick Manor gekümmert hatte – das konnten sie nun übernehmen und das Herrenhaus zum Ausgangspunkt ihres weiteren Vorgehens machen. Nach den Fehlschlägen der letzten Nacht und des nun angebrochenen Tages, bestand Grund zur Zuversicht.
Oben angekommen, durchschritt Charles den offenen, auf kunstvoll verzierte Pfeiler gestützten Durchgang von der Galerie zum oberen Flur – oder, besser, Korridor, da diese Bezeichnung dem langen Raum, der sich quer durch die erste Etage zog, eher gerecht wurde. Die Dielen knarrten leise unter dem elegant gemusterten Läufer, der sich über die gesamte Länge des Korridors zog. Dunkles Holz und eine edle Tapete dominierten die Sicht, jedoch hingen, wie in der Galerie zuvor auch, hier ebenfalls Szenerien und Portraits in schweren Rahmen an den Wänden. Auf staubigen Sockeln standen ebenso staubige Statuen oder Glasvitrinen – die meisten waren leer, einige Scheiben hatten es nicht überstanden.
Charles fühlte sich von den gemalten Augenpaaren, die er passierte, ein wenig beobachtet. Neugierig spähte er in Räume hinein, deren Türen in an den Korridor angrenzten – allesamt Schlafzimmer mit luxuriöser Ausstattung, jedoch ließ er sich nicht im erstbesten nieder, sondern schaute sich erst einmal um. Erst war er nach links gegangen, dann war er umgekehrt und hatte sich dem südwestlichen Ende des Flurs zugewandt. Dort, angrenzend an das hintere Treppenhaus, fand er den Raum, der ihm sofort zusagte: Das Schlafzimmer des Kopfes der Familie Maybrick und, darauf folgend, auch der Waisenheimleiterin. Dass es sich bei seiner Wahl um genau jenes handeln musste, erkannte er sowohl an dessen Position Ende des Korridors als auch daran, dass ihm nicht entging, dass David hinter ihm ärgerlich etwas vor sich hinbrummelte, in dem das Wort „Hexe“ vorkam, und ihm nur widerwillig über die Türschwelle folgte.
Charles fand, dass ihm das Zimmer des Hausherrn durchaus zustand. Es war großzügig geschnitten, teuer möbliert und erhellt von viel Tageslicht, das durch die Fenster fiel. Das Himmelbett lud zum Schlafen ein, wofür Charles nun leider aber keine Zeit hatte – Aufgaben, darunter auch das Auftreiben von Dr. Tremaine, standen auf der Agenda. Bevor er sich hinlegen könnte, müsste er sich aber sowieso erst einmal säubern, denn Leeland Smithsons Blut hatte Charles‘ Kleidung bis auf die Haut durchweicht und ließ diese unangenehm an seinem Körper kleben. Um sich waschen zu können, müsste er wiederum erst einmal dafür sorgen, dass sie hier Wasser hatten. Bestimmt hatte man die Leitungen abgeklemmt, damit sie im Winter nicht kaputtfroren.
Doch erfreulich war, wenn es auch noch kein fließend Wasser gab, dass zumindest die Ausstattung des eigenen Badezimmers, das zum Hauptzimmer gehörte, sehr ansprechend war. Auch hatte er sein eigenes WC und einen Ankleideraum. Mitten im Bad thronte, wie Charles begeistert entdeckte, eine freistehende Wanne auf goldenen, geschwungenen Füßen. Darauf, diese anzutesten, freute er sich schon. An seinem geschundenen, verspannten Körper würde ein heißes Bad sicher Wunder wirken.
Während er sich noch umsah, hatte David Charles‘ Koffer schon neben dem Bett abgestellt und war in den Flur zurückgetreten. Dort sah der junge Kutscher Melinda im benachbarten Zimmer verschwinden. Offenbar hatte sie sich dieses ausgesucht. Seufzend ließ David Johannas Koffer zu Boden sinken, um zu verschnaufen, und ließ etwas verloren seinen Blick wandern. In diesem Teil des Herrenhauses war er sehr selten gewesen. Allgemein war es sehr lange her, dass er diesen Ort das letzte Mal von innen gesehen hatte.
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Alter : 30
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Re: Götterblut - Kapitel 2: Gut geplant ist halb gewonnen
Da sich Charles mit Johanna beschäftigte und die Idee des Lagers ausschlug, folgte Melinda den Treppen hinauf ins erste Obergeschoss. Sie hätte einem Schlafzimmer in dem alle gleichzeitig schliefen nichts abgewinnen können und wäre ohnehin in ein gesondertes Zimmer ausgewichen. Es gab genug Räumlichkeiten hier um eine halbe Armee zu versorgen und Melinda wollte etwas Privatsphäre genießen. Den Luxus eines eigenen Zimmers hatte sie nie besessen, daher freute sie sich nun auf die Gelegenheit. Sie hatte bereits beim Betreten der Räumlichkeiten ein Zimmer ins Auge gefasst. Sie ging die Treppe hinauf und stieß die Tür mit einer leichten Handbewegung auf. Erfreut sah sie sich im Zimmer um, und betrachtete den Lichteinfall auf dem Dielenboden. Sie hörte wie Charles in das Zimmer der alten Mitchell ging und sich dort scheinbar häuslich einrichtete. Melinda kickte die Tür mit dem Fuß zu und nahm ihren Mantel ab den sie achtlos auf das Bett warf. Staub wirbelte auf und sie musste niesen. Das Zimmer hatte dem Laufburschen von Mitchell gehört, es war klein, aber zweckmäßig. Neben dem Bett fand sich ein Stuhl mit einem kleinen Schreibtisch und ein alter Kleiderschrank. Sie öffnete den Schrank, fand jedoch nichts. Sie warf einen Blick ins Bad, wo sie erfreut feststellte, dass dort einige Handtücher hingen, wenn auch schon manche vom Zahn der Zeit arg mitgenommen waren, aber zwei oder drei wirkten auf den ersten Blick brauchbar. Sie musste dringend ihr Kleid auswaschen, der Stoff wurde immer unangenehmer.
Bestimmt weiß es der eine oder andere zu schätzen, wenn du nackt durch die Gegend rennst, aber das kleine Töchterlein kratzt dir bestimmt die Augen aus. Ob Charles das gefällt? Chrhrhrhrhr. Denk‘ lieber drüber nach. Irgendwo gibt es hier in dem Schuppen sicherlich einen Bademantel.
Der Gedanke war nicht abwegig zumindest überbrückend eine andere Kleidungsmöglichkeit zu finden. Sie überlegte wo sie am ehesten danach suchten sollte und dachte an das Krankenzimmer. Vielleicht ließ sich dort etwas auftreiben. Als sie sich wieder auf den Weg nach unten machte, traf sie auf Alan. Auch wenn ihre Wut nicht verraucht war und sie die Ohrfeige gerne wiederholt hatte, wusste sie wie es ihm gerade körperlich gehen musste und sie hatte sowas wie Mitleid mit ihm.
“Kann ich behilflich sein? Ich kenne mich in dem Gebäude ganz gut aus…“
Sie sah ihn aufmunternd an, ihre Stimme im Hinterkopf, die sich fragte wofür man Alan noch gebrauchen könnte.
Bestimmt weiß es der eine oder andere zu schätzen, wenn du nackt durch die Gegend rennst, aber das kleine Töchterlein kratzt dir bestimmt die Augen aus. Ob Charles das gefällt? Chrhrhrhrhr. Denk‘ lieber drüber nach. Irgendwo gibt es hier in dem Schuppen sicherlich einen Bademantel.
Der Gedanke war nicht abwegig zumindest überbrückend eine andere Kleidungsmöglichkeit zu finden. Sie überlegte wo sie am ehesten danach suchten sollte und dachte an das Krankenzimmer. Vielleicht ließ sich dort etwas auftreiben. Als sie sich wieder auf den Weg nach unten machte, traf sie auf Alan. Auch wenn ihre Wut nicht verraucht war und sie die Ohrfeige gerne wiederholt hatte, wusste sie wie es ihm gerade körperlich gehen musste und sie hatte sowas wie Mitleid mit ihm.
“Kann ich behilflich sein? Ich kenne mich in dem Gebäude ganz gut aus…“
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Elli- Piratenpinguin
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Re: Götterblut - Kapitel 2: Gut geplant ist halb gewonnen
"Sein Sie sich selbst behilflich und vergessen Sie, dass Sie die kranke Ausgeburt Tremaine je gekannt haben", erwiderte Alan, jedoch ohne Groll in der Stimme.
Alan folgte den anderen nicht hinauf. Sollten sie sich doch Betten suchen. In seinem Kopf wüteten Gefühle, die ihn zu erschlagen drohten. Mord. Immer wieder dieses Wort. Das Bild der Frau, die getroffen zu Boden ging. Wären die anderen nicht in der Nähe gewesen, hätte er möglicherweise geweint. Er schüttelte die Trauer mühsam von sich ab.
Der junge Bursche, wer zum Teufel war das?, betrat das Haus und trug Gepäck bei sich.
"He du! Keine Ahnung wer du bist, oder wie du an diesen Irren gelangt bist, aber sei ein guter Junge und schaff ein paar Flaschen Wein her. Ja? Rot. Dunkelrot."
Der Gedanke an einen frischen Tropfen löste den Knoten aus Niedergeschlagenheit.
Ein Geisterhaus, so, so. Er sah sich um und nahm die Umgebung zum ersten mal wirklich wahr. Seine Gedanken begannen zu arbeiten. Eifrig zu arbeiten. Das Opium wirkte noch in ihnen, zwar nur noch leicht, aber es reichte um alte Erinnerungen zu wecken. Früher hatte er sich mit den Dingen beschäftigt, die ausserhalb des weltlichen lagen. Nicht lange, aber intensiv. Furcht vor dem, was er gesehen hatte, hatte ihn aufhören lassen. Aber jetzt, in diesem Haus, erwachte sein brüchiges Wissen.
Schlagartig wurde ihm klar, das der Doc und er es völlig falsch angegangen hatten.
Er sprang auf. Taumelte kurz, fand aber festen Halt.
"Die Geister!", rief er lautstark und eilte auf die Treppe zu.
"Komm runter Norly und stell dich den Toten!"
Alan folgte den anderen nicht hinauf. Sollten sie sich doch Betten suchen. In seinem Kopf wüteten Gefühle, die ihn zu erschlagen drohten. Mord. Immer wieder dieses Wort. Das Bild der Frau, die getroffen zu Boden ging. Wären die anderen nicht in der Nähe gewesen, hätte er möglicherweise geweint. Er schüttelte die Trauer mühsam von sich ab.
Der junge Bursche, wer zum Teufel war das?, betrat das Haus und trug Gepäck bei sich.
"He du! Keine Ahnung wer du bist, oder wie du an diesen Irren gelangt bist, aber sei ein guter Junge und schaff ein paar Flaschen Wein her. Ja? Rot. Dunkelrot."
Der Gedanke an einen frischen Tropfen löste den Knoten aus Niedergeschlagenheit.
Ein Geisterhaus, so, so. Er sah sich um und nahm die Umgebung zum ersten mal wirklich wahr. Seine Gedanken begannen zu arbeiten. Eifrig zu arbeiten. Das Opium wirkte noch in ihnen, zwar nur noch leicht, aber es reichte um alte Erinnerungen zu wecken. Früher hatte er sich mit den Dingen beschäftigt, die ausserhalb des weltlichen lagen. Nicht lange, aber intensiv. Furcht vor dem, was er gesehen hatte, hatte ihn aufhören lassen. Aber jetzt, in diesem Haus, erwachte sein brüchiges Wissen.
Schlagartig wurde ihm klar, das der Doc und er es völlig falsch angegangen hatten.
Er sprang auf. Taumelte kurz, fand aber festen Halt.
"Die Geister!", rief er lautstark und eilte auf die Treppe zu.
"Komm runter Norly und stell dich den Toten!"
Zuletzt von Druzil am Do Jun 20 2013, 18:20 bearbeitet; insgesamt 2-mal bearbeitet
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Re: Götterblut - Kapitel 2: Gut geplant ist halb gewonnen
'Natürlich...hättest du dir denken können das diese Idee nicht passt. Dummes Kind' , dachte Johanna sarkastisch und rollte mit zusammengebissenen Zähnen die Augen. Sie folgte den Anderen die Treppe hinauf und beobachtete erst mal, wie sowohl Charles als auch Melinda sich Zimmer aussuchten. Sie selbst lief zu David, nahm ihren Koffer, den er gerade abgesetzt hatte und nickte dem Kutscher dankbar zu, bevor sie selbst das Zimmer direkt gegenüber von Charles und Melinda betrat. Zugegeben, Johanna hatte schlimmeres erwartet. Von Spinnenweben überwucherte Decken, verstaubte, kaputte Möbel und verschimmelten Boden, doch bis jetzt sah das Waisenhaus gut erhalten aus, wenn auch nicht so sauber wie das Haus der Bakersfields. Johanna ließ den Koffer unsanft vor das Bett fallen, und setzte sich kurz darauf auf selbiges. Erschöpft vergrub sie ihren Kopf in ihre Hände und seufzte. Am liebsten würde sie jetzt die Zeit zurück drehen und wieder bei den Bakersfields sein. Doch diese Chance war vertan, genauso wie die, sich auszuruhen als Johanna Alan von unten rufen hörte. Johanna stand auf um sich auf den Weg nach unten zu machen und zu sehen, was los war.
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Re: Götterblut - Kapitel 2: Gut geplant ist halb gewonnen
Melinda blieb bei der Erwiderung von Alan kurz stehen, in der Versuchung ihm eine neue Ohrfeige zu verpassen. Sie glaubte ihm nicht, sie kannte Randolph …oder hast du ihn nur gekannt? Das ist ein Unterschied. Kennen…kanntest…KANNTEST…KENNEN…, das er sich an einer Frau vergreifen würde, passte nun wirklich nicht ins Weltbild. Dennoch kochte die Wut in ihr wieder hoch.
Ihr Gegenüber rief nach Charles und Melinda verschränkte die Arme locker vor ihrem Bauch, während sie sich gegen die Wand lehnte, das Schauspiel wollte sie sich nicht entgehen lassen, selbst wenn sie eigentlich einen völlig anderen Plan gehabt hatte.
Auch wenn sie im Grunde genommen vorgehabt hatte, nett zu sein um heraus zu finden, ob Alan nützlich sein könnte, platze dennoch eine Erwiderung aus ihr heraus. “Stimmt, bei der Zimmersuche muss ich sicherlich nicht helfen. Schließlich findet jede Ratte den Weg in den Keller alleine.“
Sie hörte leichte Schritte über sich, zu leicht um zu Charles oder David zu gehören. Johanna hatte sich augenscheinlich auf den Weg nach unten gemacht.
Ihr Gegenüber rief nach Charles und Melinda verschränkte die Arme locker vor ihrem Bauch, während sie sich gegen die Wand lehnte, das Schauspiel wollte sie sich nicht entgehen lassen, selbst wenn sie eigentlich einen völlig anderen Plan gehabt hatte.
Auch wenn sie im Grunde genommen vorgehabt hatte, nett zu sein um heraus zu finden, ob Alan nützlich sein könnte, platze dennoch eine Erwiderung aus ihr heraus. “Stimmt, bei der Zimmersuche muss ich sicherlich nicht helfen. Schließlich findet jede Ratte den Weg in den Keller alleine.“
Sie hörte leichte Schritte über sich, zu leicht um zu Charles oder David zu gehören. Johanna hatte sich augenscheinlich auf den Weg nach unten gemacht.
Elli- Piratenpinguin
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Re: Götterblut - Kapitel 2: Gut geplant ist halb gewonnen
David beantwortete Johannas Dank mit einem schüchternen Lächeln und zeigte dabei kurz, im Grunde, für einen Mann seines Hintergrunds, sehr ungewöhnlich gut gepflegte Zähne. Da die junge Frau mitsamt ihrem Koffer verschwand und den Kutscher allein zurückließ, machte dieser sich wieder auf den Weg zurück Richtung Eingangshalle. Alan war noch dort unten, als David auf die Galerie trat und am Geländer stehen blieb. Der junge Kutscher hatte den Seesack dieses aus seiner Sicht bizarr wirkenden Mannes, den sie zugedröhnt aufgefunden hatten, mit nach oben genommen, als er Charles gefolgt war. Nun legte David das Gepäckstück jedoch am Kopf der Treppe zur Selbstabholung ab, denn noch länger wollte er dieses fleckige Ding nicht mit sich herumtragen.
Scheinbar etwas gedankenverloren schritt der Kutscher dann auf der Galerie entlang und strich dabei mit der Hand über den Handlauf des Geländers. Trockener Staub blieb an seiner Haut kleben und rieselte dann zu Boden, als David seine Finger aneinander rieb. Dann folgte sein Blick Melinda, die zurückgekehrt war, eine der Treppen ins Erdgeschoss hinabstieg und Alan ansprach. Offensichtlich schien es diesem wieder etwas besser zu gehen.
Wahrscheinlich unbemerkt von den beiden, huschte über Davids Gesicht ein Ausdruck der Belustigung, als Melinda Alan, der ihr Hilfsangebot etwas unhöflich ausgeschlagen hatte, schnippisch eine Ratte nannte.
Der Kutscher hatte seine Aufmerksamkeit jedoch wieder abgewandt und ließ seinen Blick durch die ihm vertraute, große, zweistöckige Halle schweifen als würde er innerlich in die Zeit zurückversetzen, in der er hier noch hatte leben müssen.
Alans Ruf nach ihm und die Aufforderung, ein paar Flaschen roten, nein, dunkelroten Wein herzuschaffen, riss David aus seinen Gedanken. Doch wenn Alan ernsthaft damit gerechnet hatte, dass David loseilen würde, um ihm den gewünschten Gefallen zu tun, hatte er sich geschnitten.
„Auch ich kenn‘ Sie nicht, Sir“, antwortete dieser nach einem kurzen Stirnrunzeln mit einem etwas schelmischen Grinsen und einer saloppen Aussprache, wie man sie wohl von einem Kutscher erwartete.
„Und Wein is‘ teuer. Wenn Se was von mir woll‘n, müss‘n Se mich schon ‘nen bisschen besser motivier‘n. Erst dann denk‘ ich vielleicht drüber nach.“ Ein Nein war das nicht, aber Alan war nicht Charles – oder „der Boss“, wie David diesen auch vor Alan schon genannt hatte, falls dieser das überhaupt bewusst wahrgenommen hatte. Jedenfalls bedeutete dieser Umstand, dass ohne irgendeine Gegenleistung wohl nicht damit zu rechnen war, dass der junge Kutscher auch nur irgendetwas für Alan tat.
Charles seufzte. Da er die Tür seines Zimmers hinter sich nicht geschlossen gehabt hatte, hörte er Alans lautstark gerufene Worte durch den Korridor hallen.
Ist das noch die Auswirkung der Droge oder ist er es, der sich um seinen Verstand sorgen sollte?, fragte er sich, der Mann, der in den vergangenen Stunden von diesem Tunichtgut viel zu oft hatte an den Kopf werfen lassen müssen, verrückt zu sein. Im Grunde war Charles nicht sonderlich geneigt, dem Verlangen des Säufers nachzugehen und zu diesem zu kommen.
Melinda hätte diese Spukgeschichte für sich behalten sollen, dachte Charles. Er hatte keine Lust, sich mit Alans Hirngespinsten von Geistern, die dieser der Wortwahl nach zu urteilen vermutlich hatte, zu befassen. Entweder handelte es sich wirklich um solche oder Alan wollte sich im trunkenen Übermut ein Späßchen mit ihm erlauben. Auch dafür war Charles nicht in Stimmung.
Charles seufzte erneut. Er hatte sowieso vorgehabt, wieder nach unten zu gehen. Dafür, sich einzurichten, war später auch noch Zeit.
Seinen Gepäck hatte er unangerührt gelassen, denn bevor er seine Habe in diesen Räumlichkeiten verteilen würde, würde er diese erst einmal vom Staub der vergangenen Jahre befreien. In diesem aktuellen Zustand wollte er hier nicht schlafen. Doch auch das müsste er auf später verschieben. Kurz nachdem er sich einen ersten Überblick verschafft hatte, hatte er sich auch von Gewehr, Spazierstock, Zylinder und seinem rechten Handschuh befreit, weil es ohne letzteren einfach angenehmer war, um sich anschließend aus seinem nassen Jackett zu schälen. Das musste vorerst reichen. Charles vermutete stark, dass die Anbindung an die städtische Wasserversorgung im Keller zu finden war – es würde sich also ohnehin nicht lohnen, sich nun zu säubern und umzuziehen, weil er sich spätestens dort wieder schmutzig machen würde.
So trat Charles, nach kurzem Zögern Alans Ruf folgend und noch immer in immenser Weise mit Blut besudelt, wieder auf den Flur. Schon im Weitergehen, krempelte er sich seinen rechten Hemdsärmel etwas nach oben, und da er dies nicht zum ersten Mal machte, schaffte er das trotz seiner künstlichen Finger ohne sonderliche Probleme. Auf der dunkel behaarten Haut seines noch vorhandenen Unterarmes, den er dabei freilegte, zeigten sich getrocknete rote Schlieren. Unverfrieden stellte Charles erneut fest, dass seine Kleidung, besonders an der Vorderseite, fast komplett vom Kragen bis zu den Knien, von roten Flecken und Spritzern übersäht war. Gerade auf seinem eigentlich weißen Hemd leuchtete das Blut hell, seine Weste und Teile seine Hose hatten eine dunklere Rotschattierung angenommen. Es fühlte sich nach wie vor unangenehm auf der Haut an – und der metallische Blutgeruch lag seit dem Tod des Bobbys ständig in seiner Nase.
Charles sah Johanna bereits in Richtung Eingangshalle huschen, folgte ihr jedoch nicht, sondern nahm das hintere Treppenhaus, um ins Erdgeschoss zu gelangen. Dies hatte zur Folge, dass er, nachdem er den richtigen Weg gefunden hatte, unerwarteterweise hinter Alan auftauchte und nicht oben auf der Galerie.
„Was genau wollen Sie von mir?“, verlangte Charles in leicht gelangweiltem Ton von diesem zu wissen, als er mit möglichst würdevoller Körperhaltung die Eingangshalle betrat und sich bemühte, trotz Schmerzen in seinem Bein nicht zu humpeln.
Auch Melinda war anwesend, David hatte leger sich auf das Geländer der Galerie gelehnt und beobachtete von dort das Geschehen. Auch Johanna war am Kopf der Treppe aufgetaucht.
„Ich habe keine Zeit für Ihren Unfug, Mr. Stirling“, verkündete Charles, „denn im Gegensatz zu Ihnen gehe ich einer sinnvollen Beschäftigung nach.“ Anstatt jedoch zu offenzulegen, worin genau diese Beschäftigung bestand, fuhr er fort, bevor jemand fragen konnte:
„Aber wohl alles ist sinnvoller als der Mist, den Sie verzapfen. Los, kusch“, forderte Charles anschließend trocken mit einem Nicken, das Alan bedeuten sollte, die Treppe nach oben zu nutzen. Er unterstützte das zusätzlich mit einer Geste seiner Hand.
„Legen Sie sich hin und schlafen Sie sich aus, anstatt hier im Weg herumzustehen.“
Scheinbar etwas gedankenverloren schritt der Kutscher dann auf der Galerie entlang und strich dabei mit der Hand über den Handlauf des Geländers. Trockener Staub blieb an seiner Haut kleben und rieselte dann zu Boden, als David seine Finger aneinander rieb. Dann folgte sein Blick Melinda, die zurückgekehrt war, eine der Treppen ins Erdgeschoss hinabstieg und Alan ansprach. Offensichtlich schien es diesem wieder etwas besser zu gehen.
Wahrscheinlich unbemerkt von den beiden, huschte über Davids Gesicht ein Ausdruck der Belustigung, als Melinda Alan, der ihr Hilfsangebot etwas unhöflich ausgeschlagen hatte, schnippisch eine Ratte nannte.
Der Kutscher hatte seine Aufmerksamkeit jedoch wieder abgewandt und ließ seinen Blick durch die ihm vertraute, große, zweistöckige Halle schweifen als würde er innerlich in die Zeit zurückversetzen, in der er hier noch hatte leben müssen.
Alans Ruf nach ihm und die Aufforderung, ein paar Flaschen roten, nein, dunkelroten Wein herzuschaffen, riss David aus seinen Gedanken. Doch wenn Alan ernsthaft damit gerechnet hatte, dass David loseilen würde, um ihm den gewünschten Gefallen zu tun, hatte er sich geschnitten.
„Auch ich kenn‘ Sie nicht, Sir“, antwortete dieser nach einem kurzen Stirnrunzeln mit einem etwas schelmischen Grinsen und einer saloppen Aussprache, wie man sie wohl von einem Kutscher erwartete.
„Und Wein is‘ teuer. Wenn Se was von mir woll‘n, müss‘n Se mich schon ‘nen bisschen besser motivier‘n. Erst dann denk‘ ich vielleicht drüber nach.“ Ein Nein war das nicht, aber Alan war nicht Charles – oder „der Boss“, wie David diesen auch vor Alan schon genannt hatte, falls dieser das überhaupt bewusst wahrgenommen hatte. Jedenfalls bedeutete dieser Umstand, dass ohne irgendeine Gegenleistung wohl nicht damit zu rechnen war, dass der junge Kutscher auch nur irgendetwas für Alan tat.
Charles seufzte. Da er die Tür seines Zimmers hinter sich nicht geschlossen gehabt hatte, hörte er Alans lautstark gerufene Worte durch den Korridor hallen.
Ist das noch die Auswirkung der Droge oder ist er es, der sich um seinen Verstand sorgen sollte?, fragte er sich, der Mann, der in den vergangenen Stunden von diesem Tunichtgut viel zu oft hatte an den Kopf werfen lassen müssen, verrückt zu sein. Im Grunde war Charles nicht sonderlich geneigt, dem Verlangen des Säufers nachzugehen und zu diesem zu kommen.
Melinda hätte diese Spukgeschichte für sich behalten sollen, dachte Charles. Er hatte keine Lust, sich mit Alans Hirngespinsten von Geistern, die dieser der Wortwahl nach zu urteilen vermutlich hatte, zu befassen. Entweder handelte es sich wirklich um solche oder Alan wollte sich im trunkenen Übermut ein Späßchen mit ihm erlauben. Auch dafür war Charles nicht in Stimmung.
Charles seufzte erneut. Er hatte sowieso vorgehabt, wieder nach unten zu gehen. Dafür, sich einzurichten, war später auch noch Zeit.
Seinen Gepäck hatte er unangerührt gelassen, denn bevor er seine Habe in diesen Räumlichkeiten verteilen würde, würde er diese erst einmal vom Staub der vergangenen Jahre befreien. In diesem aktuellen Zustand wollte er hier nicht schlafen. Doch auch das müsste er auf später verschieben. Kurz nachdem er sich einen ersten Überblick verschafft hatte, hatte er sich auch von Gewehr, Spazierstock, Zylinder und seinem rechten Handschuh befreit, weil es ohne letzteren einfach angenehmer war, um sich anschließend aus seinem nassen Jackett zu schälen. Das musste vorerst reichen. Charles vermutete stark, dass die Anbindung an die städtische Wasserversorgung im Keller zu finden war – es würde sich also ohnehin nicht lohnen, sich nun zu säubern und umzuziehen, weil er sich spätestens dort wieder schmutzig machen würde.
So trat Charles, nach kurzem Zögern Alans Ruf folgend und noch immer in immenser Weise mit Blut besudelt, wieder auf den Flur. Schon im Weitergehen, krempelte er sich seinen rechten Hemdsärmel etwas nach oben, und da er dies nicht zum ersten Mal machte, schaffte er das trotz seiner künstlichen Finger ohne sonderliche Probleme. Auf der dunkel behaarten Haut seines noch vorhandenen Unterarmes, den er dabei freilegte, zeigten sich getrocknete rote Schlieren. Unverfrieden stellte Charles erneut fest, dass seine Kleidung, besonders an der Vorderseite, fast komplett vom Kragen bis zu den Knien, von roten Flecken und Spritzern übersäht war. Gerade auf seinem eigentlich weißen Hemd leuchtete das Blut hell, seine Weste und Teile seine Hose hatten eine dunklere Rotschattierung angenommen. Es fühlte sich nach wie vor unangenehm auf der Haut an – und der metallische Blutgeruch lag seit dem Tod des Bobbys ständig in seiner Nase.
Charles sah Johanna bereits in Richtung Eingangshalle huschen, folgte ihr jedoch nicht, sondern nahm das hintere Treppenhaus, um ins Erdgeschoss zu gelangen. Dies hatte zur Folge, dass er, nachdem er den richtigen Weg gefunden hatte, unerwarteterweise hinter Alan auftauchte und nicht oben auf der Galerie.
„Was genau wollen Sie von mir?“, verlangte Charles in leicht gelangweiltem Ton von diesem zu wissen, als er mit möglichst würdevoller Körperhaltung die Eingangshalle betrat und sich bemühte, trotz Schmerzen in seinem Bein nicht zu humpeln.
Auch Melinda war anwesend, David hatte leger sich auf das Geländer der Galerie gelehnt und beobachtete von dort das Geschehen. Auch Johanna war am Kopf der Treppe aufgetaucht.
„Ich habe keine Zeit für Ihren Unfug, Mr. Stirling“, verkündete Charles, „denn im Gegensatz zu Ihnen gehe ich einer sinnvollen Beschäftigung nach.“ Anstatt jedoch zu offenzulegen, worin genau diese Beschäftigung bestand, fuhr er fort, bevor jemand fragen konnte:
„Aber wohl alles ist sinnvoller als der Mist, den Sie verzapfen. Los, kusch“, forderte Charles anschließend trocken mit einem Nicken, das Alan bedeuten sollte, die Treppe nach oben zu nutzen. Er unterstützte das zusätzlich mit einer Geste seiner Hand.
„Legen Sie sich hin und schlafen Sie sich aus, anstatt hier im Weg herumzustehen.“
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Re: Götterblut - Kapitel 2: Gut geplant ist halb gewonnen
Alan quittierte Melindas Worte mit einem Schnauben und wendete sich wieder dem Kutscher zu.
"Nicht schlecht, Bursche. Scheinst nicht aufn Kopf gefallen zu sein, wie dein Herr. Und ne flinke Zunge haste ebenfalls. Aber nun mach dich auf den Weg. Die Kosten begleicht der Verrückte."
Endlich bequemte sich Norly die Treppe hinab. Als er sprach, glaubte Alan seinen Ohren nicht zu trauen.
"Kusch?"
Alans Körper spannte sich. Seine Augen wurden zu engen Schlitzen. Am liebsten hätte er Norly eine verpasst. Direkt in die alberne, selbstverliebte Visage. Doch für heute hatte er genug Gewalt erlebt. Mehr als genug.
"Na dann gehen Sie mal Ihren wichtigen Beschäftigungen nach. Bei einer Hure und einem jungen Zimmermädchen anbandeln. Oder ... ach nein. Ich wette sie üben mal wieder eine Ihrer glorreichen Reden für morgen. Reden und doch nichts sagen. Das ist doch Ihr Talent. Gott, ich muss hier raus."
Alan drehte sich um und ging auf die Tür zu. Er öffnete sie und blickte noch einmal zu Norly.
"Na los, Norly. Kusch, kusch. Wartet nicht irgendwo ein Spiegel auf Sie, in dem sie sich verliebt betrachten können? Ich habe wichtigeres zu tun. Vorkehrungen sind zu treffen."
Alan verließ das Haus. Froh diesem Spinner entronnen zu sein, ohne ihn niedergeschlagen zu haben.
"Nicht schlecht, Bursche. Scheinst nicht aufn Kopf gefallen zu sein, wie dein Herr. Und ne flinke Zunge haste ebenfalls. Aber nun mach dich auf den Weg. Die Kosten begleicht der Verrückte."
Endlich bequemte sich Norly die Treppe hinab. Als er sprach, glaubte Alan seinen Ohren nicht zu trauen.
"Kusch?"
Alans Körper spannte sich. Seine Augen wurden zu engen Schlitzen. Am liebsten hätte er Norly eine verpasst. Direkt in die alberne, selbstverliebte Visage. Doch für heute hatte er genug Gewalt erlebt. Mehr als genug.
"Na dann gehen Sie mal Ihren wichtigen Beschäftigungen nach. Bei einer Hure und einem jungen Zimmermädchen anbandeln. Oder ... ach nein. Ich wette sie üben mal wieder eine Ihrer glorreichen Reden für morgen. Reden und doch nichts sagen. Das ist doch Ihr Talent. Gott, ich muss hier raus."
Alan drehte sich um und ging auf die Tür zu. Er öffnete sie und blickte noch einmal zu Norly.
"Na los, Norly. Kusch, kusch. Wartet nicht irgendwo ein Spiegel auf Sie, in dem sie sich verliebt betrachten können? Ich habe wichtigeres zu tun. Vorkehrungen sind zu treffen."
Alan verließ das Haus. Froh diesem Spinner entronnen zu sein, ohne ihn niedergeschlagen zu haben.
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Re: Götterblut - Kapitel 2: Gut geplant ist halb gewonnen
Einer von Melindas ersten Impulsen wäre es gewesen, Alan hinterher zu laufen und ihn daran zu hindern, zu gehen. Etwas in ihr sprach dafür, die gruppe nicht noch weiter auseinander zu reißen. Wenn man nur bedachte, zu welchen Vorkommnissen es zuletzt gekommen war. Andererseits, war es Melinda aber klar, dass Alan sich sicherlich nicht von jemandem daran hindern lassen würde, zu gehen, der ihn vor wenigen Momenten als Ratte bezeichnet hatte.
Ich hab‘ doch gesagt, dass du die Füße still halten sollst. Da kann ich nur seufzen. Du hast schon schlauere Dinge angestellt.
Einen Augenblick dachte sie Alan, würde sich auf Charles stürzen. Seine Körperhaltung sprach deutlich dafür, er erinnerte sie einen Augenblick an Leeland, als er zum Angriff auf Charles angesetzt hatte. Kurz wurde ihr bewusst, dass sie noch ein Kleid trug, dass vor Blut nur so troff, von dem Anzug von Charles einmal abgesehen. Er sah aus, als hätte er in einem Schlachterbetrieb gearbeitet.
Nun...geschlachtet wurde ja auch irgendwie...nicht wahr? Hihihihihihi.
Vielleicht war es das was Alan zurück hielt. Sicherlich wirkte Charles gerade wenig seriös, seine Aussagen und gelangweilte Gestik und Mimik trug dabei zu.
Als dieser "Kusch" sagte, gelang es Melinda nicht, trotz der angespannten Situation nicht zu grinsen. Sie hoffte Alan würde es nicht gesehen haben, doch dieser war zu sehr mit Charles und dem davoneilen beschäftigt.
Eine kleine Diva unser Alan. Hat er sich vielleicht von Charles abgeguckt. Hehehe.
Da offensichtlich auch niemand anders Alan hindern wollte, blickte sie ihm noch eine Weile nach und wand sich dann zu der Treppe um.
“Was machen wir nun wegen Randolph? Wenn er freigelassen werden sollte, hat er keine Chance uns zu finden. Wir können ihn nicht einfach alleine zurücklassen.“
Sie blickte zu Charles, er war klar der Anführer der Revolution, sie hoffte dass er eine Idee haben würde.
Ich hab‘ doch gesagt, dass du die Füße still halten sollst. Da kann ich nur seufzen. Du hast schon schlauere Dinge angestellt.
Einen Augenblick dachte sie Alan, würde sich auf Charles stürzen. Seine Körperhaltung sprach deutlich dafür, er erinnerte sie einen Augenblick an Leeland, als er zum Angriff auf Charles angesetzt hatte. Kurz wurde ihr bewusst, dass sie noch ein Kleid trug, dass vor Blut nur so troff, von dem Anzug von Charles einmal abgesehen. Er sah aus, als hätte er in einem Schlachterbetrieb gearbeitet.
Nun...geschlachtet wurde ja auch irgendwie...nicht wahr? Hihihihihihi.
Vielleicht war es das was Alan zurück hielt. Sicherlich wirkte Charles gerade wenig seriös, seine Aussagen und gelangweilte Gestik und Mimik trug dabei zu.
Als dieser "Kusch" sagte, gelang es Melinda nicht, trotz der angespannten Situation nicht zu grinsen. Sie hoffte Alan würde es nicht gesehen haben, doch dieser war zu sehr mit Charles und dem davoneilen beschäftigt.
Eine kleine Diva unser Alan. Hat er sich vielleicht von Charles abgeguckt. Hehehe.
Da offensichtlich auch niemand anders Alan hindern wollte, blickte sie ihm noch eine Weile nach und wand sich dann zu der Treppe um.
“Was machen wir nun wegen Randolph? Wenn er freigelassen werden sollte, hat er keine Chance uns zu finden. Wir können ihn nicht einfach alleine zurücklassen.“
Sie blickte zu Charles, er war klar der Anführer der Revolution, sie hoffte dass er eine Idee haben würde.
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Re: Götterblut - Kapitel 2: Gut geplant ist halb gewonnen
Randolph beschrieb den Polizisten Alans Aussehen. "Das signifikanteste Merkmal seiner Person ist der starke Drang nach Alkohol. Wenn Sie ihn suchen, dann sollten Sie ihren Fokus vor allem auf sämtliche Kneipen Londons setzen."
Chief Inspector Drake nickte nachdenklich und professionell, obwohl die Müdigkeit ihm ins Gesicht geschrieben stand. Der Sergeant im Hintergrund neben der Tür schrieb noch immer jedes Wort mit.
„Ich danke Ihnen für diesen Hinweis“, antwortete Drake, ohne Alans Beschreibung zu kommentieren.
Mit Sicherheit würde der Yard nach diesem suchen und, wenn sie ihn nicht fanden und annehmen mussten, dass er untergetaucht war, fahnden. Die Verwicklung und, laut Dr. Tremaines Aussage, auch unmittelbare Beteiligung an dem Massaker im Hause Mauney machten Mr. Stirling aus Sicht der Polizei zu einem begehrten Mann. Die Ermittler brauchten diese zweite Aussage, da dieser Randolphs bestätigen könnte und um Alans Beteilung näher beleuchten zu können. Scarface wäre natürlich der Schlüssel, Drake war auch entschlossen, diesem Serienmörder das Handwerk zu lehren, doch wie der Chief Commissioner nicht nur einmal gesagt hatte: Packte einer von Norlys Helfern aus, würden sie diesen Mistkerl drankriegen.
Alan Stirling war, da dieser die Haushälterin der Witwe Mauney erschossen hatte, der nächstbeste Kanditat. Dr. Tremaine hatte beschrieben, dass Scarface Alan zu dieser Tat gezwungen hatte. Doch Drake war von Natur aus ein misstrauischer Mensch und würde erst zufrieden sein, wenn es keine offenen Fragen mehr gab. Immerhin konnte der Yard sich nicht sicher sein, ob Stirling und vielleicht auch Tremaine nicht doch mit Scarface unter einer Decke steckten. Angesichts des Angriffs auf seine eigene Person durch den Attentäter, der zuvor den Ingenieur John Hyde niedergeschossen gehabt hatte, wäre Inspector daran interessiert, diesen Alan Stirling zu Gesicht zu bekommen. Der Täter war vermummt gewesen, doch Drake war sich sicher, diesen an seinen Augen wiedererkennen zu können. Auch bei Tremaine hatte der Inspector abgewägt, war jedoch ziemlich schnell zu dem Schluss gekommen, dass die blassgrauen, scharfen Augen des Chirurgen nicht mit jenen aus seiner Erinnerungen übereinstimmten.
„War Mr. Stirling zum Tatzeitpunkt alkoholisiert?“, fuhr der Detective Chief Inspector mit seiner Befragung fort. Scheinbar fielen ihm an jeder Anwort, die Dr. Tremaine ihm gab, weitere Punkte auf, auf die er eingehen und nachhaken konnte.
„Sie sagten, er habe einen eigenen Revolver bei sich gehabt“, dies sprach eindeutig gegen Stirling, „und dass Sie ihn und Mr. Norly für einen Moment allein ließen, um die flüchtende Haushälterin einzufangen. Halten Sie es für möglich, dass die beiden sich schon vor Ihrer Begegnung in Ihrem Haus letzte Nacht gekannt haben? Wie genau hat Mr. Stirling darauf reagiert, als Mr. Norly ihn aufforderte, die Frau zu erschießen?“
Inspector Drake war auf die Antworten zu diesen Fragen gespannt. Tremaine war der einzige greifbare Augenzeuge, den der Yard hatte, und würde somit maßgeblich dazu beitragen, wie Stirling von der Polizei eingeschätzt werden würde.
Konnte Drake nicht einfach aufhören zu fragen? Randolph wollte nur noch heraus aus diesem beengenden Raum. Sein Bein schmerzte, seine Gedanken waren wirr und seine Kehle trocken wie Staub. Er war nicht mehr bereit sonderlich darüber nachzudenken, was wohl die sinnvollste Antwort war - er wollte dieses elende, nervenzermürbende Gespräch einfach nur hinter sich bringen. Dabei sah es mittlerweile gar nicht mehr so schlecht für ihn aus: Sich als Opfer von Scarface auszugeben, war wohl eine sehr einfache Methode, sofort aus dem Schneider zu kommen. Diese Dilettanten! Der "Detective Chief Inspector" schien mit seiner Aufgabe etwas überfordert zu sein, auch wenn er es sich nicht anmerken ließ und vermutlich auch selbst nicht eingestand. Seine "Geschichten" hatten teilweise Logiklücken, die zwar vielleicht nicht auf den ersten Blick zu erkennen waren, aber doch auf den zweiten. Randolph hatte zumindest schon ein paar gefunden. Aber Drake schien das nicht zu bemerken. Er wollte es vielleicht auch gar nicht. Das, was der Doktor ihm erzählt hatte, schien sich mit den Kenntnissen des Scotland Yard zu decken. Wieso auch es unnötig komplizierter machen? Sein "Schreiber" - der Vollidiot, der einfach auf Alan geschossen hatte bei dessen Flucht -, schien auch keine Einwände zu haben, während er die Befragung protokollierte. Anfänger. Kein Wunder, dass der Yard nichts auf die Reihe bekam. Nur nicht zu übermütig werden, Randolph. Noch hast du es nicht geschafft. Und vielleicht lässt dich der nette "Detective Chief Inspector" auch nur ins offene Messer laufen und du verstrickst dich in deinen Lügen, wie ein Walfisch in einem Netz. Also schön, er würde die Fragen geduldig beantworten. Sehr geduldig.
"Dass er alkoholisiert war, ist durchaus wahrscheinlich, allerdings nicht stark, würde ich annehmen. Dass sie sich vorher schon kannten... ich möchte es nicht ausschließen, aber ich halte es eigentlich für unwahrscheinlich. Ich wüsste nicht, was irgendjemand mit Scarface zu tun haben wollte. Ich kann es mir wirklich schlecht vorstellen. Sein Gesichtsausdruck... sie hatten es wohl schon so abgesprochen. Er war sehr ernst. Er hat es getan, aber ich denke nicht, dass es ihm Freude bereitete."
Sie hatten ihm im Übrigen immer noch nichts über Alans Verbleib gesagt. Aber er glaubte zu erahnen, dass sie ihn nicht geschnappt hatten. Oder dieser bescheuerte Sergeant hatte ihn erschossen.
Erneut nickte Drake nachdenklich und lehnte sich in seinem Stuhl zurück. Er versuchte, sich einen Reim aus den ganzen, auch scheinbar widersprüchlichen, Informationen zu machen, die Dr. Tremaine ihm gegeben hatte. Scheinbar war der Polizist noch nicht daran interessiert, das Gespräch für beendet zu erklären.
„Was ich an der ganzen Sache nicht verstehe“, setzte der Chief Inspector an und verfiel damit in einen entspannteren Plauderton, „ist Folgendes: Mr. Norly sucht Sie mitten in der Nacht verwundet auf und verschwindet wieder, nachdem Sie ihn versorgt haben. Sie sagten, er habe Sie bedroht, sei Ihnen gegenüber dabei aber überraschend höflich gewesen. Mr. Stirling, wurde Zeuge dieses Ereignisses, und bringt Sie auf die Idee, dass Mr. Norly vielleicht doch nicht der ist, für den er gehalten wird - zumindest nicht im vollen Ausmaße. Kommt Ihnen das nicht seltsam vor, auch angesichts der Ereignisse dieses Nachmittags?“, fragte Drake, offenbar rhetorisch und mit dem Ziel, seinem Gegenüber zu verdeutlichen, dass er diesem noch nicht ganz glauben wollte.
„Sie wollen es nicht ausschließen, dass Mr. Stirling und Mr. Norly einander kennen, auch wenn Sie es für unwahrscheinlich halten; aber ist Ihnen nicht in den Sinn gekommen, dass die ganze Angelegenheit kein Zufall gewesen sein könnte? Immerhin hat Mr. Norly Sie und Stirling scheinbar beobachtet. Warum hätte er dies tun sollen?“, gab der rothaarige Ermittler zu bedenken.
„Grund dazu hätte er doch nur gehabt, wenn er gewusst hätte, dass Stirling und Sie etwas planen, oder nicht? Ich hoffe, Sie können mir folgen.“ Drake machte eine kurze Pause, in der er Randolph eindringlich musterte.
„Nehmen wir an, Stirling arbeitet für Mr. Norly und die beiden haben ein abgekartetes Spiel mit Ihnen gespielt. Für mich hört es sich ganz danach an. Sie verstehen sicher meinen Gedankengang. Hatten Sie den Eindruck, Mr. Norly wollte Sie, auch mit der Unterstützung von Stirling, für sich einnehmen, bevor das Geschehen im Hause Mauney eskaliert ist?“
Chief Inspector Drake nickte nachdenklich und professionell, obwohl die Müdigkeit ihm ins Gesicht geschrieben stand. Der Sergeant im Hintergrund neben der Tür schrieb noch immer jedes Wort mit.
„Ich danke Ihnen für diesen Hinweis“, antwortete Drake, ohne Alans Beschreibung zu kommentieren.
Mit Sicherheit würde der Yard nach diesem suchen und, wenn sie ihn nicht fanden und annehmen mussten, dass er untergetaucht war, fahnden. Die Verwicklung und, laut Dr. Tremaines Aussage, auch unmittelbare Beteiligung an dem Massaker im Hause Mauney machten Mr. Stirling aus Sicht der Polizei zu einem begehrten Mann. Die Ermittler brauchten diese zweite Aussage, da dieser Randolphs bestätigen könnte und um Alans Beteilung näher beleuchten zu können. Scarface wäre natürlich der Schlüssel, Drake war auch entschlossen, diesem Serienmörder das Handwerk zu lehren, doch wie der Chief Commissioner nicht nur einmal gesagt hatte: Packte einer von Norlys Helfern aus, würden sie diesen Mistkerl drankriegen.
Alan Stirling war, da dieser die Haushälterin der Witwe Mauney erschossen hatte, der nächstbeste Kanditat. Dr. Tremaine hatte beschrieben, dass Scarface Alan zu dieser Tat gezwungen hatte. Doch Drake war von Natur aus ein misstrauischer Mensch und würde erst zufrieden sein, wenn es keine offenen Fragen mehr gab. Immerhin konnte der Yard sich nicht sicher sein, ob Stirling und vielleicht auch Tremaine nicht doch mit Scarface unter einer Decke steckten. Angesichts des Angriffs auf seine eigene Person durch den Attentäter, der zuvor den Ingenieur John Hyde niedergeschossen gehabt hatte, wäre Inspector daran interessiert, diesen Alan Stirling zu Gesicht zu bekommen. Der Täter war vermummt gewesen, doch Drake war sich sicher, diesen an seinen Augen wiedererkennen zu können. Auch bei Tremaine hatte der Inspector abgewägt, war jedoch ziemlich schnell zu dem Schluss gekommen, dass die blassgrauen, scharfen Augen des Chirurgen nicht mit jenen aus seiner Erinnerungen übereinstimmten.
„War Mr. Stirling zum Tatzeitpunkt alkoholisiert?“, fuhr der Detective Chief Inspector mit seiner Befragung fort. Scheinbar fielen ihm an jeder Anwort, die Dr. Tremaine ihm gab, weitere Punkte auf, auf die er eingehen und nachhaken konnte.
„Sie sagten, er habe einen eigenen Revolver bei sich gehabt“, dies sprach eindeutig gegen Stirling, „und dass Sie ihn und Mr. Norly für einen Moment allein ließen, um die flüchtende Haushälterin einzufangen. Halten Sie es für möglich, dass die beiden sich schon vor Ihrer Begegnung in Ihrem Haus letzte Nacht gekannt haben? Wie genau hat Mr. Stirling darauf reagiert, als Mr. Norly ihn aufforderte, die Frau zu erschießen?“
Inspector Drake war auf die Antworten zu diesen Fragen gespannt. Tremaine war der einzige greifbare Augenzeuge, den der Yard hatte, und würde somit maßgeblich dazu beitragen, wie Stirling von der Polizei eingeschätzt werden würde.
Konnte Drake nicht einfach aufhören zu fragen? Randolph wollte nur noch heraus aus diesem beengenden Raum. Sein Bein schmerzte, seine Gedanken waren wirr und seine Kehle trocken wie Staub. Er war nicht mehr bereit sonderlich darüber nachzudenken, was wohl die sinnvollste Antwort war - er wollte dieses elende, nervenzermürbende Gespräch einfach nur hinter sich bringen. Dabei sah es mittlerweile gar nicht mehr so schlecht für ihn aus: Sich als Opfer von Scarface auszugeben, war wohl eine sehr einfache Methode, sofort aus dem Schneider zu kommen. Diese Dilettanten! Der "Detective Chief Inspector" schien mit seiner Aufgabe etwas überfordert zu sein, auch wenn er es sich nicht anmerken ließ und vermutlich auch selbst nicht eingestand. Seine "Geschichten" hatten teilweise Logiklücken, die zwar vielleicht nicht auf den ersten Blick zu erkennen waren, aber doch auf den zweiten. Randolph hatte zumindest schon ein paar gefunden. Aber Drake schien das nicht zu bemerken. Er wollte es vielleicht auch gar nicht. Das, was der Doktor ihm erzählt hatte, schien sich mit den Kenntnissen des Scotland Yard zu decken. Wieso auch es unnötig komplizierter machen? Sein "Schreiber" - der Vollidiot, der einfach auf Alan geschossen hatte bei dessen Flucht -, schien auch keine Einwände zu haben, während er die Befragung protokollierte. Anfänger. Kein Wunder, dass der Yard nichts auf die Reihe bekam. Nur nicht zu übermütig werden, Randolph. Noch hast du es nicht geschafft. Und vielleicht lässt dich der nette "Detective Chief Inspector" auch nur ins offene Messer laufen und du verstrickst dich in deinen Lügen, wie ein Walfisch in einem Netz. Also schön, er würde die Fragen geduldig beantworten. Sehr geduldig.
"Dass er alkoholisiert war, ist durchaus wahrscheinlich, allerdings nicht stark, würde ich annehmen. Dass sie sich vorher schon kannten... ich möchte es nicht ausschließen, aber ich halte es eigentlich für unwahrscheinlich. Ich wüsste nicht, was irgendjemand mit Scarface zu tun haben wollte. Ich kann es mir wirklich schlecht vorstellen. Sein Gesichtsausdruck... sie hatten es wohl schon so abgesprochen. Er war sehr ernst. Er hat es getan, aber ich denke nicht, dass es ihm Freude bereitete."
Sie hatten ihm im Übrigen immer noch nichts über Alans Verbleib gesagt. Aber er glaubte zu erahnen, dass sie ihn nicht geschnappt hatten. Oder dieser bescheuerte Sergeant hatte ihn erschossen.
Erneut nickte Drake nachdenklich und lehnte sich in seinem Stuhl zurück. Er versuchte, sich einen Reim aus den ganzen, auch scheinbar widersprüchlichen, Informationen zu machen, die Dr. Tremaine ihm gegeben hatte. Scheinbar war der Polizist noch nicht daran interessiert, das Gespräch für beendet zu erklären.
„Was ich an der ganzen Sache nicht verstehe“, setzte der Chief Inspector an und verfiel damit in einen entspannteren Plauderton, „ist Folgendes: Mr. Norly sucht Sie mitten in der Nacht verwundet auf und verschwindet wieder, nachdem Sie ihn versorgt haben. Sie sagten, er habe Sie bedroht, sei Ihnen gegenüber dabei aber überraschend höflich gewesen. Mr. Stirling, wurde Zeuge dieses Ereignisses, und bringt Sie auf die Idee, dass Mr. Norly vielleicht doch nicht der ist, für den er gehalten wird - zumindest nicht im vollen Ausmaße. Kommt Ihnen das nicht seltsam vor, auch angesichts der Ereignisse dieses Nachmittags?“, fragte Drake, offenbar rhetorisch und mit dem Ziel, seinem Gegenüber zu verdeutlichen, dass er diesem noch nicht ganz glauben wollte.
„Sie wollen es nicht ausschließen, dass Mr. Stirling und Mr. Norly einander kennen, auch wenn Sie es für unwahrscheinlich halten; aber ist Ihnen nicht in den Sinn gekommen, dass die ganze Angelegenheit kein Zufall gewesen sein könnte? Immerhin hat Mr. Norly Sie und Stirling scheinbar beobachtet. Warum hätte er dies tun sollen?“, gab der rothaarige Ermittler zu bedenken.
„Grund dazu hätte er doch nur gehabt, wenn er gewusst hätte, dass Stirling und Sie etwas planen, oder nicht? Ich hoffe, Sie können mir folgen.“ Drake machte eine kurze Pause, in der er Randolph eindringlich musterte.
„Nehmen wir an, Stirling arbeitet für Mr. Norly und die beiden haben ein abgekartetes Spiel mit Ihnen gespielt. Für mich hört es sich ganz danach an. Sie verstehen sicher meinen Gedankengang. Hatten Sie den Eindruck, Mr. Norly wollte Sie, auch mit der Unterstützung von Stirling, für sich einnehmen, bevor das Geschehen im Hause Mauney eskaliert ist?“
Zuletzt von Umbra am Fr Jun 28 2013, 10:15 bearbeitet; insgesamt 1-mal bearbeitet
Umbra- Tiefseemonster
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Re: Götterblut - Kapitel 2: Gut geplant ist halb gewonnen
Leicht irritiert und voller Unverständnis für Alans Reaktion und dessen haltlose Vorwürfe, sah Charles diesem hinterher. Er konnte nicht wirklich nachvollziehen, warum Mr. Stirling so gereizt reagierte und was dieser mit Reden üben und sich verliebt im Spiel betrachten meinte.
Ich bin nicht eitel, dachte Charles und rückte seine Weste zurecht, die etwas schief saß. Getrocknetes Blut blieb an seinen Fingerkuppen haften wie feines, rotes Pulver.
Anbandeln. Natürlich.
Wahrscheinlich war es ganz gut, dass Alan nicht wusste, was sich in seiner Abwesenheit in Dr. Tremaines Haus abgespielt hatte. Das wäre wohl zu viel Aufregung auf einmal gewesen. Ganz Unrecht hatte Mr. Stirling mit seiner provokanten Vorhaltung ja nicht – aber das tat nichts zur Sache, einmal abgesehen davon, dass ihn das auch nicht im Mindesten etwas anging.
Gerade Melinda riss Charles aus seinen Gedanken, als er als nächstes darüber rätselte, was Alan wohl mit „Vorkehrungen“ gemeint haben könnte.
„Selbstverständlich werden wir Dr. Tremaine nicht zurücklassen“, versicherte er ihr im beruhigenden Ton, nachdem er sich ihr zugewandt hatte.
„Keine Sorge, das werden wir sofort in Angriff nehmen.“ Einerseits widersprach es der Ehre, einen „Kameraden“ – auch wenn Charles diese Bezeichnung in Verbindung mit dem Chirurgen vielleicht nicht ganz passend fand – der Willkür des Feindes zu überlassen; andererseits wollte Charles endlich Gewissheit haben. Alans benebeltes Gebrabbel konnte er an dieser Stelle noch nicht zu hundert Prozent ernst nehmen – dieses hatte ihm jedoch eindeutig nicht gefallen. Die Witwe Mauney, Folter, Mord, Polizei… Sicher bedeutete dies alles nichts Gutes.
„Man wird ihn zum Scotland Yard gebracht haben. Ich hoffe, dass wir nicht zu spät kommen. Sollte es stimmen, was Mr. Stirling gesagt hat, wird der Doktor, sobald man ihn freilässt, wenn man ihn denn freilässt – womit ich eigentlich nicht rechne, da der Yard zumindest Verbindungen zum Scarface-Fall ziehen wird –, nach Whitechapel aufbrechen und direkt in den nächsten Tatort hineinlaufen. Spätestens dann wird man sicherlich nicht mehr gnädig mit ihm umgehen. Wir sollten uns daher besser beeilen. Ihn von einer Polizeiwache abzuholen ist um Längen einfacher als ihn aus der Haft befreien zu müssen. Johanna, du wirst dich darum kümmern“, sagte Charles, nun seiner Tochter seine volle Aufmerksamkeit schenkend.
„Du musst dich nach Dr. Tremaines Verbleib erkundigen und ihn, wenn möglich, direkt mitnehmen. Man wird dich zu ihm lassen, wenn du ihnen sagst, du seist seine Verlobte. Seine Verlobte, das ist wichtig, denn die Polizei führt Akten über Familienverhältnisse und würde sofort misstrauisch werden, wenn du dich als Verwandte oder Ehefrau ausgibst. Du musst etwas schauspielern und auch ihn dazu bringen, mitzuspielen.“ Charles lächelte und versuchte, damit seine eigene Unsicherheit zu überdecken. Er hatte sofort gemerkt, als Johanna ihn belogen hatte. Sie konnte das nicht gut. Das war der größte Stolperstein – neben Dr. Tremaine, dessen Reaktion auf diese Vorgehensweise schwer vorauszusehen war. Aber es blieb ihnen zu diesem Zeitpunkt kaum eine andere Möglichkeit.
„Keine Sorge“, fügte Charles dann noch an, um Johanna Mut zuzusprechen, „David wird dich begleiten und unterstützen.“
Gespannt wartete Charles auf Johannas Reaktion – David sträubte sich jedenfalls nicht, sondern nahm den Auftrag nickend an. Charles hatte sich diesen erfolgversprechenden Plan bereits zuvor überlegt. Es war die einfachste Lösung.
Ich bin nicht eitel, dachte Charles und rückte seine Weste zurecht, die etwas schief saß. Getrocknetes Blut blieb an seinen Fingerkuppen haften wie feines, rotes Pulver.
Anbandeln. Natürlich.
Wahrscheinlich war es ganz gut, dass Alan nicht wusste, was sich in seiner Abwesenheit in Dr. Tremaines Haus abgespielt hatte. Das wäre wohl zu viel Aufregung auf einmal gewesen. Ganz Unrecht hatte Mr. Stirling mit seiner provokanten Vorhaltung ja nicht – aber das tat nichts zur Sache, einmal abgesehen davon, dass ihn das auch nicht im Mindesten etwas anging.
Gerade Melinda riss Charles aus seinen Gedanken, als er als nächstes darüber rätselte, was Alan wohl mit „Vorkehrungen“ gemeint haben könnte.
„Selbstverständlich werden wir Dr. Tremaine nicht zurücklassen“, versicherte er ihr im beruhigenden Ton, nachdem er sich ihr zugewandt hatte.
„Keine Sorge, das werden wir sofort in Angriff nehmen.“ Einerseits widersprach es der Ehre, einen „Kameraden“ – auch wenn Charles diese Bezeichnung in Verbindung mit dem Chirurgen vielleicht nicht ganz passend fand – der Willkür des Feindes zu überlassen; andererseits wollte Charles endlich Gewissheit haben. Alans benebeltes Gebrabbel konnte er an dieser Stelle noch nicht zu hundert Prozent ernst nehmen – dieses hatte ihm jedoch eindeutig nicht gefallen. Die Witwe Mauney, Folter, Mord, Polizei… Sicher bedeutete dies alles nichts Gutes.
„Man wird ihn zum Scotland Yard gebracht haben. Ich hoffe, dass wir nicht zu spät kommen. Sollte es stimmen, was Mr. Stirling gesagt hat, wird der Doktor, sobald man ihn freilässt, wenn man ihn denn freilässt – womit ich eigentlich nicht rechne, da der Yard zumindest Verbindungen zum Scarface-Fall ziehen wird –, nach Whitechapel aufbrechen und direkt in den nächsten Tatort hineinlaufen. Spätestens dann wird man sicherlich nicht mehr gnädig mit ihm umgehen. Wir sollten uns daher besser beeilen. Ihn von einer Polizeiwache abzuholen ist um Längen einfacher als ihn aus der Haft befreien zu müssen. Johanna, du wirst dich darum kümmern“, sagte Charles, nun seiner Tochter seine volle Aufmerksamkeit schenkend.
„Du musst dich nach Dr. Tremaines Verbleib erkundigen und ihn, wenn möglich, direkt mitnehmen. Man wird dich zu ihm lassen, wenn du ihnen sagst, du seist seine Verlobte. Seine Verlobte, das ist wichtig, denn die Polizei führt Akten über Familienverhältnisse und würde sofort misstrauisch werden, wenn du dich als Verwandte oder Ehefrau ausgibst. Du musst etwas schauspielern und auch ihn dazu bringen, mitzuspielen.“ Charles lächelte und versuchte, damit seine eigene Unsicherheit zu überdecken. Er hatte sofort gemerkt, als Johanna ihn belogen hatte. Sie konnte das nicht gut. Das war der größte Stolperstein – neben Dr. Tremaine, dessen Reaktion auf diese Vorgehensweise schwer vorauszusehen war. Aber es blieb ihnen zu diesem Zeitpunkt kaum eine andere Möglichkeit.
„Keine Sorge“, fügte Charles dann noch an, um Johanna Mut zuzusprechen, „David wird dich begleiten und unterstützen.“
Gespannt wartete Charles auf Johannas Reaktion – David sträubte sich jedenfalls nicht, sondern nahm den Auftrag nickend an. Charles hatte sich diesen erfolgversprechenden Plan bereits zuvor überlegt. Es war die einfachste Lösung.
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Re: Götterblut - Kapitel 2: Gut geplant ist halb gewonnen
Irritiert Blickte Johanna Alan hinterher, während dieser fast schon eingeschnappt die Tür hinaus lief. Sie war verwirrt und verstand nicht wirklich was los war. Vermutlich lag das am Alkohol, den er sicherlich noch in sich hatte. Zumindest war es die einzige Erklärung die in Johannas Augen Sinn machte. Es wäre zu seltsam gewesen, wenn Alan nur wegen eines ‚Kusch’ das Haus verlassen hätte. Immerhin war er kein Kind mehr, und eine solche Provokation zu ignorieren war kein Hexenwerk.
Johanna hieß die Art, mit der Charles sprach, nicht gut. Er mochte genervt sein, doch so manche Sätze seinerseits ließen ihn unsympathisch wirken. Mal davon abgesehen, dass er Alan fair behandeln sollte. Es wäre nicht undenkbar dass Alan Charles in den Rücken fällt. Wut und Hass kann so einiges verursachen. Und Rache war eine Sache davon.
Melindas Frage riss Johanna aus ihren Gedanken und Charles Antwort riss ihr fast den Boden unter den Füßen weg. Ausgerechnet sie sollte Dr. Tremaine retten? Johanna? Die im Lügen ungefähr so gut war wie ein Eichhörnchen im Schießen? Sie blickte Charles entgeistert an. Er hatte ihre Fähigkeiten im Schauspielern selbst erfahren dürfen und trotzdem schlug er einen solchen Plan vor, einen, der sie selbst ans Messer liefert. Gerade so, als wolle er Johanna loswerden wollen.
Johannas Magen verkrampfte sich urplötzlich, ihre Hände krallten sich am Stoff ihres Kleides fest. Genau das war es. Er wollte Johanna loswerden. Warum sonst sollte er sie in die Falle locken wollen, und bei Gott, das war eine Falle. Johanna war nicht in der Lage zu lügen. Die Polizei würde sie schnappen. Dann wäre sie aus dem Weg. Und Charles hätte seine Ruhe. Johannas Blick huschte für eine kurze Sekunde zu Melinda. ‚Charles und Melinda hätten ihre Ruhe’, verbesserte Johanna sich in Gedanken und biss die Zähne zusammen. Sie wusste nicht was sie tun sollte, wusste nur, dass sie sich sicher nicht selbst in Gefahr bringen würde. Für was auch? Sie kannte Dr.Tremaine nicht. Es war nicht ihre Schuld dass er der Polizei in die Fänge geriet. Laut Alan ganz und gar nicht Grundlos. Was lag Johanna denn am Doktor? Nichts, überhaupt nichts. Und für überhaupt nichts sollte sie sich selbst in Gefahr bringen?
Sollte Melinda doch gehen. Ein bisschen Schminke, neue Kleidung und voilá, kann sie sich als Verlobte ausgeben. Man müsste nur dafür sorgen, dass man sie nicht erkennt. Doch Johanna wusste genau, dass das nicht passieren würde. Das würde Charles nicht zulassen. Nein. Da schickt er lieber seine eigene Tochter los, die er erst sein einigen Stunden kennt.
Es lag ihm wohl nichts an ihr. Das zeigte er ihr in jeder einzelnen Sekunde, sei es durch sein Verhalten oder gar durch sein Handeln. Nur Melinda schien von Bedeutung, welche sie nun vermutlich endgültig für egoistisch abstempeln würde, sollte sie sich nun weigern. Aber was lag Johanna daran? Sie wusste es besser. Sie wusste, dass nicht sie diejenige war, die Egoistisch ist, sondern Melinda. Und nur das zählte. Vielleicht würde Melinda das irgendwann mal selbst begreifen. Doch bis dahin brauchte Johanna sich nicht darum scheren, was man von ihr dachte.
Kaum merklich schüttelte Johanna den Kopf.
„Ich kann nicht schauspielern.“, zischte sie, versuchte aber möglichst normal zu klingen.
Johanna hieß die Art, mit der Charles sprach, nicht gut. Er mochte genervt sein, doch so manche Sätze seinerseits ließen ihn unsympathisch wirken. Mal davon abgesehen, dass er Alan fair behandeln sollte. Es wäre nicht undenkbar dass Alan Charles in den Rücken fällt. Wut und Hass kann so einiges verursachen. Und Rache war eine Sache davon.
Melindas Frage riss Johanna aus ihren Gedanken und Charles Antwort riss ihr fast den Boden unter den Füßen weg. Ausgerechnet sie sollte Dr. Tremaine retten? Johanna? Die im Lügen ungefähr so gut war wie ein Eichhörnchen im Schießen? Sie blickte Charles entgeistert an. Er hatte ihre Fähigkeiten im Schauspielern selbst erfahren dürfen und trotzdem schlug er einen solchen Plan vor, einen, der sie selbst ans Messer liefert. Gerade so, als wolle er Johanna loswerden wollen.
Johannas Magen verkrampfte sich urplötzlich, ihre Hände krallten sich am Stoff ihres Kleides fest. Genau das war es. Er wollte Johanna loswerden. Warum sonst sollte er sie in die Falle locken wollen, und bei Gott, das war eine Falle. Johanna war nicht in der Lage zu lügen. Die Polizei würde sie schnappen. Dann wäre sie aus dem Weg. Und Charles hätte seine Ruhe. Johannas Blick huschte für eine kurze Sekunde zu Melinda. ‚Charles und Melinda hätten ihre Ruhe’, verbesserte Johanna sich in Gedanken und biss die Zähne zusammen. Sie wusste nicht was sie tun sollte, wusste nur, dass sie sich sicher nicht selbst in Gefahr bringen würde. Für was auch? Sie kannte Dr.Tremaine nicht. Es war nicht ihre Schuld dass er der Polizei in die Fänge geriet. Laut Alan ganz und gar nicht Grundlos. Was lag Johanna denn am Doktor? Nichts, überhaupt nichts. Und für überhaupt nichts sollte sie sich selbst in Gefahr bringen?
Sollte Melinda doch gehen. Ein bisschen Schminke, neue Kleidung und voilá, kann sie sich als Verlobte ausgeben. Man müsste nur dafür sorgen, dass man sie nicht erkennt. Doch Johanna wusste genau, dass das nicht passieren würde. Das würde Charles nicht zulassen. Nein. Da schickt er lieber seine eigene Tochter los, die er erst sein einigen Stunden kennt.
Es lag ihm wohl nichts an ihr. Das zeigte er ihr in jeder einzelnen Sekunde, sei es durch sein Verhalten oder gar durch sein Handeln. Nur Melinda schien von Bedeutung, welche sie nun vermutlich endgültig für egoistisch abstempeln würde, sollte sie sich nun weigern. Aber was lag Johanna daran? Sie wusste es besser. Sie wusste, dass nicht sie diejenige war, die Egoistisch ist, sondern Melinda. Und nur das zählte. Vielleicht würde Melinda das irgendwann mal selbst begreifen. Doch bis dahin brauchte Johanna sich nicht darum scheren, was man von ihr dachte.
Kaum merklich schüttelte Johanna den Kopf.
„Ich kann nicht schauspielern.“, zischte sie, versuchte aber möglichst normal zu klingen.
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Re: Götterblut - Kapitel 2: Gut geplant ist halb gewonnen
Als Charles vorschlug, dass Johanna den Doc zurückholen sollte, war sie einen Augenblick lang entgeistert gewesen. Ausgerechnet SIE sollte Randolph retten können? Wie denn das? Melinda wollte protestieren und sagen, dass sie selbst den Weg in Angriff nehmen würde, sich als Verlobte ausgeben würde und den Doc zu Maybrick Manor bringen.
Genau! Du bist genau die Richtige dafür! Herrje, es erkennt dich doch jeder! Jeder verdammte Bobbie muss laut Hill dein Gesicht auswendig kennen. Selbst als Nonne verkleidet, würdest du auffallen! Du kannst doch nicht einfach in Scotland Yard reinspazieren. Vergiss nicht, dass in deinem alten Wohnsitz eine Leiche liegt und bei der Aktion am Cafè hat man dich sicher auch gesehen. Also, sei nicht dumm!
Randolph kann nicht von dir gerettet werden.
Obwohl ihr der Plan absolut nicht gefiel und sich alles in ihr sträubte, nickte sie leicht, als sie darüber nachdachte. Das Johanna der Plan nicht passte, war deutlich zu sehen
Die Kleine sollte es sich nicht mit Daddy verscherzen. Hihihihihihihi.
"Es ist nicht tragisch nicht schauspielern zu können. Man holt nicht jeden Tag seinen Verlobten nach einem Verhör beim Yard ab. Man wird dich für aufgeregt halten. Es könnte funktionieren."
Genau! Du bist genau die Richtige dafür! Herrje, es erkennt dich doch jeder! Jeder verdammte Bobbie muss laut Hill dein Gesicht auswendig kennen. Selbst als Nonne verkleidet, würdest du auffallen! Du kannst doch nicht einfach in Scotland Yard reinspazieren. Vergiss nicht, dass in deinem alten Wohnsitz eine Leiche liegt und bei der Aktion am Cafè hat man dich sicher auch gesehen. Also, sei nicht dumm!
Randolph kann nicht von dir gerettet werden.
Obwohl ihr der Plan absolut nicht gefiel und sich alles in ihr sträubte, nickte sie leicht, als sie darüber nachdachte. Das Johanna der Plan nicht passte, war deutlich zu sehen
Die Kleine sollte es sich nicht mit Daddy verscherzen. Hihihihihihihi.
"Es ist nicht tragisch nicht schauspielern zu können. Man holt nicht jeden Tag seinen Verlobten nach einem Verhör beim Yard ab. Man wird dich für aufgeregt halten. Es könnte funktionieren."
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Re: Götterblut - Kapitel 2: Gut geplant ist halb gewonnen
Charles bemerkte, wie sich Johanna verkrampfte. Die Art seines Plans schien sie sehr überrumpelt zu haben, aber Dr. Tremaine brauchte ihre Hilfe – sah sie das denn nicht?
„Es wird funktionieren“, korrigierte Charles Melindas Wortwahl ein wenig, denn er war überzeugt von seinem Plan.
„Ich bitte dich Johanna“, sprach Charles, aber keinesfalls flehend, sondern eher in dem Ton, den man benutzte, wenn man jemandem Vernunft beibringen wollte. Betteln würde Charles bestimmt nicht, aber dazu sah er auch nicht die Notwendigkeit. Johanna schien verunsichert zu sein und er wollte ihr ihren Zweifel gern nehmen.
„ Alan sagte, er habe den Doktor zurückgelassen, weil dieser, wahrscheinlich aufgrund einer Verletzung, nicht mehr laufen kann“, begann er zu begründen, warum sie in seinen Augen die Richtige für diese Unternehmung war.
„Vom Zellentrakt des Yards bis zum Ausgang gibt es daher nur einen Weg, den wir mit Dr. Tremaine nehmen könnten – und der führt durch einige Türen und an vielen Polizisten vorbei.“
Ein Fenster als Option konnten sie definitiv streichen. Johanna würde in Davids Begleitung direkt zu Dr. Tremaine geführt werden und würde den Yard, selbst ohne den Doktor, auch wieder verlassen können. Als Besucher konnte man jederzeit wieder gehen.
„ Du bist die einzige von uns, deren Gesicht die Polizei nicht kennt. Nur dich wird man bereitwillig zu ihm lassen, wenn du die Bobbies das glauben lässt, was ich gerade vorgeschlagen habe. Dabei musst du noch nicht einmal viel sagen“, bekräftigte er, um ihr Sicherheit zu geben, die sie vielleicht nicht sah.
„David wird das für dich übernehmen, wenn du dich nicht sicher genug fühlst. Du musst theoretisch nur in deiner Rolle bleiben und dem Doktor deutlich machen, dass er mitspielen muss. Gib dich der Polizei gegenüber besorgt, wütend oder aufgelöst – irgendetwas, was dir am besten liegt und das passt. Keine Angst, denn Melinda hat Recht: du musst keine schauspielerische Glanzleistung hinlegen – allerdings wäre dies auch die perfekte Gelegenheit, ein wenig zu üben, nicht wahr? Sei selbstbewusst, dann klingst du auch authentisch. Um andere zu überzeugen, musst du selbst von deinen Worten überzeugt sein. Ich glaube an dich, du schaffst das“, war Charles sich sicher und schenkte seiner Tochter ein gutmütiges und ermutigendes Lächeln.
„Es wird funktionieren“, korrigierte Charles Melindas Wortwahl ein wenig, denn er war überzeugt von seinem Plan.
„Ich bitte dich Johanna“, sprach Charles, aber keinesfalls flehend, sondern eher in dem Ton, den man benutzte, wenn man jemandem Vernunft beibringen wollte. Betteln würde Charles bestimmt nicht, aber dazu sah er auch nicht die Notwendigkeit. Johanna schien verunsichert zu sein und er wollte ihr ihren Zweifel gern nehmen.
„ Alan sagte, er habe den Doktor zurückgelassen, weil dieser, wahrscheinlich aufgrund einer Verletzung, nicht mehr laufen kann“, begann er zu begründen, warum sie in seinen Augen die Richtige für diese Unternehmung war.
„Vom Zellentrakt des Yards bis zum Ausgang gibt es daher nur einen Weg, den wir mit Dr. Tremaine nehmen könnten – und der führt durch einige Türen und an vielen Polizisten vorbei.“
Ein Fenster als Option konnten sie definitiv streichen. Johanna würde in Davids Begleitung direkt zu Dr. Tremaine geführt werden und würde den Yard, selbst ohne den Doktor, auch wieder verlassen können. Als Besucher konnte man jederzeit wieder gehen.
„ Du bist die einzige von uns, deren Gesicht die Polizei nicht kennt. Nur dich wird man bereitwillig zu ihm lassen, wenn du die Bobbies das glauben lässt, was ich gerade vorgeschlagen habe. Dabei musst du noch nicht einmal viel sagen“, bekräftigte er, um ihr Sicherheit zu geben, die sie vielleicht nicht sah.
„David wird das für dich übernehmen, wenn du dich nicht sicher genug fühlst. Du musst theoretisch nur in deiner Rolle bleiben und dem Doktor deutlich machen, dass er mitspielen muss. Gib dich der Polizei gegenüber besorgt, wütend oder aufgelöst – irgendetwas, was dir am besten liegt und das passt. Keine Angst, denn Melinda hat Recht: du musst keine schauspielerische Glanzleistung hinlegen – allerdings wäre dies auch die perfekte Gelegenheit, ein wenig zu üben, nicht wahr? Sei selbstbewusst, dann klingst du auch authentisch. Um andere zu überzeugen, musst du selbst von deinen Worten überzeugt sein. Ich glaube an dich, du schaffst das“, war Charles sich sicher und schenkte seiner Tochter ein gutmütiges und ermutigendes Lächeln.
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Re: Götterblut - Kapitel 2: Gut geplant ist halb gewonnen
"Ich kann mich nicht als jemand anderes ausgeben.", wiederholte Johanna noch einmal. Das war einzig und allein eine Falle. Sicher würde man Johanna nicht für aufgeregt halten, nein. Wenn sie schlecht log, sah sie nicht aufgeregt aus. Sollte Charles sich doch einen anderen Laufburschen suchen, der für ihn arbeitete, und den er aus dem Weg schaufeln konnte, sobald es nötig war.
Johanna wurde momentan genauso gesucht, wie Melinda und Charles. Vielleicht nicht in diesem Ausmaß, doch auch nach ihr hielt man ausschau. Wenn sich Johanna einmal verplapperte, und sie war sich mehr als nur sicher, dass dies geschehen würde, dann würde man sie einsperren und versuchen die Wahrheit aus ihr zu foltern. Warum sie Dr.Tremaine rausschmuggeln wollte oder gar ob sie Informationen über Scarface hatte. Und Johanna würde nichts sagen, und man würde sie solange hinter Gittern behalten, bis ihre Haare grau und ihre Haut runzlig war.
Johanna erschauderte. Dieser Plan war zum scheitern verurteilt, wenn sie diejenige war, die ihn ausführte. Charles musste das wissen. Er wusste ganz genau dass dies die beste Möglichkeit wäre um Johanna ein für alle mal aus dem Weg zu schaffen, genauso wie er wusste, dass sie ihn nicht verraten würde. 'Aber wieso eigentlich nicht? Er will dich ans Messer liefern...tu du doch das selbe mit ihm...', Johanna schüttelte den Kopf bei diesem Gedanken, und schüttelte ihn gleich noch einmal, an Charles gewandt.
"Das ist reinster Selbstmord.", murmelte sie und schnaufte angespannt tief durch.
Johanna wurde momentan genauso gesucht, wie Melinda und Charles. Vielleicht nicht in diesem Ausmaß, doch auch nach ihr hielt man ausschau. Wenn sich Johanna einmal verplapperte, und sie war sich mehr als nur sicher, dass dies geschehen würde, dann würde man sie einsperren und versuchen die Wahrheit aus ihr zu foltern. Warum sie Dr.Tremaine rausschmuggeln wollte oder gar ob sie Informationen über Scarface hatte. Und Johanna würde nichts sagen, und man würde sie solange hinter Gittern behalten, bis ihre Haare grau und ihre Haut runzlig war.
Johanna erschauderte. Dieser Plan war zum scheitern verurteilt, wenn sie diejenige war, die ihn ausführte. Charles musste das wissen. Er wusste ganz genau dass dies die beste Möglichkeit wäre um Johanna ein für alle mal aus dem Weg zu schaffen, genauso wie er wusste, dass sie ihn nicht verraten würde. 'Aber wieso eigentlich nicht? Er will dich ans Messer liefern...tu du doch das selbe mit ihm...', Johanna schüttelte den Kopf bei diesem Gedanken, und schüttelte ihn gleich noch einmal, an Charles gewandt.
"Das ist reinster Selbstmord.", murmelte sie und schnaufte angespannt tief durch.
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Re: Götterblut - Kapitel 2: Gut geplant ist halb gewonnen
Das Lächeln verschwand von Charles‘ Gesicht, als Johanna erneut ablehnte. Seine Geduld hatte Grenzen – gerade, wenn man seine Freundlichkeit nicht erwiderte. Entweder wollte sie nicht verstehen, dass das, was er von ihr verlangte, höchste Wichtigkeit besaß, oder sie war sich dessen bewusst und es war ihr schlichtweg egal. Er selbst konnte ihr Verhalten nicht nachvollziehen, umso mehr irritierte ihn aber, dass sie auf ihn nicht aus Unsicherheit angespannt zu sein schien, sondern vor Wut. Vielleicht war sie bemüht, sich dieses Gefühl nicht anmerken zu lassen, Charles meinte es nun jedoch deutlich zu erkennen. Zuvor hatte er ihre Steifheit auf Angst und den Schreck geschoben, den es ihr bereitet haben mochte, dass er sie unvermittelt in sein Vorhaben mit eingebunden hatte – nun nahm er bewusst das Gesamtbild wahr. Johannas Körperhaltung, zusammen mit ihrem Blick und den Tonfall ihrer Stimme… Seine Tochter irritierte ihn wahrlich mit diesem Verhalten. Sie enttäuschte ihn, hatte er ihr, wenn man die Notwendigkeit, dass sie Dr. Tremaine abholte, außer Acht ließ, auch zeigen wollen, dass er ihr vertraute und sie brauchte. Dass sie nicht unerwünscht war, sondern ihren Beitrag leisten konnte. Nach der angespannten Stimmung, die sowieso zwischen ihnen herrschte, hatte Charles auf sie zugehen wollen – doch sie schlug seine dargebotene Hand nun herzlos weg. Er konnte nicht anders als selbst Zorn zu empfinden.
Dieser verrauchte jedoch urplötzlich, als Johanna leise einen zweiten Satz anfügte. Charles glaubte zuerst, sich verhört zu haben, doch die Erkenntnis, dass er es nicht hatte, traf ihn dann wie ein Schlag – wie ein äußerst schmerzhafter. Es fühlte sich so an, als würde etwas in seiner Brust verkrampfen. Vor Verwunderung und nicht zuletzt auch vor Entsetzen weiteten sich seine Augen etwas.
„Du glaubst, ich würde dich bewusst einem Todesrisiko aussetzen?“, brachte er beinahe nur flüsternd über seine Lippen. Verletzt wusste Charles nicht, wo er hinsehen sollte. Vor Bestürzung fuhr er sichunwillkürlich mit der Hand über den Mund. Wie konnte sie nur so etwas denken? Sie war seine Tochter!
„Ich…“, begann er dann etwas lauter, mit Mühe gefasst, aber überlegte sich anders. Nein, das war lächerlich, er würde jetzt nicht erklären, dass er selbstverständlich nicht vorgehabt hatte und es immer noch nicht hat, Johanna in Gefahr zu bringen. Ihr würde nichts geschehen, egal, was passierte, die Polizei würde ihr nichts antun – warum sollte sie auch? Charles fehlte die Kraft, um diese Diskussion weiterzuführen, er war einfach zu aufgewühlt. So viel war in den vergangenen Stunden passiert – und jetzt auch noch das! Er setzte sich, zuerst rückwärts, in Bewegung.
„Entschuldigt mich. Ich werde dafür sorgen, dass wir hier fließend Wasser haben“, informierte er die Anwesenden, ohne jemanden anzublicken, drehte sich um und trat mit eiligen Schritten die Flucht Richtung Keller an.
In diesem Moment wünschte sich Charles, er wäre Johanna nie begegnet. Keine Familie mehr zu haben war, so schmerzhaft der Gedanke auch sein mochte, immer noch besser als zu wissen, dass sich die eigene Tochter nicht um ihn scherte – nein, darüber hinaus sogar seinen Tod auf die leichte Schulter nehmen würde. Nichts anderes gab sie ihm mit ihrer Weigerung zu verstehen.
Er wollte allein sein. Er hätte nie geglaubt, dass er etwas wie Heimweh entwickeln könnte, doch es überkam ihn das Verlangen, in Manchester zu sein, wo all sein Hab und Gut war, seine Bücher und seine Andenken von seinen Reisen, in seinem großen, leeren Wohnsitz, in dem zum Schluss außer ihm nur sein Butler gelebt hatte – der gute, treue, alte Oxley; ob er wohl noch dort war und das Haus hütete? Charles wollte sich in sein Zimmer zurückziehen, in sein Bett – dorthin, wo er sich vor der grausamen Welt verstecken konnte.
Inzwischen hatte sich David scheinbar aufgemacht, um Charles, der bereits die Halle verlassen hatte, hinterherzusetzen. Leichtfüßig huschte er von der Galerie aus eine der langen Treppen hinunter.
„Sie scheinen ihn nich‘ sonderlich gut zu kennen, was, Miss?“, brummte er halblaut und hörbar ungehalten, als er dabei Johanna passierte.
„Wenn Sie nich‘ geh’n, geht er.“
Dieser verrauchte jedoch urplötzlich, als Johanna leise einen zweiten Satz anfügte. Charles glaubte zuerst, sich verhört zu haben, doch die Erkenntnis, dass er es nicht hatte, traf ihn dann wie ein Schlag – wie ein äußerst schmerzhafter. Es fühlte sich so an, als würde etwas in seiner Brust verkrampfen. Vor Verwunderung und nicht zuletzt auch vor Entsetzen weiteten sich seine Augen etwas.
„Du glaubst, ich würde dich bewusst einem Todesrisiko aussetzen?“, brachte er beinahe nur flüsternd über seine Lippen. Verletzt wusste Charles nicht, wo er hinsehen sollte. Vor Bestürzung fuhr er sichunwillkürlich mit der Hand über den Mund. Wie konnte sie nur so etwas denken? Sie war seine Tochter!
„Ich…“, begann er dann etwas lauter, mit Mühe gefasst, aber überlegte sich anders. Nein, das war lächerlich, er würde jetzt nicht erklären, dass er selbstverständlich nicht vorgehabt hatte und es immer noch nicht hat, Johanna in Gefahr zu bringen. Ihr würde nichts geschehen, egal, was passierte, die Polizei würde ihr nichts antun – warum sollte sie auch? Charles fehlte die Kraft, um diese Diskussion weiterzuführen, er war einfach zu aufgewühlt. So viel war in den vergangenen Stunden passiert – und jetzt auch noch das! Er setzte sich, zuerst rückwärts, in Bewegung.
„Entschuldigt mich. Ich werde dafür sorgen, dass wir hier fließend Wasser haben“, informierte er die Anwesenden, ohne jemanden anzublicken, drehte sich um und trat mit eiligen Schritten die Flucht Richtung Keller an.
In diesem Moment wünschte sich Charles, er wäre Johanna nie begegnet. Keine Familie mehr zu haben war, so schmerzhaft der Gedanke auch sein mochte, immer noch besser als zu wissen, dass sich die eigene Tochter nicht um ihn scherte – nein, darüber hinaus sogar seinen Tod auf die leichte Schulter nehmen würde. Nichts anderes gab sie ihm mit ihrer Weigerung zu verstehen.
Er wollte allein sein. Er hätte nie geglaubt, dass er etwas wie Heimweh entwickeln könnte, doch es überkam ihn das Verlangen, in Manchester zu sein, wo all sein Hab und Gut war, seine Bücher und seine Andenken von seinen Reisen, in seinem großen, leeren Wohnsitz, in dem zum Schluss außer ihm nur sein Butler gelebt hatte – der gute, treue, alte Oxley; ob er wohl noch dort war und das Haus hütete? Charles wollte sich in sein Zimmer zurückziehen, in sein Bett – dorthin, wo er sich vor der grausamen Welt verstecken konnte.
Inzwischen hatte sich David scheinbar aufgemacht, um Charles, der bereits die Halle verlassen hatte, hinterherzusetzen. Leichtfüßig huschte er von der Galerie aus eine der langen Treppen hinunter.
„Sie scheinen ihn nich‘ sonderlich gut zu kennen, was, Miss?“, brummte er halblaut und hörbar ungehalten, als er dabei Johanna passierte.
„Wenn Sie nich‘ geh’n, geht er.“
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Re: Götterblut - Kapitel 2: Gut geplant ist halb gewonnen
Interessiert verfolgte Melinda die Bemerkungen und die daraus resultierende Stimmung. Obwohl die Vorkommnisse der letzten Zeit nicht leicht gewesen waren, hatte Charles es dennoch versucht und auch geschafft nett zu bleiben. Doch diesmal gelang es ihm nicht. Seine Gesichtszüge entglitten ihm regelrecht. Das er sich abwand um das Haus auf Vordermann zu bringen und das Wasser anzuschalten, schien Melinda eher ein Vorwand sich zu entziehen. Einen Augenblick wollte Melinda ihm hinterher gehen, doch dann blieb sie stehen. Sicherlich wollte Charles einen Augenblick Ruhe.
…Selbstmord…das Johanna es so bezeichnete, konnte Melinda kaum glauben. Verstand sie denn nicht wie wichtig jeder von ihnen für eine Revolution war? Jeder würde seinen Part haben, sogar Alan. Der Doc war nicht mehr oder weniger wichtig, als einer von den anderen. Die persönliche Beziehung von Randolph und Melinda völlig außen vor gelassen, war es doch so offensichtlich, dass dieser dringend zu ihnen stoßen musste. Einen ausgebildeten Arzt in einer solchen Gruppe zu haben, verursachte einen weiteren Argumentationspunkt Randolph so schnell wie möglich aus den Fängen von Hill zu bekommen. Das Alan nun schon wieder weg war, war schlimm genug.
Was David einwarf, war für Melinda deutlich zu hören und sie gab ihm insgeheim Recht, sie musste nur an die Situation in Whitechapel denken. Er hatte sein Leben riskiert und würde es auch für die anderen tun. Das hatte er gesagt und gezeigt.
“Und dann sprechen wir nicht mehr von Selbstmord, was nun wirklich hanebüchen ist, sondern von Mord. Charles wird gehen und wir wissen alle was dann passiert. Was denkst du wie schnell Daddy am Galgen hängt? Glaub‘ mir wenn ich gehen könnte, bei Gott, ich würde es tun. Nur leider kann ich nicht. Du bist nun mal die einzige Chance. Dass es dir sicher unglaublich egal ist, wenn ich im Tower sitze bis ich verrotte, verstehe ich. Liefere mich ans Messer wenn du willst, Scotland Yard wird es dir mit Kusshand danken, aber Charles…“
Melinda ließ den Rest des Satzes unausgesprochen.
Das Mädel ist größer als du. Pass‘ bloß auf, dass sie dir keine knallt. Die haut dich um. Meine Güte, habe ich Lust auf einen guten Tropfen. Du nicht auch?
Sie blickte Johanna an. Wartete eine Reaktion ab und versuchte verzweifelt, einen anderen Weg zu finden um Randolph zu retten. Das er überhaupt erst in der Klemme saß, war ihr Verschulden. Die Beseitigung desselbigen hätte ihn ihrer Hand liegen sollen und müssen, doch tat es das nicht. Doch ihr Hirn war zu sehr damit beschäftigt, nach Alkohol zu gieren um aus dieser Situation zu entkommen.
…Selbstmord…das Johanna es so bezeichnete, konnte Melinda kaum glauben. Verstand sie denn nicht wie wichtig jeder von ihnen für eine Revolution war? Jeder würde seinen Part haben, sogar Alan. Der Doc war nicht mehr oder weniger wichtig, als einer von den anderen. Die persönliche Beziehung von Randolph und Melinda völlig außen vor gelassen, war es doch so offensichtlich, dass dieser dringend zu ihnen stoßen musste. Einen ausgebildeten Arzt in einer solchen Gruppe zu haben, verursachte einen weiteren Argumentationspunkt Randolph so schnell wie möglich aus den Fängen von Hill zu bekommen. Das Alan nun schon wieder weg war, war schlimm genug.
Was David einwarf, war für Melinda deutlich zu hören und sie gab ihm insgeheim Recht, sie musste nur an die Situation in Whitechapel denken. Er hatte sein Leben riskiert und würde es auch für die anderen tun. Das hatte er gesagt und gezeigt.
“Und dann sprechen wir nicht mehr von Selbstmord, was nun wirklich hanebüchen ist, sondern von Mord. Charles wird gehen und wir wissen alle was dann passiert. Was denkst du wie schnell Daddy am Galgen hängt? Glaub‘ mir wenn ich gehen könnte, bei Gott, ich würde es tun. Nur leider kann ich nicht. Du bist nun mal die einzige Chance. Dass es dir sicher unglaublich egal ist, wenn ich im Tower sitze bis ich verrotte, verstehe ich. Liefere mich ans Messer wenn du willst, Scotland Yard wird es dir mit Kusshand danken, aber Charles…“
Melinda ließ den Rest des Satzes unausgesprochen.
Das Mädel ist größer als du. Pass‘ bloß auf, dass sie dir keine knallt. Die haut dich um. Meine Güte, habe ich Lust auf einen guten Tropfen. Du nicht auch?
Sie blickte Johanna an. Wartete eine Reaktion ab und versuchte verzweifelt, einen anderen Weg zu finden um Randolph zu retten. Das er überhaupt erst in der Klemme saß, war ihr Verschulden. Die Beseitigung desselbigen hätte ihn ihrer Hand liegen sollen und müssen, doch tat es das nicht. Doch ihr Hirn war zu sehr damit beschäftigt, nach Alkohol zu gieren um aus dieser Situation zu entkommen.
Elli- Piratenpinguin
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Re: Götterblut - Kapitel 2: Gut geplant ist halb gewonnen
Johanna war dem Ausrasten nahe. Wieder wurde sie falsch verstanden, hatte sich noch unbeliebter gemacht als sie es ohnehin schon war. Sie schüttelte ungläubig den Kopf als Charles sich aus dem Staub machte. Johanna hatte kein Verständnis für ein solches Verhalten. Es war unreif und zudem unhöflich. Sie hatte nicht mal eine Chance dazu gehabt, Missverständnisse zu klären. Charles hatte ihr diese Chance genommen.
Als Melinda das Wort ergriff spannte Johanna sich wieder an, erwiderte jedoch nichts, sondern schüttelte wieder den Kopf. Das sollte kein 'Nein' bedeuten, Johanna fand die Situation nur gerade fast schon lächerlich und fühlte sich als sei sie in einem Traum gefangen.
Es widerstrebte Johanna immer noch sehr Charles und Melinda alleine zu lassen. Sie wusste was passieren würde, war sich sicher. Eigentlich sollte ihr das keine Sorgen bereiten, immerhin ließ Charles Körperzustand so gut wie kaum etwas zu, doch Johanna hatte sich so in ihrem Denken verrannt, dass es scheinbar kein entkommen mehr gab. Würde Johanna nun gehen, und den Doktor doch retten, dann wäre ihr Verhältnis zu den Beiden endgültig zerstört. War es das Wert? Johanna dachte nun nicht mehr nach, sondern lief die Kellertreppen hinunter, und das so schnell, dass sie sogar David einholte. "Wir gehen. Jetzt.", sprach sie zu ihm. Sie war genervt, wütend und verletzt. Doch interessierte es jemanden? Nein. Es war egal, und dementsprechend war es Johanna egal wie sie gerade klang.
Am unteren Ende der Treppe angekommen blieb Johanna, öffnete die Tür und trat in den dunklen Raum. Er war groß, aber zum Glück fand sie Charles relativ schnell.
"Ich werde gehen. Wie ihr es gewollt habt.", begann sie und seufzte dann leise.
"Glaube mir oder nicht, du hast meinen Satz vorhin falsch verstanden. Aber mir blieb ja keine Zeit, es aufzuklären, und die habe ich auch jetzt nicht... aber... die Sache... zwischen Melinda und dir... die...", Johanna stoppte, schüttelte den Kopf. Es hatte keinen Sinn. Er würde es nicht verstehen. Sie hatte verloren.
"Vergiss es. Du hast mir ja schon oft genug gezeigt an welcher Stelle ich bei dir bin..." Den letzten Teil des Satzes sprach Johanna kaum hörbar aus und wischte sich eine Träne von der Wange. Sie senkte den Kopf. David schien noch mit Charles sprechen zu wollen, Johanna würde dann wohl draußen warten. 'Das wars dann wohl...', dachte sie. Und damit meinte sie nicht unbedingt ihr Leben.
Als Melinda das Wort ergriff spannte Johanna sich wieder an, erwiderte jedoch nichts, sondern schüttelte wieder den Kopf. Das sollte kein 'Nein' bedeuten, Johanna fand die Situation nur gerade fast schon lächerlich und fühlte sich als sei sie in einem Traum gefangen.
Es widerstrebte Johanna immer noch sehr Charles und Melinda alleine zu lassen. Sie wusste was passieren würde, war sich sicher. Eigentlich sollte ihr das keine Sorgen bereiten, immerhin ließ Charles Körperzustand so gut wie kaum etwas zu, doch Johanna hatte sich so in ihrem Denken verrannt, dass es scheinbar kein entkommen mehr gab. Würde Johanna nun gehen, und den Doktor doch retten, dann wäre ihr Verhältnis zu den Beiden endgültig zerstört. War es das Wert? Johanna dachte nun nicht mehr nach, sondern lief die Kellertreppen hinunter, und das so schnell, dass sie sogar David einholte. "Wir gehen. Jetzt.", sprach sie zu ihm. Sie war genervt, wütend und verletzt. Doch interessierte es jemanden? Nein. Es war egal, und dementsprechend war es Johanna egal wie sie gerade klang.
Am unteren Ende der Treppe angekommen blieb Johanna, öffnete die Tür und trat in den dunklen Raum. Er war groß, aber zum Glück fand sie Charles relativ schnell.
"Ich werde gehen. Wie ihr es gewollt habt.", begann sie und seufzte dann leise.
"Glaube mir oder nicht, du hast meinen Satz vorhin falsch verstanden. Aber mir blieb ja keine Zeit, es aufzuklären, und die habe ich auch jetzt nicht... aber... die Sache... zwischen Melinda und dir... die...", Johanna stoppte, schüttelte den Kopf. Es hatte keinen Sinn. Er würde es nicht verstehen. Sie hatte verloren.
"Vergiss es. Du hast mir ja schon oft genug gezeigt an welcher Stelle ich bei dir bin..." Den letzten Teil des Satzes sprach Johanna kaum hörbar aus und wischte sich eine Träne von der Wange. Sie senkte den Kopf. David schien noch mit Charles sprechen zu wollen, Johanna würde dann wohl draußen warten. 'Das wars dann wohl...', dachte sie. Und damit meinte sie nicht unbedingt ihr Leben.
Scáth- Forenzombie
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Re: Götterblut - Kapitel 2: Gut geplant ist halb gewonnen
"Vielleicht verfolgte Scarface mit seinem freundlichen Auftreten den Hintergedanken, meine Praxis vielleicht häufiger zu benutzen. Ansonsten kann ich mir nicht vorstellen, inwiefern er mich manipulieren wollte. Wenn er und Alan sich nicht, wie Sie vermuten, abgesprochen haben, hat er mit meinem Besuch bei den Mauneys nichts zu tun." Randolph entschied sich, alle Alternativen offen zu halten. Man konnte ja nie wissen.
„Als Arzt sind Sie doch ein rechtschaffener Mann“, begann Drake, einen anderen Ansatz versuchend, da er offensichtlich nicht zufrieden war.
Hätte Melinda zugesehen, hätte sie wohl gewusst, warum Mr. Hyde im Café vor diesem rothaarigen Detective hatte fliehen wollen - Drake schien es ganz genau wissen zu wollen und nicht nachzugeben, bis er das Gefühl hatte, alles erfahren zu haben.
Der Inspector schob die Akte, die er in den Verhörraum mitgebracht und ansonsten bisher nicht beachtet hatte, direkt vor sich und schlug sie auf. Er begann, etwas darin herumzublättern, was aber scheinbar nur symbolisch war, denn seine Augen flogen so flüchtig über die Seiten, sodass nur ein kurzer Moment des Schweigens im Raum entstand.
„Hier steht zumindest nicht, dass Sie jemals mit dem Gesetz in Konflikt gekommen sind“, sagte der Chief Inspector und blickte wieder zu Randolph auf. Offenbar hatte er wirklich eine der Akten aus der Personenkartei vor sich, von denen Charles schon erzählt hatte. Trotzdem der Text für Randolph auf dem Kopf stand, war er natürlich dazu in der Lage, ihn zu entziffern. Gelegenheit, viel zu erkennen, hatte er nicht, aber dass auf der Kopfzeile jedes Blattes, auf das er einen Blick erhaschen konnte, in Maschinenschrift "Randolph Tremaine" - mit seinem akademischen Grad als Zusatz - getippt war, fiel ihm sofort ins Auge. Das konnte nur bedeuten... dass die Polizei ihn bereits vor dem Verhör identifiziert hatte.
Drake sah ihn ernst an. Der Polizist schien wirklich noch nicht bereit zu sein, den körperlich und vermutlich auch geistig angeschlagenen Randolph aus diesem Gespräch zu entlassen.
„Sie erzählten mir, dass Mr. Norly im Haus der Witwe Mauney auftauchte, als es schon absehbar war, dass unsere Männer auftauchen würden. Vielleicht hat er die Gelegenheit am Schopf gegriffen. Es wäre wohl nicht zu erwarten, dass Sie sich freiwillig einer Straftat schuldig machen, immerhin würde Ihnen damit nicht nur eine gerichtlich angeordnete Buße drohen, sondern auch die Aberkennung Ihres Doktorgrades und ein Entzug Ihrer Berufszulassung - was sicherlich erhebliche Existenznöte nach sich ziehen würde.“ Drake schien nicht an Dingen sparen zu wollen, von denen er dachte, dass sie Randolph verunsichern und ihm Angst machen würden.
„Mr. Norly hat Sie, indem er diese vier Menschen, direkt oder indirekt, umgebracht hat, wie Sie sagten, Ihre Person aber verschont hat, in ein, und darauf will ich hinaus, äußerst ernstes Verbrechen hineingezogen, mit dem er Sie unter Druck setzen kann. Es ist davon auszugehen, und ich denke, dies darf ich Ihnen sagen“, zeigte Drake sich zuvorkommend, „dass Mr. Norly sich mit allen verfügbaren Mitteln Helfer sucht. Sie sagten vorhin, dass Sie sich nicht vorstellen können, dass auch nur irgendjemand etwas mit diesem Mann zu tun haben will. Wir als Gesetzeshüter haben allerdings schon Einiges gesehen. Die Verlockung des Geldes als Anreiz wäre zwar denkbar, doch es ist kein Geheimnis, dass der Staat hart mit flüchtigen Verbrechern umgeht. Mr. Norly hat keine Möglichkeit, auf sein Vermögen zuzugreifen. Da wir dennoch davon ausgehen, dass er Leute um sich schart, die es ihm ermöglichen, seinem Treiben nachzugehen, halten wir Erpressung für den einfachsten Weg, den er gehen könnte.“
Drake klappte Randolphs Akte zu und lehnte sich, mit den Unterarmen auf den Tisch zwischen ihnen gestützt, leicht vor.
„Wir – ich will Ihnen helfen, Doktor, aber das kann ich nur, wenn Sie mir vertrauen. Ich frage Sie also noch einmal: Hatten Sie den Eindruck, dass Mr. Norly Sie für seine Sache gewinnen wollte – auf welchem Weg auch immer? Haben Sie den Eindruck, dass Mr. Stirling versuchte, Sie zu manipulieren? Hat er Sie vielleicht sogar dazu angestiftet, die Witwe aufzusuchen?“
Randolph zeigte sich nicht im Mindesten verunsichert von Drakes "Andeutungen". In der Tat war es eher so, dass er immer mehr Respekt vor dem Mann verlor. Drake war sicher ein guter und auch ehrgeiziger Schüler gewesen. Er hatte gelernt, wie man Tatorte gründlich untersuchte, wie man seine Ergebnisse säuberlich notierte und man die Wahrheit aus Verdächtigen herausbekam. Und doch kam er mit all diesem Wissen nicht voran. Er verließ sich auf das, was ihm eingebläut worden war, und weigerte sich, in abstrakteren Bahnen zu denken. Und deshalb würde es ihm auch nie gelingen, Charles Norly zu fassen zu bekommen, es sei denn, wenn dieser es wollte. Drake war hartnäckig, das gestand Randolph ihm zu. Aber das würde ihm nicht weiterhelfen. Drake hatte ihm zu erkennen gegeben, was die Fehler in Randolphs Argumentation waren. Er wusste, wie viel Drake wusste. Und deshalb würde der Kerl auch keine weiteren wichtigen Informationen von ihm erhalten. Er hätte natürlich die Möglichkeit, ihm etwas zu entlocken - mit den richtigen Fragen. Doch das würde er nicht zu Stande bringen. Entspannt lehnte sich Randolph zurück und lauschte dem pochendem Blut in seinem verletztem Bein. Bist du verzweifelt Drake? Ist es nicht so, dass dich diese Aufgabe überfordert? Du warst so ehrgeizig, hieltest dich für den Richtigen, wolltest die Anerkennung des Chief Commissioners. Doch dir fehlt die Erfahrung. Gib einfach auf. Deine Sturheit hilft dir nicht weiter. Ich habe endlos Zeit und du nicht. Du benötigst Ergebnisse. Randolph lächelte ihn milde an: "Vielleicht ist es so. Alan hat mich überzeugt, zu den Mauneys zu gehen. Ob auf Scarfaces Anordnung? Wer kann das schon sagen? Ich weiß es nicht, Sir. Schnappen Sie Alan und Sie bekommen Ihre Antworten! Oder am besten Scarface selbst. Ob er mich auf seine Seite ziehen wollte... wie gesagt, vielleicht dachte er mir noch eine Funktion zu. Ein Chirurg kann immer nützlich sein - im Fall der Fälle."
„Als Arzt sind Sie doch ein rechtschaffener Mann“, begann Drake, einen anderen Ansatz versuchend, da er offensichtlich nicht zufrieden war.
Hätte Melinda zugesehen, hätte sie wohl gewusst, warum Mr. Hyde im Café vor diesem rothaarigen Detective hatte fliehen wollen - Drake schien es ganz genau wissen zu wollen und nicht nachzugeben, bis er das Gefühl hatte, alles erfahren zu haben.
Der Inspector schob die Akte, die er in den Verhörraum mitgebracht und ansonsten bisher nicht beachtet hatte, direkt vor sich und schlug sie auf. Er begann, etwas darin herumzublättern, was aber scheinbar nur symbolisch war, denn seine Augen flogen so flüchtig über die Seiten, sodass nur ein kurzer Moment des Schweigens im Raum entstand.
„Hier steht zumindest nicht, dass Sie jemals mit dem Gesetz in Konflikt gekommen sind“, sagte der Chief Inspector und blickte wieder zu Randolph auf. Offenbar hatte er wirklich eine der Akten aus der Personenkartei vor sich, von denen Charles schon erzählt hatte. Trotzdem der Text für Randolph auf dem Kopf stand, war er natürlich dazu in der Lage, ihn zu entziffern. Gelegenheit, viel zu erkennen, hatte er nicht, aber dass auf der Kopfzeile jedes Blattes, auf das er einen Blick erhaschen konnte, in Maschinenschrift "Randolph Tremaine" - mit seinem akademischen Grad als Zusatz - getippt war, fiel ihm sofort ins Auge. Das konnte nur bedeuten... dass die Polizei ihn bereits vor dem Verhör identifiziert hatte.
Drake sah ihn ernst an. Der Polizist schien wirklich noch nicht bereit zu sein, den körperlich und vermutlich auch geistig angeschlagenen Randolph aus diesem Gespräch zu entlassen.
„Sie erzählten mir, dass Mr. Norly im Haus der Witwe Mauney auftauchte, als es schon absehbar war, dass unsere Männer auftauchen würden. Vielleicht hat er die Gelegenheit am Schopf gegriffen. Es wäre wohl nicht zu erwarten, dass Sie sich freiwillig einer Straftat schuldig machen, immerhin würde Ihnen damit nicht nur eine gerichtlich angeordnete Buße drohen, sondern auch die Aberkennung Ihres Doktorgrades und ein Entzug Ihrer Berufszulassung - was sicherlich erhebliche Existenznöte nach sich ziehen würde.“ Drake schien nicht an Dingen sparen zu wollen, von denen er dachte, dass sie Randolph verunsichern und ihm Angst machen würden.
„Mr. Norly hat Sie, indem er diese vier Menschen, direkt oder indirekt, umgebracht hat, wie Sie sagten, Ihre Person aber verschont hat, in ein, und darauf will ich hinaus, äußerst ernstes Verbrechen hineingezogen, mit dem er Sie unter Druck setzen kann. Es ist davon auszugehen, und ich denke, dies darf ich Ihnen sagen“, zeigte Drake sich zuvorkommend, „dass Mr. Norly sich mit allen verfügbaren Mitteln Helfer sucht. Sie sagten vorhin, dass Sie sich nicht vorstellen können, dass auch nur irgendjemand etwas mit diesem Mann zu tun haben will. Wir als Gesetzeshüter haben allerdings schon Einiges gesehen. Die Verlockung des Geldes als Anreiz wäre zwar denkbar, doch es ist kein Geheimnis, dass der Staat hart mit flüchtigen Verbrechern umgeht. Mr. Norly hat keine Möglichkeit, auf sein Vermögen zuzugreifen. Da wir dennoch davon ausgehen, dass er Leute um sich schart, die es ihm ermöglichen, seinem Treiben nachzugehen, halten wir Erpressung für den einfachsten Weg, den er gehen könnte.“
Drake klappte Randolphs Akte zu und lehnte sich, mit den Unterarmen auf den Tisch zwischen ihnen gestützt, leicht vor.
„Wir – ich will Ihnen helfen, Doktor, aber das kann ich nur, wenn Sie mir vertrauen. Ich frage Sie also noch einmal: Hatten Sie den Eindruck, dass Mr. Norly Sie für seine Sache gewinnen wollte – auf welchem Weg auch immer? Haben Sie den Eindruck, dass Mr. Stirling versuchte, Sie zu manipulieren? Hat er Sie vielleicht sogar dazu angestiftet, die Witwe aufzusuchen?“
Randolph zeigte sich nicht im Mindesten verunsichert von Drakes "Andeutungen". In der Tat war es eher so, dass er immer mehr Respekt vor dem Mann verlor. Drake war sicher ein guter und auch ehrgeiziger Schüler gewesen. Er hatte gelernt, wie man Tatorte gründlich untersuchte, wie man seine Ergebnisse säuberlich notierte und man die Wahrheit aus Verdächtigen herausbekam. Und doch kam er mit all diesem Wissen nicht voran. Er verließ sich auf das, was ihm eingebläut worden war, und weigerte sich, in abstrakteren Bahnen zu denken. Und deshalb würde es ihm auch nie gelingen, Charles Norly zu fassen zu bekommen, es sei denn, wenn dieser es wollte. Drake war hartnäckig, das gestand Randolph ihm zu. Aber das würde ihm nicht weiterhelfen. Drake hatte ihm zu erkennen gegeben, was die Fehler in Randolphs Argumentation waren. Er wusste, wie viel Drake wusste. Und deshalb würde der Kerl auch keine weiteren wichtigen Informationen von ihm erhalten. Er hätte natürlich die Möglichkeit, ihm etwas zu entlocken - mit den richtigen Fragen. Doch das würde er nicht zu Stande bringen. Entspannt lehnte sich Randolph zurück und lauschte dem pochendem Blut in seinem verletztem Bein. Bist du verzweifelt Drake? Ist es nicht so, dass dich diese Aufgabe überfordert? Du warst so ehrgeizig, hieltest dich für den Richtigen, wolltest die Anerkennung des Chief Commissioners. Doch dir fehlt die Erfahrung. Gib einfach auf. Deine Sturheit hilft dir nicht weiter. Ich habe endlos Zeit und du nicht. Du benötigst Ergebnisse. Randolph lächelte ihn milde an: "Vielleicht ist es so. Alan hat mich überzeugt, zu den Mauneys zu gehen. Ob auf Scarfaces Anordnung? Wer kann das schon sagen? Ich weiß es nicht, Sir. Schnappen Sie Alan und Sie bekommen Ihre Antworten! Oder am besten Scarface selbst. Ob er mich auf seine Seite ziehen wollte... wie gesagt, vielleicht dachte er mir noch eine Funktion zu. Ein Chirurg kann immer nützlich sein - im Fall der Fälle."
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Re: Götterblut - Kapitel 2: Gut geplant ist halb gewonnen
Charles hatte beim Betreten des dunklen Kellers ein Streichholz gezündet, das ihm den Weg erhellte. Er tauchte in die Welt aus Staub und ausrangiertem Mobiliar, Kisten, leere Vorratsregalen, Chaos und Spinnenweben ein. Angesichts von angenagten, vor sich hinmodernden Kartons, und herumliegendem Rattenkot war er wahrscheinlich nicht allein hier unten, jedoch dürfte sich die Menge an Ungeziefer wohl in Grenzen halten. Was nach Ms. Mitchells Tod an Nahrungsmitteln hier gelassen worden sein mochte, war längst nicht mehr auffindbar.
Charles war aufgewühlt, ergriffen von Kummer und Wut, und genoss die Einsamkeit im Dunkeln, auch wenn sie nur wenige Momente lang währte.
Johanna war ihm gefolgt.
Mit nach wie vor gemischten Gefühlen hörte er sich an, was sie zu sagen hatte. Ihre Worte fühlten sich erneut schmerzhaft für ihn an. Dass sie Melinda mit ins Spiel brachte, stieß ihm auf. Das junge Verhältnis zu seiner Tochter schien von Missverständnissen dominiert zu sein, unter denen beide Seiten litten. Doch Charles war der Ansicht, dass es mehr als nur das war: Johanna kannte ihn nicht. Sie kannten sich nicht. Er bezweifelte, dass sie nur im Mindesten nachvollziehen konnte, unter welchen Seelenqualen er litt. Sie dachte, sie wäre ihm nicht wichtig, doch weiter entfernt hätte sie von der Wahrheit nicht liegen können.
„Du tust mir Unrecht, Johanna“, sagte Charles enttäuscht, auch wenn sich in ihm sein schlechtes Gewissen regte, als er sie weinen sah. Wann hatte er ihr den Eindruck gegeben, dass sie ihm nicht wichtig war?
„Für welche Ideale ein jeder von uns auch einstehen mag: Bedenke, dass ich auch nur ein Mensch bin. Du wirfst mir vor, dir ein schlechter Vater zu sein, ohne uns die Möglichkeit zu geben, uns einander zu nähern und uns kennenzulernen. Ich weiß erst seit wenigen Stunden, wer du bist, doch, bei Gott, es gibt nichts, was mich mehr verletzen könnte als die Verachtung, die du mir entgegenbringst.“
Zorn regte sich in ihm, doch der Ärger war aus seiner Stimme kaum herauszuhören.
„Ich habe deinen Satz nicht falsch verstanden, nein, denn auch wenn du ihn nicht wörtlich gemeint hast, habe ich den Vorwurf und Hass in deinem Blick gesehen. Man sagt, Familie sei der einzig wahre Wert, doch wie kann ich etwas wertschätzen, das mir genommen wurde und das auch du mir jetzt verwehrst? Was bleibt“, offenbarte er ihr mit niedergeschlagener, aber fester Stimme, „ist stets nur Schmerz, Melancholie, die mich verfolgt, und ein weiteres Loch in meiner Seele.“
Charles seufzte kummervoll. „Nichts hätte mich glücklicher gemacht als Frau und Kinder und ein ruhiges Leben, aber manchmal muss man einsehen, dass man für das, was man sich auch noch so sehr wünscht, vielleicht doch nicht geschaffen ist. Ich hatte meine Chancen. Mit Sofia und dir, mit…“ Er verstummte, anstatt seinen Gedanken auszusprechen. Man sollte die Vergangenheit ruhen lassen. Was zählte, war das Jetzt und die Zukunft. Doch die sah für Charles alles andere als rosig aus. Er hatte sein Leben gelebt und verschwendet, es gab kein Zurück mehr, keine Hoffnung auf einen Neuanfang.
„Nun wartet nur noch der Tod auf mich“, sprach er düster, „– mein alter Gefährte, seit Jahren ein allzu zuverlässiger Begleiter und mein Schicksal. Ich bin ein Schatten.“ Als wenn die Flamme seines Streichholzes auf diese Stichworte gewartet hätte, kam sie Charles‘ Fingern nahe. Dunkelheit umfing seine Tochter und ihn, als er das Streichholz fallen ließ und es erlosch.
Charles riss ein neues an und sein Blick ruhte für einen Moment der Stille auf dem Mädchen, das seiner ehemaligen Liebschaft so verblüffend ähnlich sah, dass er sich zwanzig Jahre zurückversetzt fühlte. Was hatte er Sofia Stead nur angetan? Er hatte sie nie belogen, ihr nie falsche Versprechungen gemacht – und doch Hoffnungen in ihr geweckt, die er sich nicht in der Lage gefühlt hatte zu erfüllen. Er hatte sie verlassen, weil es sich deswegen als das einzig Richtige angefühlt hatte, doch war seine Entscheidung, im Nachhinein betrachtet, das einzig Falsche gewesen. Wäre er bei ihr geblieben, hätte er erfahren, dass er sie geschwängert hatte, er hätte sie geheiratet und sein Leben wäre in ganz anderen Bahnen verlaufen. Er würde weder diese Narbe im Gesicht noch seine Prothese tragen. Er hätte Sofia lieben gelernt, anstatt in einer anderen Frau die Liebe seines Lebens zu finden und auch dieser – und sich selbst gleich mit – das Herz brechen zu müssen. Er wäre nicht hier, im muffigen Keller dieses leerstehenden Herrenhauses, ausgestoßen und gejagt und seinen einzigen Lebenszweck noch darin suchend, sich zu rächen und einem alten Bekannten das Handwerk zu legen. Wahrscheinlich wäre er glücklich. Doch für „wäre“ und „hätte“ war es nun zu spät.
Charles fing an, bitter zu lachen. Er lachte, weil er nicht anders konnte, und die Anspannung löste sich ein wenig und hinterließ ein seltsames, aber altbekannt-leeres Gefühl der Rastlosigkeit in seiner Brust.
„Wenigstens siezt du mich nicht mehr, das hat sich furchtbar angehört“, schnaubte Charles mit einem belustigten Schmunzeln. In seinem Blick war jedoch der tiefsitzende Schmerz geblieben.
„Geh nun“, sagte er und verließ diesen Kellerraum, um in einem anderen nach dem gesuchten Wasserhahn zu stöbern. Er setzte vorsichtig einen müden Fuß vor den anderen, damit er im spärlichen Licht der Streichholzflamme nicht womöglich Gegenstände am Boden übersah und stürzte. Er hoffte deswegen, neben dem Anschluss bald auch auf eine Lampe oder Laterne zu stoßen.
„Mach, was David dir sagt“, fügte Charles noch an, ohne sich noch einmal umzusehen, „ er ist ein guter Junge und in ihm steckt mehr als es den Anschein hat.“
Charles war aufgewühlt, ergriffen von Kummer und Wut, und genoss die Einsamkeit im Dunkeln, auch wenn sie nur wenige Momente lang währte.
Johanna war ihm gefolgt.
Mit nach wie vor gemischten Gefühlen hörte er sich an, was sie zu sagen hatte. Ihre Worte fühlten sich erneut schmerzhaft für ihn an. Dass sie Melinda mit ins Spiel brachte, stieß ihm auf. Das junge Verhältnis zu seiner Tochter schien von Missverständnissen dominiert zu sein, unter denen beide Seiten litten. Doch Charles war der Ansicht, dass es mehr als nur das war: Johanna kannte ihn nicht. Sie kannten sich nicht. Er bezweifelte, dass sie nur im Mindesten nachvollziehen konnte, unter welchen Seelenqualen er litt. Sie dachte, sie wäre ihm nicht wichtig, doch weiter entfernt hätte sie von der Wahrheit nicht liegen können.
„Du tust mir Unrecht, Johanna“, sagte Charles enttäuscht, auch wenn sich in ihm sein schlechtes Gewissen regte, als er sie weinen sah. Wann hatte er ihr den Eindruck gegeben, dass sie ihm nicht wichtig war?
„Für welche Ideale ein jeder von uns auch einstehen mag: Bedenke, dass ich auch nur ein Mensch bin. Du wirfst mir vor, dir ein schlechter Vater zu sein, ohne uns die Möglichkeit zu geben, uns einander zu nähern und uns kennenzulernen. Ich weiß erst seit wenigen Stunden, wer du bist, doch, bei Gott, es gibt nichts, was mich mehr verletzen könnte als die Verachtung, die du mir entgegenbringst.“
Zorn regte sich in ihm, doch der Ärger war aus seiner Stimme kaum herauszuhören.
„Ich habe deinen Satz nicht falsch verstanden, nein, denn auch wenn du ihn nicht wörtlich gemeint hast, habe ich den Vorwurf und Hass in deinem Blick gesehen. Man sagt, Familie sei der einzig wahre Wert, doch wie kann ich etwas wertschätzen, das mir genommen wurde und das auch du mir jetzt verwehrst? Was bleibt“, offenbarte er ihr mit niedergeschlagener, aber fester Stimme, „ist stets nur Schmerz, Melancholie, die mich verfolgt, und ein weiteres Loch in meiner Seele.“
Charles seufzte kummervoll. „Nichts hätte mich glücklicher gemacht als Frau und Kinder und ein ruhiges Leben, aber manchmal muss man einsehen, dass man für das, was man sich auch noch so sehr wünscht, vielleicht doch nicht geschaffen ist. Ich hatte meine Chancen. Mit Sofia und dir, mit…“ Er verstummte, anstatt seinen Gedanken auszusprechen. Man sollte die Vergangenheit ruhen lassen. Was zählte, war das Jetzt und die Zukunft. Doch die sah für Charles alles andere als rosig aus. Er hatte sein Leben gelebt und verschwendet, es gab kein Zurück mehr, keine Hoffnung auf einen Neuanfang.
„Nun wartet nur noch der Tod auf mich“, sprach er düster, „– mein alter Gefährte, seit Jahren ein allzu zuverlässiger Begleiter und mein Schicksal. Ich bin ein Schatten.“ Als wenn die Flamme seines Streichholzes auf diese Stichworte gewartet hätte, kam sie Charles‘ Fingern nahe. Dunkelheit umfing seine Tochter und ihn, als er das Streichholz fallen ließ und es erlosch.
Charles riss ein neues an und sein Blick ruhte für einen Moment der Stille auf dem Mädchen, das seiner ehemaligen Liebschaft so verblüffend ähnlich sah, dass er sich zwanzig Jahre zurückversetzt fühlte. Was hatte er Sofia Stead nur angetan? Er hatte sie nie belogen, ihr nie falsche Versprechungen gemacht – und doch Hoffnungen in ihr geweckt, die er sich nicht in der Lage gefühlt hatte zu erfüllen. Er hatte sie verlassen, weil es sich deswegen als das einzig Richtige angefühlt hatte, doch war seine Entscheidung, im Nachhinein betrachtet, das einzig Falsche gewesen. Wäre er bei ihr geblieben, hätte er erfahren, dass er sie geschwängert hatte, er hätte sie geheiratet und sein Leben wäre in ganz anderen Bahnen verlaufen. Er würde weder diese Narbe im Gesicht noch seine Prothese tragen. Er hätte Sofia lieben gelernt, anstatt in einer anderen Frau die Liebe seines Lebens zu finden und auch dieser – und sich selbst gleich mit – das Herz brechen zu müssen. Er wäre nicht hier, im muffigen Keller dieses leerstehenden Herrenhauses, ausgestoßen und gejagt und seinen einzigen Lebenszweck noch darin suchend, sich zu rächen und einem alten Bekannten das Handwerk zu legen. Wahrscheinlich wäre er glücklich. Doch für „wäre“ und „hätte“ war es nun zu spät.
Charles fing an, bitter zu lachen. Er lachte, weil er nicht anders konnte, und die Anspannung löste sich ein wenig und hinterließ ein seltsames, aber altbekannt-leeres Gefühl der Rastlosigkeit in seiner Brust.
„Wenigstens siezt du mich nicht mehr, das hat sich furchtbar angehört“, schnaubte Charles mit einem belustigten Schmunzeln. In seinem Blick war jedoch der tiefsitzende Schmerz geblieben.
„Geh nun“, sagte er und verließ diesen Kellerraum, um in einem anderen nach dem gesuchten Wasserhahn zu stöbern. Er setzte vorsichtig einen müden Fuß vor den anderen, damit er im spärlichen Licht der Streichholzflamme nicht womöglich Gegenstände am Boden übersah und stürzte. Er hoffte deswegen, neben dem Anschluss bald auch auf eine Lampe oder Laterne zu stoßen.
„Mach, was David dir sagt“, fügte Charles noch an, ohne sich noch einmal umzusehen, „ er ist ein guter Junge und in ihm steckt mehr als es den Anschein hat.“
Umbra- Tiefseemonster
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Re: Götterblut - Kapitel 2: Gut geplant ist halb gewonnen
"Ich gebe uns keine Chance uns näher kennen zu lernen?", warf Johanna dann doch noch ein. Sie konnte das Gesagte nicht einfach so stehen lassen, auch wenn sie kein Mensch der Art war, der immer das letzte Wort haben muss. Wenn Charles schon sagen musste, sie würde ihn verletzen und verachten, so sollte er nun auch wissen wie weh ER ihr tat. Johanna war es bewusst, das ihn der nächste Satz genauso treffen konnte, es vermutlich sogar würde, doch sie sah es nicht ein alles für sich zu behalten und das zu Schlucken was man ihr an den Kopf geworfen hatte. Und wer weiß? Vielleicht waren das die letzten Worte die sie mit ihrem Vater wechseln konnte. Keiner konnte wissen wie die nächsten Stunden aussehen würden und Johanna würde es bereuen, wenn sie nicht alles gesagt hätte was ihr auf dem Herzen lag.
"Entschuldigung wenn das jetzt etwas hart klingt, aber du gibst mir eher das Gefühl dass du viel lieber Melinda kennen lernen würdest als mich.".
Johannas Stimme zitterte. 'Verflucht Mädel. Reiß dich zusammen und heul nicht rum!'; ermahnte sie sich selbst und schluckte den Kloß in ihrem Hals so gut es ging hinunter.
Charles war schon im nächsten Raum verschwunden und auch Johanna machte nun kehrt und lief an David vorbei, zurück zur Kellertreppe.
"Ich werde die Aufgaben erfüllen die man mir aufträgt. Das habe ich Jahrelang getan, ist mein Beruf.", sprach sie während dem Gehen und gab David dann zu verstehen, dass sie oben auf ihn warten würde.
"Entschuldigung wenn das jetzt etwas hart klingt, aber du gibst mir eher das Gefühl dass du viel lieber Melinda kennen lernen würdest als mich.".
Johannas Stimme zitterte. 'Verflucht Mädel. Reiß dich zusammen und heul nicht rum!'; ermahnte sie sich selbst und schluckte den Kloß in ihrem Hals so gut es ging hinunter.
Charles war schon im nächsten Raum verschwunden und auch Johanna machte nun kehrt und lief an David vorbei, zurück zur Kellertreppe.
"Ich werde die Aufgaben erfüllen die man mir aufträgt. Das habe ich Jahrelang getan, ist mein Beruf.", sprach sie während dem Gehen und gab David dann zu verstehen, dass sie oben auf ihn warten würde.
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Re: Götterblut - Kapitel 2: Gut geplant ist halb gewonnen
Alan brauchte eine ganze Weile, um die Strassen wiederzufinden. Sie lagen noch genau so da, wie in seinen Erinnerungen. Grau, leblos und von etwas beseelt, das an keinem anderen Flecken in London zu finden war. Wie lange war er nicht mehr hier gewesen? Er wusste es nicht. Doch er erkannte die Strassen und fast meinte er, auch sie würden ihn erkennen. Ihm zuflüstern. Ihn willkommen heißen. Wie einen Ausreisser, den man wieder bei sich aufnahm. Ja, die Strassen waren geduldig und das, was ihre Schatten bargen auch.
Er schluckte trocken und ging die alten Pfade. Erkannte die alten Zeichen. Arabisch. Die dunkle Sprache der Propheten des Ostens. Irische Symbole. Druidenzeichen der Eingeweihten. Er sah das Zeichen der Ziege und ihn schauderte es. Sie waren da, ging es durch seinen Kopf. Sie waren da. Mächte, Wesen. Zwischen den Sternen. Sie lachten über den Gott der Christen und seinen Sohn. Über Kreuz und Krone. Schwindel breitete sich in seinem Verstand aus, dehnte die Realität, verbog das Wissen. Und plötzlich war da wieder etwas, das er fürchtete. Worte, gesprochen vor Jahrhunderten, aufgeschrieben und archiviert. Götter. Geister. Verlorenes Wissen. Verbotenes Wissen. Von den Blutopfern der alten Griechen, den Mumienkönigen Ägyptens und dem wahren Zweck der Pyramiden. Stonehenge. Beschwörungen.
Er taumelte voran, wie er früher getaumelt war, wenn die sichtbare Welt ihm wie ein Vorhang vorgekommen war, hinter dem mächtige Geschöpfe das Schicksal der Welt lenkten.
Er klopfte an die abgenutzt Tür und trat ein. Gesichter erkannten ihn wieder. Wiesen ihm den Weg. Die Treppe hinauf. Es roch muffig und nach rauchenden Kräutern...
Er stand auf der Strasse. Irgendwie war er hierher gekommen. Gut vier oder fünf Häuserblocks entfernt. Sein Geist klärte sich, aber er verlangte nach einem guten Schluck. Alan suchte rasch die nächste Kneipe auf.
Er schluckte trocken und ging die alten Pfade. Erkannte die alten Zeichen. Arabisch. Die dunkle Sprache der Propheten des Ostens. Irische Symbole. Druidenzeichen der Eingeweihten. Er sah das Zeichen der Ziege und ihn schauderte es. Sie waren da, ging es durch seinen Kopf. Sie waren da. Mächte, Wesen. Zwischen den Sternen. Sie lachten über den Gott der Christen und seinen Sohn. Über Kreuz und Krone. Schwindel breitete sich in seinem Verstand aus, dehnte die Realität, verbog das Wissen. Und plötzlich war da wieder etwas, das er fürchtete. Worte, gesprochen vor Jahrhunderten, aufgeschrieben und archiviert. Götter. Geister. Verlorenes Wissen. Verbotenes Wissen. Von den Blutopfern der alten Griechen, den Mumienkönigen Ägyptens und dem wahren Zweck der Pyramiden. Stonehenge. Beschwörungen.
Er taumelte voran, wie er früher getaumelt war, wenn die sichtbare Welt ihm wie ein Vorhang vorgekommen war, hinter dem mächtige Geschöpfe das Schicksal der Welt lenkten.
Er klopfte an die abgenutzt Tür und trat ein. Gesichter erkannten ihn wieder. Wiesen ihm den Weg. Die Treppe hinauf. Es roch muffig und nach rauchenden Kräutern...
Er stand auf der Strasse. Irgendwie war er hierher gekommen. Gut vier oder fünf Häuserblocks entfernt. Sein Geist klärte sich, aber er verlangte nach einem guten Schluck. Alan suchte rasch die nächste Kneipe auf.
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Re: Götterblut - Kapitel 2: Gut geplant ist halb gewonnen
Chief Inspector Drakes Züge verhärteten sich und seine Augen verengten sich ein wenig – offenbar gefiel ihm Randolphs Ton und die plötzliche Gelassenheit nicht. Er kannte dieses Verhalten nur zu gut. Verdächtige, die glaubten, aus dem Schneider zu sein, neigten zu spontaner Überheblichkeit. Der Spott, der in den Augen des Arztes aufblitzte, verriet dem Polizisten, dass sein Instinkt ihn nicht getäuscht hatte: Tremaine verbarg irgendetwas. Der Befragte schien sich seiner sehr sicher zu sein, aalglatt saß er da, schien sich über Drake und den Scotland Yard lustig zu machen, indem er ihn aufforderte, Alan oder Scarface persönlich zu fangen, wenn er Antworten auf seine Fragen wollte.
„Im Falle einer Verletzung? Im Falle eines Unfalles?“, griff der Inspector Randolphs Formulierung in Grundzügen auf.
„Im Falle eines Mords.“ Dieser Satz war keine Frage gewesen. Drake nahm einen Briefumschlag aus der Innentasche seines schwarzgrauen Jacketts und zog daraus eine Farbphotographie hervor, die er mit einer nachdrücklichen Bewegung auf dem Tisch platzierte und anschließend zu Randolph herüberschob. Sie zeigte die Szene, die Drake in der letzten Nacht erwartet hatte, nachdem Chief Commissioner Hill ihn aus dem Bett geholt hatte: eine Seitenansicht eines älterer, leicht übergewichtiger Herr, in etwa sechzig bis siebzig Jahre alt, lag bleich und beleuchtet von schummrigem Scheinwerferlicht in nächtlicher Umgebung auf einer gepflasterten Straße. Sein schwarzer Mantel war geöffnet, das vor Blut rot leuchtende Hemd darunter war scheinbar aufgerissen worden. Viele Details waren auf der Aufnahme nicht zu erkennen, doch eine fast schon schwarze Linie hob sich von der rotgefärbten Haut des Halses dieses Mannes ab. Die Kleidung des offensichtlich Toten wies in enormem Ausmaß dunkle Flecken auf, die nichts Anderes als Blut sein konnten.
„Eines der jüngsten Opfer, deren Todesarten zum Muster passen“, erklärte Drake. „Genau genommen, ist dieser Mann nur wenige Stunden vor denen von Ihnen beschriebenen Ereignisse in Ihrem Haus gestorben.“
Eine weitere Photographie folgte und zeigte, dass die Leiche für die erste bewegt worden war. Hier saß der Mann leicht zusammengesackt und mit dem Kinn auf die Brust gesunken auf einem Kutschbock. Er hatte einen Zylinder auf dem Kopf. Das Bild war von einiger Entfernung geschossen worden, sodass erkennbar war, dass von zwei Pferden, die offensichtlich zu der Kutsche gehörten, jegliche Spur fehlte. Die Ledergurte und Riemen des Gespanns schienen durchtrennt worden zu sein und hingen schlaff herunter, berührten teilweise sogar fast den Boden. Das Licht von den Scheinwerfern, aber auch das des Blitzes des Photoapparats, offenbarte, indem es sich an nassem Untergrund wiederspiegelte, einerseits die regennasse Umgebung, andererseits auch die riesige Blutlache, die sich auf der Straße unterhalb des Sitzplatzes des Mannes ausgebreitet hatte.
„Edward Tilling, vierundsechzig, verwitwet, vier Kinder, neun Enkelkinder. Er war Kutscher. Zwei Constables haben ihn in Mayfair so aufgefunden.“ Drake tippte mit dem Finger auf die zweite Photographie.
Es folgte noch eine, dieses Mal zeigte sie Tilling wieder in der gleichen Position wie auf dem ersten Bild – allerdings eine Nahaufnahme aus der Vogelperspektive, die einen genauen Blick auf seinen übel zugerichteten Leichnam zuließ.
„Tilling ist durch einen Stich, oder vielmehr kräftigen Stoß, in seine Kehle gestorben. Die anderen Schnitte folgten, als er bereits tot war.“
Drake ließ Randolph Zeit, die Bilder genauer zu betrachten.
Das Loch im Hals des Kutschers war kaum zu übersehen. Blickfang, jedoch, war ein langer Schnitt, der sich beinahe über die gesamte Länge des entblößten Oberkörpers erstreckte. Er war nicht ganz genau in der Mitte. Mit seinen Fachkenntnissen wusste Randolph, dass der Täter am rechten Sternoklavikulargelenk, das die Verbindung zwischen Brust- und Schlüsselbein darstellte, angesetzt hatte. Im Bereich des Brustkorbs schien der Schnitt, relativ gesehen, nicht tief zu sein, weiß des Brustbeins schimmerte an den wenigen Stellen durch, an denen Blut die Wunde nicht vollkommen auszufüllen schien. Sobald der Schlitzer das untere Ende des Schwertfortsatzes erreicht gehabt hatte, wurde die Wunde jedoch deutlich tiefer, sodass der Teil, der in etwa bis auf die Höhe des Bauchnabels reichte, auf der Photographie wie eine dunkle, bodenlose Schlucht wirkte. Überall war Blut.
Aber auch das Gesicht des Toten war eindrucksvoll. Fast schien es, als würde er schlafen, würde Randolph nicht den Rest sehen. Sehr bleich war das Antlitz des toten Edward Tilling, was darauf zurückzuführen war, dass dieser arme Tropf ausgeblutet war wie ein geschlachtetes Schwein. Die Polizisten hatten ihm seinen Hut abgenommen. Das schüttere Haar des Mannes, das dort, wo vorhanden, grau und halblang war, klebte nass von Regen und teils verklebt von Blut an seiner Haut. Ein hässlicher, geschnittener Spalt entstellte die faltige, wettergegerbte Haut. Er verlief schräg über die linke Wange des Opfers. Er begann am Jochbein, spaltete eine schon seit Längerem unrasierte Wange und hörte erst am Kinn auf.
Als er Randolph seiner Ansicht nach genug Zeit gelassen hatte, sich ein Bild dieser grausigen, blutigen Tat zu machen, sprach Drake weiter.
„Sagen Sie mir, Doktor“, forderte der Chief Inspector und griff erneut in sein Jackett, „Wer wäre ein besserer Komplize für derartige Verbrechen als ein Mann, der mit so etwas hier“, er legte Randolphs Skalpell bedächtig auf die Tischplatte, „umzugehen weiß?“
"Da gibt es sicher einige, Mr. Detective Chief Inspector. Denn schließlich habe ich mich als Chirurg der Rettung von Leben und nicht deren Vernichtung verschrieben. Ich habe mit Scarfaces Morden- wie sie mir weiß machen wollen- nichts am Hut. Sagen sie mir doch, ob sie tatsächliche irgendwelche Belege dafür haben, dass ich nur im Geringsten etwas damit zu tun habe- oder ob sie einfach nur ins Blaue irgendwelche haltlosen Vermutungen aufstellen? Genau das tun sie meinesjaachtens.[\b] Randolph wandte seinen Blick wieder den Fotos zu und versuchte sich alle möglichen Details einzuprägen. Diese Bilder waren wirklich interessant. Vielleicht konnten sie sich noch als nützlich erweisen. Er schaute wieder zu Drake auf und war gespannt wie dieser nun fortfahren würde. Wollte ihn der Kerl tatsächlich für diesen Mord verantwortlich machen? Randolph konnte darüber nur Lächeln. Geistig natürlich. Den ohnehin schon verzweifelten Drake in seinem Zustand zu provozieren könnte ein Fehler sein. Randolph war jedoch sehr zufrieden damit, dass sich das Verhör zu seinen Gunsten und erheblich zu Drakes Ungunsten gewendet hatte.
„Sie missverstehen meine Intention“, sagte Drake mit einem Lächeln, dass unter anderen Umständen bestimmt sympathisch gewirkt hätte.
Tatsächlich hatte sich der Chief Inspector erhofft, den Doktor mit den Bildern und dem gefundenen Skalpell etwas aus der Reserve zu locken. Dies war offensichtlich gescheitert, doch auch den Mangel an Reaktion wusste Drake zu deuten. Als Beweis war das natürlich wertbar, aber dieses Verhalten gab Drake Anlass zum Nachdenken. Vielleicht steckte mehr dahinter.
Der Chief Inspector hatte, obwohl er, wie die meisten Ermittler des Yards, beschränkt medizinische Kenntnisse besaß, in den vergangen zwei Monaten bewiesen, dass er angesichts dessen, wie furchtbar zugerichtet einige Scarface-Opfer gewesen waren, einen schwachen Magen besaß. Dies war, wie er sich einredete, nichts, wofür er sich schämen musste - obwohl es ihm natürlich unangenehm war. Aber selbst der Assistent des Chefpathologen, der so etwas täglich zu Gesicht bekam, hatte beim Anblick des verstümmelten Ingenieurs Charles Cook einen Zusammenbruch erlitten. Dr. Tremaine war als Chirurg von Berufswegen aus den Anblick von Blut, Messerarbeit an Fleisch und Tod ebenfalls gewöhnt, jedoch zeigte er nicht einmal ein Fünkchen Abscheu für das, was die Photographien zeigten.
War es Interesse oder schon Faszination, mit der Tremaine die Bilder musterte?
Drake empfand etwas Verachtung. Er wischte mit der Hand über den Tisch und sammelte so mit einem Streich alle drei Photographien ein, die vor Randolph auslagen - auch um sich selbst den Anblick zu ersparen.
„Dass wir Ihnen diese Bilder zeigen, muss nicht heißen, dass wir Sie des Mordes an Edward Tilling beschuldigen.“
Näher ging er auf Randolphs Worte nicht ein, denn Drake merkte dessen wachsenen Unwillen, mit ihm zu reden, und man lernte schon in der Ausbildung, dass man sich nicht dazu hinreißen lassen sollte, gegenüber Zeugen oder Verdächtigen Fehler oder die Äußerung von haltlosen Beschuldigungen einzugestehen. Letztere waren Mittel zum Zweck, den Gesprächspartner zu verunsichern und zum Einknicken zu bringen.
„Ich bitte Sie um Nachsicht, Dr. Tremaine. Seien Sie sich bewusst, dass sie zurzeit einer der Hauptverdächtigen im Falle des Vierfachmords im Hause Mauney sind. Im Zweifel für den Angeklagten, wie es so schön heißt, gilt nur vor Gericht. Wir beim Yard hingegen haben gelernt, das Schlechte im Menschen zu sehen, bis wir das Gegenteil bewiesen haben“, stellte Drake nun fast schon süffisant klar. Es ging immer darum, dem Gesprächspartner zu zeigen, dass der London Police Service am längeren Hebel saß. Der Doktor sprach nicht mit Drake persönlich, sondern mit der Institution, für die der Inspector stand.
„Wenn Mr. Stirling oder Mr. Norly Ihre Aussage bestätigen und Sie entlasten, werde ich Sie mit Freuden gehen lassen. So glaubwürdig oder unglaubwürdig Sie auch klingen: Bis dahin müssen wir davon ausgehen, dass all Ihre Worte, die Sergeant Davies niedergeschrieben hat, gelogen sind. Immerhin kann jeder Mörder behaupten, seine Tat hätte ein anderer begangen. Der Schnitt im Gesicht“, wies Drake mit einem grimmigen Lächeln darauf hin und strich sich selbst zur Betonung mit dem Zeigefinger über die Wange, „auf den Sie selbst mich zum Anfang unseres Gesprächs aufmerksam gemacht haben, fehlte nämlich nicht nur bei Mr. Mauney, sondern auch bei seiner Frau und seinen Angestellten. Es wird sich herausstellen, ob es sich hierbei um einen Zufall handelt. Vielleicht liegen Sie und Stirling mit Ihrer Theorie, dass Mr. Norly zumindest diese Morde nicht zu verantworten hat, ja am Ende doch nicht falsch.“
Wen Drake als Alternative in Betracht zog, war wohl offensichtlich. Er hatte zwar die Bereitschaft gezeigt, Randolphs Aussage Glauben zu schenken, jedoch bestanden noch zu viele offene Fragen als dass er dies vollends tun konnte.
Damit war die Befragung erst einmal beendet. Drake stand auf, nahm sich seine Gehhilfe und humpelte auf die Tür zu. Er klopfte, denn auf dieser Seite gab es keine Klinke, und verschwand dann ohne ein Weiteres Wort, nachdem man ihm geöffnet hatte. Der Sergeant, der Protokoll geschrieben hatte, sammelte alle Sachen vom Tisch ein und ließ Randolph anschließend allein zurück. Einige Minuten ließ man ihn schmoren, bevor zwei Beamte kamen, um ihn abzuholen.
Man brachte ihn in den Zellentrakt, der Weg war nicht weit. Man schob ihn durch eine massive, eiserne Tür in einen kaum breiteren Raum, indem lediglich eine schmales Bett und eine Toilette standen, bevor man hinter ihm absperrte. Wenigstens fiel etwas Tageslicht durch das vergitterte Fenster in die Zelle, sodass Randolph nicht im Dunkeln war.
Als er sich auf das Bett setzte, um sein schmerzendes Bein zu schonen, merkte Randolph, dass Dr. Taylor Recht gehabt hatte: Dessen Pritsche war eindeutig bequemer gewesen als dieses verachtenswerte Ding, dass den Namen „Bett“, obwohl es danach aussah, nicht verdiente.
„Im Falle einer Verletzung? Im Falle eines Unfalles?“, griff der Inspector Randolphs Formulierung in Grundzügen auf.
„Im Falle eines Mords.“ Dieser Satz war keine Frage gewesen. Drake nahm einen Briefumschlag aus der Innentasche seines schwarzgrauen Jacketts und zog daraus eine Farbphotographie hervor, die er mit einer nachdrücklichen Bewegung auf dem Tisch platzierte und anschließend zu Randolph herüberschob. Sie zeigte die Szene, die Drake in der letzten Nacht erwartet hatte, nachdem Chief Commissioner Hill ihn aus dem Bett geholt hatte: eine Seitenansicht eines älterer, leicht übergewichtiger Herr, in etwa sechzig bis siebzig Jahre alt, lag bleich und beleuchtet von schummrigem Scheinwerferlicht in nächtlicher Umgebung auf einer gepflasterten Straße. Sein schwarzer Mantel war geöffnet, das vor Blut rot leuchtende Hemd darunter war scheinbar aufgerissen worden. Viele Details waren auf der Aufnahme nicht zu erkennen, doch eine fast schon schwarze Linie hob sich von der rotgefärbten Haut des Halses dieses Mannes ab. Die Kleidung des offensichtlich Toten wies in enormem Ausmaß dunkle Flecken auf, die nichts Anderes als Blut sein konnten.
„Eines der jüngsten Opfer, deren Todesarten zum Muster passen“, erklärte Drake. „Genau genommen, ist dieser Mann nur wenige Stunden vor denen von Ihnen beschriebenen Ereignisse in Ihrem Haus gestorben.“
Eine weitere Photographie folgte und zeigte, dass die Leiche für die erste bewegt worden war. Hier saß der Mann leicht zusammengesackt und mit dem Kinn auf die Brust gesunken auf einem Kutschbock. Er hatte einen Zylinder auf dem Kopf. Das Bild war von einiger Entfernung geschossen worden, sodass erkennbar war, dass von zwei Pferden, die offensichtlich zu der Kutsche gehörten, jegliche Spur fehlte. Die Ledergurte und Riemen des Gespanns schienen durchtrennt worden zu sein und hingen schlaff herunter, berührten teilweise sogar fast den Boden. Das Licht von den Scheinwerfern, aber auch das des Blitzes des Photoapparats, offenbarte, indem es sich an nassem Untergrund wiederspiegelte, einerseits die regennasse Umgebung, andererseits auch die riesige Blutlache, die sich auf der Straße unterhalb des Sitzplatzes des Mannes ausgebreitet hatte.
„Edward Tilling, vierundsechzig, verwitwet, vier Kinder, neun Enkelkinder. Er war Kutscher. Zwei Constables haben ihn in Mayfair so aufgefunden.“ Drake tippte mit dem Finger auf die zweite Photographie.
Es folgte noch eine, dieses Mal zeigte sie Tilling wieder in der gleichen Position wie auf dem ersten Bild – allerdings eine Nahaufnahme aus der Vogelperspektive, die einen genauen Blick auf seinen übel zugerichteten Leichnam zuließ.
„Tilling ist durch einen Stich, oder vielmehr kräftigen Stoß, in seine Kehle gestorben. Die anderen Schnitte folgten, als er bereits tot war.“
Drake ließ Randolph Zeit, die Bilder genauer zu betrachten.
Das Loch im Hals des Kutschers war kaum zu übersehen. Blickfang, jedoch, war ein langer Schnitt, der sich beinahe über die gesamte Länge des entblößten Oberkörpers erstreckte. Er war nicht ganz genau in der Mitte. Mit seinen Fachkenntnissen wusste Randolph, dass der Täter am rechten Sternoklavikulargelenk, das die Verbindung zwischen Brust- und Schlüsselbein darstellte, angesetzt hatte. Im Bereich des Brustkorbs schien der Schnitt, relativ gesehen, nicht tief zu sein, weiß des Brustbeins schimmerte an den wenigen Stellen durch, an denen Blut die Wunde nicht vollkommen auszufüllen schien. Sobald der Schlitzer das untere Ende des Schwertfortsatzes erreicht gehabt hatte, wurde die Wunde jedoch deutlich tiefer, sodass der Teil, der in etwa bis auf die Höhe des Bauchnabels reichte, auf der Photographie wie eine dunkle, bodenlose Schlucht wirkte. Überall war Blut.
Aber auch das Gesicht des Toten war eindrucksvoll. Fast schien es, als würde er schlafen, würde Randolph nicht den Rest sehen. Sehr bleich war das Antlitz des toten Edward Tilling, was darauf zurückzuführen war, dass dieser arme Tropf ausgeblutet war wie ein geschlachtetes Schwein. Die Polizisten hatten ihm seinen Hut abgenommen. Das schüttere Haar des Mannes, das dort, wo vorhanden, grau und halblang war, klebte nass von Regen und teils verklebt von Blut an seiner Haut. Ein hässlicher, geschnittener Spalt entstellte die faltige, wettergegerbte Haut. Er verlief schräg über die linke Wange des Opfers. Er begann am Jochbein, spaltete eine schon seit Längerem unrasierte Wange und hörte erst am Kinn auf.
Als er Randolph seiner Ansicht nach genug Zeit gelassen hatte, sich ein Bild dieser grausigen, blutigen Tat zu machen, sprach Drake weiter.
„Sagen Sie mir, Doktor“, forderte der Chief Inspector und griff erneut in sein Jackett, „Wer wäre ein besserer Komplize für derartige Verbrechen als ein Mann, der mit so etwas hier“, er legte Randolphs Skalpell bedächtig auf die Tischplatte, „umzugehen weiß?“
"Da gibt es sicher einige, Mr. Detective Chief Inspector. Denn schließlich habe ich mich als Chirurg der Rettung von Leben und nicht deren Vernichtung verschrieben. Ich habe mit Scarfaces Morden- wie sie mir weiß machen wollen- nichts am Hut. Sagen sie mir doch, ob sie tatsächliche irgendwelche Belege dafür haben, dass ich nur im Geringsten etwas damit zu tun habe- oder ob sie einfach nur ins Blaue irgendwelche haltlosen Vermutungen aufstellen? Genau das tun sie meinesjaachtens.[\b] Randolph wandte seinen Blick wieder den Fotos zu und versuchte sich alle möglichen Details einzuprägen. Diese Bilder waren wirklich interessant. Vielleicht konnten sie sich noch als nützlich erweisen. Er schaute wieder zu Drake auf und war gespannt wie dieser nun fortfahren würde. Wollte ihn der Kerl tatsächlich für diesen Mord verantwortlich machen? Randolph konnte darüber nur Lächeln. Geistig natürlich. Den ohnehin schon verzweifelten Drake in seinem Zustand zu provozieren könnte ein Fehler sein. Randolph war jedoch sehr zufrieden damit, dass sich das Verhör zu seinen Gunsten und erheblich zu Drakes Ungunsten gewendet hatte.
„Sie missverstehen meine Intention“, sagte Drake mit einem Lächeln, dass unter anderen Umständen bestimmt sympathisch gewirkt hätte.
Tatsächlich hatte sich der Chief Inspector erhofft, den Doktor mit den Bildern und dem gefundenen Skalpell etwas aus der Reserve zu locken. Dies war offensichtlich gescheitert, doch auch den Mangel an Reaktion wusste Drake zu deuten. Als Beweis war das natürlich wertbar, aber dieses Verhalten gab Drake Anlass zum Nachdenken. Vielleicht steckte mehr dahinter.
Der Chief Inspector hatte, obwohl er, wie die meisten Ermittler des Yards, beschränkt medizinische Kenntnisse besaß, in den vergangen zwei Monaten bewiesen, dass er angesichts dessen, wie furchtbar zugerichtet einige Scarface-Opfer gewesen waren, einen schwachen Magen besaß. Dies war, wie er sich einredete, nichts, wofür er sich schämen musste - obwohl es ihm natürlich unangenehm war. Aber selbst der Assistent des Chefpathologen, der so etwas täglich zu Gesicht bekam, hatte beim Anblick des verstümmelten Ingenieurs Charles Cook einen Zusammenbruch erlitten. Dr. Tremaine war als Chirurg von Berufswegen aus den Anblick von Blut, Messerarbeit an Fleisch und Tod ebenfalls gewöhnt, jedoch zeigte er nicht einmal ein Fünkchen Abscheu für das, was die Photographien zeigten.
War es Interesse oder schon Faszination, mit der Tremaine die Bilder musterte?
Drake empfand etwas Verachtung. Er wischte mit der Hand über den Tisch und sammelte so mit einem Streich alle drei Photographien ein, die vor Randolph auslagen - auch um sich selbst den Anblick zu ersparen.
„Dass wir Ihnen diese Bilder zeigen, muss nicht heißen, dass wir Sie des Mordes an Edward Tilling beschuldigen.“
Näher ging er auf Randolphs Worte nicht ein, denn Drake merkte dessen wachsenen Unwillen, mit ihm zu reden, und man lernte schon in der Ausbildung, dass man sich nicht dazu hinreißen lassen sollte, gegenüber Zeugen oder Verdächtigen Fehler oder die Äußerung von haltlosen Beschuldigungen einzugestehen. Letztere waren Mittel zum Zweck, den Gesprächspartner zu verunsichern und zum Einknicken zu bringen.
„Ich bitte Sie um Nachsicht, Dr. Tremaine. Seien Sie sich bewusst, dass sie zurzeit einer der Hauptverdächtigen im Falle des Vierfachmords im Hause Mauney sind. Im Zweifel für den Angeklagten, wie es so schön heißt, gilt nur vor Gericht. Wir beim Yard hingegen haben gelernt, das Schlechte im Menschen zu sehen, bis wir das Gegenteil bewiesen haben“, stellte Drake nun fast schon süffisant klar. Es ging immer darum, dem Gesprächspartner zu zeigen, dass der London Police Service am längeren Hebel saß. Der Doktor sprach nicht mit Drake persönlich, sondern mit der Institution, für die der Inspector stand.
„Wenn Mr. Stirling oder Mr. Norly Ihre Aussage bestätigen und Sie entlasten, werde ich Sie mit Freuden gehen lassen. So glaubwürdig oder unglaubwürdig Sie auch klingen: Bis dahin müssen wir davon ausgehen, dass all Ihre Worte, die Sergeant Davies niedergeschrieben hat, gelogen sind. Immerhin kann jeder Mörder behaupten, seine Tat hätte ein anderer begangen. Der Schnitt im Gesicht“, wies Drake mit einem grimmigen Lächeln darauf hin und strich sich selbst zur Betonung mit dem Zeigefinger über die Wange, „auf den Sie selbst mich zum Anfang unseres Gesprächs aufmerksam gemacht haben, fehlte nämlich nicht nur bei Mr. Mauney, sondern auch bei seiner Frau und seinen Angestellten. Es wird sich herausstellen, ob es sich hierbei um einen Zufall handelt. Vielleicht liegen Sie und Stirling mit Ihrer Theorie, dass Mr. Norly zumindest diese Morde nicht zu verantworten hat, ja am Ende doch nicht falsch.“
Wen Drake als Alternative in Betracht zog, war wohl offensichtlich. Er hatte zwar die Bereitschaft gezeigt, Randolphs Aussage Glauben zu schenken, jedoch bestanden noch zu viele offene Fragen als dass er dies vollends tun konnte.
Damit war die Befragung erst einmal beendet. Drake stand auf, nahm sich seine Gehhilfe und humpelte auf die Tür zu. Er klopfte, denn auf dieser Seite gab es keine Klinke, und verschwand dann ohne ein Weiteres Wort, nachdem man ihm geöffnet hatte. Der Sergeant, der Protokoll geschrieben hatte, sammelte alle Sachen vom Tisch ein und ließ Randolph anschließend allein zurück. Einige Minuten ließ man ihn schmoren, bevor zwei Beamte kamen, um ihn abzuholen.
Man brachte ihn in den Zellentrakt, der Weg war nicht weit. Man schob ihn durch eine massive, eiserne Tür in einen kaum breiteren Raum, indem lediglich eine schmales Bett und eine Toilette standen, bevor man hinter ihm absperrte. Wenigstens fiel etwas Tageslicht durch das vergitterte Fenster in die Zelle, sodass Randolph nicht im Dunkeln war.
Als er sich auf das Bett setzte, um sein schmerzendes Bein zu schonen, merkte Randolph, dass Dr. Taylor Recht gehabt hatte: Dessen Pritsche war eindeutig bequemer gewesen als dieses verachtenswerte Ding, dass den Namen „Bett“, obwohl es danach aussah, nicht verdiente.
Umbra- Tiefseemonster
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Anmeldedatum : 09.07.12
Alter : 30
Wohnort : NRW
Laune : voll motiviert
Re: Götterblut - Kapitel 2: Gut geplant ist halb gewonnen
Charles antwortete nicht mehr. Er fluchte leise vor sich hin. Dieses verdammte Mädchen war eigensinniger als ihm lieb war. Vor lauter Irritation und Drama, die der bisherige Verlauf ihrer Beziehung zueinander für Charles mit sich gebracht hatte, hatte er glatt vergessen, sich in Erinnerung zu rufen, was Familie zu haben bedeutete – oder vielmehr, was dies für negative Konsequenzen mit sich zog. Mit seiner Unabhängigkeit war es jetzt wohl vorbei. Ärger lag, wo Verwandte waren, immer in der Luft. Die einzige seiner – zu anderen Zeiten nicht geraden kleinen – Sippschaft, mit der Charles in seiner Vergangenheit nicht ständig in den Haaren gelegen hatte, war seine Mutter gewesen. Zwei Personen waren schon eine zu viel, wenn man seine Ruhe haben wollte.
Manchmal war er sich dann auch schon selbst zu viel.
Charles hätte davon ein Liedchen singen können und wäre die Zeit nicht knapp gewesen und hätte nicht anderes Priorität gehabt, hätte er David, da dieser ihn gerade aufsuchte, wohl mit einer wortreichen Tirade zu diesem Thema überschüttet. Doch so beschränkte sich ihre Unterhaltung auf das Wesentliche. Während Charles damit beschäftigt war, sich erst mit bloßen Händen und Muskelkraft, dann mit Werkzeug, da erstere nicht ausreichten, an Leitungen und Heizkessel zu Schaffen zu machen, beantwortete er David nebenbei hauptsächlich Fragen, die dieser hatte. Verständlich, dass er junge Kutscher neugierig war, und Charles zeigte sich gesprächig und geduldig, was Informationen bezüglich der allgemeinen Situation betraf, unterdessen er aber mehrmals ausgesprochene Hilfsangebote ablehnte. Es reichte Charles vollkommen, dass David ihm mit der alten Laterne leuchtete, die sie dankenswerterweise gefunden hatten.
Sicher vergingen so einige Minuten, in denen Charles sich selbst gezwungenermaßen mit Staub und Dreck, Rost und Kohle nicht nur die Hände schmutzig machte, bis er nach einer erneuten lästigen Erkundigungen nach seiner gesundheitlichen Verfassung ablenkte, indem er David daran erinnerte, dass Johanna sicher wartete, und ihn fortschickte.
„Eins noch, Sir“, sprach David noch an, bevor er gehorchte, und Charles, der sich davon nicht in seiner Konzentration stören ließ, mit der er gerade die letzten Ventile auf ihre Dichtigkeit überprüfte, gab ein Brummen von sich, um zu signalisieren, dass er zuhörte.
„Dieser Stirling will von mir, dass ich ihm Wein hol‘. Er sagte, Sie würden’s bezahl’n.“
Charles schnaubte belustigt. „So, sagte er das?“, erwiderte er nicht überrascht. Mit dem Handrücken wischte er sich Schweiß von der Stirn, denn neben der körperlichen Anstrengung heizte ihm auch nun der bereits angefeuerte Kessel ein. Zum Glück war genügend Kohle vorrätig – und vor allem offensichtlich auch noch brauchbar. Charles sah den Burschen nun an und tastete, bereitwillig, diesem Geld zu geben, nach seiner Brieftasche, doch die trug er nicht mehr bei sich.
„Oben, in meinem Jackett“, wies er David dann, in dem Bewusstsein, dass er diesem vertrauen und sich auf diesen verlassen konnte, den Weg. Sie hatten viel gemeinsam erlebt, auch wenn die Umstände damals gewiss andere gewesen waren. Dass der Junge sich seine Rückmeldung zu Alans Aussage, dass er diesem den Alkohol bezahlen würde, eingeholt hatte, zeigte Charles, dass David ihm gegenüber noch immer treu und ehrlich war.
„Nimm dir so viel du brauchst und für angemessen hältst. Ich möchte dich sowieso noch bitten, später einige Dinge für mich zu besorgen“, fügte er an und David nickte einverstanden.
Charles nahm das zufrieden wahr und sprach weiter: „Ich werde eine Liste schreiben. Meinetwegen soll Alan seinen Wein bekommen, wenn er ihn haben will, aber die Sache beim Scotland Yard ist nun wichtiger. Führen wir unser Gespräch fort, wenn das erledigt ist. Denk an deine Munition, die liegt auch noch in meinem Zimmer.“
David fühlte sich damit entlassen und wollte schon gehen, doch Charles hielt ihn noch einmal auf.
„Achte gut auf sie, ja?“, bat er den jungen Kutscher mehr oder minder und sprach natürlich von Johanna.
„Vielleicht sollte sie meinen Mantel hierlassen“, fiel ihm ein, da seine Tochter gerade noch getragen hatte.
„Bring ihr ihren von oben mit.“
David nickte und machte sich davon. Unzufrieden versuchte Charles daraufhin, seine Kleidung etwas auszuklopfen, doch zusammen mit dem Blut hatten Staub, Rost, Kohle und Spinnenweben eine unangenehme Patina gebildet. So beendete er, was er angefangen hatte, und beschloss anschließend, sich noch ein wenig mithilfe der Laterne im Keller umzusehen. Danach würde er nach oben zurückkehren, um sich das ersehnte heiße Bad zu gönnen.
- - - - -
Als David nach dem Abstecher ins obere Stockwerk, um besagte Dinge zu holen, zur bereits ungeduldigen Johanna zurückkehrte – denn man hatte sie länger warten lassen als ihr recht war –, konnten sie endlich aufbrechen.
Auf dem Weg vom Herrenhaus zur Kutsche brach der junge, bärtige Mann das Schweigen.
„Er hat’s mir gesagt, Miss – dass Sie seine Tochter sind.“ David ließ sich nun nichts davon anmerken, dass er an dieser Stelle ihres Gesprächs in Gelächter ausgebrochen war, Charles‘ strafender Blick ihn aber hatte verstummen lassen. Eher schien dem Kutscher der Gedanke Sorge zu bereiten, auch wenn Johanna nicht genau klar war, wie sie das deuten sollte. Doch seine folgenden Worte waren selbstbewusst und von zuversichtlicher Natur.
„Mit mir an Ihrer Seite, Miss, wird sein Plan funktionier’n, sonst würd‘ er nicht erlauben, dass Sie den Yard betreten“, war er sich sicher und versuchte damit vielleicht auch, Johannas Ärger etwas abzukühlen.
„Er sorgt sich wirklich sehr um Ihr Wohl. Am liebsten würd‘ er Se selbst begleiten, doch damit wär‘ niemandem geholfen. Für ihn wär’s Selbstmord, Tremaine würd‘ verurteilt und Ihnen würd‘ man vielleicht auch Ärger machen.“
Dann schlich sich ein breites Grinsen auf Davids Gesicht und er fügte im verschwörerischen Ton an: „Doch wir beide zu zweit, Miss, wir drehen den Bobbies ‘ne Nase.“ Er zwinkerte schelmisch.
„Die reinzulegen schaffen wir mit Links.“
Während David seinem Beruf nachging und die Kutsche in Richtung des Hauptquartiers der hiesigen Polizei steuerte, konnte Johanna von der Kabine des Wagens aus die vorbeiziehenden Häuser und das Treiben auf den Straßen Londons beobachten. Der Weg zum Scotland Yard war wirklich nicht weit, aber wahrscheinlich war Maybrick Manor gerade deswegen ein geeignetes Versteck. Das Grundstück des alten Herrenhauses war trotz der Nähe zum Charing Cross-Bahnhof abgelegen und ruhig, sodass die Hoffnung nicht unbegründet war, dass die Gruppe sich zumindest für eine Weile ungestört dort würde aufhalten können.
Das Attribut „ruhig“ traf auf die Straßen, durch die die Kutsche nun rollte, allerdings weniger zu. Die Geräuschkulisse war vielfältig, allgegenwärtig war aber wohl das Stimmengewirr der vielen Menschen, die ihren Beschäftigungen nachgingen, neben Hufgeklapper der Pferde, die Fuhrwerke aller Art zogen. Das nun sonnige Wetter an diesem Nachmittag hatte viele Menschen nach draußen gelockt und auch Straßenhändler nutzten die Gelegenheit, lautstark ihre Ware feilzubieten. Unter anderen waren da auch diverse Zeitungsjungen, die sich günstig, zumeist an Kreuzungen, positioniert hatten, um die Aufmerksamkeit von Passanten für sich zu gewinnen. Ihre teils noch kindlichen Stimmen riefen die Schlagzeilen hinaus:
„Mord in Mayfair – Scarface gesichtet!“ – „Stadt in Flammen! London versinkt in Chaos!“ – „Bombenattentat im Stadtzentrum!“ – „Explosion an den Docks! Lagerhalle stürzt ein! Bereits eine Tote in den Trümmern gefunden!“… und so weiter und so fort. Jedoch waren sich alle Zeitungsjungen, welches Blatt auch immer sie an den Mann brachten, darin einig, dass in der letzten Nacht viel geschehen war, das Grund zur Beunruhigung gab. Sie selbst klangen meist eher gelangweilt von den Sprüchen, die sie wiederholt herunterleiern mussten, aber über mangelnde Verkäufe konnten sie sicher nicht klagen.
David parkte die Kutsche in der Nähe des Scotland Yards in einer Seitenstraße, wo bereits zwei weitere Fahrer auf neue Kundschaft warteten. Man grüßte sich freundlich, obwohl man sich nicht kannte, und David warf einem der Jungen, die dort nur auf die Gelegenheit warteten, sich etwas Geld zu verdienen, eine Münze zu, damit dieser auf den Wagen achtgab und sich um das Pferd kümmerte. Anschließend sprang er vom Kutschbock ab, half Johanna, auszusteigen und entschuldigte sich dann für einen Moment, um selbst in der Kabine zu verschwinden. Als er wieder auf die Straße trat, sah Johanna, dass er sich umgezogen hatte. Statt seiner einfachen Straßenkleidung trug er nun einen Anzug mit Krawatte. Auch seinen Schlapphut hatte er im Wagen gelassen und platzierte nun vor Johanna einen Bowler auf seinem lockigen Kopf. Er zwinkerte der jungen Frau zu und bot ihr frech grinsend seinen Arm zum Einhaken an.
„Los geht’s, Miss.“ Während sie sich bereits ihren Weg über die Straße suchten, erklärte David ihr, worauf sie nun gleich zu achten hatte.
„Ich werd‘ mit den Bobbies sprechen, wirken Sie einfach etwas aufgeregt und besorgt, dann wird die Sache gutgeh’n. Zu Tremaine zu kommen, wird weniger schwer, dann erst beginnt der kritische Teil. Das Wichtigste ist, dass wir ihn nicht überrumpeln, also sagen Se ihm, dass er mitspielen soll. Sie… Sie könnt’n ihn umarmen, oder so, und es ihm zuflüstern. Am besten sofort, wenn wir zu ihm kommen. Ja, das sollt‘ quasi das erste sein, was Se zu ihm sagen. Geben Se ihm keine Chance, selbst vorher zu Wort zu kommen oder zu protestier’n. Denken Se daran, dass Sie seine Verlobte sind, also sei’n Se erleichtert, ihn zu seh’n. Sagen Se ihm das, vor allem wenn Bobbies anwesend sind, und sprechen Se ihn mit seinem Vornamen an. Sie könnten ihn auch ‚Liebster‘ nennen und ihm… äh, zur Begrüßung auf die Wange… nun, küssen, wenn’s Ihnen nichts ausmacht, aber… ähm, übertreiben Sie’s auf keinen Fall mit Körperkontakt.“ David schien es unangenehm zu sein, dies anzusprechen, aber er hielt es offenbar für wichtig und damit erwähnenswert.
„Sie wissen doch, wie das ist, Miss“, fügte er erklärend hinzu. „Eigentlich müsst‘ Sie ’ne Anstandsdame begleiten, damit Se nicht allein unter Männern sind, aber da wir keine haben, muss ich vor’m Yard die Rolle übernehmen.“
Vor dem Eingang der Polizeiwache erwartete Johanna und David überraschenderweise eine aufgebrachte Ansammlung von Menschen, schätzungsweise vierzig Personen, Frauen und Männer, die offenbar eingelassen werden wollten, aber von uniformierten Bobbies in Schach gehalten wurden.
„Was ist hier los?“, fragte David einen der zahlreichen umstehenden Zuschauer, die das Geschehen mit einer Mischung aus Neugier beobachteten. Dieser zuckte nur mit den Schultern und kümmerte sich nicht weiter um ihn.
David bahnte sich drängelnd mit Johanna im Schlepptau einen Weg durch die wild durcheinanderrufenden Menschen und tauschte dann einige Worte mit einem Polizisten aus, bevor man sie durchließ. Johanna hatte weder das verstanden, was David gesagt, noch was der Bobby geantwortet hatte, aber die Stirn des jungen Kutschers war gerunzelt, als er Johanna zuraunte: „Die Morde, Miss, die Leute woll‘n Scarface endlich hängen sehen.“
Dann nahmen sie die Stufen zum Haupteingang hinauf und betraten das Gebäude. Der Lärm von der Straße wurde durch die schweren Türen gut abgeschirmt. Die Empfangshalle des Scotland Yards war im Vergleich zu der des alten Waisenhauses nicht kleiner, jedoch wirkte sie im Vergleich dazu – wahrscheinlich vor allem aufgrund der niedrigeren Decke – so. Insgesamt acht Empfangsschalter waren von Polizisten und zivilen Mitarbeitern des Yards besetzt, die sich mit Unterlagen auf ihren Pulten oder mit Bürgern, die ein Anliegen hatten, befassten.
Voll war es hier nicht gerade, aber David schien es recht zu sein, sich nicht irgendwo anstellen und warten zu müssen. Beherzt trat er auf einen der uniformierten, glattrasierten Beamten zu. Er stellte sich als David Wright vor und klang dabei ziemlich aufgebracht. Johanna musste feststellen, dass er sich nun nicht mehr wie ein Kutscher anhörte, sondern wie der mittelständische, gebildete junge Mann, nach dem er durch seinen Anzug auch aussah. Von einem Moment zum anderen hatte David seine undeutliche, Laute schluckende Aussprache und seine arbeiterübliche Ausdrucksweise abgelegt. David teilte dem Beamten echauffiert mit, dass er einen Einbruch zu melden habe, und nachdem der Polizist versucht hatte, der gespielten Aufregung beruhigend entgegenzuwirken, zeigte sich David bereit, Genaueres zu schildern – allerdings scheinbar nur bemüht gefasst.
„Verstehen Sie denn nicht, Officer? Dies ist eine überaus ernste Angelegenheit und ich halte Ihren Versuch für unangebracht, dieses Vorkommnis herunterzuspielen. Meine Schwester“, sagte er und machte eine Geste in Johannas Richtung, „suchte mich vorhin vollkommen aufgelöst auf, nachdem sie, zusammen mit unserer Mutter, diese Schandtat entdecken musste. Sie war mit Ihrem Verlobten zum Tee verabredet, müssen Sie wissen, doch anstatt ihn in seinem Haus anzutreffen, stand sie vor einer aufgebrochenen Tür und fand seine Praxis demoliert vor. Genau genommen, habe ich mich etwas unpräzise ausgedrückt: Ich habe einen Einbruch anzuzeigen und meinen Schwager in spe als vermisst zu melden!“
„Bitte beruhigen Sie sich, Sir“, wiederholte sich der Polizist, der seinerseits um einiges älter als David war, in beschwichtigendem Tonfall.
„Es sei Ihnen versichert, dass wir diesen Vorfall durchaus nicht auf die leichte Schulter nehmen und dem mit absoluter Sicherheit nachgehen werden. Ich möchte Ihnen nahelegen, sich erst einmal keine allzu großen Sorgen zu machen.“
David gab ein ungehaltenes Schnauben von sich. Charles hatte offenbar gut daran getan, David mit der Aufgabe zu betrauen, Johanna zu begleiten und zu unterstützen. Der junge Mann war zielstrebig vorgegangen und spielte seine Rolle mit Bravour. Der Plan schien aufzugehen, denn der Polizist glaubte David offenbar.
„Ihr Verlobter, Miss“, bezog der Bobby, Davids Reaktion übergehend, nun Johanna kurz ein, „wird bestimmt wieder auftauchen.“
Anschließend fragte der Beamte nach verschiedenen Daten und notierte sich Davids und Johannas erfundene Personalien und eine ebenfalls erfundene Adresse, an der man sie sowie „ihre Mutter“ als weitere Zeugin zur weiteren Befragung würde antreffen können, wenn sich dies als notwendig erweisen müsste. Anschließend nannte David auf Nachfrage auch Randolphs Adresse, wobei er bei diesem Punkt allerdings bei der Wahrheit blieb.
„Soho ist eigentlich nicht unser Zuständigkeitsbereich, Mr. Wright“, informierte der Police Officer David, beeilte sich jedoch „Aber wir werden das an die zuständige Wache weiterleiten“ anzufügen.
„Zum Schluss bräuchten wir noch den Namen des Vermissten.“
„Dr. Randolph Tremaine“, antwortete David ernst – und der Polizist sah mit sichtlicher Überraschung von seinen Notizen auf. Offenbar – und zu Johannas und Davids Glück, denn dies würde die Sache erleichtern – wusste er mit diesem Namen etwas anzufangen. Einen Moment lang starrte der Polizist David an.
„Bitte warten Sie einen Moment“, brachte er dann hervor, stand auf und verschwand mit eiligen Schritten durch eine Tür im hinteren Bereich des Schalters.
„He!“, rief David ihm noch in überraschungsgeprägtem Ton nach.
„Wo wollen Sie hin?“
Der Polizist war jedoch bereits verschwunden.
Da zu viele Leute zugegen waren, die sie hätten hören können, beschränkte sich David auf ein triumphierendes Grinsen, das er Johanna zuwarf.
Sie warteten einige Minuten lang, in denen David ungeduldig mit den Fingern auf den Pult des nun verlassenen Schalters trommelte. Beinahe schon zuckend richtete er sich auf, als der Polizist zurückkehrte.
„Was hat das zu bedeuten?“, wollte der junge Mann verärgert wissen.
„Erklären Sie sich!“
Der Polizist atmete durch und deutete David und Johanna mit einer Geste, ihm zu folgen.
„Dr. Tremaine befindet sich in unserem Gewahrsam“, antwortete er.
David gab sich verwundert und irritiert. „Wie bitte? Wieso das?“
„Bitte hier entlang“, entgegnete der Bobby und gab auf dem Weg zum Zellentrakt lediglich Preis, dass der Doktor mit einer Schussverletzung in der Nähe eines Tatorts aufgegriffen wurde und eine Kaution ausstand.
Man führte Johanna und David auf direkt zu der Zelle, in den der Yard Randolph untergebracht hatte.
Johanna wurde mit jedem Schritt deutlicher, warum es wohl wirklich Selbstmord für Charles gewesen wäre, wenn er versucht hätte, Dr. Tremaine von hier zu befreien. Ungesehen wäre er wohl nicht an den vielen Polizisten, ihnen über den Weg liefen, vorbeigekommen. Mehrere verschlossene Sicherheitstüren, die man für sie und ihren Führer entriegelte, wären zusätzlich ein großes Hindernis gewesen. Und da sie nun erfahren hatten, dass der Doktor angeschossen worden war – so präzise hatte Alan dies nämlich nicht erwähnt –, wäre auch eine anschließende Flucht von hier wohl ein Ding der Unmöglichkeit gewesen.
Dank Davids Lügengeschichte, die immerhin auf einer Tatsache, nämlich dem „Einbruch“, beruhte, führte man sie nun, anscheinend ohne etwas zu ahnen, in die Höhle des Löwen.
Der Polizist vom Empfangsschalter schilderte einem anderen Bobby am Eingang des Zellentrakts die Situation, und kehrte seinerseits zu seinem Arbeitsplatz zurück. Dieser Wächter brachte sie schließlich zum Ziel und schloss die schwere, metallene Tür auf, die Randolphs Zelle vom trostlos wirkenden Flur trennte.
Davids Part war hiermit weitestgehend getan – nun war Johanna an der Reihe.
Manchmal war er sich dann auch schon selbst zu viel.
Charles hätte davon ein Liedchen singen können und wäre die Zeit nicht knapp gewesen und hätte nicht anderes Priorität gehabt, hätte er David, da dieser ihn gerade aufsuchte, wohl mit einer wortreichen Tirade zu diesem Thema überschüttet. Doch so beschränkte sich ihre Unterhaltung auf das Wesentliche. Während Charles damit beschäftigt war, sich erst mit bloßen Händen und Muskelkraft, dann mit Werkzeug, da erstere nicht ausreichten, an Leitungen und Heizkessel zu Schaffen zu machen, beantwortete er David nebenbei hauptsächlich Fragen, die dieser hatte. Verständlich, dass er junge Kutscher neugierig war, und Charles zeigte sich gesprächig und geduldig, was Informationen bezüglich der allgemeinen Situation betraf, unterdessen er aber mehrmals ausgesprochene Hilfsangebote ablehnte. Es reichte Charles vollkommen, dass David ihm mit der alten Laterne leuchtete, die sie dankenswerterweise gefunden hatten.
Sicher vergingen so einige Minuten, in denen Charles sich selbst gezwungenermaßen mit Staub und Dreck, Rost und Kohle nicht nur die Hände schmutzig machte, bis er nach einer erneuten lästigen Erkundigungen nach seiner gesundheitlichen Verfassung ablenkte, indem er David daran erinnerte, dass Johanna sicher wartete, und ihn fortschickte.
„Eins noch, Sir“, sprach David noch an, bevor er gehorchte, und Charles, der sich davon nicht in seiner Konzentration stören ließ, mit der er gerade die letzten Ventile auf ihre Dichtigkeit überprüfte, gab ein Brummen von sich, um zu signalisieren, dass er zuhörte.
„Dieser Stirling will von mir, dass ich ihm Wein hol‘. Er sagte, Sie würden’s bezahl’n.“
Charles schnaubte belustigt. „So, sagte er das?“, erwiderte er nicht überrascht. Mit dem Handrücken wischte er sich Schweiß von der Stirn, denn neben der körperlichen Anstrengung heizte ihm auch nun der bereits angefeuerte Kessel ein. Zum Glück war genügend Kohle vorrätig – und vor allem offensichtlich auch noch brauchbar. Charles sah den Burschen nun an und tastete, bereitwillig, diesem Geld zu geben, nach seiner Brieftasche, doch die trug er nicht mehr bei sich.
„Oben, in meinem Jackett“, wies er David dann, in dem Bewusstsein, dass er diesem vertrauen und sich auf diesen verlassen konnte, den Weg. Sie hatten viel gemeinsam erlebt, auch wenn die Umstände damals gewiss andere gewesen waren. Dass der Junge sich seine Rückmeldung zu Alans Aussage, dass er diesem den Alkohol bezahlen würde, eingeholt hatte, zeigte Charles, dass David ihm gegenüber noch immer treu und ehrlich war.
„Nimm dir so viel du brauchst und für angemessen hältst. Ich möchte dich sowieso noch bitten, später einige Dinge für mich zu besorgen“, fügte er an und David nickte einverstanden.
Charles nahm das zufrieden wahr und sprach weiter: „Ich werde eine Liste schreiben. Meinetwegen soll Alan seinen Wein bekommen, wenn er ihn haben will, aber die Sache beim Scotland Yard ist nun wichtiger. Führen wir unser Gespräch fort, wenn das erledigt ist. Denk an deine Munition, die liegt auch noch in meinem Zimmer.“
David fühlte sich damit entlassen und wollte schon gehen, doch Charles hielt ihn noch einmal auf.
„Achte gut auf sie, ja?“, bat er den jungen Kutscher mehr oder minder und sprach natürlich von Johanna.
„Vielleicht sollte sie meinen Mantel hierlassen“, fiel ihm ein, da seine Tochter gerade noch getragen hatte.
„Bring ihr ihren von oben mit.“
David nickte und machte sich davon. Unzufrieden versuchte Charles daraufhin, seine Kleidung etwas auszuklopfen, doch zusammen mit dem Blut hatten Staub, Rost, Kohle und Spinnenweben eine unangenehme Patina gebildet. So beendete er, was er angefangen hatte, und beschloss anschließend, sich noch ein wenig mithilfe der Laterne im Keller umzusehen. Danach würde er nach oben zurückkehren, um sich das ersehnte heiße Bad zu gönnen.
- - - - -
Als David nach dem Abstecher ins obere Stockwerk, um besagte Dinge zu holen, zur bereits ungeduldigen Johanna zurückkehrte – denn man hatte sie länger warten lassen als ihr recht war –, konnten sie endlich aufbrechen.
Auf dem Weg vom Herrenhaus zur Kutsche brach der junge, bärtige Mann das Schweigen.
„Er hat’s mir gesagt, Miss – dass Sie seine Tochter sind.“ David ließ sich nun nichts davon anmerken, dass er an dieser Stelle ihres Gesprächs in Gelächter ausgebrochen war, Charles‘ strafender Blick ihn aber hatte verstummen lassen. Eher schien dem Kutscher der Gedanke Sorge zu bereiten, auch wenn Johanna nicht genau klar war, wie sie das deuten sollte. Doch seine folgenden Worte waren selbstbewusst und von zuversichtlicher Natur.
„Mit mir an Ihrer Seite, Miss, wird sein Plan funktionier’n, sonst würd‘ er nicht erlauben, dass Sie den Yard betreten“, war er sich sicher und versuchte damit vielleicht auch, Johannas Ärger etwas abzukühlen.
„Er sorgt sich wirklich sehr um Ihr Wohl. Am liebsten würd‘ er Se selbst begleiten, doch damit wär‘ niemandem geholfen. Für ihn wär’s Selbstmord, Tremaine würd‘ verurteilt und Ihnen würd‘ man vielleicht auch Ärger machen.“
Dann schlich sich ein breites Grinsen auf Davids Gesicht und er fügte im verschwörerischen Ton an: „Doch wir beide zu zweit, Miss, wir drehen den Bobbies ‘ne Nase.“ Er zwinkerte schelmisch.
„Die reinzulegen schaffen wir mit Links.“
Während David seinem Beruf nachging und die Kutsche in Richtung des Hauptquartiers der hiesigen Polizei steuerte, konnte Johanna von der Kabine des Wagens aus die vorbeiziehenden Häuser und das Treiben auf den Straßen Londons beobachten. Der Weg zum Scotland Yard war wirklich nicht weit, aber wahrscheinlich war Maybrick Manor gerade deswegen ein geeignetes Versteck. Das Grundstück des alten Herrenhauses war trotz der Nähe zum Charing Cross-Bahnhof abgelegen und ruhig, sodass die Hoffnung nicht unbegründet war, dass die Gruppe sich zumindest für eine Weile ungestört dort würde aufhalten können.
Das Attribut „ruhig“ traf auf die Straßen, durch die die Kutsche nun rollte, allerdings weniger zu. Die Geräuschkulisse war vielfältig, allgegenwärtig war aber wohl das Stimmengewirr der vielen Menschen, die ihren Beschäftigungen nachgingen, neben Hufgeklapper der Pferde, die Fuhrwerke aller Art zogen. Das nun sonnige Wetter an diesem Nachmittag hatte viele Menschen nach draußen gelockt und auch Straßenhändler nutzten die Gelegenheit, lautstark ihre Ware feilzubieten. Unter anderen waren da auch diverse Zeitungsjungen, die sich günstig, zumeist an Kreuzungen, positioniert hatten, um die Aufmerksamkeit von Passanten für sich zu gewinnen. Ihre teils noch kindlichen Stimmen riefen die Schlagzeilen hinaus:
„Mord in Mayfair – Scarface gesichtet!“ – „Stadt in Flammen! London versinkt in Chaos!“ – „Bombenattentat im Stadtzentrum!“ – „Explosion an den Docks! Lagerhalle stürzt ein! Bereits eine Tote in den Trümmern gefunden!“… und so weiter und so fort. Jedoch waren sich alle Zeitungsjungen, welches Blatt auch immer sie an den Mann brachten, darin einig, dass in der letzten Nacht viel geschehen war, das Grund zur Beunruhigung gab. Sie selbst klangen meist eher gelangweilt von den Sprüchen, die sie wiederholt herunterleiern mussten, aber über mangelnde Verkäufe konnten sie sicher nicht klagen.
David parkte die Kutsche in der Nähe des Scotland Yards in einer Seitenstraße, wo bereits zwei weitere Fahrer auf neue Kundschaft warteten. Man grüßte sich freundlich, obwohl man sich nicht kannte, und David warf einem der Jungen, die dort nur auf die Gelegenheit warteten, sich etwas Geld zu verdienen, eine Münze zu, damit dieser auf den Wagen achtgab und sich um das Pferd kümmerte. Anschließend sprang er vom Kutschbock ab, half Johanna, auszusteigen und entschuldigte sich dann für einen Moment, um selbst in der Kabine zu verschwinden. Als er wieder auf die Straße trat, sah Johanna, dass er sich umgezogen hatte. Statt seiner einfachen Straßenkleidung trug er nun einen Anzug mit Krawatte. Auch seinen Schlapphut hatte er im Wagen gelassen und platzierte nun vor Johanna einen Bowler auf seinem lockigen Kopf. Er zwinkerte der jungen Frau zu und bot ihr frech grinsend seinen Arm zum Einhaken an.
„Los geht’s, Miss.“ Während sie sich bereits ihren Weg über die Straße suchten, erklärte David ihr, worauf sie nun gleich zu achten hatte.
„Ich werd‘ mit den Bobbies sprechen, wirken Sie einfach etwas aufgeregt und besorgt, dann wird die Sache gutgeh’n. Zu Tremaine zu kommen, wird weniger schwer, dann erst beginnt der kritische Teil. Das Wichtigste ist, dass wir ihn nicht überrumpeln, also sagen Se ihm, dass er mitspielen soll. Sie… Sie könnt’n ihn umarmen, oder so, und es ihm zuflüstern. Am besten sofort, wenn wir zu ihm kommen. Ja, das sollt‘ quasi das erste sein, was Se zu ihm sagen. Geben Se ihm keine Chance, selbst vorher zu Wort zu kommen oder zu protestier’n. Denken Se daran, dass Sie seine Verlobte sind, also sei’n Se erleichtert, ihn zu seh’n. Sagen Se ihm das, vor allem wenn Bobbies anwesend sind, und sprechen Se ihn mit seinem Vornamen an. Sie könnten ihn auch ‚Liebster‘ nennen und ihm… äh, zur Begrüßung auf die Wange… nun, küssen, wenn’s Ihnen nichts ausmacht, aber… ähm, übertreiben Sie’s auf keinen Fall mit Körperkontakt.“ David schien es unangenehm zu sein, dies anzusprechen, aber er hielt es offenbar für wichtig und damit erwähnenswert.
„Sie wissen doch, wie das ist, Miss“, fügte er erklärend hinzu. „Eigentlich müsst‘ Sie ’ne Anstandsdame begleiten, damit Se nicht allein unter Männern sind, aber da wir keine haben, muss ich vor’m Yard die Rolle übernehmen.“
Vor dem Eingang der Polizeiwache erwartete Johanna und David überraschenderweise eine aufgebrachte Ansammlung von Menschen, schätzungsweise vierzig Personen, Frauen und Männer, die offenbar eingelassen werden wollten, aber von uniformierten Bobbies in Schach gehalten wurden.
„Was ist hier los?“, fragte David einen der zahlreichen umstehenden Zuschauer, die das Geschehen mit einer Mischung aus Neugier beobachteten. Dieser zuckte nur mit den Schultern und kümmerte sich nicht weiter um ihn.
David bahnte sich drängelnd mit Johanna im Schlepptau einen Weg durch die wild durcheinanderrufenden Menschen und tauschte dann einige Worte mit einem Polizisten aus, bevor man sie durchließ. Johanna hatte weder das verstanden, was David gesagt, noch was der Bobby geantwortet hatte, aber die Stirn des jungen Kutschers war gerunzelt, als er Johanna zuraunte: „Die Morde, Miss, die Leute woll‘n Scarface endlich hängen sehen.“
Dann nahmen sie die Stufen zum Haupteingang hinauf und betraten das Gebäude. Der Lärm von der Straße wurde durch die schweren Türen gut abgeschirmt. Die Empfangshalle des Scotland Yards war im Vergleich zu der des alten Waisenhauses nicht kleiner, jedoch wirkte sie im Vergleich dazu – wahrscheinlich vor allem aufgrund der niedrigeren Decke – so. Insgesamt acht Empfangsschalter waren von Polizisten und zivilen Mitarbeitern des Yards besetzt, die sich mit Unterlagen auf ihren Pulten oder mit Bürgern, die ein Anliegen hatten, befassten.
Voll war es hier nicht gerade, aber David schien es recht zu sein, sich nicht irgendwo anstellen und warten zu müssen. Beherzt trat er auf einen der uniformierten, glattrasierten Beamten zu. Er stellte sich als David Wright vor und klang dabei ziemlich aufgebracht. Johanna musste feststellen, dass er sich nun nicht mehr wie ein Kutscher anhörte, sondern wie der mittelständische, gebildete junge Mann, nach dem er durch seinen Anzug auch aussah. Von einem Moment zum anderen hatte David seine undeutliche, Laute schluckende Aussprache und seine arbeiterübliche Ausdrucksweise abgelegt. David teilte dem Beamten echauffiert mit, dass er einen Einbruch zu melden habe, und nachdem der Polizist versucht hatte, der gespielten Aufregung beruhigend entgegenzuwirken, zeigte sich David bereit, Genaueres zu schildern – allerdings scheinbar nur bemüht gefasst.
„Verstehen Sie denn nicht, Officer? Dies ist eine überaus ernste Angelegenheit und ich halte Ihren Versuch für unangebracht, dieses Vorkommnis herunterzuspielen. Meine Schwester“, sagte er und machte eine Geste in Johannas Richtung, „suchte mich vorhin vollkommen aufgelöst auf, nachdem sie, zusammen mit unserer Mutter, diese Schandtat entdecken musste. Sie war mit Ihrem Verlobten zum Tee verabredet, müssen Sie wissen, doch anstatt ihn in seinem Haus anzutreffen, stand sie vor einer aufgebrochenen Tür und fand seine Praxis demoliert vor. Genau genommen, habe ich mich etwas unpräzise ausgedrückt: Ich habe einen Einbruch anzuzeigen und meinen Schwager in spe als vermisst zu melden!“
„Bitte beruhigen Sie sich, Sir“, wiederholte sich der Polizist, der seinerseits um einiges älter als David war, in beschwichtigendem Tonfall.
„Es sei Ihnen versichert, dass wir diesen Vorfall durchaus nicht auf die leichte Schulter nehmen und dem mit absoluter Sicherheit nachgehen werden. Ich möchte Ihnen nahelegen, sich erst einmal keine allzu großen Sorgen zu machen.“
David gab ein ungehaltenes Schnauben von sich. Charles hatte offenbar gut daran getan, David mit der Aufgabe zu betrauen, Johanna zu begleiten und zu unterstützen. Der junge Mann war zielstrebig vorgegangen und spielte seine Rolle mit Bravour. Der Plan schien aufzugehen, denn der Polizist glaubte David offenbar.
„Ihr Verlobter, Miss“, bezog der Bobby, Davids Reaktion übergehend, nun Johanna kurz ein, „wird bestimmt wieder auftauchen.“
Anschließend fragte der Beamte nach verschiedenen Daten und notierte sich Davids und Johannas erfundene Personalien und eine ebenfalls erfundene Adresse, an der man sie sowie „ihre Mutter“ als weitere Zeugin zur weiteren Befragung würde antreffen können, wenn sich dies als notwendig erweisen müsste. Anschließend nannte David auf Nachfrage auch Randolphs Adresse, wobei er bei diesem Punkt allerdings bei der Wahrheit blieb.
„Soho ist eigentlich nicht unser Zuständigkeitsbereich, Mr. Wright“, informierte der Police Officer David, beeilte sich jedoch „Aber wir werden das an die zuständige Wache weiterleiten“ anzufügen.
„Zum Schluss bräuchten wir noch den Namen des Vermissten.“
„Dr. Randolph Tremaine“, antwortete David ernst – und der Polizist sah mit sichtlicher Überraschung von seinen Notizen auf. Offenbar – und zu Johannas und Davids Glück, denn dies würde die Sache erleichtern – wusste er mit diesem Namen etwas anzufangen. Einen Moment lang starrte der Polizist David an.
„Bitte warten Sie einen Moment“, brachte er dann hervor, stand auf und verschwand mit eiligen Schritten durch eine Tür im hinteren Bereich des Schalters.
„He!“, rief David ihm noch in überraschungsgeprägtem Ton nach.
„Wo wollen Sie hin?“
Der Polizist war jedoch bereits verschwunden.
Da zu viele Leute zugegen waren, die sie hätten hören können, beschränkte sich David auf ein triumphierendes Grinsen, das er Johanna zuwarf.
Sie warteten einige Minuten lang, in denen David ungeduldig mit den Fingern auf den Pult des nun verlassenen Schalters trommelte. Beinahe schon zuckend richtete er sich auf, als der Polizist zurückkehrte.
„Was hat das zu bedeuten?“, wollte der junge Mann verärgert wissen.
„Erklären Sie sich!“
Der Polizist atmete durch und deutete David und Johanna mit einer Geste, ihm zu folgen.
„Dr. Tremaine befindet sich in unserem Gewahrsam“, antwortete er.
David gab sich verwundert und irritiert. „Wie bitte? Wieso das?“
„Bitte hier entlang“, entgegnete der Bobby und gab auf dem Weg zum Zellentrakt lediglich Preis, dass der Doktor mit einer Schussverletzung in der Nähe eines Tatorts aufgegriffen wurde und eine Kaution ausstand.
Man führte Johanna und David auf direkt zu der Zelle, in den der Yard Randolph untergebracht hatte.
Johanna wurde mit jedem Schritt deutlicher, warum es wohl wirklich Selbstmord für Charles gewesen wäre, wenn er versucht hätte, Dr. Tremaine von hier zu befreien. Ungesehen wäre er wohl nicht an den vielen Polizisten, ihnen über den Weg liefen, vorbeigekommen. Mehrere verschlossene Sicherheitstüren, die man für sie und ihren Führer entriegelte, wären zusätzlich ein großes Hindernis gewesen. Und da sie nun erfahren hatten, dass der Doktor angeschossen worden war – so präzise hatte Alan dies nämlich nicht erwähnt –, wäre auch eine anschließende Flucht von hier wohl ein Ding der Unmöglichkeit gewesen.
Dank Davids Lügengeschichte, die immerhin auf einer Tatsache, nämlich dem „Einbruch“, beruhte, führte man sie nun, anscheinend ohne etwas zu ahnen, in die Höhle des Löwen.
Der Polizist vom Empfangsschalter schilderte einem anderen Bobby am Eingang des Zellentrakts die Situation, und kehrte seinerseits zu seinem Arbeitsplatz zurück. Dieser Wächter brachte sie schließlich zum Ziel und schloss die schwere, metallene Tür auf, die Randolphs Zelle vom trostlos wirkenden Flur trennte.
Davids Part war hiermit weitestgehend getan – nun war Johanna an der Reihe.
Umbra- Tiefseemonster
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