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Götterblut - Kapitel 5: Spiel im Schatten
+2
Umbra
Leo
6 verfasser
Seite 3 von 9
Seite 3 von 9 • 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9
Re: Götterblut - Kapitel 5: Spiel im Schatten
Auch wenn Melinda versicherte, dass es schon ginge, half Charles ihr ganz behutsam auf und beäugte sie dabei besorgt. Sie war tapfer, das musste er ihr lassen, allerdings konnte dies nicht darüber hinwegtäuschen, dass etwas Gequältes in ihrem Lächeln lag. Er hoffte, dass der Schmerz des Sturzes schnell vergessen sein würde. Umso mehr freute es ihn da natürlich, dass sie sich für die Steuerung des Schiffs interessierte. Damit konnte er sie gewiss auf andere Gedanken bringen!
Der Steigflug der Endeavour war inzwischen sanft und kaum merkbar, auch wenn sie, ohne die Steuertriebwerke, die Charles noch nicht in Betrieb genommen hatte, momentan vom seichten Wind gelenkt wurde.
Charles schenkte Melinda ein zärtliches, aber dabei vor Enthusiasmus sprühendes Lächeln.
„Kommen Sie, ich zeige es Ihnen, Miss“, raunte er ihr mit einem Zwinkern zu und führte sie an ihrer Hand, die er bisher noch nicht losgelassen hatte, zum Kapitänssessel.
„Setzen Sie sich“, bat er sie, „und stellen Sie Ihre Füße hier auf dieses Trittgestell. Einen Moment, ich stelle den Sitz auf Ihre Größe ein.“
Charles hantierte an den Sesseleinstellungen herum, bis Melinda es bequem darin hatte und alle Steuerelemente in ihrer Reichweite waren. Dann begann er, ihr zu erklären, was sie alles vor sich hatte. Er half ihr dabei, die Steuertriebwerke zu starten und den richtigen Kurs einzustellen. Kurz darauf wurde die Endeavour nicht mehr vom Wind getragen, sondern nahm Fahrt in Richtung 149° auf der Kompassnadel auf (was zwischen Südost und Südsüdost gelegen war, wie Charles erklärte) und hatte ausreichend Höhe erreicht, um die Wolkendecke zu durchbrechen, sodass der Nachthimmel, nicht mehr verdeckt war vom Smog Manchesters, plötzlich klar und voller Sterne erschien. Charles bat Melinda, nun die Höhe zu halten.
„Sie können das Steuer jederzeit loslassen und im Schiff umherlaufen, wenn Sie wünschen. Wenn Sie diesen Schalter hier umlegen, hält die Endeavour ihren Kurs.“
Nachdem Charles sich vergewissert hatte, dass Melinda gut allein zurechtkam, entschuldigte er sich einen Augenblick, um bei den anderen Passagieren nach dem Rechten zu sehen.
Der Doktor, obwohl angeschlagen, machte auf Charles einen verhältnismäßig guten Eindruck (und Mrs. Thomson sowieso), weswegen er, mit einem leichten Lächeln auf den Lippen, an ihnen vorbeihumpelte, um sich eher auf die anderen beiden Passagiere zu konzentrieren. Er traf Mr. Wright an der Bar an, wo dieser es offenbar für nötig hielt, seine Nerven mit irgendeinem Fusel zu beruhigen. Aber auch Oxley war nicht fern. Der Gute schlich, mit sehr käsiger Farbe im Gesicht, im Aussichtssalon des Schiffes umher und betrachtete die flauschig erscheinende Konsistenz der Wolkendecke unter ihnen mit sichtbarer Skepsis, ohne sich zu nah an die Fenster zu wagen.
„Ah, es freut mich, dass Sie wohlauf sind, meine Herren“, verkündete er recht gut gelaunt und wandte sich sogleich seinem Gepäck zu, während er weitersprach.
„Machen Sie es sich ruhig noch ein wenig gemütlicher“, ermutigte Charles die beiden und zog den schmalen Koffer aus seinem Fach, den Oxley für ihn zum Schiff getragen hatte. Er löste die Riemen, die ihn verschlossen hielten.
„Wir werden einige wenige Stunden unterwegs sein. Genießen Sie die Aussicht… und vermeiden Sie, allzu viel zu trinken, Mr. Wright.“
Nebenbei hob er das Jagdgewehr, das er inzwischen enthüllt hatte, behutsam aus dem Koffer und prüfte die Mechanik. Dabei beschloss er, dass es nicht schaden konnte, die Waffe mal wieder zu reinigen. Nun hatte er ja Zeit dafür.
„Sobald wir in London sind, brauche ich Ihre volle Konzentrationsfähigkeit. Und, nicht zuletzt, werden Sie sie selbst brauchen.“
Charles ließ das Gewehr kurz dort, um seinen Mantel aus dem Salon zu holen, den er vor dem Start dort zurückgelassen hatte (dabei nahm er seinen Hut ebenso mit), und platzierte beides auf dem Sitz über seinem Gepäck gegenüber der Bar. Es konnte nicht schaden, alles später an einem Ort zu haben, sollte es schnell gehen müssen. Aus dem gleichen Grund nahm er auch seine Munition aus dem Gewehrkoffer und steckte sie in seine Manteltaschen, wonach er auch seinen Revolver aus dem Hosenbund zog, überprüfte, und sich ebenso mit Revolverpatronen aus seinem Koffer eindeckte. Er lud auch den Ersatzrevolver aus seinem Koffer (im Gegensatz zu seiner Beauty ein schlichtes, unauffälliges Modell) und überreichte diesen, wie auch eine Patronenschachtel, an Oxley. Der Butler nahm beides mit einem stummen Nicken entgegen und steckte es ein.
Freitag, 13. März 1868, 2:41 Uhr (etwa 3 Stunden später)
Die Nacht lag wie ein schwerer Schatten über Soho. Die Geräuschkulisse Londons war zu diesen Stunden eine ganz andere als bei Tage oder aber auch als in den ersten Abschnitten dieser immer wiederkehrenden Dunkelheit. Die Stadt schlief nie, gerade hier in den östlichen Ausläufern des Zentrums, wo erst nach der abendlichen Dämmerung das wirkliche Leben begann. Doch trotz all den Nachtschwärmern, die hier Vergnügen oder schnelles Geld suchten, wurde das Gegröle, Gestöhne, Gesinge und Gelächter auf den Straßen langsam seltener und leiser – zumindest kam es Bruce so vor. Vielleicht bewegte er sich auch gerade nur in einer etwas ruhigeren Straße. Er war schon seit einiger Zeit hier draußen, weil er nicht hatte schlafen können, aber dabei war er nicht auf Alkohol, Opium, Unterhaltung oder die Nähe einer Frau aus. Er war auf einer ganz anderen Suche.
Es war zwei Nächte her, seitdem er dem fremden Säufer im „Angry Dutchman“ begegnet war, der ihm von Charles Norly, dessen Revolution und Helfern, und auch von einem gewissen Mr. C erzählt hatte. Seitdem hatte ihn das Thema nicht mehr losgelassen. Auch wenn er versucht hatte, Melinda Bolt zu finden, die die einzige von Scarfaces Helfern zu sein schien, deren Name er kannte, hatte er feststellen müssen, dass sie wie vom Erdboden verschluckt zu sein schien. Nun, vielleicht war sie ja zusammen mit Scarface in Manchester, wenn man dem Säufer Glauben schenken konnte, dass der gesuchte Serienmörder sich gerade dort befand.
„Tüftler und Huren und Schläger“ waren die Leute, die Norly um sich geschart hatte, hatte der Säufer gesagt. Nichts, womit Bruce hätte viel anfangen können… dafür gab es zu viele davon. Aber ein „Arzt, der genauso verrückt ist, wie er selbst“… Die Zahl an Ärzten war begrenzter. Nicht so begrenzt, dass Bruce sich wirklich Chancen ausgerechnet hatte, aber begrenzt genug, dass er sich trotzdem auf die Suche gemacht hatte.
Erstaunlicherweise mit Erfolg, zumindest vielleicht… denn vorhin hatte er tatsächlich einen nützlichen Hinweis erhalten, wer mit diesem verrückten Arzt gemeint gewesen sein könnte.
Dr. Randolph Tremaine war Chirurg hier in Soho, so hatte Bruce erfahren, der zwar wenig durch ein herzliches Auftreten für Aufmerksamkeit sorgte, aber trotzdem für sein fachliches Können in dieser Gegend angesehen war. Zumindest bei einer gewissen Bevölkerungsschicht, deren auch die Huren der Gegend angehörten. Man erzählte sich, er sei ein wenig seltsam… gruselig und ungehobelt, wenn man so wollte. Das allein hatte nicht Bruces Aufmerksamkeit erregt: sondern, dass der Doc angeblich Melinda Bolt gut kannte. Vielleicht gab es da einen Zusammenhang.
Schlussendlich, nach weiten zwanzig Minuten, hatte Bruce endlich den Fußweg zur Silver Street hinter sich gebracht. Das Haus von Dr. Tremaine lag vor ihm und, wie über die meisten Gebäude in dieser Straße, lag auch über diesem hier Stille und Dunkelheit. Alles schlief. Oder war niemand da? Eine Hure hatte Bruce gegen ein kleines Trinkgeld verraten, dass Tremaine hier mit seiner Mutter leben sollte, die aber schon Ewigkeiten niemand mehr auf der Straße gesehen hatte. Vielleicht habe der Doc sie ja mit seinem Amputationssägen zerstückelt und in seinem Keller verscharrt, hatte die Hure spekuliert. Zuzutrauen wäre dem düsteren Doc so Einiges.
Auch, ein Helfer von Scarface zu sein?
Während Bruce versuchte, auszumachen, was sich hinter den Fenstern befand, und einen weiteren Schritt auf die Haustür zutrat, fiel ihm etwas Seltsames daran auf: etwas Helles auf dem dunklen Holz. Es stellten sich als Splitter heraus. Die Tür, sie war noch nicht einmal geschlossen, sondern nur leicht angelehnt. Offenbar hatte sie wer mit solch grober Gewalt Zutritt verschafft, dass das ganze Türschloss schief im Blatt hing und seine Funktion nicht mehr erfüllen konnte. Vielleicht zögerte Bruce ob dieser Entdeckung einen kurzen Moment… jedenfalls erhaschte etwas Anderes, sofort nachdem er die Erkenntnis gehabt hatte, dass hier etwas nicht stimmen konnte, seine Aufmerksamkeit: Das Haus schien doch nicht so verlassen zu sein, wie es zunächst den Eindruck gemacht hatte. Ein schwacher, kurz aufblitzender Lichtschein huschte durch ein zur Straße gewandtes Fenster im ersten Stock – fast, als würde dort jemand mit einer gedämpften Lampe in der Hand herumschleichen.
Über den nordwestlichen Ausläufern Londons
Rattern durchzog die Steuerkonsole der Endeavour, bevor man einen Mechanismus einrasten hörte. Ein Lämpchen auf der Navigationsleiste begann, klickend zu blinken und dabei zu summen. Neben dem Kompass näherte sich die Ziffern der Koordinatenanzeige der Vorgabe 51° 30′ 33.8″ N, 0° 7′ 5.95″ W, die Charles zusammen mit Melinda im Kapitänsbuch gefunden und eingestellt hatte.
London.
Charles stand von seinem Platz an Melindas Seite auf, den er irgendwann wieder eingenommen hatte. Vielleicht hatte er zwischendurch kurz geschlafen, ab und zu mal geweckt von einer Windböe, die ein wenig am Schiff geruckelt hatte, aber spätestens nun war er wieder hellwach.
„Wir sind da“, freute er sich mit einem zufriedenen Lächeln auf dem Gesicht.
Sie waren tatsächlich wieder in London… mehr oder minder. Die Stadt lag unter ihnen, jenseits des wolkiges Schleiers.
„Nehmen Sie das Höhensteuer direkt rechts von Ihnen, meine Liebe“, sagte er ihr, „und drücken Sie es sanft ein wenig nach vorn. Wirklich behutsam – wir wollen unser Erlebnis vom Start nicht umgekehrt wiederholen, nicht wahr?“
Charles löste seinen Blick von Melinda nur ungern (nicht, weil er ihren Steuerkünsten misstraute, sondern weil sie wahrlich eine Augenweide war), allerdings wandte er sich, als sie langsam in die Wolken tauchten, an die anderen Passagiere, laut genug, dass alle ihn hören konnten.
„Löschen Sie alle Lichter, Ladys and Gentlemen, wir befinden uns im Anflug auf die Hauptstadt unserer geliebten Heimat – genießen Sie den Ausblick! So schön wie aus dieser Perspektive werden Sie sie vermutlich nie wieder zu Gesicht bekommen!“
Charles wusste, dass er nicht zu viel versprochen hatte, als die Wolken sich verzogen und unter ihnen ein bis zum Horizont reichendes Lichtermeer erschien. Man erkannte genau, dass rechts vor ihnen das West End lag, denn hier waren der Straßenverlauf anhand seiner Beleuchtung genau zu erkennen – im East End, hingegen, leuchtete das Nachtleben so sehr, dass sich Einzelheiten kaum unterscheiden ließen. Die großen Parks der Stadt, natürlich, waren schwarze Flecken inmitten der Lichter… der Regent’s Park, der Hyde Park, der Green Park am Buckingham Palace. Nahe dabei Soho und der hell strahlende Convent Garden. Die Themse war eine große, schwarze Schlange.
London war, aus der Ferne betrachtet, eine atemberaubende Schönheit. Fasziniert trat Charles ans Bug und ließ die Szenerie auf sich wirken.
Der Steigflug der Endeavour war inzwischen sanft und kaum merkbar, auch wenn sie, ohne die Steuertriebwerke, die Charles noch nicht in Betrieb genommen hatte, momentan vom seichten Wind gelenkt wurde.
Charles schenkte Melinda ein zärtliches, aber dabei vor Enthusiasmus sprühendes Lächeln.
„Kommen Sie, ich zeige es Ihnen, Miss“, raunte er ihr mit einem Zwinkern zu und führte sie an ihrer Hand, die er bisher noch nicht losgelassen hatte, zum Kapitänssessel.
„Setzen Sie sich“, bat er sie, „und stellen Sie Ihre Füße hier auf dieses Trittgestell. Einen Moment, ich stelle den Sitz auf Ihre Größe ein.“
Charles hantierte an den Sesseleinstellungen herum, bis Melinda es bequem darin hatte und alle Steuerelemente in ihrer Reichweite waren. Dann begann er, ihr zu erklären, was sie alles vor sich hatte. Er half ihr dabei, die Steuertriebwerke zu starten und den richtigen Kurs einzustellen. Kurz darauf wurde die Endeavour nicht mehr vom Wind getragen, sondern nahm Fahrt in Richtung 149° auf der Kompassnadel auf (was zwischen Südost und Südsüdost gelegen war, wie Charles erklärte) und hatte ausreichend Höhe erreicht, um die Wolkendecke zu durchbrechen, sodass der Nachthimmel, nicht mehr verdeckt war vom Smog Manchesters, plötzlich klar und voller Sterne erschien. Charles bat Melinda, nun die Höhe zu halten.
„Sie können das Steuer jederzeit loslassen und im Schiff umherlaufen, wenn Sie wünschen. Wenn Sie diesen Schalter hier umlegen, hält die Endeavour ihren Kurs.“
Nachdem Charles sich vergewissert hatte, dass Melinda gut allein zurechtkam, entschuldigte er sich einen Augenblick, um bei den anderen Passagieren nach dem Rechten zu sehen.
Der Doktor, obwohl angeschlagen, machte auf Charles einen verhältnismäßig guten Eindruck (und Mrs. Thomson sowieso), weswegen er, mit einem leichten Lächeln auf den Lippen, an ihnen vorbeihumpelte, um sich eher auf die anderen beiden Passagiere zu konzentrieren. Er traf Mr. Wright an der Bar an, wo dieser es offenbar für nötig hielt, seine Nerven mit irgendeinem Fusel zu beruhigen. Aber auch Oxley war nicht fern. Der Gute schlich, mit sehr käsiger Farbe im Gesicht, im Aussichtssalon des Schiffes umher und betrachtete die flauschig erscheinende Konsistenz der Wolkendecke unter ihnen mit sichtbarer Skepsis, ohne sich zu nah an die Fenster zu wagen.
„Ah, es freut mich, dass Sie wohlauf sind, meine Herren“, verkündete er recht gut gelaunt und wandte sich sogleich seinem Gepäck zu, während er weitersprach.
„Machen Sie es sich ruhig noch ein wenig gemütlicher“, ermutigte Charles die beiden und zog den schmalen Koffer aus seinem Fach, den Oxley für ihn zum Schiff getragen hatte. Er löste die Riemen, die ihn verschlossen hielten.
„Wir werden einige wenige Stunden unterwegs sein. Genießen Sie die Aussicht… und vermeiden Sie, allzu viel zu trinken, Mr. Wright.“
Nebenbei hob er das Jagdgewehr, das er inzwischen enthüllt hatte, behutsam aus dem Koffer und prüfte die Mechanik. Dabei beschloss er, dass es nicht schaden konnte, die Waffe mal wieder zu reinigen. Nun hatte er ja Zeit dafür.
„Sobald wir in London sind, brauche ich Ihre volle Konzentrationsfähigkeit. Und, nicht zuletzt, werden Sie sie selbst brauchen.“
Charles ließ das Gewehr kurz dort, um seinen Mantel aus dem Salon zu holen, den er vor dem Start dort zurückgelassen hatte (dabei nahm er seinen Hut ebenso mit), und platzierte beides auf dem Sitz über seinem Gepäck gegenüber der Bar. Es konnte nicht schaden, alles später an einem Ort zu haben, sollte es schnell gehen müssen. Aus dem gleichen Grund nahm er auch seine Munition aus dem Gewehrkoffer und steckte sie in seine Manteltaschen, wonach er auch seinen Revolver aus dem Hosenbund zog, überprüfte, und sich ebenso mit Revolverpatronen aus seinem Koffer eindeckte. Er lud auch den Ersatzrevolver aus seinem Koffer (im Gegensatz zu seiner Beauty ein schlichtes, unauffälliges Modell) und überreichte diesen, wie auch eine Patronenschachtel, an Oxley. Der Butler nahm beides mit einem stummen Nicken entgegen und steckte es ein.
Freitag, 13. März 1868, 2:41 Uhr (etwa 3 Stunden später)
Die Nacht lag wie ein schwerer Schatten über Soho. Die Geräuschkulisse Londons war zu diesen Stunden eine ganz andere als bei Tage oder aber auch als in den ersten Abschnitten dieser immer wiederkehrenden Dunkelheit. Die Stadt schlief nie, gerade hier in den östlichen Ausläufern des Zentrums, wo erst nach der abendlichen Dämmerung das wirkliche Leben begann. Doch trotz all den Nachtschwärmern, die hier Vergnügen oder schnelles Geld suchten, wurde das Gegröle, Gestöhne, Gesinge und Gelächter auf den Straßen langsam seltener und leiser – zumindest kam es Bruce so vor. Vielleicht bewegte er sich auch gerade nur in einer etwas ruhigeren Straße. Er war schon seit einiger Zeit hier draußen, weil er nicht hatte schlafen können, aber dabei war er nicht auf Alkohol, Opium, Unterhaltung oder die Nähe einer Frau aus. Er war auf einer ganz anderen Suche.
Es war zwei Nächte her, seitdem er dem fremden Säufer im „Angry Dutchman“ begegnet war, der ihm von Charles Norly, dessen Revolution und Helfern, und auch von einem gewissen Mr. C erzählt hatte. Seitdem hatte ihn das Thema nicht mehr losgelassen. Auch wenn er versucht hatte, Melinda Bolt zu finden, die die einzige von Scarfaces Helfern zu sein schien, deren Name er kannte, hatte er feststellen müssen, dass sie wie vom Erdboden verschluckt zu sein schien. Nun, vielleicht war sie ja zusammen mit Scarface in Manchester, wenn man dem Säufer Glauben schenken konnte, dass der gesuchte Serienmörder sich gerade dort befand.
„Tüftler und Huren und Schläger“ waren die Leute, die Norly um sich geschart hatte, hatte der Säufer gesagt. Nichts, womit Bruce hätte viel anfangen können… dafür gab es zu viele davon. Aber ein „Arzt, der genauso verrückt ist, wie er selbst“… Die Zahl an Ärzten war begrenzter. Nicht so begrenzt, dass Bruce sich wirklich Chancen ausgerechnet hatte, aber begrenzt genug, dass er sich trotzdem auf die Suche gemacht hatte.
Erstaunlicherweise mit Erfolg, zumindest vielleicht… denn vorhin hatte er tatsächlich einen nützlichen Hinweis erhalten, wer mit diesem verrückten Arzt gemeint gewesen sein könnte.
Dr. Randolph Tremaine war Chirurg hier in Soho, so hatte Bruce erfahren, der zwar wenig durch ein herzliches Auftreten für Aufmerksamkeit sorgte, aber trotzdem für sein fachliches Können in dieser Gegend angesehen war. Zumindest bei einer gewissen Bevölkerungsschicht, deren auch die Huren der Gegend angehörten. Man erzählte sich, er sei ein wenig seltsam… gruselig und ungehobelt, wenn man so wollte. Das allein hatte nicht Bruces Aufmerksamkeit erregt: sondern, dass der Doc angeblich Melinda Bolt gut kannte. Vielleicht gab es da einen Zusammenhang.
Schlussendlich, nach weiten zwanzig Minuten, hatte Bruce endlich den Fußweg zur Silver Street hinter sich gebracht. Das Haus von Dr. Tremaine lag vor ihm und, wie über die meisten Gebäude in dieser Straße, lag auch über diesem hier Stille und Dunkelheit. Alles schlief. Oder war niemand da? Eine Hure hatte Bruce gegen ein kleines Trinkgeld verraten, dass Tremaine hier mit seiner Mutter leben sollte, die aber schon Ewigkeiten niemand mehr auf der Straße gesehen hatte. Vielleicht habe der Doc sie ja mit seinem Amputationssägen zerstückelt und in seinem Keller verscharrt, hatte die Hure spekuliert. Zuzutrauen wäre dem düsteren Doc so Einiges.
Auch, ein Helfer von Scarface zu sein?
Während Bruce versuchte, auszumachen, was sich hinter den Fenstern befand, und einen weiteren Schritt auf die Haustür zutrat, fiel ihm etwas Seltsames daran auf: etwas Helles auf dem dunklen Holz. Es stellten sich als Splitter heraus. Die Tür, sie war noch nicht einmal geschlossen, sondern nur leicht angelehnt. Offenbar hatte sie wer mit solch grober Gewalt Zutritt verschafft, dass das ganze Türschloss schief im Blatt hing und seine Funktion nicht mehr erfüllen konnte. Vielleicht zögerte Bruce ob dieser Entdeckung einen kurzen Moment… jedenfalls erhaschte etwas Anderes, sofort nachdem er die Erkenntnis gehabt hatte, dass hier etwas nicht stimmen konnte, seine Aufmerksamkeit: Das Haus schien doch nicht so verlassen zu sein, wie es zunächst den Eindruck gemacht hatte. Ein schwacher, kurz aufblitzender Lichtschein huschte durch ein zur Straße gewandtes Fenster im ersten Stock – fast, als würde dort jemand mit einer gedämpften Lampe in der Hand herumschleichen.
Über den nordwestlichen Ausläufern Londons
Rattern durchzog die Steuerkonsole der Endeavour, bevor man einen Mechanismus einrasten hörte. Ein Lämpchen auf der Navigationsleiste begann, klickend zu blinken und dabei zu summen. Neben dem Kompass näherte sich die Ziffern der Koordinatenanzeige der Vorgabe 51° 30′ 33.8″ N, 0° 7′ 5.95″ W, die Charles zusammen mit Melinda im Kapitänsbuch gefunden und eingestellt hatte.
London.
Charles stand von seinem Platz an Melindas Seite auf, den er irgendwann wieder eingenommen hatte. Vielleicht hatte er zwischendurch kurz geschlafen, ab und zu mal geweckt von einer Windböe, die ein wenig am Schiff geruckelt hatte, aber spätestens nun war er wieder hellwach.
„Wir sind da“, freute er sich mit einem zufriedenen Lächeln auf dem Gesicht.
Sie waren tatsächlich wieder in London… mehr oder minder. Die Stadt lag unter ihnen, jenseits des wolkiges Schleiers.
„Nehmen Sie das Höhensteuer direkt rechts von Ihnen, meine Liebe“, sagte er ihr, „und drücken Sie es sanft ein wenig nach vorn. Wirklich behutsam – wir wollen unser Erlebnis vom Start nicht umgekehrt wiederholen, nicht wahr?“
Charles löste seinen Blick von Melinda nur ungern (nicht, weil er ihren Steuerkünsten misstraute, sondern weil sie wahrlich eine Augenweide war), allerdings wandte er sich, als sie langsam in die Wolken tauchten, an die anderen Passagiere, laut genug, dass alle ihn hören konnten.
„Löschen Sie alle Lichter, Ladys and Gentlemen, wir befinden uns im Anflug auf die Hauptstadt unserer geliebten Heimat – genießen Sie den Ausblick! So schön wie aus dieser Perspektive werden Sie sie vermutlich nie wieder zu Gesicht bekommen!“
Charles wusste, dass er nicht zu viel versprochen hatte, als die Wolken sich verzogen und unter ihnen ein bis zum Horizont reichendes Lichtermeer erschien. Man erkannte genau, dass rechts vor ihnen das West End lag, denn hier waren der Straßenverlauf anhand seiner Beleuchtung genau zu erkennen – im East End, hingegen, leuchtete das Nachtleben so sehr, dass sich Einzelheiten kaum unterscheiden ließen. Die großen Parks der Stadt, natürlich, waren schwarze Flecken inmitten der Lichter… der Regent’s Park, der Hyde Park, der Green Park am Buckingham Palace. Nahe dabei Soho und der hell strahlende Convent Garden. Die Themse war eine große, schwarze Schlange.
London war, aus der Ferne betrachtet, eine atemberaubende Schönheit. Fasziniert trat Charles ans Bug und ließ die Szenerie auf sich wirken.
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Anmeldedatum : 09.07.12
Alter : 30
Wohnort : NRW
Laune : voll motiviert
Re: Götterblut - Kapitel 5: Spiel im Schatten
Der junge Schotte hatte sich Mühe gegeben, nicht zu interessiert zu wirken, als er sich nähere Informationen über das Umfeld von Miss Bolt erfragt hatte, doch war es inzwischen wohl schon lange zu spät, sich für unentdeckt zu halten. Der streitbare Trinker war redselig gewesen und würde sicher kein Blatt vor den Mund nehmen, dass ihm jemand begegnet war, der hinter dem Scarface Mythos her schnüffelte, wie ein hungriger Straßenköter.
Dabei hatte Bruce schon vor Tagen eine Kampfansage an Unbekannt ausgesprochen, als er die beiden Taugenichtse bei der zerstörten Fabrikhalle niedergeschlagen hatte. Wirklich weit war er zu dem Zeitpunkt noch nicht gewesen, doch inzwischen hatte ihn die glückliche Begegnung mit dem ehemaligen Bandenmitglied von Norly auf eine heißer werdende Fährte des berüchtigten Mannes gebracht. Es erschien völlig plausibel, dass der bekannte von Miss Bolt, dieser Dr. Tremaine, mit dem als verrückt beschriebenen Arzt übereinstimmte, der ihm als Begleiter von Scarface genannt worden war.
Seinen Weg zur Silver Street 8 hatte Bruce in grauem Mantel und hellbrauner Botenkappe angetreten, welche ihn nicht nur etwas jünger erscheinen ließ, sondern vor allem etwas von seinem blonden Haar ablenkte. Es war lange kein Versteckspiel mehr, weswegen er sich Mühe gab, nicht zu auffällig zu wirken. Die Leute, mit denen er sich anlegte gingen über Leichen und besaßen genug Einfluss, die Zeitungen zu manipulieren und das Yard an der Nase herum zu führen. Solchen Leuten musste man es nicht leichter als notwendig machen. Wem er dabei gegenüber Stand war Bruce im Grunde egal. Er war kein verängstigter Bürger, der mit gesenktem Blick mit sich umspringen ließ, wie es den großen Herrschaften gerade in den Kram passte. Solchen Leuten verdankte er die schwerste Niederlage seines Lebens und er schuldete ihnen eine Revenge. Charles Norly verkörperte dabei geradezu absurd passend ein Beispiel für das, was der größte Anteil der Bevölkerung zu hassen gelernt hatte. Ein Großindustrieller, der mit einem Silberlöffel im Arsch geboren worden war und zeit seines Lebens mehr Reichtum mit der Arbeit fremder Hände anhäufte. Nun passte es nicht ganz, dass so jemand wie ein gemeiner Mörder verfolgt wurde und dennoch nicht feige ins Ausland verschwand, um mit dem Rest seines Vermögens ein sorgenfreies Leben zu führen, oder sich leise, still und heimlich einfach von seiner Schuld freigekauft hatte. Norly schien ein Köder zu sein. Eine Ablenkung für Hunderttausend Augenpaare, während sich etwas großes hier in London entfaltete. Der Schotte konnte es deutlich spüren und fühlte sich dabei an seine eigene Vergangenheit erinnert, als er selbst ohne besseres Wissen zum Werkzeug gemacht wurde, um tausende von Londons Bürgern um hart erarbeitetes Geld zu betrügen.
Bruce hätte keine Antwort gegeben, warum er Scarface unbedingt finden wollte. Es war etwas persönliches, wie man so schön sagte. Er wollte dem Mann selbst in die Augen sehen, um zu erkennen, ob dieser nur ein Spielzeug von Betrügern, oder selbst ein Täter war.
Das Haus von Dr. Tremaine hätte Bruce von außen nicht als Praxis eines praktizierenden Arztes identifizieren können, was für Soho vielleicht auch besser so war. Er hatte sich kurz umgesehen und zumindest niemanden bemerkt, der ihn beobachten konnte, ehe er sich rasch neben die Türe drückte. Die Anzeichen eines Einbruchs und der schwache Lichtschein, welcher scheinbar eher zufällig das Fenster getroffen hatte, erschwerten den Verdacht gegen den Doktor noch weiter, doch versuchte Bruce keine voreiligen Schlüsse zu ziehen. Vorsichtig und hinter dem Türrahmen gedeckt öffnete der Schotte die Türe ein kleines Stück weit und lauschte. Wenn jemand im inneren Schmiere stand, so hätte er nun reagiert. Nach einem kurzen Blick huschte Bruce ins Haus und verschaffte sich einen hastigen Überblick über den Raum, ehe er seitlich in einen Raum auswich, der anscheinend als Esszimmer diente. Der, oder die Täter waren offenbar gerade nur oben am Werke, denn von dort kamen die einzigen vernehmbaren Geräusche.
Der Schotte wartete noch einige Momente lang reglos in Deckung, ehe er sich leise zurück in den Flur begab und die Türe wieder vorsichtig anlehnte. Wer auch immer im Obergeschoss war, verursachte deutliche Geräusche und war wohl auf der Suche nach etwas bestimmten.
Ob dieses Haus länger schon als Versteck für Norlys Bande gedient haben konnte, vermochte Bruce nicht einzuschätzen, doch wäre er verblüfft gewesen, wenn viel Wertvolles hier zurückgelassen worden wäre, da vielleicht auch das Yard die Verbindung zwischen Norly, Miss Bolt und Dr. Tremaine hätte herstellen können.
Er konnte den Gedanken nicht außer Acht lassen, dass es sich beim Einbrecher auch nur um einen gewöhnlichen Plünderer handeln konnte, welcher Dr. Tremaines Abwesenheit festgestellt und sich auf die Suche nach Drogen und teuren Medikamenten gemacht hatte. Vielleicht handelte es sich sogar um jemanden aus Norlys Bande, der etwas zu Bergen gedachte, wobei dies bei der Gewalteinwirkung gegen die Türe eher unwahrscheinlich erschien.
Bruce machte sich auf, die Treppe hinauf zu schleichen, wobei er sehr konzentriert den Geräuschen lauschte, die der Einbrecher verursachte. Es wirkte zumindest, als würde es sich dabei nur um eine Person handeln, die immer noch in dem Zimmer beschäftigt war, in welchem er gerade das Licht gesehen hatte. Sofern der Fremde beschäftigt blieb, würde er ihn vielleicht überraschen und relativ kampflos überwältigen können.
Dabei hatte Bruce schon vor Tagen eine Kampfansage an Unbekannt ausgesprochen, als er die beiden Taugenichtse bei der zerstörten Fabrikhalle niedergeschlagen hatte. Wirklich weit war er zu dem Zeitpunkt noch nicht gewesen, doch inzwischen hatte ihn die glückliche Begegnung mit dem ehemaligen Bandenmitglied von Norly auf eine heißer werdende Fährte des berüchtigten Mannes gebracht. Es erschien völlig plausibel, dass der bekannte von Miss Bolt, dieser Dr. Tremaine, mit dem als verrückt beschriebenen Arzt übereinstimmte, der ihm als Begleiter von Scarface genannt worden war.
Seinen Weg zur Silver Street 8 hatte Bruce in grauem Mantel und hellbrauner Botenkappe angetreten, welche ihn nicht nur etwas jünger erscheinen ließ, sondern vor allem etwas von seinem blonden Haar ablenkte. Es war lange kein Versteckspiel mehr, weswegen er sich Mühe gab, nicht zu auffällig zu wirken. Die Leute, mit denen er sich anlegte gingen über Leichen und besaßen genug Einfluss, die Zeitungen zu manipulieren und das Yard an der Nase herum zu führen. Solchen Leuten musste man es nicht leichter als notwendig machen. Wem er dabei gegenüber Stand war Bruce im Grunde egal. Er war kein verängstigter Bürger, der mit gesenktem Blick mit sich umspringen ließ, wie es den großen Herrschaften gerade in den Kram passte. Solchen Leuten verdankte er die schwerste Niederlage seines Lebens und er schuldete ihnen eine Revenge. Charles Norly verkörperte dabei geradezu absurd passend ein Beispiel für das, was der größte Anteil der Bevölkerung zu hassen gelernt hatte. Ein Großindustrieller, der mit einem Silberlöffel im Arsch geboren worden war und zeit seines Lebens mehr Reichtum mit der Arbeit fremder Hände anhäufte. Nun passte es nicht ganz, dass so jemand wie ein gemeiner Mörder verfolgt wurde und dennoch nicht feige ins Ausland verschwand, um mit dem Rest seines Vermögens ein sorgenfreies Leben zu führen, oder sich leise, still und heimlich einfach von seiner Schuld freigekauft hatte. Norly schien ein Köder zu sein. Eine Ablenkung für Hunderttausend Augenpaare, während sich etwas großes hier in London entfaltete. Der Schotte konnte es deutlich spüren und fühlte sich dabei an seine eigene Vergangenheit erinnert, als er selbst ohne besseres Wissen zum Werkzeug gemacht wurde, um tausende von Londons Bürgern um hart erarbeitetes Geld zu betrügen.
Bruce hätte keine Antwort gegeben, warum er Scarface unbedingt finden wollte. Es war etwas persönliches, wie man so schön sagte. Er wollte dem Mann selbst in die Augen sehen, um zu erkennen, ob dieser nur ein Spielzeug von Betrügern, oder selbst ein Täter war.
Das Haus von Dr. Tremaine hätte Bruce von außen nicht als Praxis eines praktizierenden Arztes identifizieren können, was für Soho vielleicht auch besser so war. Er hatte sich kurz umgesehen und zumindest niemanden bemerkt, der ihn beobachten konnte, ehe er sich rasch neben die Türe drückte. Die Anzeichen eines Einbruchs und der schwache Lichtschein, welcher scheinbar eher zufällig das Fenster getroffen hatte, erschwerten den Verdacht gegen den Doktor noch weiter, doch versuchte Bruce keine voreiligen Schlüsse zu ziehen. Vorsichtig und hinter dem Türrahmen gedeckt öffnete der Schotte die Türe ein kleines Stück weit und lauschte. Wenn jemand im inneren Schmiere stand, so hätte er nun reagiert. Nach einem kurzen Blick huschte Bruce ins Haus und verschaffte sich einen hastigen Überblick über den Raum, ehe er seitlich in einen Raum auswich, der anscheinend als Esszimmer diente. Der, oder die Täter waren offenbar gerade nur oben am Werke, denn von dort kamen die einzigen vernehmbaren Geräusche.
Der Schotte wartete noch einige Momente lang reglos in Deckung, ehe er sich leise zurück in den Flur begab und die Türe wieder vorsichtig anlehnte. Wer auch immer im Obergeschoss war, verursachte deutliche Geräusche und war wohl auf der Suche nach etwas bestimmten.
Ob dieses Haus länger schon als Versteck für Norlys Bande gedient haben konnte, vermochte Bruce nicht einzuschätzen, doch wäre er verblüfft gewesen, wenn viel Wertvolles hier zurückgelassen worden wäre, da vielleicht auch das Yard die Verbindung zwischen Norly, Miss Bolt und Dr. Tremaine hätte herstellen können.
Er konnte den Gedanken nicht außer Acht lassen, dass es sich beim Einbrecher auch nur um einen gewöhnlichen Plünderer handeln konnte, welcher Dr. Tremaines Abwesenheit festgestellt und sich auf die Suche nach Drogen und teuren Medikamenten gemacht hatte. Vielleicht handelte es sich sogar um jemanden aus Norlys Bande, der etwas zu Bergen gedachte, wobei dies bei der Gewalteinwirkung gegen die Türe eher unwahrscheinlich erschien.
Bruce machte sich auf, die Treppe hinauf zu schleichen, wobei er sehr konzentriert den Geräuschen lauschte, die der Einbrecher verursachte. Es wirkte zumindest, als würde es sich dabei nur um eine Person handeln, die immer noch in dem Zimmer beschäftigt war, in welchem er gerade das Licht gesehen hatte. Sofern der Fremde beschäftigt blieb, würde er ihn vielleicht überraschen und relativ kampflos überwältigen können.
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Re: Götterblut - Kapitel 5: Spiel im Schatten
Erfreut das Charles ihr zumutet etwas so wichtiges wie gesamte Lenkung sauber über die Bühne bekommen zu können, entschied Melinda ihren Platz nicht verlassen zu wollen.
Was hätte sie auch groß machen können, als sich mit den anderen Passagieren zu unterhalten und danach war ihr gerade nicht. Was Randolph betraf, musste sie erst einmal ihre Gedanken sortieren und äußerst klug weiter vorgehen.
Während sie sich früher von ihm wohlsorgend behütet gefühlte hatte, schien es nun als läge eine schwere Last auf ihr, wenn er in ihre Richtung blickte. Wenn er bloß wusste, was sie bereits alles getan hatte.
“Wenn er bloß wüsste zu was du alles im Stande bist! Jahahahahaa. Wir beide, ich und du, wir haben noch so viel zu tun! Soviel aus dem Weg zu räumen, du weißt schon…“
Maura schien vielleicht doch nicht ganz so schrecklich zu sein, wie sie am Anfang gewirkt hatte, doch sicherlich würde sie es nicht vorziehen ein tiefgründiges Gespräch mit einer Hure zu führen.
Zu Gilbert bekam Melinda keinen rechten Draht, egal wie es versuchte. Sie war nett gewesen, da hatte er sie ignoriert. Als sie ihm einen Vorwurf machte, hatte er einen unsinnigen Gegenvorwurf gemacht, wie ein Kind das beim Stehlen erwischt worden war.
Ox war einfach da und so genoss sie es lieber auf die blinkenden Lichter und Knöpfe zu sehen zu versuchen die jeweilige Bedeutung dahinter zu entschlüsseln. Da die Fahrt oder der Flug einiges an Zeit verschlang und Charles einfach nur ruhig neben ihr saß, nahm sie sich die Zeit und entzifferte einige Buchstaben über den Knöpfen bis sie einigermaßen Sinn ergaben. Zwar wusste sie dann immer noch nicht unbedingt, was das nun genau bedeutete, aber es kam ihr fast wie ein kleiner Sieg vor, dass sie nach zwei Stunden fast alles hatte entziffern können.
Die Anstrengung wurde mit Kopfschmerzen belohnt, aber dass erschien der Hure als gerechtfertigter Preis.
Also versuchte sich das Bild so gut es ging einzuprägen und schreckte etwas auf, als ein leichtes Rütteln das riesen Gefährt erfasste.
Sie hörte auf die Instruktionen die Charles ihr gab und löschte das kleine Licht, dass neben ihrem Kopf die Kabine beleuchtet hatte.
Nun gaben nur noch einige Knöpfe und Anzeigen ein weißbläuliches Licht von sich, dass ihr Gesicht nur noch leicht erleuchtete. Sie tat wie ihr gehießen wurde, während Charles davon ging und begann die Endeavour langsam zu senken, nach einer Weile durchbrach das Ungetüm die Wolkendecke, die den Blick auf die Stadt verwehrt hatte.
Dann sah sie die Lichter und Melinda wurde klar, dass ihre Augen über das nächtliche London wanderten. Aus der Luft. Nie hatte sie etwas schöneres für sich selbst erblicken können.
Die Stadt lag so ruhig, so friedlich da. Sie wünschte sich sie hätte eine Möglichkeit davon ein Bild zu malen damit sie nie vergessen würde, sie es aussah.
Doch malen konnte die Hure mehr schlecht als recht. Schon als Kind war sie dafür gehänselt worden, dass ihre Kunstwerke aussahen wie eine Ansammlung von Farbe über die ein Tier gelaufen war. Wohlbemerkt kein besonders nettes, noch künstlerisch veranlagtes Tier.
Sie kam nach Hause.
Was hätte sie auch groß machen können, als sich mit den anderen Passagieren zu unterhalten und danach war ihr gerade nicht. Was Randolph betraf, musste sie erst einmal ihre Gedanken sortieren und äußerst klug weiter vorgehen.
Während sie sich früher von ihm wohlsorgend behütet gefühlte hatte, schien es nun als läge eine schwere Last auf ihr, wenn er in ihre Richtung blickte. Wenn er bloß wusste, was sie bereits alles getan hatte.
“Wenn er bloß wüsste zu was du alles im Stande bist! Jahahahahaa. Wir beide, ich und du, wir haben noch so viel zu tun! Soviel aus dem Weg zu räumen, du weißt schon…“
Maura schien vielleicht doch nicht ganz so schrecklich zu sein, wie sie am Anfang gewirkt hatte, doch sicherlich würde sie es nicht vorziehen ein tiefgründiges Gespräch mit einer Hure zu führen.
Zu Gilbert bekam Melinda keinen rechten Draht, egal wie es versuchte. Sie war nett gewesen, da hatte er sie ignoriert. Als sie ihm einen Vorwurf machte, hatte er einen unsinnigen Gegenvorwurf gemacht, wie ein Kind das beim Stehlen erwischt worden war.
Ox war einfach da und so genoss sie es lieber auf die blinkenden Lichter und Knöpfe zu sehen zu versuchen die jeweilige Bedeutung dahinter zu entschlüsseln. Da die Fahrt oder der Flug einiges an Zeit verschlang und Charles einfach nur ruhig neben ihr saß, nahm sie sich die Zeit und entzifferte einige Buchstaben über den Knöpfen bis sie einigermaßen Sinn ergaben. Zwar wusste sie dann immer noch nicht unbedingt, was das nun genau bedeutete, aber es kam ihr fast wie ein kleiner Sieg vor, dass sie nach zwei Stunden fast alles hatte entziffern können.
Die Anstrengung wurde mit Kopfschmerzen belohnt, aber dass erschien der Hure als gerechtfertigter Preis.
Also versuchte sich das Bild so gut es ging einzuprägen und schreckte etwas auf, als ein leichtes Rütteln das riesen Gefährt erfasste.
Sie hörte auf die Instruktionen die Charles ihr gab und löschte das kleine Licht, dass neben ihrem Kopf die Kabine beleuchtet hatte.
Nun gaben nur noch einige Knöpfe und Anzeigen ein weißbläuliches Licht von sich, dass ihr Gesicht nur noch leicht erleuchtete. Sie tat wie ihr gehießen wurde, während Charles davon ging und begann die Endeavour langsam zu senken, nach einer Weile durchbrach das Ungetüm die Wolkendecke, die den Blick auf die Stadt verwehrt hatte.
Dann sah sie die Lichter und Melinda wurde klar, dass ihre Augen über das nächtliche London wanderten. Aus der Luft. Nie hatte sie etwas schöneres für sich selbst erblicken können.
Die Stadt lag so ruhig, so friedlich da. Sie wünschte sich sie hätte eine Möglichkeit davon ein Bild zu malen damit sie nie vergessen würde, sie es aussah.
Doch malen konnte die Hure mehr schlecht als recht. Schon als Kind war sie dafür gehänselt worden, dass ihre Kunstwerke aussahen wie eine Ansammlung von Farbe über die ein Tier gelaufen war. Wohlbemerkt kein besonders nettes, noch künstlerisch veranlagtes Tier.
Sie kam nach Hause.
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Re: Götterblut - Kapitel 5: Spiel im Schatten
In Dr. Randolph Tremaines Haus
Bruce bemühte sich, leise zu sein. Er war ein stämmiger Kerl, allerdings kam ihm nun zugute, dass es beim Boxen nicht nur um rohe Gewalt, sondern auch um Leichtfüßigkeit ging. Dennoch stellte der Dielenboden im Haus des verrückten Docs eine Herausforderung dar, und auch die Treppe knarzte leise unter seinem Gewicht, das ließ sich nicht verhindern. Dabei nutzte Bruce die Momente, in denen der Unbekannte im ersten Stock selbst Lärm machte, um sich zu bewegen. Was der vermeintliche Einbrecher dort trieb, wurde schnell klar – zumindest hörte es sich so an, als würde er Schubladen öffnen, Papiere durchblättern, Möbel verrücken… vielleicht war er auf der Suche nach versteckten Schätzen wie geerbten Schmuck oder gesparten Barschaften. Hin und wieder schepperte etwas gläsern, als würde Leergut angestoßen werden, anderes mit sich reißen und über den Boden kullern.
Gerade als Bruce einen Fuß in den oberen Flur tat und die Türen begutachten konnte, die davon abgingen, hielt er in seiner Bewegung inne, weil die Geräusche verstummten.
Bruce zögerte.
Der Fremde schien ebenfalls zu zögern. Nur einen Moment.
„Wer ist da?“
Ein hohles, gläsernes Klirren erklang aus dem Raum am Ende des Flurs. Dort, wo auch die Stimme herkam. Dumpfes Prasseln von Scherben auf Teppichboden – zumindest deutete Bruche das Gehörte so – folgten sogleich.
„Ich warne Sie, ich bin bewaffnet!“, verkündete der Fremde mit angespanntem Misstrauen im Tonfall. Es handelte sich um einen Mann, darin bestand kein Zweifel.
Bewaffnet… mit einer zerschlagenen Flasche. Bruce hatte sich auf seine Ohren verlassen können, wie er erkannte, als die spitzen Enden des demolierten Behälters, der wahrscheinlich einmal Wein enthalten hatte, im Gaslaternenlicht aufblitzten, das schal von der Straße durch einen Schlitz in der staubigen Gardine des Fensters am Flurende fiel. Zusammen mit schwachem Schein aus dem Zimmer, vermutlich verursacht von der Lampe des Fremden, schälte sich auch dessen Konturen in Bruces Sichtfeld.
„Eine offene Haustür ist keine Einladung“, sprach der Fremde belehrend, der nun den Türrahmen hinter sich ließ und Bruce drohend die Flasche entgegenstreckte, als sei sie ein Degen.
„Ich werde sie vielleicht später reparieren“, fügte er hinzu, als würde er laut überlegen – der Hauch Sarkasmus, der in diesem Satz lag, ließen Bruce jedoch eher etwas Verärgerung spüren, sodass es schwer zu deuten war, ob die Worte wirklich ernst gemeint waren.
Die Beleuchtung war schlecht, aber gut genug, um den Mann, trotz des langen Filzmantels, der ihn einhüllte, als jemanden von durchschnittlicher Größe und Statur zu erkennen – er war also klein, im Vergleich zu Bruce. Trotzdem das Auftauchen des Schotten dem Kerl offensichtlich nicht zu gefallen schien, wirkte er nicht ängstlich. Dank des Bowlers, der seinen Schatten auf das Gesicht des Fremden warf, konnte Bruce davon nicht mehr als einen dunkelhaarigen Schnurrbart und genug Altersmerkmale erahnen, dass er den Mann auf um die Vierzig zu schätzen vermochte. Den Eindruck eines Plünderers machte dieser Fremde bei Weitem nicht – dafür wirkte seine Kleidung zu hochwertig und seine elegantschwarzen Schuhe glänzten zu poliert.
„Aber nun“, fuhr er ernsthaft fort, „verschwinden Sie lieber, sonst muss ich die Polizei rufen. Hier ist schon genug Chaos angerichtet.“
Bruce bemühte sich, leise zu sein. Er war ein stämmiger Kerl, allerdings kam ihm nun zugute, dass es beim Boxen nicht nur um rohe Gewalt, sondern auch um Leichtfüßigkeit ging. Dennoch stellte der Dielenboden im Haus des verrückten Docs eine Herausforderung dar, und auch die Treppe knarzte leise unter seinem Gewicht, das ließ sich nicht verhindern. Dabei nutzte Bruce die Momente, in denen der Unbekannte im ersten Stock selbst Lärm machte, um sich zu bewegen. Was der vermeintliche Einbrecher dort trieb, wurde schnell klar – zumindest hörte es sich so an, als würde er Schubladen öffnen, Papiere durchblättern, Möbel verrücken… vielleicht war er auf der Suche nach versteckten Schätzen wie geerbten Schmuck oder gesparten Barschaften. Hin und wieder schepperte etwas gläsern, als würde Leergut angestoßen werden, anderes mit sich reißen und über den Boden kullern.
Gerade als Bruce einen Fuß in den oberen Flur tat und die Türen begutachten konnte, die davon abgingen, hielt er in seiner Bewegung inne, weil die Geräusche verstummten.
Bruce zögerte.
Der Fremde schien ebenfalls zu zögern. Nur einen Moment.
„Wer ist da?“
Ein hohles, gläsernes Klirren erklang aus dem Raum am Ende des Flurs. Dort, wo auch die Stimme herkam. Dumpfes Prasseln von Scherben auf Teppichboden – zumindest deutete Bruche das Gehörte so – folgten sogleich.
„Ich warne Sie, ich bin bewaffnet!“, verkündete der Fremde mit angespanntem Misstrauen im Tonfall. Es handelte sich um einen Mann, darin bestand kein Zweifel.
Bewaffnet… mit einer zerschlagenen Flasche. Bruce hatte sich auf seine Ohren verlassen können, wie er erkannte, als die spitzen Enden des demolierten Behälters, der wahrscheinlich einmal Wein enthalten hatte, im Gaslaternenlicht aufblitzten, das schal von der Straße durch einen Schlitz in der staubigen Gardine des Fensters am Flurende fiel. Zusammen mit schwachem Schein aus dem Zimmer, vermutlich verursacht von der Lampe des Fremden, schälte sich auch dessen Konturen in Bruces Sichtfeld.
„Eine offene Haustür ist keine Einladung“, sprach der Fremde belehrend, der nun den Türrahmen hinter sich ließ und Bruce drohend die Flasche entgegenstreckte, als sei sie ein Degen.
„Ich werde sie vielleicht später reparieren“, fügte er hinzu, als würde er laut überlegen – der Hauch Sarkasmus, der in diesem Satz lag, ließen Bruce jedoch eher etwas Verärgerung spüren, sodass es schwer zu deuten war, ob die Worte wirklich ernst gemeint waren.
Die Beleuchtung war schlecht, aber gut genug, um den Mann, trotz des langen Filzmantels, der ihn einhüllte, als jemanden von durchschnittlicher Größe und Statur zu erkennen – er war also klein, im Vergleich zu Bruce. Trotzdem das Auftauchen des Schotten dem Kerl offensichtlich nicht zu gefallen schien, wirkte er nicht ängstlich. Dank des Bowlers, der seinen Schatten auf das Gesicht des Fremden warf, konnte Bruce davon nicht mehr als einen dunkelhaarigen Schnurrbart und genug Altersmerkmale erahnen, dass er den Mann auf um die Vierzig zu schätzen vermochte. Den Eindruck eines Plünderers machte dieser Fremde bei Weitem nicht – dafür wirkte seine Kleidung zu hochwertig und seine elegantschwarzen Schuhe glänzten zu poliert.
„Aber nun“, fuhr er ernsthaft fort, „verschwinden Sie lieber, sonst muss ich die Polizei rufen. Hier ist schon genug Chaos angerichtet.“
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Re: Götterblut - Kapitel 5: Spiel im Schatten
Maura hatte wenig Lust verspürt, sich mit ihren neuen Kumpanen auseinanderzusetzen, also hatte sie den Großteil der Reise schweigend verbracht. Die Sicht aus dem Fenster war so faszinierend wie zuvor, und sie hatte in der Steuerkuppel Platz genommen, um sie die ganze Zeit über genießen zu können; das war zumindest der Plan gewesen, aber irgendwann hatte sie die Müdigkeit überwältigt. Als sie erwachte, hing ihr Kopf unangenehm zur Seite, und irgendwas in ihrem Rücken spannte, als wolle es gegen die ungewohnte Schlafposition protestieren. Norly redete mit der jungen Hure, die an der Steuerkonsole saß – scheinbar brachte er ihr die Schiffssteuerung bei, und Maura kam nicht umhin, ein wenig neidisch darauf zu sein. Mit einem leisen Stöhnen erhob sie sich, streckte die tauben Glieder und trat etwas näher an die Scheiben, um nach unten sehen zu können.
London. Ihre alte Heimat … Eine hässliche Stadt, doch gespickt mit schönen Erinnerungen. Kurz sah sie sich selbst wieder als Kind, ihre Brüder, ihre Eltern, und der aufdringliche Nachbarsjunge, der sie aber nie wieder geärgert hatte, nachdem sie ihm ins Gesicht geschlagen hatte. Das war eine schöne Zeit gewesen … unbeschwert … ohne Barrieren. Ohne Harold. So wie jetzt …
Sie spürte ein warmes Gefühl im Magen, ähnlich wie sie es in Kutschen bekam, doch viel angenehmer. War das Vorfreude? Vielleicht. Aufregung auf jeden Fall – immerhin war sie hier mit dem meistgesuchten Mann Englands, und womöglich half sie ihm, ein schreckliches Unrecht aufzuklären. Sie würde es auf jeden Fall versuchen.
So schön wie aus dieser Perspektive werden Sie sie vermutlich nie wieder zu Gesicht bekommen! Wie wahr. Maura löste sich von dem Anblick, ging stattdessen zur Wand und löschte dort die Lichter der Gaslampen, wie Norly vorgeschlagen hatte. Vernünftig – sie waren so schon gut zu sehen, aber wenn im Inneren der Endavour auch noch Licht brannte, konnten sie der Welt auch gleich Auf Wiedersehen sagen. Sie überlegte, ob sie noch etwas anderes Sinnvolles tun konnte, doch Gepäck hatte sie keines, abgesehen von den Sachen, sie die am Körper trug. Also kehrte sie einfach zu Norly und Miss Benton zurück.
Sie überlegte kurz, dann fragte sie: „Und, Norly? Was haben sie als erstes vor, wenn wir in London ankommen?“ Hoffentlich hörte man ihr die Aufregung nicht zu sehr an. Vorsichtshalber verschränkte sie die Arme vor der Brust. „Vorausgesetzt natürlich, wir werden nicht sofort vom Yard empfangen, wenn wir aussteigen.“
London. Ihre alte Heimat … Eine hässliche Stadt, doch gespickt mit schönen Erinnerungen. Kurz sah sie sich selbst wieder als Kind, ihre Brüder, ihre Eltern, und der aufdringliche Nachbarsjunge, der sie aber nie wieder geärgert hatte, nachdem sie ihm ins Gesicht geschlagen hatte. Das war eine schöne Zeit gewesen … unbeschwert … ohne Barrieren. Ohne Harold. So wie jetzt …
Sie spürte ein warmes Gefühl im Magen, ähnlich wie sie es in Kutschen bekam, doch viel angenehmer. War das Vorfreude? Vielleicht. Aufregung auf jeden Fall – immerhin war sie hier mit dem meistgesuchten Mann Englands, und womöglich half sie ihm, ein schreckliches Unrecht aufzuklären. Sie würde es auf jeden Fall versuchen.
So schön wie aus dieser Perspektive werden Sie sie vermutlich nie wieder zu Gesicht bekommen! Wie wahr. Maura löste sich von dem Anblick, ging stattdessen zur Wand und löschte dort die Lichter der Gaslampen, wie Norly vorgeschlagen hatte. Vernünftig – sie waren so schon gut zu sehen, aber wenn im Inneren der Endavour auch noch Licht brannte, konnten sie der Welt auch gleich Auf Wiedersehen sagen. Sie überlegte, ob sie noch etwas anderes Sinnvolles tun konnte, doch Gepäck hatte sie keines, abgesehen von den Sachen, sie die am Körper trug. Also kehrte sie einfach zu Norly und Miss Benton zurück.
Sie überlegte kurz, dann fragte sie: „Und, Norly? Was haben sie als erstes vor, wenn wir in London ankommen?“ Hoffentlich hörte man ihr die Aufregung nicht zu sehr an. Vorsichtshalber verschränkte sie die Arme vor der Brust. „Vorausgesetzt natürlich, wir werden nicht sofort vom Yard empfangen, wenn wir aussteigen.“
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Re: Götterblut - Kapitel 5: Spiel im Schatten
Bruce entspannte sich sichtlich, als der Einbrecher sich ihm zu erkennen gab. Große Gefahr ging von diesem Mann nicht aus und offenbar waren sie beide hier auch allein. Das er sich mit einer Flasche bewaffnet hatte um auf einen oder mehrere unbekannte Gegner loszugehen sprach nicht gerade für große Kampferfahrung des Mannes und so wirkte auch dessen Körpersprache nicht. Er war dem Schotten völlig fremd, was angesichts seiner jüngsten Bekanntschaften eigentlich ein gutes Zeichen sein musste, wobei er für einen nächtlichen Dieb doch tatsächlich unpassend gekleidet erschien.
Wenn er nun also nicht hier war, um willkürlich zu plündern, aber auch kein professioneller Handlanger, wen hatte der Schotte dann gerade vor sich? Bruce ließ sich Zeit damit, dem Mann etwas zu erwidern und steckte zunächst demonstrativ friedvoll seine großen, kräftigen Hände in die Manteltaschen. Das er mit der Polizei drohte, wirkte sehr verzweifelt, ließ aber den Schluss zu, er würde sich trotz der eindeutigen Umstände im Recht wähnen. Ob es sich bei dem Mann um Dr. Tremaine selbst handelte, hielt Bruce für unwahrscheinlich. Dieser hätte sicher einen eleganteren Weg gefunden, als die Türe seines eigenen Hauses aufzubrechen, wenn er dringend etwas daraus benötigte, selbst wenn er verrückt war.
Wahrscheinlicher war aber vielleicht, dass es sich um einen Freund oder Verwandten des Arztes handelte, der für ihn eilends etwas beschaffen sollte, was sich noch im Haus befand. Mit der Polizei wollte wohl weder der Einbrecher, noch der Schotte zu tun haben, doch konnte der Mann das im Fall von Bruce nicht wissen. Er hätte den Mann damit sicher etwas unter Druck setzen können, wenn er sich selbst als Polizist ausgab, oder zumindest als besorgter Nachbar, dem es ganz recht wäre, die Bobbys ins Spiel zu bringen.
Dadurch wäre aber wohl die Chance gefährdet, mehr über die Motive des Mannes in Erfahrung zu bekommen und womöglich würde der dann doch noch eine Dummheit begehen, wenn er sich in die Ecke gedrängt sah.
„Der Polizei dürfen Sie aber dann die Sache mit der Türe, der Flasche und der Ordnung erklären, die Sie hier hinterlassen.“ erwiderte Bruce in trocken knappen Tonfall. Um seinen Verdacht auf den Grund zu gehen, ohne sich dabei zu sehr in die Karten sehen zu lassen, fuhr er nach einer kurzen Pause fort. „Ich habe mir Sorgen wegen dem plötzlichen Verschwinden des Doktors gemacht und was Sie hier tun, trägt nicht gerade dazu bei, diese Sorgen zu zerstreuen.“ Beiläufig zog der Schotte eine Hand aus der Manteltasche und fuhr sie zum Kopf um damit eine Haarsträhne hinter das Ohr zu kämmen. Der wachsame Blick musterte dabei die Regungen seines Gegenübers, um dessen Nervosität einzuschätzen.
Er wusste nicht sicher, ob Dr Tremaine wirklich zu Norlys Bande gehörte, doch erschien es in Anbetracht der Umstände zunehmend wahrscheinlich. Der Mann vor ihm musste nun entweder für, oder gegen den Dr. bzw. Charles Norly arbeiten und seine Reaktion auf die Worte des Schotten würde dabei vielleicht Klarheit verschaffen.
Wenn er nun also nicht hier war, um willkürlich zu plündern, aber auch kein professioneller Handlanger, wen hatte der Schotte dann gerade vor sich? Bruce ließ sich Zeit damit, dem Mann etwas zu erwidern und steckte zunächst demonstrativ friedvoll seine großen, kräftigen Hände in die Manteltaschen. Das er mit der Polizei drohte, wirkte sehr verzweifelt, ließ aber den Schluss zu, er würde sich trotz der eindeutigen Umstände im Recht wähnen. Ob es sich bei dem Mann um Dr. Tremaine selbst handelte, hielt Bruce für unwahrscheinlich. Dieser hätte sicher einen eleganteren Weg gefunden, als die Türe seines eigenen Hauses aufzubrechen, wenn er dringend etwas daraus benötigte, selbst wenn er verrückt war.
Wahrscheinlicher war aber vielleicht, dass es sich um einen Freund oder Verwandten des Arztes handelte, der für ihn eilends etwas beschaffen sollte, was sich noch im Haus befand. Mit der Polizei wollte wohl weder der Einbrecher, noch der Schotte zu tun haben, doch konnte der Mann das im Fall von Bruce nicht wissen. Er hätte den Mann damit sicher etwas unter Druck setzen können, wenn er sich selbst als Polizist ausgab, oder zumindest als besorgter Nachbar, dem es ganz recht wäre, die Bobbys ins Spiel zu bringen.
Dadurch wäre aber wohl die Chance gefährdet, mehr über die Motive des Mannes in Erfahrung zu bekommen und womöglich würde der dann doch noch eine Dummheit begehen, wenn er sich in die Ecke gedrängt sah.
„Der Polizei dürfen Sie aber dann die Sache mit der Türe, der Flasche und der Ordnung erklären, die Sie hier hinterlassen.“ erwiderte Bruce in trocken knappen Tonfall. Um seinen Verdacht auf den Grund zu gehen, ohne sich dabei zu sehr in die Karten sehen zu lassen, fuhr er nach einer kurzen Pause fort. „Ich habe mir Sorgen wegen dem plötzlichen Verschwinden des Doktors gemacht und was Sie hier tun, trägt nicht gerade dazu bei, diese Sorgen zu zerstreuen.“ Beiläufig zog der Schotte eine Hand aus der Manteltasche und fuhr sie zum Kopf um damit eine Haarsträhne hinter das Ohr zu kämmen. Der wachsame Blick musterte dabei die Regungen seines Gegenübers, um dessen Nervosität einzuschätzen.
Er wusste nicht sicher, ob Dr Tremaine wirklich zu Norlys Bande gehörte, doch erschien es in Anbetracht der Umstände zunehmend wahrscheinlich. Der Mann vor ihm musste nun entweder für, oder gegen den Dr. bzw. Charles Norly arbeiten und seine Reaktion auf die Worte des Schotten würde dabei vielleicht Klarheit verschaffen.
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Re: Götterblut - Kapitel 5: Spiel im Schatten
Hinter der dicken Glaswand herrschte nur noch tiefe Dunkelheit.
Randolph, der seit einer Stunde mehr oder weniger leblos auf seinem Sessel kauerte, stierte ins Freie hinaus. Seinen Arztkoffer hatte er beiseite gelegt, den Stock hielt er allerdings immer noch umklammert. Ohne diese Stütze wäre es ihm kaum möglich sich vernünftig fortzubewegen. Nun, wo er den Stock in der Hand hielt, bot er eine gewisse Sicherheit. Für die Dauer der restlichen Fahrt könnte er ihn eigentlich beiseite legen, aber das wollte er nicht.
Melinda saß derweil am Steuer des Luftschiffes. Als Charles Sie mit der Handhabung vertraut gemacht hatte, war er ein wenig beunruhigt gewesen, aber mittlerweile bemerkte er keinerlei Unterschied zu vorher. Wie es aussah funktionierte die Endeavour hervorragend, auch wenn ihr Start ziemlich unglücklich verlaufen war. Seine Schmerzen immerhin waren in der Zwischenzeit wieder abgeklungen.
Der Doktor hatte die Zeit genutzt sich ein wenig auszuruhen oder es zumindest zu versuchen. Ihm war klar das sein aktuelles Handeln seinem gesundheitlichen Zustand nicht förderlich war, aber im Moment blieb ihm nichts anderes übrig, wenn er zu etwas nutze sein wollte. Aber zumindest Pausen wie diese sollte er darauf verwenden sich körperlich wie geistig etwas zu schonen. Schlafen tat er jedoch nicht, denn er wollte die Menschen an Bord weiterhin im Blick behalten, insbesondere Maura Thomson und Melinda.
Außerdem hätte er es ohnehin nicht geschafft einzuschlafen, bei all den plagenden Gedanken und Sorgen, die ihm unablässig durch den Kopf spukten und sein Hirn zermarterten. Er wusste nicht, ob ihm die Rolle gefallen sollte, in der er sich da hineinmanövriert hatte. Vermutlich wäre es ihm lieber nun nichts von Melindas Mord zu wissen, nie von Johannas Tod erfahren zu haben, aber die Geschehnisse würden die gleichen bleiben und nun war es seine Aufgabe dafür zu sorgen, dass sich etwas in dieser Art nicht mehr wiederholen würde. Er hätte auch das Notizbuch nicht zu Crowne bringen müssen und seine Weste wäre weiß geblieben, aber dann hätte er nie seine Informationen erfahren, er hätte nie Angelines Botschaft in die Finger bekommen. Im Grunde war er als Chirurg auch nicht bestimmt dafür seine Weste weiß zu halten. Ja, er hatte Charles Norly hintergangen. Aber auch Charles hatte sein Geheimnis ohne lange zu Zögern herausposaunt. Er hatte die Chance erhalten mehr über ihn und diesen gesamten Fall herauszufinden und diese genutzt. Jack Crowne war entweder eine gute Quelle aus Informationen für ihn oder selbst tief in diese Angelegenheit verwickelt. Und in beiden Fällen war der Kontakt zu ihm wichtig und würde sich bestimmt noch auszahlen.
Er dachte zurück an ihre letzte Unterredung. Er würde mit Drake sprechen können. Und wenn sich eine günstige Gelegenheit ergab auch mit Taylor. Sobald sie es nach London geschafft hatten, stand ihm eine ganze Bandbreite an Richtungen zur Verfügung in die er ermitteln konnte. Die Frage war nur, was Norly in der Zwischenzeit plante.
Randolph lehnte sich zurück und versuchte sich zu entspannen, während seine blassen, grauen Augen in den Nachthimmel blickten. Charles‘ Ankündigung schließlich stimmte ihn tatsächlich ein wenig aufgeregt, doch dieses mal wollte er lieber Sicherheitsmaßnahmen treffen. Er schnallte sich auf seinem Sitz an und genoss von dort aus die Aussicht. Der Anblick des nächtlichen Londons war überwältigend.
Während seine Augen über den Stadtteil Sohos wanderten und versuchten auszumachen, wo die Silver Street und seine Praxis lagen, in der er vermutlich nie wieder operieren würde, hörte er Mauras Frage im Hintergrund. Eine sehr berechtigte Frage, das musste Randolph zugeben. Eine Frage, die er selbst hätte stellen können, nur nicht im Beisein von Mrs. Thomson.
Randolph, der seit einer Stunde mehr oder weniger leblos auf seinem Sessel kauerte, stierte ins Freie hinaus. Seinen Arztkoffer hatte er beiseite gelegt, den Stock hielt er allerdings immer noch umklammert. Ohne diese Stütze wäre es ihm kaum möglich sich vernünftig fortzubewegen. Nun, wo er den Stock in der Hand hielt, bot er eine gewisse Sicherheit. Für die Dauer der restlichen Fahrt könnte er ihn eigentlich beiseite legen, aber das wollte er nicht.
Melinda saß derweil am Steuer des Luftschiffes. Als Charles Sie mit der Handhabung vertraut gemacht hatte, war er ein wenig beunruhigt gewesen, aber mittlerweile bemerkte er keinerlei Unterschied zu vorher. Wie es aussah funktionierte die Endeavour hervorragend, auch wenn ihr Start ziemlich unglücklich verlaufen war. Seine Schmerzen immerhin waren in der Zwischenzeit wieder abgeklungen.
Der Doktor hatte die Zeit genutzt sich ein wenig auszuruhen oder es zumindest zu versuchen. Ihm war klar das sein aktuelles Handeln seinem gesundheitlichen Zustand nicht förderlich war, aber im Moment blieb ihm nichts anderes übrig, wenn er zu etwas nutze sein wollte. Aber zumindest Pausen wie diese sollte er darauf verwenden sich körperlich wie geistig etwas zu schonen. Schlafen tat er jedoch nicht, denn er wollte die Menschen an Bord weiterhin im Blick behalten, insbesondere Maura Thomson und Melinda.
Außerdem hätte er es ohnehin nicht geschafft einzuschlafen, bei all den plagenden Gedanken und Sorgen, die ihm unablässig durch den Kopf spukten und sein Hirn zermarterten. Er wusste nicht, ob ihm die Rolle gefallen sollte, in der er sich da hineinmanövriert hatte. Vermutlich wäre es ihm lieber nun nichts von Melindas Mord zu wissen, nie von Johannas Tod erfahren zu haben, aber die Geschehnisse würden die gleichen bleiben und nun war es seine Aufgabe dafür zu sorgen, dass sich etwas in dieser Art nicht mehr wiederholen würde. Er hätte auch das Notizbuch nicht zu Crowne bringen müssen und seine Weste wäre weiß geblieben, aber dann hätte er nie seine Informationen erfahren, er hätte nie Angelines Botschaft in die Finger bekommen. Im Grunde war er als Chirurg auch nicht bestimmt dafür seine Weste weiß zu halten. Ja, er hatte Charles Norly hintergangen. Aber auch Charles hatte sein Geheimnis ohne lange zu Zögern herausposaunt. Er hatte die Chance erhalten mehr über ihn und diesen gesamten Fall herauszufinden und diese genutzt. Jack Crowne war entweder eine gute Quelle aus Informationen für ihn oder selbst tief in diese Angelegenheit verwickelt. Und in beiden Fällen war der Kontakt zu ihm wichtig und würde sich bestimmt noch auszahlen.
Er dachte zurück an ihre letzte Unterredung. Er würde mit Drake sprechen können. Und wenn sich eine günstige Gelegenheit ergab auch mit Taylor. Sobald sie es nach London geschafft hatten, stand ihm eine ganze Bandbreite an Richtungen zur Verfügung in die er ermitteln konnte. Die Frage war nur, was Norly in der Zwischenzeit plante.
Randolph lehnte sich zurück und versuchte sich zu entspannen, während seine blassen, grauen Augen in den Nachthimmel blickten. Charles‘ Ankündigung schließlich stimmte ihn tatsächlich ein wenig aufgeregt, doch dieses mal wollte er lieber Sicherheitsmaßnahmen treffen. Er schnallte sich auf seinem Sitz an und genoss von dort aus die Aussicht. Der Anblick des nächtlichen Londons war überwältigend.
Während seine Augen über den Stadtteil Sohos wanderten und versuchten auszumachen, wo die Silver Street und seine Praxis lagen, in der er vermutlich nie wieder operieren würde, hörte er Mauras Frage im Hintergrund. Eine sehr berechtigte Frage, das musste Randolph zugeben. Eine Frage, die er selbst hätte stellen können, nur nicht im Beisein von Mrs. Thomson.
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Re: Götterblut - Kapitel 5: Spiel im Schatten
Bereits etwas gelangweilt hatte Gilbert seinem narbengesichtigen Gastgeber und Kapitän - obwohl das momentan eigentlich Miss Benton war - zugenickt und sich danach einen Schluck Gin gegönnt. Er hatte nicht vor sich zu betrinken aber ein Glas starken Alkohols konnte ihm in dieser Situation auf viele Arten hilfreich sein. Es würde ihn beruhigen, schlechte Gedanken vertreiben und hoffentlich dabei helfen, etwas Schlaf zu finden. Er hatte sowieso kein Interesse daran, sich mit den Personen auf dem Luftschiff zu unterhalten. Wenn alles glatt ging, würde er sie schon bald nicht mehr sehen müssen. Er seufzte wieder. Dass er seine Heimatstadt - nein, sogar sein Heimatland - verlassen musste, hatte er noch immer nicht ganz verdaut. Er hatte so viele Fragen aber wusste, dass Norly sie sowieso nicht beantworten würde. Also ließ es Gil einfach ganz sein und konzentrierte sich darauf, etwas Ruhe zu finden. Da sonst niemand auf dem Schiff das Bedürfnis nach Unterhaltung zu haben schien, war es im Endeffekt - bis auf die Geräusche des Luftschiffes selbst - recht ruhig. Nach kurzer Zeit sank der Maler auch schon auf seinem Sitz zusammen.
Gilbert schob es auf den Alkohol, das er recht gut hatte durchschlafen können. An Träume konnte er sich nicht erinnern - was gut war, da diese höchstwahrscheinlich nicht sehr erfreulich gewesen wären. Da er nicht viel getrunken hatte, musste er sich nun auch nicht mit den Folgen auseinandersetzen und konnte sich ganz darauf konzentrieren, aufzuwachen. Mit den Worten, das sie London erreicht hatten und nun die Lichter löschen sollten, wurde er geweckt. Er wusste nicht wirklich, ob er froh sein sollte, endlich zurück in seine Heimat gekommen zu sein. Denn lange würde er davon nichts haben. Für ihn war das lediglich ein Abschied. Ob er wohl Zeit haben würde, in seine Wohnung zu gehen und einige Utensilien einzusammeln? Geld würde wohl nötig sein, um sich ein neues Leben aufzubauen. Wie sollte er das nur alles anstellen? Wo sollte er überhaupt anfangen?
Grummelnd erhob sich Gilbert ob dieser Gedanken und machte sich schließlich daran, die verschiedenen Lichter auf dem Schiff zu löschen. Entdeckt zu werden war das Letzte, was er jetzt wollte. Nachdem das getan war, überlegte er einen Moment, ob er Norlys Vorschlag Folge leisten sollte oder nicht. Bisher hatte er sich stets von den Fenstern ferngehalten aber dies war eine einzigartige Gelegenheit und vermutlich das letzte Mal, dass er London sehen würde. Vor allem auf diese Art und Weise. Außerdem war er Maler - so eine Möglichkeit durfte er sich eigentlich nicht entgehen lassen. Eine Großstadt von London aus dieser Höhe sehen zu können, würde seinen Geist anregen und vielleicht auf andere Gedanken bringen. Vorsichtig näherte er sich einer der größeren Glasscheiben und lugte in den Abgrund. Sofort wurde ihm schwindelig und er wandte sich sicherheitshalber wieder ab. Doch der kurze Blick hatte bereits gereicht, um Heimweh auszulösen. Selbst von hier oben hatte er einige Stadtteile wiederkennen können. Unter anderem Soho, wo seine Wohnung lag. Auch das East End war unverkennbar gewesen. Doch die Erinnerungen daran verscheuchte Gilbert sofort wieder. Er wollte sich nicht an das Leben erinnern, dass er dort verbracht hatte. Oder die Dinge, die er getan hatte. Soho war seit vielen Jahren sein Zuhause.
Sein Blick richtete sich schließlich auf Mrs. Thomson und Norly, da er die Antwort auf ihre Frage ebenfalls hören wollte. Hoffentlich würde Norly endlich mit seiner Geheimniskrämerei aufhören und Klartext sprechen.
Gilbert schob es auf den Alkohol, das er recht gut hatte durchschlafen können. An Träume konnte er sich nicht erinnern - was gut war, da diese höchstwahrscheinlich nicht sehr erfreulich gewesen wären. Da er nicht viel getrunken hatte, musste er sich nun auch nicht mit den Folgen auseinandersetzen und konnte sich ganz darauf konzentrieren, aufzuwachen. Mit den Worten, das sie London erreicht hatten und nun die Lichter löschen sollten, wurde er geweckt. Er wusste nicht wirklich, ob er froh sein sollte, endlich zurück in seine Heimat gekommen zu sein. Denn lange würde er davon nichts haben. Für ihn war das lediglich ein Abschied. Ob er wohl Zeit haben würde, in seine Wohnung zu gehen und einige Utensilien einzusammeln? Geld würde wohl nötig sein, um sich ein neues Leben aufzubauen. Wie sollte er das nur alles anstellen? Wo sollte er überhaupt anfangen?
Grummelnd erhob sich Gilbert ob dieser Gedanken und machte sich schließlich daran, die verschiedenen Lichter auf dem Schiff zu löschen. Entdeckt zu werden war das Letzte, was er jetzt wollte. Nachdem das getan war, überlegte er einen Moment, ob er Norlys Vorschlag Folge leisten sollte oder nicht. Bisher hatte er sich stets von den Fenstern ferngehalten aber dies war eine einzigartige Gelegenheit und vermutlich das letzte Mal, dass er London sehen würde. Vor allem auf diese Art und Weise. Außerdem war er Maler - so eine Möglichkeit durfte er sich eigentlich nicht entgehen lassen. Eine Großstadt von London aus dieser Höhe sehen zu können, würde seinen Geist anregen und vielleicht auf andere Gedanken bringen. Vorsichtig näherte er sich einer der größeren Glasscheiben und lugte in den Abgrund. Sofort wurde ihm schwindelig und er wandte sich sicherheitshalber wieder ab. Doch der kurze Blick hatte bereits gereicht, um Heimweh auszulösen. Selbst von hier oben hatte er einige Stadtteile wiederkennen können. Unter anderem Soho, wo seine Wohnung lag. Auch das East End war unverkennbar gewesen. Doch die Erinnerungen daran verscheuchte Gilbert sofort wieder. Er wollte sich nicht an das Leben erinnern, dass er dort verbracht hatte. Oder die Dinge, die er getan hatte. Soho war seit vielen Jahren sein Zuhause.
Sein Blick richtete sich schließlich auf Mrs. Thomson und Norly, da er die Antwort auf ihre Frage ebenfalls hören wollte. Hoffentlich würde Norly endlich mit seiner Geheimniskrämerei aufhören und Klartext sprechen.
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Re: Götterblut - Kapitel 5: Spiel im Schatten
In Dr. Randolph Tremaines Haus
Auch wenn die Anspannung der Situation förmlich in der Luft lag, so erkannte Bruce dennoch weder Nervosität noch Angst in den Zügen seines Gegenübers. Der Boxer mochte ihn ertappt haben, bei was auch immer er hier gerade tat, aber zeugte die Art, wie er Bruce musterte, eher von Neugier als von Schuldbewusstsein.
„Ich denke, den Doktor dürfte es nicht stören, dass ich mich hier aufhalte“, meinte der Mann selbstsicher und machte keine Anstalten, seine improvisierte Waffe zu senken.
„Ich habe nicht viel mehr Unordnung gemacht, als hier ohnehin schon war“, informierte er Bruce.
„Die Tür habe ich bereits so vorgefunden – und haben Sie die Praxis gesehen?“, erkundigte er sich und schnaubte dann mit einer Mischung aus Verachtung, Resignation und etwas Ekel.
„Meine Güte.“
Er schüttelte den Kopf.
„Wir zwei sind sicher nicht die ersten Besucher hier gewesen.“
Der Unbekannte verlagerte sein Gewicht auf den anderen Fuß, und hier wurde für Bruce nun deutlich, dass sein Gegenüber ungeduldig wurde. Der Mann blickte prüfend nach rechts, zu einer Tür, die angelehnt war; dann zurück zur Tür, durch die er gerade in den Flur geschlüpft war; anschließend wanderte seine Aufmerksamkeit zu Bruce zurück.
„Sehen Sie“, versuchte der Schnauzbärtige es in diplomatischerem Ton, „dem ganzen Chaos hier zum Trotz, bin ich mir nicht wirklich sicher, ob Sie sich um den Doktor Sorgen machen müssen. Ich würde darauf wetten, dass er freiwillig verschwunden ist, um dem Scotland Yard aus dem Weg zu gehen. Gerüchte munkeln, es habe ihn nach Manchester verschlagen.“
Er atmete kurz ein und ließ das Gesagte wirken, bevor noch einige Worte hinzufügte: „Aber früher oder später wird er zurückkehren… und wenn es so weit ist, würde ich gern der Erste sein, der ihn in der Heimat begrüßt.“
Der Mann sah Bruce auffordernd an.
„Da Sie Ihre Neugier nun befriedigt haben, Mister, wäre es schön, wenn ich mich in Ruhe weiter hier umsehen könnte. Ich stehle auch nichts, versprochen.“
Beschwichtigend die Hände leicht hebend und dabei auch die Flasche zurückziehend, wobei er sie nicht beiseitelegte, sondern Daumen und Zeigefinger locker um ihren Hals schloss, schlich sich ein versöhnliches Lächeln auf das Gesicht des Fremden. Es war klar, dass er nicht so viel Vertrauen vorschießen wollte, um sich von der Flasche zu trennen, allerdings schien er sich keinen Konflikt mit Bruce zu wünschen. Vielleicht lag, auch gerade aufgrund Bruces massiger Erscheinung, ein kleiner Hoffnungsschimmer in der Stimme seines Gesprächspartners.
Der Augenblick zwischen dem löblichen Versprechen dieses Kerls, mit dem er sich wünschte, Bruce loszuwerden, und dem, was nun folgte, währte nur wenige Sekunden. Vielleicht war der Boxer gerade noch am überlegen, wie er nun reagieren sollte, als ihn und auch den Fremden ein lautes, klagendes Heulen überraschte, das aus der Ferne über die Dächer Londons scholl, und sogleich Wiederhall von weiteren Quellen fand, die sich innerhalb von wenigen Sekunden nach und nach diesem Getöse anschlossen. Im ersten Moment war der Fremde zusammengezuckt, dann wandte er sich verwundert dem Fenster zur Straße zu – die nach und nach immer heller erleuchtet wurde, von den Lichtern, die in den benachbarten Häusern entzündet wurden. Ganz London wurde aus den Betten gescheucht.
Es war eine Alarmsirene, die sie hier hörten, ohne Zweifel, aber in diesem Ausmaß, so allgemein und stadtübergreifend, hatte man so etwas noch nie vernommen. So plötzlich wie sie aufgeheult war, schwoll sie auch wieder ab, um einer ähnlich lauten Verkündung zu weichen, die so vielerorts vorgetragen wurde, dass es wie ein unheilvolles, kanonartiges Stimmengewirr anmutete. Eine Quelle dieser Verkündung war jedoch nah genug, dass man sie selbst dort, wo Bruce und der Fremde gerade standen, verstehen konnte:
„Achtung, Achtung!“, bemühte sich jemand, sehr deutlich zu sprechen, während er einen Text offenbar ungeübt vorlas.
„Hier spricht die Polizei. Dies ist eine Gefahrensituation. Bleiben Sie zu Ihrer eigenen Sicherheit Zuhause, verriegeln Sie Türen und Fenster und suchen Sie, wenn vorhanden, Kellerräumlichkeiten auf. Es besteht ebenfalls die Möglichkeit, in Stationen der Untergrundbahn Schutz zu suchen. Bitte verfallen Sie nicht in Panik und warten Sie auf das Entwarnungssignal.“
Über den nordwestlichen Ausläufern Londons
Charles war im leuchtenden Gerippe der Stadt versunken, als Maura seine Aufmerksamkeit verlangte. Dabei war der Anblick dieser urbanen Kulisse so faszinierend surreal, dass er sich eigentlich nur ungern davon löste. Er wollte jedes Detail erfassen. Einen kurzen Moment war Charles aber doch bereit zu opfern.
Er wählte seine Worte bedacht, als er ihr antwortete. Natürlich waren ihre Zweifel nicht unberechtigt: Die Polizei könnte ein Problem werden, wenn sie das Schiff zu frühzeitig entdeckten. Andererseits: Wenn sie jemand am Boden erwartete, konnten sie die Landung auch einfach an einen anderen Ort verlegen.
„Als erstes steht zweifelsfrei an, einen geeigneten Ort aufzusuchen, an dem wir untertauchen können“, entgegnete Charles Maura geradeheraus mit deutlich weniger Skepsis in der Stimme. Nein, er war sogar überzeugt davon, dass es ihnen gelingen würde, am Boden nicht in die Fänge des Scotland Yards zu fallen.
„Ich habe in der letzten Zeit diverse Verstecke in der Stadt genutzt, die aber allesamt nicht für eine derart große Gruppe, wie wir es inzwischen geworden sind, geeignet sein dürften“, erklärte er ihr, aber im Grunde war es an alle Anwesenden gerichtet. Charles sprach laut genug, dass jeder ihn verstehen konnte.
„Das verlassene Waisenhaus, das uns bereits gute Dienste geleistet hat, würde ich nun leider, Mr. Stirling sei es gedankt, meiden“, fügte er bedauernd an. Dieser Ort war zwar schmutzig, hatte aber angenehme Vorzüge. Charles hätte sich gern weiter in dem Zimmer, das er sich ausgesucht hatte, eingerichtet. Es war äußerst komfortabel gewesen. Allerdings hielt Charles es nun wirklich für zu riskant, sich dort wieder einzunisten. Da Stirling diesen Ort kannte und er erwiesenermaßen für blutig unangenehmen Ärger sorgen konnte, war es zu gefährlich, dorthin zurückzukehren. Mit diesem verdammten Tunichtgut von Säufer würde Charles noch ein Hühnchen rupfen müssen.
„In Anbetracht dessen, dass wir im tiefen Süden Londons landen werden“, führte Charles weiter aus, „und Dr. Tremaine nicht allzu weit laufen kann, würde ich vorschlagen, dass wir uns schnell ein Beförderungsmittel suchen, das uns der Innenstadt näherbringt. Ich habe da schon die ein oder andere Möglichkeit im Sinn. Lassen Sie uns zunächst abwarten, wie der Rest unserer Reise verläuft. Sollten wir tatsächlich vom Yard empfangen werden, werden wir –“
Ein ohrenbetäubendes Klirren würgte Charles ab, während zeitgleich die einen Splitter des gläsernen Endeavour-Bugs, der gerade in tausende Einzelteile zersprang, gegen die Decke der Kabine katapultiert wurden und die anderen in der nachtschwarze Tiefe des Himmels verschwanden. Charles ging instinktiv Schutz suchend in die Hocke und schirmte seinen Kopf mit den Armen ab, während er schon wahrnahm, dass eine orkanartige Böe von Eiseskälte durch die Kapitänskabine fegte und beißend an Haut und Kleidung riss. Besonders an seiner rechten Hand und dem anliegenden Unterarm brannte es höllisch, als würde die Kälte Charles wie eine Messerklinge in die Haut bohren – und er zweifelte nicht daran, dass er dort bereits blutete. Das zerspringende Glas musste ihn erwischt haben.
Doch damit war es nicht genug.
Mit einem krachenden Knall riss sich ein Loch in die Dielen zwischen den Anwesenden, als das Holz einfach barst und, ähnlich wie die Scheibe, in splitternden, stark beschleunigten Fetzen gen Decke trudelten, wo sich im Zentrum dieses Spektakels ein weiteres, verkohlt wirkendes Loch aufgetan hatte. Schallendes, schnell aufeinanderfolgendes Knallen und Krachen hallte durch den Rumpf des Schiffes – mal begleitet von Glasbruch oder nachgebendem Holz, mal von einem metallisch hohlem „Dong!“ oder lautem Zischen.[1] Die Anzeigen auf den Steuerschaltflächen blinkten und zuckten wie verrückt und gaben Warnsignale von sich. Das unnormal flatternde Geräusch eines Lenktriebwerks und orange pulsierendes Leuchten von Feuer unterstrichen die Szenerie unbarmherzig in ihrer Grauenhaftigkeit, als sich der Boden, auf dem sie alle standen, auch noch leicht zur Seite neigte, und alles, was nicht festgeschraubt war, links vorn zu rutschen begann.
Charles selbst ließ sich von der Hocke auf die Knie fallen, um nicht unkontrolliert das Gleichgewicht zu verlieren. Tatsächlich: Rinnsale von Blut flossen an seinen Fingern herab, trafen sich am Handgelenk und mischten sich mit dem Lebenssaft, der an seinem nackten, rechten Unterarm austrat. Der Bequemlichkeit halber hatte er zuvor den Handschuh ausgezogen – nun bereute er, dass er das getan hatte. Aber die Verletzungen schienen nur oberflächlich zu sein.[2]
„Zur Bar!“, entfuhr es ihm keuchend, kaum fassend, was hier gerade geschah, aber geistesgegenwärtig und adrenalingeschwängert genug, um handeln zu können.
„Zur Bar!“, brüllte er aus vollem Hals, sogleich er sich aufrappelte und Maura ungeniert einen Schubs in die richtige Richtung gab.
„Da ist der Boden gepanzert!“
Sofort hetzte er dann, der Schräge zum Trotz, zu Melinda, um ihr hastig dabei zu helfen, sich aus dem Kapitänssessel zu befreien. Voller Sorge versuchte er, zwischen den anderen Oxley auszumachen. Auf den ersten Blick gab es zwar Verletzungen, aber, zum Glück, nicht mehr als das. Sein Butler klammerte sich mit beklommen-verzerrter Miene an den Bartisch. Bis auf einige Kratzer, die ebenso bluteten wie Charles‘, und käsiger Gesichtsfarbe, schien der alte Mann einigermaßen wohlauf zu sein.[3] Doch noch immer wurde das Schiff zerfetzt. Der Hagel an Geschossen war hörbar heckseitig am Maschinenraum angelangt, wo ein metallisches Krachen auf das andere folgte.
In Dr. Randolph Tremaines Haus
Rattern in der Ferne. Nach mehrmaligem wiederholten Aufheulen der Sirene, gefolgt von der polizeilichen Durchsage, war dies ein neues, beunruhigendes Geräusch.
„Das war ein Gatling-Geschütz“, erkannte der fremde Mann und teilte es Bruce, fast emotionslos mit, doch den Schrecken, der ihn wohl erfasst hatte, konnte er nicht verbergen. Er blickte mit in Falten gelegter Stirn aus dem Fenster und versuchte, etwas Aufschlussreiches zu erkennen – vergeblich.
„Nun haben sie völlig den Verstand verloren.“
Auch wenn die Anspannung der Situation förmlich in der Luft lag, so erkannte Bruce dennoch weder Nervosität noch Angst in den Zügen seines Gegenübers. Der Boxer mochte ihn ertappt haben, bei was auch immer er hier gerade tat, aber zeugte die Art, wie er Bruce musterte, eher von Neugier als von Schuldbewusstsein.
„Ich denke, den Doktor dürfte es nicht stören, dass ich mich hier aufhalte“, meinte der Mann selbstsicher und machte keine Anstalten, seine improvisierte Waffe zu senken.
„Ich habe nicht viel mehr Unordnung gemacht, als hier ohnehin schon war“, informierte er Bruce.
„Die Tür habe ich bereits so vorgefunden – und haben Sie die Praxis gesehen?“, erkundigte er sich und schnaubte dann mit einer Mischung aus Verachtung, Resignation und etwas Ekel.
„Meine Güte.“
Er schüttelte den Kopf.
„Wir zwei sind sicher nicht die ersten Besucher hier gewesen.“
Der Unbekannte verlagerte sein Gewicht auf den anderen Fuß, und hier wurde für Bruce nun deutlich, dass sein Gegenüber ungeduldig wurde. Der Mann blickte prüfend nach rechts, zu einer Tür, die angelehnt war; dann zurück zur Tür, durch die er gerade in den Flur geschlüpft war; anschließend wanderte seine Aufmerksamkeit zu Bruce zurück.
„Sehen Sie“, versuchte der Schnauzbärtige es in diplomatischerem Ton, „dem ganzen Chaos hier zum Trotz, bin ich mir nicht wirklich sicher, ob Sie sich um den Doktor Sorgen machen müssen. Ich würde darauf wetten, dass er freiwillig verschwunden ist, um dem Scotland Yard aus dem Weg zu gehen. Gerüchte munkeln, es habe ihn nach Manchester verschlagen.“
Er atmete kurz ein und ließ das Gesagte wirken, bevor noch einige Worte hinzufügte: „Aber früher oder später wird er zurückkehren… und wenn es so weit ist, würde ich gern der Erste sein, der ihn in der Heimat begrüßt.“
Der Mann sah Bruce auffordernd an.
„Da Sie Ihre Neugier nun befriedigt haben, Mister, wäre es schön, wenn ich mich in Ruhe weiter hier umsehen könnte. Ich stehle auch nichts, versprochen.“
Beschwichtigend die Hände leicht hebend und dabei auch die Flasche zurückziehend, wobei er sie nicht beiseitelegte, sondern Daumen und Zeigefinger locker um ihren Hals schloss, schlich sich ein versöhnliches Lächeln auf das Gesicht des Fremden. Es war klar, dass er nicht so viel Vertrauen vorschießen wollte, um sich von der Flasche zu trennen, allerdings schien er sich keinen Konflikt mit Bruce zu wünschen. Vielleicht lag, auch gerade aufgrund Bruces massiger Erscheinung, ein kleiner Hoffnungsschimmer in der Stimme seines Gesprächspartners.
Der Augenblick zwischen dem löblichen Versprechen dieses Kerls, mit dem er sich wünschte, Bruce loszuwerden, und dem, was nun folgte, währte nur wenige Sekunden. Vielleicht war der Boxer gerade noch am überlegen, wie er nun reagieren sollte, als ihn und auch den Fremden ein lautes, klagendes Heulen überraschte, das aus der Ferne über die Dächer Londons scholl, und sogleich Wiederhall von weiteren Quellen fand, die sich innerhalb von wenigen Sekunden nach und nach diesem Getöse anschlossen. Im ersten Moment war der Fremde zusammengezuckt, dann wandte er sich verwundert dem Fenster zur Straße zu – die nach und nach immer heller erleuchtet wurde, von den Lichtern, die in den benachbarten Häusern entzündet wurden. Ganz London wurde aus den Betten gescheucht.
Es war eine Alarmsirene, die sie hier hörten, ohne Zweifel, aber in diesem Ausmaß, so allgemein und stadtübergreifend, hatte man so etwas noch nie vernommen. So plötzlich wie sie aufgeheult war, schwoll sie auch wieder ab, um einer ähnlich lauten Verkündung zu weichen, die so vielerorts vorgetragen wurde, dass es wie ein unheilvolles, kanonartiges Stimmengewirr anmutete. Eine Quelle dieser Verkündung war jedoch nah genug, dass man sie selbst dort, wo Bruce und der Fremde gerade standen, verstehen konnte:
„Achtung, Achtung!“, bemühte sich jemand, sehr deutlich zu sprechen, während er einen Text offenbar ungeübt vorlas.
„Hier spricht die Polizei. Dies ist eine Gefahrensituation. Bleiben Sie zu Ihrer eigenen Sicherheit Zuhause, verriegeln Sie Türen und Fenster und suchen Sie, wenn vorhanden, Kellerräumlichkeiten auf. Es besteht ebenfalls die Möglichkeit, in Stationen der Untergrundbahn Schutz zu suchen. Bitte verfallen Sie nicht in Panik und warten Sie auf das Entwarnungssignal.“
Über den nordwestlichen Ausläufern Londons
Charles war im leuchtenden Gerippe der Stadt versunken, als Maura seine Aufmerksamkeit verlangte. Dabei war der Anblick dieser urbanen Kulisse so faszinierend surreal, dass er sich eigentlich nur ungern davon löste. Er wollte jedes Detail erfassen. Einen kurzen Moment war Charles aber doch bereit zu opfern.
Er wählte seine Worte bedacht, als er ihr antwortete. Natürlich waren ihre Zweifel nicht unberechtigt: Die Polizei könnte ein Problem werden, wenn sie das Schiff zu frühzeitig entdeckten. Andererseits: Wenn sie jemand am Boden erwartete, konnten sie die Landung auch einfach an einen anderen Ort verlegen.
„Als erstes steht zweifelsfrei an, einen geeigneten Ort aufzusuchen, an dem wir untertauchen können“, entgegnete Charles Maura geradeheraus mit deutlich weniger Skepsis in der Stimme. Nein, er war sogar überzeugt davon, dass es ihnen gelingen würde, am Boden nicht in die Fänge des Scotland Yards zu fallen.
„Ich habe in der letzten Zeit diverse Verstecke in der Stadt genutzt, die aber allesamt nicht für eine derart große Gruppe, wie wir es inzwischen geworden sind, geeignet sein dürften“, erklärte er ihr, aber im Grunde war es an alle Anwesenden gerichtet. Charles sprach laut genug, dass jeder ihn verstehen konnte.
„Das verlassene Waisenhaus, das uns bereits gute Dienste geleistet hat, würde ich nun leider, Mr. Stirling sei es gedankt, meiden“, fügte er bedauernd an. Dieser Ort war zwar schmutzig, hatte aber angenehme Vorzüge. Charles hätte sich gern weiter in dem Zimmer, das er sich ausgesucht hatte, eingerichtet. Es war äußerst komfortabel gewesen. Allerdings hielt Charles es nun wirklich für zu riskant, sich dort wieder einzunisten. Da Stirling diesen Ort kannte und er erwiesenermaßen für blutig unangenehmen Ärger sorgen konnte, war es zu gefährlich, dorthin zurückzukehren. Mit diesem verdammten Tunichtgut von Säufer würde Charles noch ein Hühnchen rupfen müssen.
„In Anbetracht dessen, dass wir im tiefen Süden Londons landen werden“, führte Charles weiter aus, „und Dr. Tremaine nicht allzu weit laufen kann, würde ich vorschlagen, dass wir uns schnell ein Beförderungsmittel suchen, das uns der Innenstadt näherbringt. Ich habe da schon die ein oder andere Möglichkeit im Sinn. Lassen Sie uns zunächst abwarten, wie der Rest unserer Reise verläuft. Sollten wir tatsächlich vom Yard empfangen werden, werden wir –“
Ein ohrenbetäubendes Klirren würgte Charles ab, während zeitgleich die einen Splitter des gläsernen Endeavour-Bugs, der gerade in tausende Einzelteile zersprang, gegen die Decke der Kabine katapultiert wurden und die anderen in der nachtschwarze Tiefe des Himmels verschwanden. Charles ging instinktiv Schutz suchend in die Hocke und schirmte seinen Kopf mit den Armen ab, während er schon wahrnahm, dass eine orkanartige Böe von Eiseskälte durch die Kapitänskabine fegte und beißend an Haut und Kleidung riss. Besonders an seiner rechten Hand und dem anliegenden Unterarm brannte es höllisch, als würde die Kälte Charles wie eine Messerklinge in die Haut bohren – und er zweifelte nicht daran, dass er dort bereits blutete. Das zerspringende Glas musste ihn erwischt haben.
Doch damit war es nicht genug.
Mit einem krachenden Knall riss sich ein Loch in die Dielen zwischen den Anwesenden, als das Holz einfach barst und, ähnlich wie die Scheibe, in splitternden, stark beschleunigten Fetzen gen Decke trudelten, wo sich im Zentrum dieses Spektakels ein weiteres, verkohlt wirkendes Loch aufgetan hatte. Schallendes, schnell aufeinanderfolgendes Knallen und Krachen hallte durch den Rumpf des Schiffes – mal begleitet von Glasbruch oder nachgebendem Holz, mal von einem metallisch hohlem „Dong!“ oder lautem Zischen.[1] Die Anzeigen auf den Steuerschaltflächen blinkten und zuckten wie verrückt und gaben Warnsignale von sich. Das unnormal flatternde Geräusch eines Lenktriebwerks und orange pulsierendes Leuchten von Feuer unterstrichen die Szenerie unbarmherzig in ihrer Grauenhaftigkeit, als sich der Boden, auf dem sie alle standen, auch noch leicht zur Seite neigte, und alles, was nicht festgeschraubt war, links vorn zu rutschen begann.
Charles selbst ließ sich von der Hocke auf die Knie fallen, um nicht unkontrolliert das Gleichgewicht zu verlieren. Tatsächlich: Rinnsale von Blut flossen an seinen Fingern herab, trafen sich am Handgelenk und mischten sich mit dem Lebenssaft, der an seinem nackten, rechten Unterarm austrat. Der Bequemlichkeit halber hatte er zuvor den Handschuh ausgezogen – nun bereute er, dass er das getan hatte. Aber die Verletzungen schienen nur oberflächlich zu sein.[2]
„Zur Bar!“, entfuhr es ihm keuchend, kaum fassend, was hier gerade geschah, aber geistesgegenwärtig und adrenalingeschwängert genug, um handeln zu können.
„Zur Bar!“, brüllte er aus vollem Hals, sogleich er sich aufrappelte und Maura ungeniert einen Schubs in die richtige Richtung gab.
„Da ist der Boden gepanzert!“
Sofort hetzte er dann, der Schräge zum Trotz, zu Melinda, um ihr hastig dabei zu helfen, sich aus dem Kapitänssessel zu befreien. Voller Sorge versuchte er, zwischen den anderen Oxley auszumachen. Auf den ersten Blick gab es zwar Verletzungen, aber, zum Glück, nicht mehr als das. Sein Butler klammerte sich mit beklommen-verzerrter Miene an den Bartisch. Bis auf einige Kratzer, die ebenso bluteten wie Charles‘, und käsiger Gesichtsfarbe, schien der alte Mann einigermaßen wohlauf zu sein.[3] Doch noch immer wurde das Schiff zerfetzt. Der Hagel an Geschossen war hörbar heckseitig am Maschinenraum angelangt, wo ein metallisches Krachen auf das andere folgte.
In Dr. Randolph Tremaines Haus
Rattern in der Ferne. Nach mehrmaligem wiederholten Aufheulen der Sirene, gefolgt von der polizeilichen Durchsage, war dies ein neues, beunruhigendes Geräusch.
„Das war ein Gatling-Geschütz“, erkannte der fremde Mann und teilte es Bruce, fast emotionslos mit, doch den Schrecken, der ihn wohl erfasst hatte, konnte er nicht verbergen. Er blickte mit in Falten gelegter Stirn aus dem Fenster und versuchte, etwas Aufschlussreiches zu erkennen – vergeblich.
„Nun haben sie völlig den Verstand verloren.“
- Spoiler:
[1] Würfelt euch bitte 1W4 Schaden durch umherfliegende Glas- und/oder Holzsplitter aus.
[2] 1 Schaden
[3] 2 Schaden
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Re: Götterblut - Kapitel 5: Spiel im Schatten
Maura nickte immer wieder, während Charles sprach. Ja, das klang vernünftig. Ein Versteck würden sie definitiv brauchen. Ob sie da …? Nein, das ging nicht. Sie war seit langer Zeit nicht in London gewesen, und Orte, um eine so große Gruppe zu verstecken, kannte sie nicht. Ihr Elternhaus fiel aus; es wäre groß genug, hätte nicht schon Edmund mit seiner Familie darin gewohnt. Abgesehen davon, dass der sie bestimmt an die Polizei verraten würde, wenn er Charles zu Gesicht bekam. Und wenn nicht er, dann seine Frau. Aber zumindest war das ein Ort, an dem sie selbst unterkriechen könnte … vorausgesetzt, sie brauchte mal etwas Abstand zu Norly und seinen Schergen. Hoffentlich kam es so weit erst gar nicht. Norlys Nähe war gefährlich, aber gerade dadurch wurde diese ganze Geschichte nur umso reizvoller … Waren Verbote nicht immer reizvoll? Kein Wunder, dass Eva in den Apfel gebissen hatte. Wann immer sie ihrem Sohn etwas verboten hatte, konnte sie fast sicher sein, dass er es auch getan hatte.
Norly redete drauflos, als gäbe es kein Morgen, wie immer, und Maura konnte nicht anders, als irgendwann aufzugeben. Die Worte flossen an ihr vorbei, sie verstand sie und nahm sie doch nicht mehr wahr, während ihr Blick einmal mehr von der Kulisse Londons gefangen genommen wurde. Von hier sah sie nicht viel … aber genug, um fasziniert zu sein. So, Norly hatte ‚Möglichkeiten im Sinn‘? Vielleicht ja zur Abwechslung eine gute.
Als dann um sie herum ein schieres Inferno losbrach, war Maura zunächst so überrascht, dass sie gar nicht reagierte. Erst, als ein Glasregen über sie niederging, duckte sie sich instinktiv und verbarg den Kopf unter den Armen – gerade noch rechtzeitig, kurz darauf spürte sie schon die Splitter auf ihren Rücken prasseln. Um sie herum wurde es immer lauter: Es zischte, wie von austretendem Dampf, Holz brach, und mit einem Mal meinte Maura zu spüren, wie sich der Boden unter ihr senkte. Sie sah wieder auf, mit wild pochendem Herzen, und tatsächlich – die Möbel neben ihr begannen bereits, über den schrägen Boden zu schlittern.
Maura spürte, wie pures Adrenalin durch ihren Körper pumpte – an sich ein Gefühl, das sie lange Zeit vermisst hatte und über das sie sich nun wohl gefreut hätte, wäre es ein anderer Umstand gewesen. So jedoch fluchte sie innerlich nur über ihre Leichtgläubigkeit. Sie hatte sich doch nicht von Norly einwickeln lassen wollen! Sie hatte schon vor ihrem Abflug gewusst, dass etwas schiefgehen würde! Und trotzdem war sie eingestiegen … etwas, das jetzt womöglich ihr Todesurteil war.
Verdammt … sie wollte noch nicht sterben, nicht jetzt! Aber dafür mussten sie sie auch erst mal kriegen.
Mit grimmigem Gesichtsausdruck richtete Maura sich auf, hörte Norly brüllen und stolperte nach vorn, als er sie in den Rücken stieß. Für den bösen Blick, den sie nun gern geworfen hätte, blieb keine Zeit, erst recht nicht, als nicht weit von ihr der Boden ein weiteres Mal aufbrach. Ihr Mantel wehte in dem nun herrschenden eisigen Windzug. Mit einer Hand hielt sie ihn vor der Brust zusammen, mit der anderen tastete sie sich an der Wand im Gang entlang, als versuche sie, daran Halt zu finden.
Als sie die Bar erreicht hatte, widerstand sie dem Drang, nach etwas hochprozentigem zu suchen, obwohl sie es gern getan hätte. Das hier war nicht der richtige Zeitpunkt zum Saufen. Wenn sie nun unachtsam war – und sie, Maura Thomson, war niemals unachtsam! – konnte das ihr Ende bedeuten. Also umklammerte sie einfach nur mit einer Hand die Theke und stellte sich auf die Zehenspitzen, um sehen zu können, was hinter den anderen nun passierte.
„Scotland Yard sollte die Steckbriefe ändern“, murmelte sie, mehr zu sich selbst als zu Norly. Wahrscheinlich ging es eh im allgemeinen Getöse unter. „Scheinbar wollen sie uns jetzt nur noch tot.“
Norly redete drauflos, als gäbe es kein Morgen, wie immer, und Maura konnte nicht anders, als irgendwann aufzugeben. Die Worte flossen an ihr vorbei, sie verstand sie und nahm sie doch nicht mehr wahr, während ihr Blick einmal mehr von der Kulisse Londons gefangen genommen wurde. Von hier sah sie nicht viel … aber genug, um fasziniert zu sein. So, Norly hatte ‚Möglichkeiten im Sinn‘? Vielleicht ja zur Abwechslung eine gute.
Als dann um sie herum ein schieres Inferno losbrach, war Maura zunächst so überrascht, dass sie gar nicht reagierte. Erst, als ein Glasregen über sie niederging, duckte sie sich instinktiv und verbarg den Kopf unter den Armen – gerade noch rechtzeitig, kurz darauf spürte sie schon die Splitter auf ihren Rücken prasseln. Um sie herum wurde es immer lauter: Es zischte, wie von austretendem Dampf, Holz brach, und mit einem Mal meinte Maura zu spüren, wie sich der Boden unter ihr senkte. Sie sah wieder auf, mit wild pochendem Herzen, und tatsächlich – die Möbel neben ihr begannen bereits, über den schrägen Boden zu schlittern.
Maura spürte, wie pures Adrenalin durch ihren Körper pumpte – an sich ein Gefühl, das sie lange Zeit vermisst hatte und über das sie sich nun wohl gefreut hätte, wäre es ein anderer Umstand gewesen. So jedoch fluchte sie innerlich nur über ihre Leichtgläubigkeit. Sie hatte sich doch nicht von Norly einwickeln lassen wollen! Sie hatte schon vor ihrem Abflug gewusst, dass etwas schiefgehen würde! Und trotzdem war sie eingestiegen … etwas, das jetzt womöglich ihr Todesurteil war.
Verdammt … sie wollte noch nicht sterben, nicht jetzt! Aber dafür mussten sie sie auch erst mal kriegen.
Mit grimmigem Gesichtsausdruck richtete Maura sich auf, hörte Norly brüllen und stolperte nach vorn, als er sie in den Rücken stieß. Für den bösen Blick, den sie nun gern geworfen hätte, blieb keine Zeit, erst recht nicht, als nicht weit von ihr der Boden ein weiteres Mal aufbrach. Ihr Mantel wehte in dem nun herrschenden eisigen Windzug. Mit einer Hand hielt sie ihn vor der Brust zusammen, mit der anderen tastete sie sich an der Wand im Gang entlang, als versuche sie, daran Halt zu finden.
Als sie die Bar erreicht hatte, widerstand sie dem Drang, nach etwas hochprozentigem zu suchen, obwohl sie es gern getan hätte. Das hier war nicht der richtige Zeitpunkt zum Saufen. Wenn sie nun unachtsam war – und sie, Maura Thomson, war niemals unachtsam! – konnte das ihr Ende bedeuten. Also umklammerte sie einfach nur mit einer Hand die Theke und stellte sich auf die Zehenspitzen, um sehen zu können, was hinter den anderen nun passierte.
„Scotland Yard sollte die Steckbriefe ändern“, murmelte sie, mehr zu sich selbst als zu Norly. Wahrscheinlich ging es eh im allgemeinen Getöse unter. „Scheinbar wollen sie uns jetzt nur noch tot.“
Leo- Anzahl der Beiträge : 2411
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Wohnort : Hamburg
Laune : leicht versch(l)afen
Re: Götterblut - Kapitel 5: Spiel im Schatten
Randolphs Gedanken darüber, was er nun mit dem Tagebuch anstellen sollte, ob er Taylor einen Besuch abstatten sollte, ob er sein eigenes Haus in der Silver Street je wieder betreten würde, ob man seine Mutter und seine Verwandten aufgesucht hatte, um sie zu befragen, welches neue Haus sie nun ansteuern sollten, um darin unterzukommen, was Alan gerade trieb, warum er sie letzten Endes hintergangen hatte, wie es David dem Kutscher in der Zeit ihrer Abwesenheit ergangen war, wie sein künftiges Treffen mit Drake aussehen sollte, wurden in einem einzigen Sekundenbruchteil vollkommen obsolet gemacht, als die Geschosse der Gatling Gun mit ohrenbetäubendem Krachen, um sie herum einschlugen. Lautes Bersten und Splittern ertönte und der Doktor, der angegurtet und seinen Koffer umklammernd auf seinem Sitz kauerte, konnte nicht mehr schnell genug reagieren, um den Bruchstücken der Frontscheibe auszuweichen, die durch den Raum schossen.
Schmerzvoll spürte er, wie etwas durch seine Haut schnitt und als er die knochige Hand hochriss, um sein Gesicht zu bedecken, spürte er wie warmes Blut brennend zwischen seinen Fingern hervorquoll. Sein Puls raste.
Donnernd schlugen nun überall um ihn herum die Geschosse auf das Schiff ein. Der stürmisch tobende Wind, der sich seinen Weg ins Innere bahnte riss an seinen Kleidern und ohne sonderlich denken zu können, fuhr seine Hand zitternd zum Gurt, um diesen aus seiner Verankerung zu lösen. Der Doktor spürte in diesem Augenblick keine wirkliche Angst, es waren viel mehr der Schock und die Situation, die er nicht ganz verarbeiten konnte, die seine Hand zum zittern brachte, die sonst alle anfallenden Chirurgenarbeiten mit eiserner Disziplin zu bewältigen wusste.
Endlich, die Sekunden kamen ihm wie eine Ewigkeit vor, gelang es ihm den Gurt zu lösen. Der Doktor griff nun zur Seite. Dorthin, wo er den Krückstock angelehnt hatte- doch natürlich war dort nichts mehr. Unter der Geräuschkulisse der immer weiter zerberstenden Endeavour, stemmte sich Randolph unsicher auf die Beine. Seine grauen Augen waren weit aufgerissen und bemerkten, wie Charles mit Melinda gerade dicht gefolgt von der Alten aus dem Cockpit stürmte. Aber das Steuer…? Die Gedanken des Chirurgen vollzogen sich langsam und träge, obwohl er in dieser Situation nun wirklich einen wachen Geist gebraucht hätte. Er suchte seinen Krückstock und fand ihn einige Schritt weiter am Boden liegend. Sich mit den Händen in die Polster der Sitze krallend, die hier an der Wand montiert waren, tastete er sich langsam vorwärts. Sein Herz schlug laut. In seinem Kopf dröhnte es dabei von allen möglichen Geräuschen, die er nicht alle zuordnen konnte. Gut möglich, dass er sich von diesem Lärm einen Tinnitus zuziehen würde. Sich festhaltend beugte er sich hinab, sein Bein zitterte und drohte nachzugeben. Nur noch ein paar Zentimeter mehr. Mit zusammengebissenen Zähnen erreichte er den Stock mit seinen Fingern. Komm schon! Das Holz entglitt seinen Fingern und er musste mit Schrecken beobachten, wie seine Krücke über den Parkettboden davon rollte, direkt auf die zerschlagende Cockpit-Scheibe zu…
Scheiße. Er wandte sich um, begann Richtung Gang zu humpeln. Sein Blick fiel zu seinem Arztkoffer, den Dokumenten. Im Grunde unwichtig, denn nun würden sie alle sterben. Jeder Einzelne. Instinktiv griff Randolph zum Koffer, doch als er das Gewicht auf seinem Arm spürte, ließ er ihn wieder sinken, Scheiße. Er machte einen Schritt vorwärts, blieb dann aber stehen und klappte den Deckel auf. Nahm das Notizbuch heraus. Versteckt es in seinem Mantel. Sollten sie das ganze Szenario doch irgendwie überleben, würde er es Charles zurückgeben. Dann humpelte der Doktor weiter und ließ den Arztkoffer einen Arztkoffer sein. Der Schaden an Ihnen nach der Landung dürfte mehr als nur irreparabel sein. Immerhin war es ein ziemlich dramatischer Tod. Die Leute würden davon reden.
Er hinkte den Gang entlang, alles kam ihm langsam und neblig vor. Seine Hand tastete haltsuchend über die Wand. Sein Bein knirschte. Dann war er bei den anderen abgekommen. Sein Blick fiel auf Melinda und auf Wright.
„Es tut mir Leid“, flüsterte er und stützte sich fassungslos auf die Lehne eines Sessels.
Schmerzvoll spürte er, wie etwas durch seine Haut schnitt und als er die knochige Hand hochriss, um sein Gesicht zu bedecken, spürte er wie warmes Blut brennend zwischen seinen Fingern hervorquoll. Sein Puls raste.
Donnernd schlugen nun überall um ihn herum die Geschosse auf das Schiff ein. Der stürmisch tobende Wind, der sich seinen Weg ins Innere bahnte riss an seinen Kleidern und ohne sonderlich denken zu können, fuhr seine Hand zitternd zum Gurt, um diesen aus seiner Verankerung zu lösen. Der Doktor spürte in diesem Augenblick keine wirkliche Angst, es waren viel mehr der Schock und die Situation, die er nicht ganz verarbeiten konnte, die seine Hand zum zittern brachte, die sonst alle anfallenden Chirurgenarbeiten mit eiserner Disziplin zu bewältigen wusste.
Endlich, die Sekunden kamen ihm wie eine Ewigkeit vor, gelang es ihm den Gurt zu lösen. Der Doktor griff nun zur Seite. Dorthin, wo er den Krückstock angelehnt hatte- doch natürlich war dort nichts mehr. Unter der Geräuschkulisse der immer weiter zerberstenden Endeavour, stemmte sich Randolph unsicher auf die Beine. Seine grauen Augen waren weit aufgerissen und bemerkten, wie Charles mit Melinda gerade dicht gefolgt von der Alten aus dem Cockpit stürmte. Aber das Steuer…? Die Gedanken des Chirurgen vollzogen sich langsam und träge, obwohl er in dieser Situation nun wirklich einen wachen Geist gebraucht hätte. Er suchte seinen Krückstock und fand ihn einige Schritt weiter am Boden liegend. Sich mit den Händen in die Polster der Sitze krallend, die hier an der Wand montiert waren, tastete er sich langsam vorwärts. Sein Herz schlug laut. In seinem Kopf dröhnte es dabei von allen möglichen Geräuschen, die er nicht alle zuordnen konnte. Gut möglich, dass er sich von diesem Lärm einen Tinnitus zuziehen würde. Sich festhaltend beugte er sich hinab, sein Bein zitterte und drohte nachzugeben. Nur noch ein paar Zentimeter mehr. Mit zusammengebissenen Zähnen erreichte er den Stock mit seinen Fingern. Komm schon! Das Holz entglitt seinen Fingern und er musste mit Schrecken beobachten, wie seine Krücke über den Parkettboden davon rollte, direkt auf die zerschlagende Cockpit-Scheibe zu…
Scheiße. Er wandte sich um, begann Richtung Gang zu humpeln. Sein Blick fiel zu seinem Arztkoffer, den Dokumenten. Im Grunde unwichtig, denn nun würden sie alle sterben. Jeder Einzelne. Instinktiv griff Randolph zum Koffer, doch als er das Gewicht auf seinem Arm spürte, ließ er ihn wieder sinken, Scheiße. Er machte einen Schritt vorwärts, blieb dann aber stehen und klappte den Deckel auf. Nahm das Notizbuch heraus. Versteckt es in seinem Mantel. Sollten sie das ganze Szenario doch irgendwie überleben, würde er es Charles zurückgeben. Dann humpelte der Doktor weiter und ließ den Arztkoffer einen Arztkoffer sein. Der Schaden an Ihnen nach der Landung dürfte mehr als nur irreparabel sein. Immerhin war es ein ziemlich dramatischer Tod. Die Leute würden davon reden.
Er hinkte den Gang entlang, alles kam ihm langsam und neblig vor. Seine Hand tastete haltsuchend über die Wand. Sein Bein knirschte. Dann war er bei den anderen abgekommen. Sein Blick fiel auf Melinda und auf Wright.
„Es tut mir Leid“, flüsterte er und stützte sich fassungslos auf die Lehne eines Sessels.
Darnamur- Jünger des Pinguins
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Re: Götterblut - Kapitel 5: Spiel im Schatten
Melinda hatte sich dagegen entschieden, Charles zu folgen. Sie hörte, als er das Wort erhob und ein paar kurze Sätze mit den anderen sprach. Doch bevor er seinen Satz zu Ende sprechen konnte, zerriss irgendetwas das Luftschiff.
Im ersten Moment dachte sie, sie habe etwas gestriffen, einen Kirchturm oder ähnliches, eben hatte sie sich so gefreut , London wieder zu sehen, konnte sie nun nicht anders als zu lachen, als das Chaos um sie herum losbrach. Die Begrüßung passt zu IHREM London, zu IHRER Stadt. Laut, hässlich, vernichtend.
Der Ruck hätte sie sicherlich schmerzhaft zu Boden geschleudert, hätte sie nicht noch in dem Sitz gesessen, einer der umherfliegenden Glassplitter riss ihr die Haut an ihrem Hals auf. Sofern sie die Situation beurteilen konnte auf die Schnelle, schien die Verletzung jedoch nicht lebensgefährlich, immerhin konnte sie normal weiteratmen.
Bilder schoben sich vor sich Sichtfeld, von aufgeschnittenen Kehlen, aus denen pulsierend Blutströme schwappten, auf ihre Hand die kurz darunter auf dem Brustkorb lag.
So fühlte es sich nicht an. Sie bekam nicht wirklich mit, was den anderen geschah. Als sich ihr Fokus auf die momentane Situation richtete, war plötzlich Charles da, der irgendetwas von gepanzerter Bar rief und brüllte und sie aus dem Sitz befreite, er war ebenso am bluten wie sie, wenn auch an der Hand. Sie presste ihre Hand auf die Verletzung und spürte, wie sich das Blut zwischen ihren Fingern hindurch drückte. Der Schnitt schmerzte extrem doch damit konnte sie sich nun nicht aufhalten.
Ohne ein weiteres Wort folge sie Charles, der sie zur Bar zog. Dort angekommen ging sie zu Boden und besah sich die anderen.
Das Geräusch welches sie hörte, kannte sie. Damals auf einer Ausstellung hatte sie das Teufelsgerät gesehen, ihr erster amüsanter Gedanke war gewesen, dass sie hoffte, niemals von so etwas beschossen zu werden. Sie hatte lachen müssen, bei diesem abwegigen Gedanken damals. Doch nun geschah das wirklich. Ihr damaliger Freier, hatte sich nur zu gerne mit ihr geschmückt, wenn es um öffentliche Auftritte ging, bei denen fast ausschließlich Männer zu gegen waren. Er war ein Waffennarr gewesen, der seine Waffen auch nur zu gerne im Bett hatte und die wildesten Phantasien hatte. Als er von der Vorstellung der Waffe damals gehört hatte, war er sofort Feuer und Flamme gewesen. Man kam selten in den Genuss, solche Geschosse vorgeführt zu bekommen, wenn man nicht zu Militärkreisen gehörte.
"Das ist eine Gatling-Gun. Die ballern mit einer verschissenen Gatling-Gun auf uns! Wir müssen hier weg! Die Panzerung wird das nicht lange aufhalten."
Wieder Bilder vor ihrem inneren Auge, als die Gatling-Gun unbrechenbar alles nieder gemäht hatte, auf das gezielt worden war.
Dann blickte sie zu Randy herüber. Wofür entschuldigte er sich? Sei es drum. Sie musste ihm einen vielleicht letzten Gefallen der Freundschaft erweisen.
"Charles...wie schnell kann das Schiff fliegen? Ich krabbel zurück und wende uns!"
Im ersten Moment dachte sie, sie habe etwas gestriffen, einen Kirchturm oder ähnliches, eben hatte sie sich so gefreut , London wieder zu sehen, konnte sie nun nicht anders als zu lachen, als das Chaos um sie herum losbrach. Die Begrüßung passt zu IHREM London, zu IHRER Stadt. Laut, hässlich, vernichtend.
Der Ruck hätte sie sicherlich schmerzhaft zu Boden geschleudert, hätte sie nicht noch in dem Sitz gesessen, einer der umherfliegenden Glassplitter riss ihr die Haut an ihrem Hals auf. Sofern sie die Situation beurteilen konnte auf die Schnelle, schien die Verletzung jedoch nicht lebensgefährlich, immerhin konnte sie normal weiteratmen.
Bilder schoben sich vor sich Sichtfeld, von aufgeschnittenen Kehlen, aus denen pulsierend Blutströme schwappten, auf ihre Hand die kurz darunter auf dem Brustkorb lag.
So fühlte es sich nicht an. Sie bekam nicht wirklich mit, was den anderen geschah. Als sich ihr Fokus auf die momentane Situation richtete, war plötzlich Charles da, der irgendetwas von gepanzerter Bar rief und brüllte und sie aus dem Sitz befreite, er war ebenso am bluten wie sie, wenn auch an der Hand. Sie presste ihre Hand auf die Verletzung und spürte, wie sich das Blut zwischen ihren Fingern hindurch drückte. Der Schnitt schmerzte extrem doch damit konnte sie sich nun nicht aufhalten.
Ohne ein weiteres Wort folge sie Charles, der sie zur Bar zog. Dort angekommen ging sie zu Boden und besah sich die anderen.
Das Geräusch welches sie hörte, kannte sie. Damals auf einer Ausstellung hatte sie das Teufelsgerät gesehen, ihr erster amüsanter Gedanke war gewesen, dass sie hoffte, niemals von so etwas beschossen zu werden. Sie hatte lachen müssen, bei diesem abwegigen Gedanken damals. Doch nun geschah das wirklich. Ihr damaliger Freier, hatte sich nur zu gerne mit ihr geschmückt, wenn es um öffentliche Auftritte ging, bei denen fast ausschließlich Männer zu gegen waren. Er war ein Waffennarr gewesen, der seine Waffen auch nur zu gerne im Bett hatte und die wildesten Phantasien hatte. Als er von der Vorstellung der Waffe damals gehört hatte, war er sofort Feuer und Flamme gewesen. Man kam selten in den Genuss, solche Geschosse vorgeführt zu bekommen, wenn man nicht zu Militärkreisen gehörte.
"Das ist eine Gatling-Gun. Die ballern mit einer verschissenen Gatling-Gun auf uns! Wir müssen hier weg! Die Panzerung wird das nicht lange aufhalten."
Wieder Bilder vor ihrem inneren Auge, als die Gatling-Gun unbrechenbar alles nieder gemäht hatte, auf das gezielt worden war.
Dann blickte sie zu Randy herüber. Wofür entschuldigte er sich? Sei es drum. Sie musste ihm einen vielleicht letzten Gefallen der Freundschaft erweisen.
"Charles...wie schnell kann das Schiff fliegen? Ich krabbel zurück und wende uns!"
Elli- Piratenpinguin
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Re: Götterblut - Kapitel 5: Spiel im Schatten
Auch Bruce wurde unruhig, als draußen scheinbar die Hölle losbrach. Dem Schotten begann zu Dämmern, dass inzwischen schon einiges im Gange sein musste, von dem die brave Bevölkerung, zu der er sich im Moment selbst wohl noch zählen musste, ahnungslos war. Militant genug war der Kerl also, um so ein Geschütz am Klang zu erkennen? Auch, dass der Mann bereits seine Rückzugsmöglichkeiten geprüft hatte, um weiteren Fragen des Schotten zu entgehen, mahnten Bruce zur Vorsicht. Harmlos war er nicht, auch wenn er mit der zerbrochenen Flasche eine denkbar ineffiziente Stoßwaffe als Einschüchterungsmittel gewählt hatte.
Bruce nahm ihm für keine Sekunde ab, dass er nicht selbst der Einbrecher gewesen sein wollte. Wie lange sollte die Plünderung vorausgegangen sein, welche sie beide verpasst hatten? Am Tage hätten ein paar Patrouillierende Bobbys oder anständige Passanten den Schaden an der Türe bemerkt und entsprechende Schritte einleiten lassen. Der Zugang wäre wohl wenigstens vernagelt worden und davon hatte es keine Spuren gegeben.
Dagegen schien es festzustehen, dass der Fremde mehr über die Vorgänge wusste. Dr. Tremaine sollte also vor dem Yard geflohen und sich nach Manchester abgesetzt haben? Wieso wollte der Mann Tremaine so dringend treffen und wem wollte er dabei zuvor kommen? Der junge Schotte hatte seine Neugier ganz und gar nicht befriedigt gefühlt, eher im Gegenteil. Der Mann konnte nur schwerlich vor haben, hier auf die Rückkehr des Arztes zu warten, oder etwa doch? Seine Behauptungen passten zumindest nicht zu seinem Vorgehen, hier ganz offensichtlich nach etwas zu suchen und vielleicht hatte er inzwischen auch schon etwas bei sich, was dem Schotten mehr Klarheit beschert hätte, als den Mann um Auskünfte anzubetteln.
Als der Fremde sich schließlich umdrehte und dem Fenster zuwandte, um draußen, wie etwa zehntausend andere erschrockene Londoner auch, eine große Show zu sehen, nutzte der Schotte die Gelegenheit, sich neben den Mann zu gesellen. Er achtete darauf, auf Seite der Flasche zu stehen, welche sein Zimmergenosse aus der kurzen Distanz unmöglich gegen ihn einzusetzen vermögen würde, ohne dass Bruce zu einer rascheren Aktion in der Lage war. Der Schotte spielte tatsächlich mit dem Gedanken, den Mann kurzer Hand außer Gefecht zu setzen um eventueller Hinweise habhaft zu werden, die der ihm voraus war. Allein hatte er keinen Schimmer, auf welcher Seite der Fremde überhaupt stand. So wie es erschien, konnte er durchaus einer von Norlys Handlangern sein. Er selbst sah eher desinteressiert aus dem Fenster, denn das Geschützfeuer war in weiter Ferne gewesen und es war unwahrscheinlich, von hier aus etwas erkennen zu können, was nicht morgen früh vollständiger in aller Munde sein würde. Er versuchte weiterhin die Körpersprache des Fremden zu deuten, denn das war die Art des Exboxers fremde Personen einschätzen zu lernen.
Der Mann machte sich sorgen. Ganz offenbar um das Ziel des Geschützes, welches anscheinend eine Verteidigungseinrichtung des britischen Militärs darstellen musste, da es erst nach den Sirenen das Feuer eröffnet hatte. War das die Revolution, die Norly geplant haben sollte? Hatte jemand ihn bereits jetzt verraten, wenn er die Sorgen des Fremden richtig deutete?
„Schießen die auf ihre Freunde?“ Bruce brachte die Worte knapp und trocken hervor und für ihn war im Grunde offensichtlich, dass es sich so verhalten musste, doch war dem Mann so vielleicht noch etwas mehr zu entlocken, wo er nun scheinbar weit größere Sorgen hatte, als einen neugierigen Schotten an der Seite.
Bruce nahm ihm für keine Sekunde ab, dass er nicht selbst der Einbrecher gewesen sein wollte. Wie lange sollte die Plünderung vorausgegangen sein, welche sie beide verpasst hatten? Am Tage hätten ein paar Patrouillierende Bobbys oder anständige Passanten den Schaden an der Türe bemerkt und entsprechende Schritte einleiten lassen. Der Zugang wäre wohl wenigstens vernagelt worden und davon hatte es keine Spuren gegeben.
Dagegen schien es festzustehen, dass der Fremde mehr über die Vorgänge wusste. Dr. Tremaine sollte also vor dem Yard geflohen und sich nach Manchester abgesetzt haben? Wieso wollte der Mann Tremaine so dringend treffen und wem wollte er dabei zuvor kommen? Der junge Schotte hatte seine Neugier ganz und gar nicht befriedigt gefühlt, eher im Gegenteil. Der Mann konnte nur schwerlich vor haben, hier auf die Rückkehr des Arztes zu warten, oder etwa doch? Seine Behauptungen passten zumindest nicht zu seinem Vorgehen, hier ganz offensichtlich nach etwas zu suchen und vielleicht hatte er inzwischen auch schon etwas bei sich, was dem Schotten mehr Klarheit beschert hätte, als den Mann um Auskünfte anzubetteln.
Als der Fremde sich schließlich umdrehte und dem Fenster zuwandte, um draußen, wie etwa zehntausend andere erschrockene Londoner auch, eine große Show zu sehen, nutzte der Schotte die Gelegenheit, sich neben den Mann zu gesellen. Er achtete darauf, auf Seite der Flasche zu stehen, welche sein Zimmergenosse aus der kurzen Distanz unmöglich gegen ihn einzusetzen vermögen würde, ohne dass Bruce zu einer rascheren Aktion in der Lage war. Der Schotte spielte tatsächlich mit dem Gedanken, den Mann kurzer Hand außer Gefecht zu setzen um eventueller Hinweise habhaft zu werden, die der ihm voraus war. Allein hatte er keinen Schimmer, auf welcher Seite der Fremde überhaupt stand. So wie es erschien, konnte er durchaus einer von Norlys Handlangern sein. Er selbst sah eher desinteressiert aus dem Fenster, denn das Geschützfeuer war in weiter Ferne gewesen und es war unwahrscheinlich, von hier aus etwas erkennen zu können, was nicht morgen früh vollständiger in aller Munde sein würde. Er versuchte weiterhin die Körpersprache des Fremden zu deuten, denn das war die Art des Exboxers fremde Personen einschätzen zu lernen.
Der Mann machte sich sorgen. Ganz offenbar um das Ziel des Geschützes, welches anscheinend eine Verteidigungseinrichtung des britischen Militärs darstellen musste, da es erst nach den Sirenen das Feuer eröffnet hatte. War das die Revolution, die Norly geplant haben sollte? Hatte jemand ihn bereits jetzt verraten, wenn er die Sorgen des Fremden richtig deutete?
„Schießen die auf ihre Freunde?“ Bruce brachte die Worte knapp und trocken hervor und für ihn war im Grunde offensichtlich, dass es sich so verhalten musste, doch war dem Mann so vielleicht noch etwas mehr zu entlocken, wo er nun scheinbar weit größere Sorgen hatte, als einen neugierigen Schotten an der Seite.
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Re: Götterblut - Kapitel 5: Spiel im Schatten
In Dr. Randolph Tremaines Haus
Der Fremde an Bruces Seite, so fiel dem Boxer bei näherer Betrachtung auf, schien eher skeptisch und in allgemeiner Sorge – eher so, als würde ihm diese Entwicklung nicht zusagen –, als in persönlicher Sorge um jemanden, der ihm am Herzen lag. Zumindest strahlte er für eine persönliche Betroffenheit weniger Unruhe aus, als man hätte erwarten können. Die Reaktion auf Bruces Frage, ob auf Freunde des Fremden geschossen wurde, fiel ebenfalls recht gelassen aus.
„Himmel“, meinte er darauf nur und schnaubte mit einer eigentümlichen Mischung aus Amüsiertheit und Verachtung, die zu Ungewöhnlichkeit der Situation passte, „ich will’s nicht hoffen.“
Er gab den Versuch auf, durch das Fenster etwas erspähen zu wollen. Die Straße vor dem Haus blieb derzeit langweilig ereignislos. Außerdem waren einige Nachbarn an den Fenstern des genau gegenüberliegenden Hauses aufgetaucht, weswegen er es offenbar vorzog, ein Stück von den Scheiben zurückzutreten.
Er ließ einen kurzwährenden Augenblick der Stille verstreichen – es war kaum mehr als ein Atemzug –, nach dem er wieder ernst wirkte.
„So oder so: Es kann nichts Gutes bedeuten, dass sie schweres Geschütz aufziehen“, urteilte der Fremde und blickte ohne Scheu hinauf zu Bruce, direkt in dessen Augen, „und das mitten in der Stadt. Da muss etwas Großes im Gange sein, wenn Sie das Risiko eingehen, dass Unschuldige verletzt werden.“
Sein Tonfall war unmissverständlich: Das hieß er wirklich nicht gut. Aber Angst schien ihm gerade fremd zu sein. Bruce konnte förmlich beobachten, wie sich ein Entschluss im Inneren des schnurrbärtigen Mannes manifestierte.
„Lassen Sie uns schauen, was da vor sich geht“, schlug er kurzerhand vor, „– was meinen Sie?“
Ohne eine Antwort abzuwarten, huschte er in das Zimmer zurück, in dem er herumgeschnüffelt hatte, als Bruce eingetroffen war. Er legte die halbe Flasche, die er scheinbar nicht mehr gedachte einzusetzen, in einem Regal ab und nahm sich stattdessen die Laterne, die ihm bei seiner dubiosen Durchsuchung Licht gespendet hatte. Währenddessen plauderte er weiter.
„Ich kann auch später wiederkommen. Oder überhaupt nicht mehr. Ich habe ohnehin nicht das Gefühl, dass in diesem Haus etwas Nützliches zu finden ist.“
Statt die Laterne mitzunehmen, öffnete er ihre Klappe, löschte ihre Kerze mit Zeigefinger und Daumen, stellte sie einfach am Boden ab und kehrte mit leeren Händen zurück in den Flur – bereit, an Bruce vorbei den Weg zurück nach draußen zu nehmen, so der Boxer es denn zuließ. Gedanken darüber, dass es nicht so sein könnte, machte sich der Fremde scheinbar weniger, so eilig, wie er plötzlich auf den Beinen war.
Über den nordwestlichen Ausläufern Londons
Außer Atem und erschüttert, brauchte Charles einige Sekunden, um sich zu sammeln, als er mit Melinda an der Bar angekommen war. Ihre Hand entglitt seinem Griff, als sie sich zu Boden sinken ließ. Sein Blick fiel besorgt auf das Blut, das ihren Hals hinabsickerte, aber die Wunde schien nicht tief zu sein. Sie waren alle mitgenommen von der Zerstörung, derer sie gerade Zeuge wurden. Wenn es nach Charles ging, war der emotionale Schrecken dabei viel schlimmer als oberflächliche körperliche Blessuren. Fassungslos blickte er hinab zum Heck, das sich zerrissen, zerfetzt und brennend vor ihm erstreckte.
Sein Schiff. Sein Schiff starb auf grausame Weise durch den unbarmherzigen Bleihagel aus der Mündung eines höllischen Konstruktes. Eine Gatling-Gun… ja, da musste Charles Melinda innerlich Recht geben. Nichts Anderes konnte eine so verheerende Verwüstung hinterlassen. Sie alle konnten von Glück reden. Dass sie noch lebten – noch –, konnten sie wohl nur der großen Entfernung verdanken, aus der man auf sie schoss, denn die Streuung war so wohl groß genug, dass das Geschütz den Rumpf nicht entzweigesägt hatte, wie ein warmes Messer Butter teilte.
Wie gedämpft durch einen wallenden Nebel drangen Melindas Worte auf Charles ein. Er begriff sie in diesem Moment, in dem sein Herz raste, als müsste es gleich platzen, vergleichsweise nur langsam. Doch als er sich ihrer Bedeutung bewusstwurde, holte ihn das rasch aus dem Schleier hinaus. Alles schien plötzlich wieder lauter und realer zu sein.
„Nein!“, entfuhr es Charles heftig in Melindas Richtung. Sie durfte sich auf keinen Fall dem Risiko aussetzen, zum Steuer zurückzukehren. Es würde ohnehin nichts mehr bringen. Das Schiff verlor an Höhe und das würde auf Dauer nicht zu ändern sein. Selbst, dass Charles noch am Kapitänssitz, bevor er Melinda mit sich gezogen hatte, denn Höhenhebel komplett nach vorn gedrückt hatte, sodass sich alle Ballonventile schlossen, hatte ihnen bestenfalls ein wenig mehr Zeit verschafft.
„Nein“, wiederholte Charles, diesmal gefasster, aber bei Weitem nicht beruhigt.
„Wir können nichts mehr für das Schiff tun. Es ist verloren.“
Trauer lag in seiner Stimme.
„Wir müssen hier hinaus, bevor das Feuer noch auf den Ballon übergreift“, stellte er klar und schnappte sich seinen Mantel von seinem Sitz, in den er nebenbei hineinschlüpfte und begann, ihn zuzuknöpfen.
„Wird er zu stark beschädigt“, schilderte er ernst, „stürzt die Endeavour zu Boden wie ein Stein. Und wenn das nicht passiert, verbrennen wir vielleicht selbst“, stellte er nicht gerade attraktivere Szenarien in Aussicht, „oder ersticken im Qualm.“
Ein lauter Knall peitschte durch das Schiff, der Charles vor Schreck heftig zusammenzucken ließ. Drückende Hitze rauschte vom Heck her auf sie zu und das Flammeninferno, das nun dort hinten ausgebrochen war, ließ keinen Zweifel daran, dass es nicht gut um sie stand. Gleichzeitig platzten, von einem unheilvollen Rauschen begleitet, die Gaslampen aus ihren Halterungen und wichen Stichflammen.
„Sofern wir nicht vorher zerfetzt werden“, ergänzte Charles zynisch. Wenigstens schienen die Schützen am Boden eine Pause zu machen… vielleicht luden sie nur nach.
„Wir haben nur eine Chance!“, schnaubte er und stürzte auf die linke Seite des Metallschranks zu, in den die Passagiersitze eingelassen waren.
Als Charles am Griff einer länglichen, vertikalen Schranktür zerrte, musste er feststellen, dass sie klemmte… vermutlich, weil sie durch irgendetwas eingedellt worden war.
Charles biss die Zähne zusammen und rüttelte weiterhin am Griff. „Vermaledeites…“
In einer solchen Situation war es wohl nicht verwerflich, sich zu einem Fluch hinreißen zu lassen. Ein herrischer Tritt gegen die Tür half. Sie sprang auf. Sofort langte Charles mit beiden Armen in den Schrank und zog mehrere, aus robustem Stoff bestehende Gegenstände ins Sichtfeld der anderen, die er in ihre Mitte warf.
„Hier, ziehen Sie das an, schnell!“
Er selbst klaubte eins dieser leinenfarbenden, torsogroßen Kleidungsstücke auf (zumindest ließen sie sich nun als solche erkennen, auch wenn sie, versehen mit Riemen und metallenen Ösen an stabil aussehenden Laschen ungewöhnlich aussahen), und schlüpfte mit seinen Armen hinein, und rückte es über seinem Mantel zurecht, bevor er es mithilfe von Knöpfen und Lederriemen verschloss.
„Die Westen müssen so eng wie möglich anliegen, zurren sie alles fest.“
Charles war sich beinahe todsicher, dass seine folgenden Worte nicht auf Begeisterung stoßen würden.
„Ich weiß, das wird nun schwer für uns alle, ich verlange das nicht gern von Ihnen, aber…“, er zögerte kurz mit einem verzweifelten Lächeln, „wir müssen von Bord.“
Nun, bisher war das nichts Neues.
„Sofort.“
Er ließ dies nicht lange wirken, sondern fügte eine Erklärung an, um unmissverständlich zu machen, worauf er hinauswollte.
„Sagt Ihnen der Name André-Jacques Garnerin etwas?“, erkundigte Charles sich rhetorisch. „Er erfand vor etwa achtzig Jahren einen Stoffschirm, der es ermöglicht, einen Sprung aus enormer Höhe unbeschadet zu überstehen.“
Vermutlich klang es schlimmer, als es sein würde. Ja, vielleicht würde es sogar Spaß machen.
„Das ist die einzige Möglichkeit, die wir haben.“
Der Fremde an Bruces Seite, so fiel dem Boxer bei näherer Betrachtung auf, schien eher skeptisch und in allgemeiner Sorge – eher so, als würde ihm diese Entwicklung nicht zusagen –, als in persönlicher Sorge um jemanden, der ihm am Herzen lag. Zumindest strahlte er für eine persönliche Betroffenheit weniger Unruhe aus, als man hätte erwarten können. Die Reaktion auf Bruces Frage, ob auf Freunde des Fremden geschossen wurde, fiel ebenfalls recht gelassen aus.
„Himmel“, meinte er darauf nur und schnaubte mit einer eigentümlichen Mischung aus Amüsiertheit und Verachtung, die zu Ungewöhnlichkeit der Situation passte, „ich will’s nicht hoffen.“
Er gab den Versuch auf, durch das Fenster etwas erspähen zu wollen. Die Straße vor dem Haus blieb derzeit langweilig ereignislos. Außerdem waren einige Nachbarn an den Fenstern des genau gegenüberliegenden Hauses aufgetaucht, weswegen er es offenbar vorzog, ein Stück von den Scheiben zurückzutreten.
Er ließ einen kurzwährenden Augenblick der Stille verstreichen – es war kaum mehr als ein Atemzug –, nach dem er wieder ernst wirkte.
„So oder so: Es kann nichts Gutes bedeuten, dass sie schweres Geschütz aufziehen“, urteilte der Fremde und blickte ohne Scheu hinauf zu Bruce, direkt in dessen Augen, „und das mitten in der Stadt. Da muss etwas Großes im Gange sein, wenn Sie das Risiko eingehen, dass Unschuldige verletzt werden.“
Sein Tonfall war unmissverständlich: Das hieß er wirklich nicht gut. Aber Angst schien ihm gerade fremd zu sein. Bruce konnte förmlich beobachten, wie sich ein Entschluss im Inneren des schnurrbärtigen Mannes manifestierte.
„Lassen Sie uns schauen, was da vor sich geht“, schlug er kurzerhand vor, „– was meinen Sie?“
Ohne eine Antwort abzuwarten, huschte er in das Zimmer zurück, in dem er herumgeschnüffelt hatte, als Bruce eingetroffen war. Er legte die halbe Flasche, die er scheinbar nicht mehr gedachte einzusetzen, in einem Regal ab und nahm sich stattdessen die Laterne, die ihm bei seiner dubiosen Durchsuchung Licht gespendet hatte. Währenddessen plauderte er weiter.
„Ich kann auch später wiederkommen. Oder überhaupt nicht mehr. Ich habe ohnehin nicht das Gefühl, dass in diesem Haus etwas Nützliches zu finden ist.“
Statt die Laterne mitzunehmen, öffnete er ihre Klappe, löschte ihre Kerze mit Zeigefinger und Daumen, stellte sie einfach am Boden ab und kehrte mit leeren Händen zurück in den Flur – bereit, an Bruce vorbei den Weg zurück nach draußen zu nehmen, so der Boxer es denn zuließ. Gedanken darüber, dass es nicht so sein könnte, machte sich der Fremde scheinbar weniger, so eilig, wie er plötzlich auf den Beinen war.
Über den nordwestlichen Ausläufern Londons
Außer Atem und erschüttert, brauchte Charles einige Sekunden, um sich zu sammeln, als er mit Melinda an der Bar angekommen war. Ihre Hand entglitt seinem Griff, als sie sich zu Boden sinken ließ. Sein Blick fiel besorgt auf das Blut, das ihren Hals hinabsickerte, aber die Wunde schien nicht tief zu sein. Sie waren alle mitgenommen von der Zerstörung, derer sie gerade Zeuge wurden. Wenn es nach Charles ging, war der emotionale Schrecken dabei viel schlimmer als oberflächliche körperliche Blessuren. Fassungslos blickte er hinab zum Heck, das sich zerrissen, zerfetzt und brennend vor ihm erstreckte.
Sein Schiff. Sein Schiff starb auf grausame Weise durch den unbarmherzigen Bleihagel aus der Mündung eines höllischen Konstruktes. Eine Gatling-Gun… ja, da musste Charles Melinda innerlich Recht geben. Nichts Anderes konnte eine so verheerende Verwüstung hinterlassen. Sie alle konnten von Glück reden. Dass sie noch lebten – noch –, konnten sie wohl nur der großen Entfernung verdanken, aus der man auf sie schoss, denn die Streuung war so wohl groß genug, dass das Geschütz den Rumpf nicht entzweigesägt hatte, wie ein warmes Messer Butter teilte.
Wie gedämpft durch einen wallenden Nebel drangen Melindas Worte auf Charles ein. Er begriff sie in diesem Moment, in dem sein Herz raste, als müsste es gleich platzen, vergleichsweise nur langsam. Doch als er sich ihrer Bedeutung bewusstwurde, holte ihn das rasch aus dem Schleier hinaus. Alles schien plötzlich wieder lauter und realer zu sein.
„Nein!“, entfuhr es Charles heftig in Melindas Richtung. Sie durfte sich auf keinen Fall dem Risiko aussetzen, zum Steuer zurückzukehren. Es würde ohnehin nichts mehr bringen. Das Schiff verlor an Höhe und das würde auf Dauer nicht zu ändern sein. Selbst, dass Charles noch am Kapitänssitz, bevor er Melinda mit sich gezogen hatte, denn Höhenhebel komplett nach vorn gedrückt hatte, sodass sich alle Ballonventile schlossen, hatte ihnen bestenfalls ein wenig mehr Zeit verschafft.
„Nein“, wiederholte Charles, diesmal gefasster, aber bei Weitem nicht beruhigt.
„Wir können nichts mehr für das Schiff tun. Es ist verloren.“
Trauer lag in seiner Stimme.
„Wir müssen hier hinaus, bevor das Feuer noch auf den Ballon übergreift“, stellte er klar und schnappte sich seinen Mantel von seinem Sitz, in den er nebenbei hineinschlüpfte und begann, ihn zuzuknöpfen.
„Wird er zu stark beschädigt“, schilderte er ernst, „stürzt die Endeavour zu Boden wie ein Stein. Und wenn das nicht passiert, verbrennen wir vielleicht selbst“, stellte er nicht gerade attraktivere Szenarien in Aussicht, „oder ersticken im Qualm.“
Ein lauter Knall peitschte durch das Schiff, der Charles vor Schreck heftig zusammenzucken ließ. Drückende Hitze rauschte vom Heck her auf sie zu und das Flammeninferno, das nun dort hinten ausgebrochen war, ließ keinen Zweifel daran, dass es nicht gut um sie stand. Gleichzeitig platzten, von einem unheilvollen Rauschen begleitet, die Gaslampen aus ihren Halterungen und wichen Stichflammen.
„Sofern wir nicht vorher zerfetzt werden“, ergänzte Charles zynisch. Wenigstens schienen die Schützen am Boden eine Pause zu machen… vielleicht luden sie nur nach.
„Wir haben nur eine Chance!“, schnaubte er und stürzte auf die linke Seite des Metallschranks zu, in den die Passagiersitze eingelassen waren.
Als Charles am Griff einer länglichen, vertikalen Schranktür zerrte, musste er feststellen, dass sie klemmte… vermutlich, weil sie durch irgendetwas eingedellt worden war.
Charles biss die Zähne zusammen und rüttelte weiterhin am Griff. „Vermaledeites…“
In einer solchen Situation war es wohl nicht verwerflich, sich zu einem Fluch hinreißen zu lassen. Ein herrischer Tritt gegen die Tür half. Sie sprang auf. Sofort langte Charles mit beiden Armen in den Schrank und zog mehrere, aus robustem Stoff bestehende Gegenstände ins Sichtfeld der anderen, die er in ihre Mitte warf.
„Hier, ziehen Sie das an, schnell!“
Er selbst klaubte eins dieser leinenfarbenden, torsogroßen Kleidungsstücke auf (zumindest ließen sie sich nun als solche erkennen, auch wenn sie, versehen mit Riemen und metallenen Ösen an stabil aussehenden Laschen ungewöhnlich aussahen), und schlüpfte mit seinen Armen hinein, und rückte es über seinem Mantel zurecht, bevor er es mithilfe von Knöpfen und Lederriemen verschloss.
„Die Westen müssen so eng wie möglich anliegen, zurren sie alles fest.“
Charles war sich beinahe todsicher, dass seine folgenden Worte nicht auf Begeisterung stoßen würden.
„Ich weiß, das wird nun schwer für uns alle, ich verlange das nicht gern von Ihnen, aber…“, er zögerte kurz mit einem verzweifelten Lächeln, „wir müssen von Bord.“
Nun, bisher war das nichts Neues.
„Sofort.“
Er ließ dies nicht lange wirken, sondern fügte eine Erklärung an, um unmissverständlich zu machen, worauf er hinauswollte.
„Sagt Ihnen der Name André-Jacques Garnerin etwas?“, erkundigte Charles sich rhetorisch. „Er erfand vor etwa achtzig Jahren einen Stoffschirm, der es ermöglicht, einen Sprung aus enormer Höhe unbeschadet zu überstehen.“
Vermutlich klang es schlimmer, als es sein würde. Ja, vielleicht würde es sogar Spaß machen.
„Das ist die einzige Möglichkeit, die wir haben.“
Umbra- Tiefseemonster
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Re: Götterblut - Kapitel 5: Spiel im Schatten
Es war durchaus ihre Überlegung gewesen, das Schiff zu wenden. Ihr technisches Wissen, reichte nicht aus, als dass sie hätte wissen können, dass das Luftschiff seinen Weg auf den Boden finden würde, allerdings nicht wie gedacht. Auf den Boden kommen würde es. Aber nicht an einem Stück.
Als Charles ihr das "Nein." an den Kopf warf, zuckte sie nicht zusammen. Sie wusste wie es war angeschrieen zu werden, seit sie denken konnte. Stumm nahm sie das Verbot an, er hätte es nicht versuchen müssen abzumildern durch seine Erklärung.
Stattdessen sah sie zu Boden und wurde sich bewusst, dass sie nun sterben würde. Sie hatte keine Angst vor dem Tod, aber so? Verbrennen? Ersticken? Zerschmettert werden? Das hatte sie sich anders vorgestellt. Aber wie hatte sie sich ihren Tod eigentlich vorgestellt? Da konnte sie ja nun auch so sterben, wie es gerade kommen würde. Mit dieser Gruppe hier. Es hätte sie schlechter treffen können, dass musste sie sich eingestehen.
Du würdest doch ohnehin nicht alleine sterben. Wenn dann sterben wir zusammen, mein Herzchen. Gemeinsam werden wir uns die Arme der Todesengel werfen und mit ihnen in den Himmel auffahren.
Himmel. Klar. Sie würde in die Hölle fahren und alle mit ihr hier, würden ebendort landen.
Sie grinste, ja sie würden in der Hölle eine wunderbare Gruppe abgeben.
Dann warf jemand etwas zu Boden. Es sah aus wie Leinensäcke.
Langsam begriff sie was Norly da gerade sagte, während er sich diesen Anzug überstriff und festzog.
Sie würden aus dem Schiff SPRINGEN?
Lachend stand sie auf, wischte sie das Blut an ihrer Hand, das aus ihrem Hals sickerte, an ihrem Kleid ab und griff sich einen der unförmigen Säcke und zog ihn an.
Sie würden sterben. Ja. Eindeutig. Und sie würden in der Hölle klar an den Klamotten als Gruppe identifiziert werden können. Nett!
Der Anzug war viel zu groß, sie versank regelrecht darin. Ungeachtet der anderen, versuchte sie die Größe irgendwie zu optimieren und wickelte ihre Ärmel nach oben, damit wenigstens ihre Hände zu sehen waren. Dann zog sie an den Schnallen und Bändern, doch wirklich eng bekam sie das Ding nicht gezogen.
Sie blickte durch das Schiff, sah zu der Stelle an der die Kugeln den Rumpf zerrissen hatte. Wäre doch nett genau dadruch zu springen. Direkt in die Hölle.
Elli- Piratenpinguin
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Re: Götterblut - Kapitel 5: Spiel im Schatten
Um ihn herum begann die Apokalypse loszubrechen. Glaspartikel schossen durch den Raum, als die Gaslampen unter dem Druck nachgaben und laut klirrend zersplitterten. Begleitend das Geräusch tosenden Feuers, das zischend und tobend durch den Torso des Schiffes schnellte. Gierig fiel es über Boden, Wände und Mobiliar her; bald war es überall und das Flammenmeer tauchte die Szenerie in höllisches Licht.
Immer noch außer Fassung krallte sich Randolph mit bleicher Hand im Polster des Sitzes fest, neben dem er Stellung bezogen hatte. Er konnte die letzten Augenblicke der Endeavour miterleben, diesem Luftschiff dessen majestätischer Anblick ihn in der Fabrikhalle so sehr beeindruckt hatte. Und geblendet. Das erkannte er nun. Jetzt tat es seine letzten Atemzüge, ihr Rumpf quietschte protestierend, ihr Holz knarzte und zerbarst unter dem mechanischen Donnern der Feuerwaffen mit denen man sie vom Himmel holen wollte. Noch kämpfte sie, rang um ihr Leben, doch es dürfte nur noch wenige Momente dauern, bis der Ballon zerstört wurde und die Maschinen versagten. Dann würde sie wie Ikarus in die Tiefe stürzen und am Erdboden letztlich in ihre Einzelteile zerschellen.
Ihnen selbst stand ein ähnliches Schicksal bevor. Randolphs Augen schwankten durch den Raum, während er Charles lauschte und sich selbst vorrangig darum bemühte nicht von den Beinen gerissen zu werden. Sein Blick blieb an Melinda hängen. Er fühlte sich schuldig. Sie hatten nicht damit rechnen können, dass das hier geschehen würde, aber es war wohl allen klar gewesen, dass diese Unternehmung ein Risiko darstellte. Das hatte er sich nicht für sie gewünscht. Auch nach allem was sie getan hatte, liebte er sie noch immer. Nicht wie Lynette, aber wie eine Tochter, die er nie hatte. Sie mochte eine Mörderin sein, aber gleichzeitig war sie auch immer noch das kranke Mädchen, das man damals zu ihm in die Praxis gebracht hatte. Damals waren sie Beide noch voller Lebensfreude gewesen. Es schmerzte ihn jetzt an diese Erinnerungen zurückzudenken. Auch damals war nicht alles problemlos gewesen, aber er war noch ein anderer Mensch gewesen; nicht diese verbitterte, von Selbstzweifeln zerfressene Gestalt, die tagsüber beim Amputieren von Gliedmaßen über Suizid nachdachte und nachts von Albträumen gequält wurde.
Sie hatten sich Beide verändert. Er hätte damals die Gelegenheit gehabt sie dort rauszuholen und hatte sie verstreichen lassen. Randolph hätte verhindern können, dass es soweit mit ihr kam und dafür hasste er sich noch heute. Welche andere Wahl hatte Melinda schon gehabt? Sie war ein Waisen-Mädchen, auf sich allein gestellt und zudem noch klein und kränklich. Ihr gesamtes Leben war sie wie Scheiße behandelt worden. Er wusste nicht, ob man ihren Eltern eine Schuld geben konnte, gut möglich das man sie bei dem Waisenhaus ausgesetzt hatte, weil sie tot waren. Aber dort hatte es bereits angefangen. Er hatte Mrs. Mitchell kurz kennengelernt und wusste welche Art von Frau sie war, Melly hatte ihm auch viel von ihr erzählt. Im Waisenhaus, in den Fabriken, im Bordell, es war überall das Gleiche gewesen.
Melly war immer auf sich allein gestellt gewesen. Im Waisenhaus hatte sie keine Freunde gehabt und die Leiterin war eine Tyrannin. In der Fabrik ließ man sie sich tot schuften, während sie giftige Dämpfe einatmete. Und im Bordell schließlich hatte sie als Stück Fleisch für ihre Freier herhalten dürfen, denn das war es bestimmt, was die allermeisten in ihr sahen. Es war nur logisch, dass sie labil geworden war und auch keine Bedenken zeigte anderen Menschen Schaden zuzufügen, die in ihrem Weg standen. Denn sie war immer schon auf sich gestellt gewesen und nach dem man sie immer nur getreten und benutzt hatte wie einen Straßenköter, stand es ihr zu selbst gewissenlos zu handeln.
Randolph nahm sich eine der Westen, die Charles verteilte und begann sie anzulegen. Dafür musste er sich hinsetzen.
Wenn sie nun starben würde es dem Ganzen wenigstens ein Ende setzen. Er hatte Melindas Worte nicht vergessen, dass sie sich wünschte am Galgen zu hängen. Bald würden sie sich Beide nicht mehr mit Sorgen und Problemen quälen müssen. Es würde auch keine weiteren Morde mehr geben. Es wäre einfach nur aus. Randolph glaubte nicht an ein Jenseits.
Er richtete sich wieder auf, machte sich bereit für den Absprung. Randolph sprach seine Gedanken nicht aus, aber es war ihm klar, dass das Gatling-Geschütz sie höchstwahrscheinlich noch im Flug zerreißen würde. Es war ihre beste und einzige Chance; mit etwas Glück kam einer von Ihnen durch, aber der Doktor rechnete sich keine sonderlich großen Überlebenschancen für ihre Crew aus. Noch einmal wanderte sein Blick über alle Anwesenden. Über ihre Antlitze zuckten die Schatten des grollenden Flammeninfernos.
Randolph stellte sich neben Melinda, als sie gerade ihr krankhaftes oder verzweifeltes Lachen beendet hatte.
„Ich hoffe du vergibst mir unser letztes Gespräch in der Fabrik.“
Er zögerte.
„Es war nicht meine Absicht so mit dir zu reden und ich bereue es auch. Nun spielt es wohl ohnehin keine Rolle mehr.“
Der Doktor zurrte die Weste fest und warf, in einem Versuch die Atmosphäre aufzulockern, der wohl aber wahrscheinlich scheitern würde, noch einen Kommentar ein:
„Immerhin haben wir einen hübschen Ausblick, wenn wir sterben.“
Immer noch außer Fassung krallte sich Randolph mit bleicher Hand im Polster des Sitzes fest, neben dem er Stellung bezogen hatte. Er konnte die letzten Augenblicke der Endeavour miterleben, diesem Luftschiff dessen majestätischer Anblick ihn in der Fabrikhalle so sehr beeindruckt hatte. Und geblendet. Das erkannte er nun. Jetzt tat es seine letzten Atemzüge, ihr Rumpf quietschte protestierend, ihr Holz knarzte und zerbarst unter dem mechanischen Donnern der Feuerwaffen mit denen man sie vom Himmel holen wollte. Noch kämpfte sie, rang um ihr Leben, doch es dürfte nur noch wenige Momente dauern, bis der Ballon zerstört wurde und die Maschinen versagten. Dann würde sie wie Ikarus in die Tiefe stürzen und am Erdboden letztlich in ihre Einzelteile zerschellen.
Ihnen selbst stand ein ähnliches Schicksal bevor. Randolphs Augen schwankten durch den Raum, während er Charles lauschte und sich selbst vorrangig darum bemühte nicht von den Beinen gerissen zu werden. Sein Blick blieb an Melinda hängen. Er fühlte sich schuldig. Sie hatten nicht damit rechnen können, dass das hier geschehen würde, aber es war wohl allen klar gewesen, dass diese Unternehmung ein Risiko darstellte. Das hatte er sich nicht für sie gewünscht. Auch nach allem was sie getan hatte, liebte er sie noch immer. Nicht wie Lynette, aber wie eine Tochter, die er nie hatte. Sie mochte eine Mörderin sein, aber gleichzeitig war sie auch immer noch das kranke Mädchen, das man damals zu ihm in die Praxis gebracht hatte. Damals waren sie Beide noch voller Lebensfreude gewesen. Es schmerzte ihn jetzt an diese Erinnerungen zurückzudenken. Auch damals war nicht alles problemlos gewesen, aber er war noch ein anderer Mensch gewesen; nicht diese verbitterte, von Selbstzweifeln zerfressene Gestalt, die tagsüber beim Amputieren von Gliedmaßen über Suizid nachdachte und nachts von Albträumen gequält wurde.
Sie hatten sich Beide verändert. Er hätte damals die Gelegenheit gehabt sie dort rauszuholen und hatte sie verstreichen lassen. Randolph hätte verhindern können, dass es soweit mit ihr kam und dafür hasste er sich noch heute. Welche andere Wahl hatte Melinda schon gehabt? Sie war ein Waisen-Mädchen, auf sich allein gestellt und zudem noch klein und kränklich. Ihr gesamtes Leben war sie wie Scheiße behandelt worden. Er wusste nicht, ob man ihren Eltern eine Schuld geben konnte, gut möglich das man sie bei dem Waisenhaus ausgesetzt hatte, weil sie tot waren. Aber dort hatte es bereits angefangen. Er hatte Mrs. Mitchell kurz kennengelernt und wusste welche Art von Frau sie war, Melly hatte ihm auch viel von ihr erzählt. Im Waisenhaus, in den Fabriken, im Bordell, es war überall das Gleiche gewesen.
Melly war immer auf sich allein gestellt gewesen. Im Waisenhaus hatte sie keine Freunde gehabt und die Leiterin war eine Tyrannin. In der Fabrik ließ man sie sich tot schuften, während sie giftige Dämpfe einatmete. Und im Bordell schließlich hatte sie als Stück Fleisch für ihre Freier herhalten dürfen, denn das war es bestimmt, was die allermeisten in ihr sahen. Es war nur logisch, dass sie labil geworden war und auch keine Bedenken zeigte anderen Menschen Schaden zuzufügen, die in ihrem Weg standen. Denn sie war immer schon auf sich gestellt gewesen und nach dem man sie immer nur getreten und benutzt hatte wie einen Straßenköter, stand es ihr zu selbst gewissenlos zu handeln.
Randolph nahm sich eine der Westen, die Charles verteilte und begann sie anzulegen. Dafür musste er sich hinsetzen.
Wenn sie nun starben würde es dem Ganzen wenigstens ein Ende setzen. Er hatte Melindas Worte nicht vergessen, dass sie sich wünschte am Galgen zu hängen. Bald würden sie sich Beide nicht mehr mit Sorgen und Problemen quälen müssen. Es würde auch keine weiteren Morde mehr geben. Es wäre einfach nur aus. Randolph glaubte nicht an ein Jenseits.
Er richtete sich wieder auf, machte sich bereit für den Absprung. Randolph sprach seine Gedanken nicht aus, aber es war ihm klar, dass das Gatling-Geschütz sie höchstwahrscheinlich noch im Flug zerreißen würde. Es war ihre beste und einzige Chance; mit etwas Glück kam einer von Ihnen durch, aber der Doktor rechnete sich keine sonderlich großen Überlebenschancen für ihre Crew aus. Noch einmal wanderte sein Blick über alle Anwesenden. Über ihre Antlitze zuckten die Schatten des grollenden Flammeninfernos.
Randolph stellte sich neben Melinda, als sie gerade ihr krankhaftes oder verzweifeltes Lachen beendet hatte.
„Ich hoffe du vergibst mir unser letztes Gespräch in der Fabrik.“
Er zögerte.
„Es war nicht meine Absicht so mit dir zu reden und ich bereue es auch. Nun spielt es wohl ohnehin keine Rolle mehr.“
Der Doktor zurrte die Weste fest und warf, in einem Versuch die Atmosphäre aufzulockern, der wohl aber wahrscheinlich scheitern würde, noch einen Kommentar ein:
„Immerhin haben wir einen hübschen Ausblick, wenn wir sterben.“
Darnamur- Jünger des Pinguins
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Re: Götterblut - Kapitel 5: Spiel im Schatten
Er würde sterben. Das wusste Gilbert schon, als das erste Geschoss in den Bug der Endeavour eingeschlagen war und kaum eine Sekunde später Holz- und Glassplitter wie wild durch den Raum geschleudert wurden. Nur wenige Meter entfernt von ihm war der Boden, auf dem er noch einige Minuten - oder waren es Stunden gewesen? - vorher herumgelaufen war, zerfetzt worden und ähnelte nun einem riesigen Maul, dass alles und jeden im Schiff verschlingen wollte. Wie angewurzelt blieb der Maler stehen und blickte auf das Chaos, das von einer auf die andere Sekunde ausgebrochen war. Er hatte schon fast die Hoffnung gehabt, London doch noch unbeschadet zu erreichen. Fast war das bisschen Vertrauen, dass er in Charles Norly gesetzt hatte, belohnt worden. Doch alles war so gekommen, wie er es sich vor dem Start des Luftschiffes vorgestellt hatte. Tatsächlich war der Albtraum, den er sich vorgestellt hatte, in Wirklichkeit noch viel schlimmer als alles, was sein Gehirn sich erdacht hatte. Doch jetzt ein "Ich habs doch gesagt!" oder "Ich wusste, dass es so enden würde!" über die Geräusche des berstenden und immer weiter zerfallenden Schiffes zu schreien, würde weder ihm, noch jemand anderen wirklich etwas bringen. Das Wissen, dass er Recht gehabt hatte, würde ihm in den letzten Augenblicken seines jämmerlichen Lebens auch nicht mehr viel Freude bringen.
Ein stechender Schmerz brachte Gilbert wieder in die Realität zurück. Kurz darauf begann sich ein dumpfer, pochender Schmerz in seinem Arm auszubreiten und ein kurzer Blick bestätigte, dass wohl ein Glassplitter seinen Arm gestreift und ihn verletzt hatte. Er blickte an sich herunter und bemerkte schnell, dass dies nicht die einzige Blessur war, die er davongetragen hatte aber die anderen hatte er, gefesselt von der Art und Weise, wie sein Leben enden würde, nicht wirklich wahrgenommen. Vermutlich würde er davon nur blaue Flecken oder höchstens Schürfwunden davontragen. Vorausgesetzt er würde das alles überleben und nicht als Haufen Matsch am Boden oder als Aschehäufchen im Schiff enden. Hoffnungen auf ein Happy End machte er sich jetzt allerdings nicht.
Mechanisch bewegte er sich auf die Bar zu und folgte damit Norlys Worten. Er hätte einfach auf seinem Stuhl sitzen bleiben und sich nicht die Stadt ansehen sollen. Doch wer hatte schon ahnen können, dass sie kurze Zeit später angegriffen werden würden? Während er sich an der Bar zusammenkauerte, die Augen schloss und auf sein Ende wartete, nahm er die kurzen Gespräche der anderen kaum wahr. Er hörte noch die Worte Gatling-Gun und das die Endeavour wie ein Stein zu Boden stürzen würde aber Gilberts Gedanken waren schon ganz woanders. In diesem Moment war ihm sein Umfeld ganz egal. Er achtete nicht auf die Personen, die ihm jetzt, da sie alle an der Bar versammelt waren, so nahe waren. Obwohl sie die letzten Tage schon soviel zusammen durchgemacht hatten - und er zumindest Ms. Thomson und Mr. Benton in gewisser Weise vertraut hatte - ignorierte er diese Menschen völlig. Dies würde sein Ende sein und es gab nichts, was er ihnen jetzt noch sagen wollte oder musste.
Der Maler war völlig mit sich selbst beschäftigt und versuchte an die guten Dinge zu denken, die er in seinem recht kurzen Leben hatte erfahren dürfen. Es war nicht sehr viel, das musste er sich schnell eingestehen. Von seinen Eltern war er nie wirklich unterstützt oder auch nur beachtet worden und Freunde hatte er kaum gehabt. Die wenigen Menschen, die er kennen gelernt hatte und die ihm als Freunde in Erinnerungen geblieben waren, konnte er an einer Hand abzählen. Doch selbst die waren eher einer Zeit entsprungen, in der er sich mit Opium und Alkohol zugedröhnt hatte. Er war nicht er selbst gewesen und nachdem er den Zusammenbruch erlitten hatte, waren auch diese Freunde mehr oder weniger verschwunden. In der Zeit, in der er die meiste Unterstützung gebraucht hatte. Lediglich Amelia - die dank ihm immer noch im Gefängnis saß - hatte ihn immer unterstützt. Sie hatte ihn immer wieder dazu bewegt, mit der Malerei weiterzumachen und war für ihn wie eine Mutter gewesen. Und nun würde er sie nie wieder besuchen und wiedersehen können. Er konnte ihr nicht mehr sagen, wie dankbar er war. Vermutlich wusste sie das bereits aber er hatte trotzdem gehofft, ihr das noch einmal sagen zu können, bevor er das Land verlassen würde. Was jetzt natürlich auch nicht mehr passieren wird.
Gilbert seufzte schwer, denn er wurde unweigerlich mit all dem konfrontiert, was in seinem Leben schief gelaufen war. Nur wenige Gedankengänge später, war er bereits wieder an diesem schicksalhaften Tag angekommen, an dem er seinen Vater umgebracht hatte. Trotz der Medikamente, die er in der letzten Zeit regelmäßig eingenommen hatte, fiel er immer tiefer in die Spirale aus Trauer, Selbstmitleid, Wut und Schuldgefühlen herab. Vielleicht war der Angriff auf die Endeavour und damit der Tod seiner Passagiere eine Handlung Gottes. Sie alle hatten Dinge getan, die der christliche Glaube nicht duldete. Sie alle hatten mehr als eines der Gebote gebrochen. War dies Gottes Richtspruch? Die Sünder niederzustrecken, in Feuer aufgehen und auf die Erde stürzen zu lassen? Vielleicht war es nicht Gottes Werk aber das Ergebnis würde das Gleiche sein. Sie würden sterben. Vermutlich war das gut so. Gilbert würde endlich erlöst und für die Dinge bestraft werden, die er getan hatte. Im Tod würde er endlich Frieden finden. Er wünschte niemand anderem den Tod aber wenn Norly wirklich Scarface war, dann wäre es für London und die umliegenden Städte besser, wenn er hier sterben würde.
Der Maler atmete tief durch und öffnete wieder die Augen. Er war bereit zu sterben - sah es nicht mehr als etwas Negatives an. Alles würde enden und das war gut. Selbst die Schmerzen, die er erleiden würde, würde er aushalten, um für den Mord an seinem Vater zu bezahlen. Es waren nur wenige Sekunden vergangen, seitdem Gilbert sich in seine Gedanken zurückgezogen hatte. Jetzt da er sich im Klaren darüber war, was passieren würde, konnte er sich wieder auf die Worte konzentrieren, die um ihn herum gesprochen wurden. Er hörte nur noch, dass sie von Bord mussten und sah, dass auf dem Boden einige seltsam aussehende Westen lagen, von denen sich Norly eine bereits umgelegt hatte. Auch der Doktor und seine Frau zogen sich die Westen an. Einen Moment lang starrte Gilbert darauf, als ihm klar wurde, was Norly verlangte. Sie mussten aus dem Schiff springen und die Westen würden sie irgendwie retten. Wieder eine so glorreiche Erfindung wie die Endeavour? Das Luftschiff selbst hatte außerordentlich gut funktioniert. Wieso nicht auch diese Westen?
Gilbert glaubte trotzdem nicht daran, dass die Weste sein Leben retten würde. Selbst wenn sie seinen Fall irgendwie stoppte, würde entweder die Gatling-Gun ihn in tausend Stücke zerreißen oder der Yard, der dort unten sicherlich alles beobachtete und nur darauf wartete, dass jemand dem Beschuss überlebte, ihn hängen. Es gab kein Entkommen. Keine Hoffnung darauf, zu überleben. Doch wenn er schon sterben musste, dann konnte er auch aus dem Schiff springen. Die Art seines Todes war Gilbert egal. Im Endeffekt war er tot und das war das Einzige, was dann noch zählte. Wieso also nicht noch etwas völlig verrücktes tun? Er hatte sich sein ganzes Leben lang versteckt, hatte sich zurückgezogen und feige zurückgehalten. Er hatte nie viel aufs Spiel gesetzt und riskiert - zumindest nicht seit dem Tod seines Vaters. Da er jetzt sowieso nichts mehr zu verlieren hatte, wollte er einmal etwas Verrücktes tun. Ohne ein Wort zu sagen, legte er die Weste an und wartete auf irgendein Zeichen.
Ein Lächeln huschte auf sein Gesicht. Er war froh, dass alles schon bald ein Ende nehmen würde.
Ein stechender Schmerz brachte Gilbert wieder in die Realität zurück. Kurz darauf begann sich ein dumpfer, pochender Schmerz in seinem Arm auszubreiten und ein kurzer Blick bestätigte, dass wohl ein Glassplitter seinen Arm gestreift und ihn verletzt hatte. Er blickte an sich herunter und bemerkte schnell, dass dies nicht die einzige Blessur war, die er davongetragen hatte aber die anderen hatte er, gefesselt von der Art und Weise, wie sein Leben enden würde, nicht wirklich wahrgenommen. Vermutlich würde er davon nur blaue Flecken oder höchstens Schürfwunden davontragen. Vorausgesetzt er würde das alles überleben und nicht als Haufen Matsch am Boden oder als Aschehäufchen im Schiff enden. Hoffnungen auf ein Happy End machte er sich jetzt allerdings nicht.
Mechanisch bewegte er sich auf die Bar zu und folgte damit Norlys Worten. Er hätte einfach auf seinem Stuhl sitzen bleiben und sich nicht die Stadt ansehen sollen. Doch wer hatte schon ahnen können, dass sie kurze Zeit später angegriffen werden würden? Während er sich an der Bar zusammenkauerte, die Augen schloss und auf sein Ende wartete, nahm er die kurzen Gespräche der anderen kaum wahr. Er hörte noch die Worte Gatling-Gun und das die Endeavour wie ein Stein zu Boden stürzen würde aber Gilberts Gedanken waren schon ganz woanders. In diesem Moment war ihm sein Umfeld ganz egal. Er achtete nicht auf die Personen, die ihm jetzt, da sie alle an der Bar versammelt waren, so nahe waren. Obwohl sie die letzten Tage schon soviel zusammen durchgemacht hatten - und er zumindest Ms. Thomson und Mr. Benton in gewisser Weise vertraut hatte - ignorierte er diese Menschen völlig. Dies würde sein Ende sein und es gab nichts, was er ihnen jetzt noch sagen wollte oder musste.
Der Maler war völlig mit sich selbst beschäftigt und versuchte an die guten Dinge zu denken, die er in seinem recht kurzen Leben hatte erfahren dürfen. Es war nicht sehr viel, das musste er sich schnell eingestehen. Von seinen Eltern war er nie wirklich unterstützt oder auch nur beachtet worden und Freunde hatte er kaum gehabt. Die wenigen Menschen, die er kennen gelernt hatte und die ihm als Freunde in Erinnerungen geblieben waren, konnte er an einer Hand abzählen. Doch selbst die waren eher einer Zeit entsprungen, in der er sich mit Opium und Alkohol zugedröhnt hatte. Er war nicht er selbst gewesen und nachdem er den Zusammenbruch erlitten hatte, waren auch diese Freunde mehr oder weniger verschwunden. In der Zeit, in der er die meiste Unterstützung gebraucht hatte. Lediglich Amelia - die dank ihm immer noch im Gefängnis saß - hatte ihn immer unterstützt. Sie hatte ihn immer wieder dazu bewegt, mit der Malerei weiterzumachen und war für ihn wie eine Mutter gewesen. Und nun würde er sie nie wieder besuchen und wiedersehen können. Er konnte ihr nicht mehr sagen, wie dankbar er war. Vermutlich wusste sie das bereits aber er hatte trotzdem gehofft, ihr das noch einmal sagen zu können, bevor er das Land verlassen würde. Was jetzt natürlich auch nicht mehr passieren wird.
Gilbert seufzte schwer, denn er wurde unweigerlich mit all dem konfrontiert, was in seinem Leben schief gelaufen war. Nur wenige Gedankengänge später, war er bereits wieder an diesem schicksalhaften Tag angekommen, an dem er seinen Vater umgebracht hatte. Trotz der Medikamente, die er in der letzten Zeit regelmäßig eingenommen hatte, fiel er immer tiefer in die Spirale aus Trauer, Selbstmitleid, Wut und Schuldgefühlen herab. Vielleicht war der Angriff auf die Endeavour und damit der Tod seiner Passagiere eine Handlung Gottes. Sie alle hatten Dinge getan, die der christliche Glaube nicht duldete. Sie alle hatten mehr als eines der Gebote gebrochen. War dies Gottes Richtspruch? Die Sünder niederzustrecken, in Feuer aufgehen und auf die Erde stürzen zu lassen? Vielleicht war es nicht Gottes Werk aber das Ergebnis würde das Gleiche sein. Sie würden sterben. Vermutlich war das gut so. Gilbert würde endlich erlöst und für die Dinge bestraft werden, die er getan hatte. Im Tod würde er endlich Frieden finden. Er wünschte niemand anderem den Tod aber wenn Norly wirklich Scarface war, dann wäre es für London und die umliegenden Städte besser, wenn er hier sterben würde.
Der Maler atmete tief durch und öffnete wieder die Augen. Er war bereit zu sterben - sah es nicht mehr als etwas Negatives an. Alles würde enden und das war gut. Selbst die Schmerzen, die er erleiden würde, würde er aushalten, um für den Mord an seinem Vater zu bezahlen. Es waren nur wenige Sekunden vergangen, seitdem Gilbert sich in seine Gedanken zurückgezogen hatte. Jetzt da er sich im Klaren darüber war, was passieren würde, konnte er sich wieder auf die Worte konzentrieren, die um ihn herum gesprochen wurden. Er hörte nur noch, dass sie von Bord mussten und sah, dass auf dem Boden einige seltsam aussehende Westen lagen, von denen sich Norly eine bereits umgelegt hatte. Auch der Doktor und seine Frau zogen sich die Westen an. Einen Moment lang starrte Gilbert darauf, als ihm klar wurde, was Norly verlangte. Sie mussten aus dem Schiff springen und die Westen würden sie irgendwie retten. Wieder eine so glorreiche Erfindung wie die Endeavour? Das Luftschiff selbst hatte außerordentlich gut funktioniert. Wieso nicht auch diese Westen?
Gilbert glaubte trotzdem nicht daran, dass die Weste sein Leben retten würde. Selbst wenn sie seinen Fall irgendwie stoppte, würde entweder die Gatling-Gun ihn in tausend Stücke zerreißen oder der Yard, der dort unten sicherlich alles beobachtete und nur darauf wartete, dass jemand dem Beschuss überlebte, ihn hängen. Es gab kein Entkommen. Keine Hoffnung darauf, zu überleben. Doch wenn er schon sterben musste, dann konnte er auch aus dem Schiff springen. Die Art seines Todes war Gilbert egal. Im Endeffekt war er tot und das war das Einzige, was dann noch zählte. Wieso also nicht noch etwas völlig verrücktes tun? Er hatte sich sein ganzes Leben lang versteckt, hatte sich zurückgezogen und feige zurückgehalten. Er hatte nie viel aufs Spiel gesetzt und riskiert - zumindest nicht seit dem Tod seines Vaters. Da er jetzt sowieso nichts mehr zu verlieren hatte, wollte er einmal etwas Verrücktes tun. Ohne ein Wort zu sagen, legte er die Weste an und wartete auf irgendein Zeichen.
Ein Lächeln huschte auf sein Gesicht. Er war froh, dass alles schon bald ein Ende nehmen würde.
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Re: Götterblut - Kapitel 5: Spiel im Schatten
Rein instinktiv trat Bruce dem rätselhaften Einbrecher in den Weg, als der sich so spontan ins Nachtleben auf den Straßen des, in den Ausnahmezustand versetzten Londons, begeben wollte. Der Schotte wusste nicht, woran er bei diesem Menschen war und woher dieser seine Selbstsicherheit nahm, ihn so einfach in seine Handlungen einzuladen.
Die Geldsäcke Londons taten sich natürlich üblicher weise stark durch geprotze und gespielte Selbstdisziplin hervor, doch änderte sich dies in aller Regel, wenn sie tatsächlich einem unkalkulierbarem Risiko gegenüber standen.
Wer hatte also diesen Teufelskerl vor ihm in einen feinen Anzug gesteckt, der weder allein mit einem körperlich überlegenen Fremden, noch in einem plötzlichen, kriegsartigen Zustand der ganzen Stadt merklich aus der Fassung geriet?
Bruce musste unwillkürlich an Professor Dr. Edgar Temple und seine etwas skurrilen Angestellten, oder den Kämpfer aus dem Park denken. Der Himmel wusste, wie viele solcher Querköpfe unter Londons Dächern ihr zuhause hatten, doch war er mit dem Mann vor sich wohl zweifellos an jemanden geraten, der mehr über die Zusammenhänge um den Scarface Mythos wusste.
Alleine die Begegnung hier erhärtete den Verdacht, dass Charles Norly diesen Dr. Tremaine und Melinda Bolt für seine Zwecke rekrutiert hatte und dem Verhalten des Mannes nach, musste er auch über Vorgänge verschiedener Seiten in dem Spiel im Bilde sein.
Was Bruce inzwischen über den Mann in Erfahrung gebracht hatte, genügte für ein vages Bild. Dieser wusste offenbar recht genau über die Dr. Tremaines Verschwinden Bescheid und damit vielleicht auch über Norlys jüngere Handlungen. Das er das Geschützfeuer identifiziert haben wollte, deutete auf eine Vergangenheit beim Militär hin und wenigstens die Besitzer dieser Waffe und deren Absichten glaubte der Mann zu kennen.
Das er unbewaffnet in Dr. Tremaines Haus eingebrochen war und wie er sich Bruce gegenüber verhalten hatte, alamierte den Schotten zur Vorsicht. Berechnende Personen gingen für gewöhnlich nicht solche Risiken ein, doch genau für so jemanden hätte Bruce den Einbrecher am ehesten gehalten. Verzweiflung sprach jedenfalls nicht aus ihm, obwohl er ganz eindeutig nicht Herr der Lage war.
Bruce hatte sich vor ihm Aufgebaut, die Hände locker in den Manteltaschen und sah in sein Gesicht. „Für wen halten Sie mich?“ Ganz ruhig kamen die Worte über die Lippen des Schotten, während das Meerblau seiner Augen den Blick des Fremden fixierte.
Der Mann hatte die Störung durch den Schotten nicht vorhersehen können, doch musste auch dieser sich mit den Motiven seines Gegenübers beschäftigt haben. Es stand außer Frage, dass Bruce ihm folgen würde, ganz gleich welche Antwort er ihm auch gab, da dieser schließlich als die bei weitem beste Quelle erschien, ihn näher an Scarface heran zu bringen. Ob der Mann log, würde Bruce sowieso nicht einschätzen können, aber die bisherige Direktheit seiner Worte eröffnete zumindest die Chance, dass der Fremde weitere Karten auf den Tisch legte.
Nach kaum drei Sekunden, die in der Situation dennoch wie eine kleine Ewigkeit erschienen, gab Bruce den Weg im Flur wieder frei, ohne dabei den Blick von seinem Gesprächspartner zu wenden.
Die Geldsäcke Londons taten sich natürlich üblicher weise stark durch geprotze und gespielte Selbstdisziplin hervor, doch änderte sich dies in aller Regel, wenn sie tatsächlich einem unkalkulierbarem Risiko gegenüber standen.
Wer hatte also diesen Teufelskerl vor ihm in einen feinen Anzug gesteckt, der weder allein mit einem körperlich überlegenen Fremden, noch in einem plötzlichen, kriegsartigen Zustand der ganzen Stadt merklich aus der Fassung geriet?
Bruce musste unwillkürlich an Professor Dr. Edgar Temple und seine etwas skurrilen Angestellten, oder den Kämpfer aus dem Park denken. Der Himmel wusste, wie viele solcher Querköpfe unter Londons Dächern ihr zuhause hatten, doch war er mit dem Mann vor sich wohl zweifellos an jemanden geraten, der mehr über die Zusammenhänge um den Scarface Mythos wusste.
Alleine die Begegnung hier erhärtete den Verdacht, dass Charles Norly diesen Dr. Tremaine und Melinda Bolt für seine Zwecke rekrutiert hatte und dem Verhalten des Mannes nach, musste er auch über Vorgänge verschiedener Seiten in dem Spiel im Bilde sein.
Was Bruce inzwischen über den Mann in Erfahrung gebracht hatte, genügte für ein vages Bild. Dieser wusste offenbar recht genau über die Dr. Tremaines Verschwinden Bescheid und damit vielleicht auch über Norlys jüngere Handlungen. Das er das Geschützfeuer identifiziert haben wollte, deutete auf eine Vergangenheit beim Militär hin und wenigstens die Besitzer dieser Waffe und deren Absichten glaubte der Mann zu kennen.
Das er unbewaffnet in Dr. Tremaines Haus eingebrochen war und wie er sich Bruce gegenüber verhalten hatte, alamierte den Schotten zur Vorsicht. Berechnende Personen gingen für gewöhnlich nicht solche Risiken ein, doch genau für so jemanden hätte Bruce den Einbrecher am ehesten gehalten. Verzweiflung sprach jedenfalls nicht aus ihm, obwohl er ganz eindeutig nicht Herr der Lage war.
Bruce hatte sich vor ihm Aufgebaut, die Hände locker in den Manteltaschen und sah in sein Gesicht. „Für wen halten Sie mich?“ Ganz ruhig kamen die Worte über die Lippen des Schotten, während das Meerblau seiner Augen den Blick des Fremden fixierte.
Der Mann hatte die Störung durch den Schotten nicht vorhersehen können, doch musste auch dieser sich mit den Motiven seines Gegenübers beschäftigt haben. Es stand außer Frage, dass Bruce ihm folgen würde, ganz gleich welche Antwort er ihm auch gab, da dieser schließlich als die bei weitem beste Quelle erschien, ihn näher an Scarface heran zu bringen. Ob der Mann log, würde Bruce sowieso nicht einschätzen können, aber die bisherige Direktheit seiner Worte eröffnete zumindest die Chance, dass der Fremde weitere Karten auf den Tisch legte.
Nach kaum drei Sekunden, die in der Situation dennoch wie eine kleine Ewigkeit erschienen, gab Bruce den Weg im Flur wieder frei, ohne dabei den Blick von seinem Gesprächspartner zu wenden.
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Re: Götterblut - Kapitel 5: Spiel im Schatten
Maura konnte nicht anders, sie musste auflachen, als Dr. Benton seinen Kommentar einwarf. Ja, das stimmte – mindestens ein letztes Mal würden sie London von oben sehen.
Dummerweise heiterte sie das kein bisschen auf. Nicht, dass sie schlecht gelaunt war! Das Adrenalin pumpte so sehr durch ihren Körper, dass es sich anfühlte, als sei auch in ihrem Inneren Feuer ausgebrochen.
Grimmig und skeptisch zugleich betrachtete sie die unförmigen Anzüge, die Norly ihnen gab, aber viel Zeit zum Schauen blieb nicht. Stattdessen tat Maura ihr Bestes, mit den Schnallen und Schlaufen der Weste zu hantieren, aber es war so, wie sie schon vermutet hatte: Dieses verdammte Luftschiff war natürlich nicht auf weibliche Fluggäste eingestellt gewesen. Immerhin – zu groß war das Teil nicht, kein Wunder, sie überragte selbst Norly noch um ein paar Zentimeter. Unbequem war es trotzdem, und um die Brust herum verflucht eng. Sie hatte nie in ihrem Leben ein Korsett getragen, aber in diesem Moment bekam sie eine Vorstellung davon, wie es sich wohl anfühlen mochte. Wenn auch weiter unten.
Maura wischte sich den Schweiß von der Stirn, dann zog sie die letzte Schnalle fest. Es war seltsam heiß und kalt zugleich, wie im Bad bei geöffnetem Fenster. Hitze wehte vom Feuer im Cockpit hinüber, doch die Nachtluft hielt tapfer dagegen. Mauras Mantel wehte immer noch, doch nun, da die Weste ihn zusammenhielt, hatte sie wieder beide Hände frei. Das Messer in ihrer Tasche schlug kalt und schwer auf ihren Oberschenkel. Hoffentlich würde sie es nicht brauchen. Ein einzelner Mord reichte für ein Leben.
Maura lagen ein Dutzend spitzer Bemerkungen auf der Zunge, doch sie hielt sich zurück. Stattdessen befühlte sie die enge Weste (hatte sie sie falsch herum angezogen, oder warum fühlte sich das so komisch an …?) und warf Norly einen zweifelnden Blick zu. Ja, sie hatte von Garnerin und seinen Sprüngen gehört. Seine Frau war ebenfalls gesprungen, ein Fakt, der ihr im Gedächtnis geblieben war. Aber dieser Mann war sicher nicht aus einem abstürzenden Feuerball gehüpft! Selbst, wenn sie noch in der Luft waren, konnten sie noch von fallenden Trümmerteilen erschlagen werden. Und wer sagte eigentlich, dass der Yard nicht unten wartete und sie ihm majestätisch langsam in die Arme segeln würden?
Gottverdammt … so viele Arten zu sterben, sie konnte sich gar nicht entscheiden, welche ihr die liebste war. Dem Yard könnte sie bestimmt irgendein Märchen auftischen, aber das Feuer würde Gerede nicht interessieren.
Heißt das, du willst ernsthaft da runter springen?! Das ist völliger Wahnsinn! Was, wenn der Fallschirm nicht funktioniert? Andererseits – hatte sie noch eine Wahl? Hier oben würde sie das Feuer verzehren, oder, vorausgesetzt, sie fand eine sichere Ecke, würde sie mit den Überresten der Endavour am Boden zerschellen.
Maura sah zu Norly hinüber. Beeindruckend. Der Mann wirkte immer noch irgendwie selbstverliebt, obwohl ihm die blöde Weste kein bisschen stand. Wahrscheinlich fühlte er sich immer noch wie der geborene Abenteurer.
„Gehen eigentlich alle Ihre Pläne so grandios schief, Norly? Das hätten Sie mir vorher sagen können.“ Sie lächelte schmal. „Gott sei Dank haben Sie ja jetzt uns … Kommen Sie, lassen Sie uns als erste springen. Der Traum vom Fliegen … Ich bin gespannt, ob es so faszinierend ist, wie man es sich vorstellt, Sie nicht auch?“
Während sie sprach, ging Maura bereits auf die Einstiegsluke des Schiffes zu. Jetzt erst warf sie einen Blick zurück. Es sollte Norly gebühren, die Tür zu öffnen … und nicht zuletzt hatte sie Sorge, es wegen des Unterdrucks allein nicht zu schaffen.
Aber wenn er sprang … dann würde sie nicht zögern.
Dummerweise heiterte sie das kein bisschen auf. Nicht, dass sie schlecht gelaunt war! Das Adrenalin pumpte so sehr durch ihren Körper, dass es sich anfühlte, als sei auch in ihrem Inneren Feuer ausgebrochen.
Grimmig und skeptisch zugleich betrachtete sie die unförmigen Anzüge, die Norly ihnen gab, aber viel Zeit zum Schauen blieb nicht. Stattdessen tat Maura ihr Bestes, mit den Schnallen und Schlaufen der Weste zu hantieren, aber es war so, wie sie schon vermutet hatte: Dieses verdammte Luftschiff war natürlich nicht auf weibliche Fluggäste eingestellt gewesen. Immerhin – zu groß war das Teil nicht, kein Wunder, sie überragte selbst Norly noch um ein paar Zentimeter. Unbequem war es trotzdem, und um die Brust herum verflucht eng. Sie hatte nie in ihrem Leben ein Korsett getragen, aber in diesem Moment bekam sie eine Vorstellung davon, wie es sich wohl anfühlen mochte. Wenn auch weiter unten.
Maura wischte sich den Schweiß von der Stirn, dann zog sie die letzte Schnalle fest. Es war seltsam heiß und kalt zugleich, wie im Bad bei geöffnetem Fenster. Hitze wehte vom Feuer im Cockpit hinüber, doch die Nachtluft hielt tapfer dagegen. Mauras Mantel wehte immer noch, doch nun, da die Weste ihn zusammenhielt, hatte sie wieder beide Hände frei. Das Messer in ihrer Tasche schlug kalt und schwer auf ihren Oberschenkel. Hoffentlich würde sie es nicht brauchen. Ein einzelner Mord reichte für ein Leben.
Maura lagen ein Dutzend spitzer Bemerkungen auf der Zunge, doch sie hielt sich zurück. Stattdessen befühlte sie die enge Weste (hatte sie sie falsch herum angezogen, oder warum fühlte sich das so komisch an …?) und warf Norly einen zweifelnden Blick zu. Ja, sie hatte von Garnerin und seinen Sprüngen gehört. Seine Frau war ebenfalls gesprungen, ein Fakt, der ihr im Gedächtnis geblieben war. Aber dieser Mann war sicher nicht aus einem abstürzenden Feuerball gehüpft! Selbst, wenn sie noch in der Luft waren, konnten sie noch von fallenden Trümmerteilen erschlagen werden. Und wer sagte eigentlich, dass der Yard nicht unten wartete und sie ihm majestätisch langsam in die Arme segeln würden?
Gottverdammt … so viele Arten zu sterben, sie konnte sich gar nicht entscheiden, welche ihr die liebste war. Dem Yard könnte sie bestimmt irgendein Märchen auftischen, aber das Feuer würde Gerede nicht interessieren.
Heißt das, du willst ernsthaft da runter springen?! Das ist völliger Wahnsinn! Was, wenn der Fallschirm nicht funktioniert? Andererseits – hatte sie noch eine Wahl? Hier oben würde sie das Feuer verzehren, oder, vorausgesetzt, sie fand eine sichere Ecke, würde sie mit den Überresten der Endavour am Boden zerschellen.
Maura sah zu Norly hinüber. Beeindruckend. Der Mann wirkte immer noch irgendwie selbstverliebt, obwohl ihm die blöde Weste kein bisschen stand. Wahrscheinlich fühlte er sich immer noch wie der geborene Abenteurer.
„Gehen eigentlich alle Ihre Pläne so grandios schief, Norly? Das hätten Sie mir vorher sagen können.“ Sie lächelte schmal. „Gott sei Dank haben Sie ja jetzt uns … Kommen Sie, lassen Sie uns als erste springen. Der Traum vom Fliegen … Ich bin gespannt, ob es so faszinierend ist, wie man es sich vorstellt, Sie nicht auch?“
Während sie sprach, ging Maura bereits auf die Einstiegsluke des Schiffes zu. Jetzt erst warf sie einen Blick zurück. Es sollte Norly gebühren, die Tür zu öffnen … und nicht zuletzt hatte sie Sorge, es wegen des Unterdrucks allein nicht zu schaffen.
Aber wenn er sprang … dann würde sie nicht zögern.
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Re: Götterblut - Kapitel 5: Spiel im Schatten
Abrupt aufgehalten, konnte der Fremde noch stoppen, bevor er mit Bruce zusammenprallte. Nun schlich sich tatsächlich kurz Unsicherheit in sein Gesicht, als er am muskulösen, großgewachsenen Schotten hinaufblickte. Braune Augen analysierten Bruce aus unmittelbarer Nähe. Trotzdem suchte der Mann, dem diese Situation sichtbar unbehaglich war, keinen Sicherheitsabstand – auch wenn Bruces Worte vielleicht bedrohlich wirken mochten –, sondern schien abzuwarten. Oder er zögerte lediglich – allzu Zeit ließ Bruce schließlich nicht verstreichen, bis er den Weg wieder freigab. Als er es jedoch tat, atmete der Mann lächelnd auf.
„Sie scheinen mir vernünftig zu sein“, antworte er dann, während er auch schon an Bruce vorbeischlüpfte, „... und ein besorgter Bürger. Eigenschaften, die wir teilen“, meinte er. Schnellen Schrittes steuerte der Fremde auf die Treppe zu, auf die er auch schon einen Fuß setzte, bevor er innehielt und zu Bruce zurücksah.
„Wer weiß? – Vielleicht werden wir heute Zeugen eines ausbrechenden Kriegs“, sprach er mit ernstem Unterton. „Ich will es nicht beschwören, aber Sirenen und Geschütze sind kein gutes Omen.“
Als Bruce zurück in die Nacht eintauchte, fiel ihm auf, dass die Atmosphäre, die sich über die Straßen gelegt hatte, nun ganz anders war als noch vor wenigen Minuten. Bevor er das Haus Dr. Tremaines betreten hatte, vor dem Aufheulen der Sirenen, hatte der semi-schäbige, lockere Charme Sohos über allem gelegen... nun herrschte eher eine Angespanntheit vor, die mit Ungewissheit geschwängert war. Man konnte die Angst der Bürger Londons förmlich riechen.
Dabei war es gerade, in diesem Moment, einigermaßen still. Die Sirenen waren verstummt, wie auch das Geschützfeuer in der Ferne. Die Stadt wartete der Dinge ab, die noch folgen mochten... oder, bevorzugt, auf das angekündigte Entwarnungssignal.
Der Fremde hatte den Bürgersteig verlassen und mittig auf der Straße, direkt vor Dr. Tremaines Haus, einen Zwischenhalt eingelegt. Er sah sich um und schien zu lauschen.
Sicher war, dass Bruce und er nicht die einzigen waren, die sich draußen aufhielten. Tatsächlich dauerte es nur wenige Augenblicke, bis ein alarmiert wirkender Trupp von Bobbies ganz in der Nähe rennend die Silver Street kreuzte. Die gezogenen Schlagstöcke ließen darauf schließen, dass sie eindeutig mit Ärger rechneten. Kein Wunder: Ein Kollege rief mit einer Trillerpfeife, deren schaurig-schiefen Töne durch die Gassen hallte, nach Verstärkung.
Der Fremde zögerte nicht lang.
„Kommen Sie, versuchen wir es dort“, forderte er Bruce auf und lief den Uniformierten hinterher.
Sie waren in Richtung Soho Square unterwegs, dem offiziellen Herzen dieses Stadtbezirks (während inoffiziell sicher den verwinkelten Gassen mehr Aufmerksamkeit geschenkt wurde – vor allem seitens der Nachtschwärmer). Obwohl sich viele davon in Sicherheit gebracht hatten, denn die Straßen waren weit weniger bevölkert als zur Zeit von Bruces Suche nach dem Heim des Docs, hatten andere offenbar beschlossen, die Gunst der Stunde zu nutzen und plündernd durch die Einkaufsstraßen zu ziehen. Die Polizisten eilten zu einer Schlägerei, die nahe des Soho Squares zwischen den übermütigen Randalierern und anderen Gesetzeshütern ausgebrochen war. Doch auch wenn das ausbrechende Chaos bestimmt schon für sich ein überraschendes Bild abgab, selbst für diese moralisch schon eher zum East End gehörenden Ausläufer des West Ends, so lenkte etwas Anderes im Blickfeld noch mehr Aufmerksamkeit auf sich, sobald es einem erst einmal aufgefallen war. Der Soho Square drängte eine Lichtung inmitten das Häusermeer und gab so freie Sicht auf ein ungewöhnliches Spektakel, das für Bruce und seinen Begleiter zuvor noch hinter den Fassaden und Dächern verborgen geblieben war. Und es war just in dem Moment, als der Fremde dieses ferne Leuchten am nordwestlichen Nachthimmel zu entdecken schien, als er seine Geschwindigkeit schlagartig drosselte und stehenblieb. Den Polizeieinsatz, nur hundert Yard von ihnen entfernt, ignorierend, fixierte der Mann das fremdartige Licht, das in einiger Höhe über der Stadt zu schweben schien.
„Sehen Sie das auch?“, erkundigte er sich, etwas außer Atem, bei Bruce, ohne den Blick abzuwenden.
Nur eine Sekunde später tauchte ein Feldstecher in seinen Händen auf, den er aus seinem Mantel zog. Die Geräuschkulisse, angefüllt mit gebrüllten Befehlen, gebrüllten Beleidigungen, Krachen und Klirren, brachte ihn nicht davon ab, sich den seltsam erhellten Himmelskörper über ihnen genauer anzusehen.
„Grundgütiger...“
Es lagen gleichermaßen Erschütterung und Überraschung in seiner Stimme.
„Das sieht nach einem Schiff aus... einem fliegenden Schiff. Es brennt lichterloh.“
Langsam ließ er sein Fernglas sinken und hielt es anbietend in Bruces Richtung.
„Sie müssen es abgeschossen haben.“
Die Hitze der ausgebrochenen Feuer schien kontinuierlich zu steigen. Sie trieb Charles zur Eile an. Umso besser, dass alle Anwesenden sich bereitwillig in die Westen schälten. Nun konnte jede Sekunde zwischen ihrem Überleben oder einem grausigen Tod entscheiden.
Es war offensichtlich, dass er gerade tatkräftig dafür Sorge, dass sie alle diese Tragödie, in der sie sich befanden, überlebten. Dennoch schien Mrs. Thomson die Situation für geeignet zu erachten, ihn zu verspotten und die Schwere der Situationen mit Träumereien herunterzuspielen. Charles hätte sich unter anderen Umständen vielleicht auch dazu hinreißen lassen, freiwillig über Bord zu springen, einfach um zu erleben, wie es sich wohl anfühlen mochte – aber das war etwas Anderes, als mit einem Kugelhagel dazu gezwungen zu werden. Die Angst, dass jemand schwer verletzt oder sogar getötet werden konnte, überwog momentan in ihm als anregende Abenteuerlust. Diese glänzte zwar nicht durch vollkommene Abwesenheit, allerdings hatte Charles gerade keinen Nerv dafür übrig, dem Beachtung zu schenken... genauso wenig, wie er keinen Nerv dafür übrighatte, sich kritisieren zu lassen. Er musste sich konzentrieren, um in der Hektik nicht nachlässig zu handeln.
„Meine Pläne würden ganz wunderbar funktionieren“, entgegnete Charles Maura missgelaunt, was allerdings in Nervosität und Sorge etwas unterging, „wenn es da nicht immer wieder wen geben würde, der mir nach dem Leben trachtet.“
Ihr in den Einstiegsbereich der Endeavour folgend, aber nicht zur Tür, sondern die gegenüberliegende Seite des schmalen Raums aufsuchend, fand Charles trotz Zeitdrucks Zeit, ihren Seitenhieb nicht auf sich sitzen zu lassen.
„Seien Sie mir lieber dankbar, Madam, dass ich für solche Fälle immer mindestens ein Hintertürchen parat habe. In welch Dilemma würden wir nun stecken, wenn ich nicht einer derjenigen gewesen wäre, der auf die Implementierung gerade dieser Notfallvorkehrung bestanden hätte?“
Eigentlich redete er eher mit sich selbst als mit Mrs. Thomson. Er suchte ein Ventil für die Verzweiflung, die in ihm hochkochte, während er den Inhalt eines Notfallinfoblatts überflog, das sich in einem Bilderrahmen an dem Schrank befand, in dem die Fallschirme untergebracht waren. Hektisch verfolgte er die Zeilen mit seinem Zeigefinger. Wie ein Fallschirm funktionierte, wusste er, in der Theorie. Jedoch hatte er sich bisher nicht näher mit der genauen Funktionsweise der Absprungvorrichtung hier an Bord beschäftigt. Sie war schon ein bisschen ausgefeilter als Garnerins Methode.
„Ich hätte zwar nie damit gerechnet, dass man die Endeavour mal abschießen würde, aber nun, da es so ist, geben Sie nicht mir die Schuld für die ironische Dummheit derjenigen, die beschlossen haben, dass ein Abschuss der richtige Weg sei, statt am Boden auf uns zu warten, wenn sie schon wussten, dass wir kommen.“
Charles blickte an die Decke, wo er die metallene Führungsschiene entdeckte, die auf dem Blatt erwähnt wurde. Sie erstreckte sich vom Eingang über die ganze Länge des Flurs, bis sie im Schrank verschwand. Zum Glück schien hier noch alles intakt zu sein. Vorerst flogen keine Kugeln... vielleicht hatten die Aggressoren am Boden beschlossen, dass eine Salve sich bereits als ausreichend erwiesen hatte. Blieb zu hoffen, dass sie es dabei beließen.
Charles las weiter.
„Ironisch deswegen“, führte er währenddessen weiter aus, „weil das Schiff in intaktem Zustand überhaupt keine Gefahr darstellt, während nun brennende Trümmerteile über die Stadt verstreut werden, die womöglich wen erschlagen, und Funken dorthin bringen, wo sie lieber nicht hingelangen sollten. Ein Glück, dass gerade kein trockener Sommer da draußen herrscht, sonst würde sich der Große Brand von 1666 vielleicht wiederholen.“
Es ärgerte ihn wirklich... es machte ihn traurig. Enttäuscht. Die Endeavour und ihre Schwesternschiffe waren ein Projekt, was ihm sehr am Herzen lag. Die Unmengen an Geld, die sich gerade in Rauch und Asche auflösten, schmerzten ihn dabei herzlich wenig. Es war der Traum, der Gedanke dahinter, den man gnadenlos in den Untergang geschickt hatte. Genauso wie den Traum einer Familie, nur wenige Stunden zuvor. Selbst, wenn Johanna nicht seine Tochter war... und selbst, wenn sie auch nicht seine Nichte war... man hatte ihm vorgegaukelt, dass sie zu ihm gehörte. Seine Vatergefühle waren echt gewesen.
„Verzeihen Sie mir meinen Zynismus“, endete Charles seine Beschwerde, „ich werde diesen Moment sicher bald genießen können. Aber erst dann, wenn ich dafür gesorgt habe, dass Sie alle von Bord gesprungen sind. Deswegen muss ich als letzter gehen... zusammen mit Ihnen, Doktor.“
Nicht, dass Charles sich dafür entschieden hätte, wenn er eine Wahl gehabt hätte. „Meine Beine sind gesund genug für uns beide, um die Landung zu überstehen“, erklärte er diese Entscheidung.
Charles beschloss außerdem, dass er genug Zeit mit dem Sicherheitsblatt vergeudet hatte. Er hatte versucht, sich alles zu merken, und war nun davor, die einzelnen Schritte abzuarbeiten. Viele waren es nicht.
Zunächst befreite er die Fallschirme aus dem Schrank. Sie waren zusammengefaltet in Leinentaschen verstaut worden, die wiederum an einer Aufhängevorrichtung an der Führungsschiene hingen. Die Aufhängung mit Reißleine sollte garantieren, dass sich der Schirm auch wirklich und sofort nach dem Absprung öffnete. Mit Karabinerhaken ließ sich der Schirm an den Ösen der Westen befestigen, die sie alle bereits trugen.
Charles zog den ersten Schirm zu Maura Thomson herüber, da sie unbedingt zuerst springen wollte – ihm sollte es recht sein.
„Erlauben Sie, Madam?“, erkundigte er sich, ohne Antwort abzuwarten, und befestigte die Karabiner an ihren Schultern. Dann drückte er ihr zwei an Seilen hängende Holzringe in die Hand, die stark an entsprechende Turnringe erinnerten und aus dem verschnürten Fallschirmpaket herauslugten.
„Lass Sie die nicht los. Durch Zug daran können Sie den Schirm lenken“, erklärte er ihr knapp und so, dass ihn alle hören können. Währenddessen trat er auch schon weiter, um dem nächsten Passagier mit dem Schirm zu helfen.
„Er wird Ihren Fall abbremsen, sodass Sie nicht am Boden zerschellen, aber es liegt an Ihnen, ob Sie sanft landen oder nicht. Versuchen Sie nicht, irgendetwas zu rammen oder im Wasser zu landen“, riet er, „… oder sich abschießen zu lassen“, ja, das wäre unschön, „– das könnte übel enden. Ich werde unser Gepäck als Erstes abwerfen. Folgen Sie ihm, wenn möglich, aber lassen Sie es bleiben, wenn das Risiko zu hoch wäre.“
Als Charles bei Oxley angelangt war, fiel es ihm schwer, dem alten Mann in die Augen zu sehen. Er fühlte sich schuldig. Sein Butler hatte seit seinem Eintritt in die Dienste der Familie Norly den Niedergang jedes einzelnen von ihnen erlebt... doch Charles war sich sicher, dass er derjenige war, der Oxley am meisten Kummer bereitet hatte.
Als hätte Oxley seine Gedanken gelesen, sprach der Butler mit einem aufbauenden Schmunzeln, während Charles auch ihm half, den Fallschirm an der Sicherheitsweste zu befestigen: „Ich würde eine Gehaltserhöhung gutheißen, Sir.“
Charles sah, dass es seinem Butler eigentlich alles andere als zum Scherzen zumute war, daher schätzte er es umso mehr, dass Oxley trotzdem versuchte, ihn aufzuheitern.
„Schon wieder?“, entgegnete Charles daraufhin mit einem Lächeln, zu dem er sich tatsächlich hinreißen ließ, und klopfte Oxley gutmütig auf die Schulter, während er sich an ihm vorbeischob, um mit den Absprungvorbereitungen fortzufahren.
„Langsam wirken Sie etwas gierig, mein Freund“, fügte er hinzu, unterdessen er nochmal zum Schrank zurückkehrte und einige Schutzbrillen aus einer Schublade dort fischte, die Schweißerbrillen recht ähnlich waren. Sie würden verhindern, dass während des Falls Gegenwind die Augen zum Tränen brachte und so die Sicht störte. Charles verteilte sie auf seinem Rückweg zur Eingangstür.
Mit einer Hand den Sicherungshebel umfassend, der die Tür in den Angeln hielt, und seine Prothese nutzend, um sich eisern an das Handgeländer zu klammern, das den Eingangsbereich säumte, um gleich nicht in die Tiefe gerissen zu werden, wandte er sich noch einmal um.
„Setzen Sie die Brillen auf und machen Sie sich bereit!“, rief er den Wartenden zu. „Möge Gott Sie schützen, Ladies and Gentlemen!“
Mit diesem Wunsch riss er am Hebel und die Tür verschwand in der orange erleuchteten, verqualmten Nacht. Sogleich entkam Charles dem Schicksal, der Tür unfreiwillig zu folgen, nur knapp, da ihn der Sog, den er erfuhr, fast von den Beinen und mit sich riss.
Keuchend klammerte er sich ans Geländer und nahm nun auch seine Hand aus Fleisch und Blut zur Hilfe, um sich daran wieder hinaufzuziehen und aufzurichten. Es war, als stünde er in der Mitte eines kaltbeißenden Orkans. Doch Charles ließ sich davon nun nicht aufhalten.
„Erst das Gepäck!“, schrie er dem flatternden, tosenden Wind entgegen, und legte dabei den Hebel direkt neben der Türentankerung um. Wenn der Mechanismus noch so funktionierte, wie er sollte, würde das Gepäck aus den Staufächern in ein großes Netz rutschen, das dann an einem Fallschirm die Reise Richtung Erdboden antrat. Nah an der Tür, hielt er Ausschau nach diesem ersten Fallschirm. Die weite Tiefe unter ihm kam ihm plötzlich nicht mehr faszinierend, sondern beklemmend vor. Nur wenige Sekunden dauerte es, da fiel tatsächlich etwas in die Tiefe... Erst an einem langen, ausschlagenden Seil, doch sobald es sich spannte, riss es an der Fallschirmtasche und zog den Fallschirm daraus hervor. Er öffnete sich sofort. Es war ein beruhigendes Gefühl, dass diese Konstruktion funktionierte. Die Chancen standen also gut, dass auch die menschliche Fracht, wie geplant, gen Boden segeln würde, anstatt zu fallen.
„– Und nun Sie! Los!“
Charles konnte nun nicht mehr tun, als zu hoffen, dass alle dies hier heil überstehen würden. Er konnte nur hoffen, Melinda bald wieder in die Arme schließen zu können. Er konnte nur hoffen, dass diese Holzköpfe am Boden nicht auch noch auf die Schirme schießen würden. Und hoffen auf einen Moment, in dem er wirklich würde zur Ruhe kommen können, um die Ereignisse der vergangenen Stunden zu verarbeiten.
Er suchte die Nähe zur Wand, um den Springern Platz zu machen, und drängte mit einem energischen Handwinken zur Eile.
Als es so weit war, dass nur noch Dr. Tremaine bei ihm war, verlor Charles nicht viel Zeit.
„Gut, Doktor“, meinte er ernst, und schulterte sein Gewehr mithilfe des daran befestigten Gurts, bevor er begann, sich selbst an eine der Fallschirmvorrichtungen zu schnallen, „jetzt sind Sie und ich an der Reihe.“
Nachdem er nochmal überprüft hatte, ob die Ösen geschlossen waren, trat er direkt an den Doktor heran, sodass sich ihre Oberkörper schon fast berührten. Es war, zugegebenermaßen, recht unangenehm. Aber Charles widerstand in dieser Situation auf das Bedürfnis, einen Wohlfühlabstand zu halten. Er hakte den Doktor in dieselben Ösen ein, an denen auch er in wenigen Augenblicken hängen würde.
„Keine Scheu, das wird nun kuschelig“, kommentierte Charles ihre abstruse Nähe mit Fassung und setzte sich die Schutzbrille auf. Sie verzerrte die Sicht ein wenig.
„Halten Sie an mir fest wie ein putziges Klammeräffchen.“
Nicht die unangenehmste Umarmung, die Charles jemals bekommen hatte... aber auch nicht die einfachste. Der Doktor mochte dünn sein, war aber bei Weitem kein Leichtgewicht. Es war zwar nur ein kurzes Stück, dass er ihn tragen musste, aber dass Charles selbst seine Hände nicht frei hatte, sondern die Lenkringe festhalten musste, erschwerte die Sache ein wenig. Charles kompensierte das, indem er nicht langsam zur Tür stapfte, sondern indem er sich beeilte. Vielleicht hätte er auch nur gezögert, wenn er am Rand gestanden und in die Tiefe gestarrt... Charles rannte die letzten Schritte einfach und sprang, ohne anzuhalten.
Der Fall war kurz und stoppte so abrupt, dass ein heftiger, atemraubender Ruck an Charles und auch an Randolph riss. Das Geräusch, als sich der Schirm öffnete, glich einem Regenschirm, der, starken Wind nachgebend, in die falsche Richtung umschlug. Hin- und herschaukelnd, konnten Randolph und Charles über sich den mittig mit einem Loch versehenen Stoffkreis sehen, der sich im Fall wie zu einer starren Oberfläche aufgebauscht hatte. Charles verspürte sofort Schwindel und war dankbar dafür, dass sich das Schaukeln langsam stabilisierte.
Unter ihnen erstreckte sich das Lichtermeer Londons. Fünf weitere beige-braune Schirme hoben sich ein wenig aus der Dunkelheit ab. Sie alle hatten sich geöffnet und glitten gen Boden. Vielleicht war damit das schlimmste überstanden. Die Endeavour, in der Höhe immer kleiner werdend, blieb brennend auf ihrem Kurs. Irgendwann, so wusste Charles, würde sie abstürzen... Aber zumindest nicht direkt über ihnen. Wenigstens war sie, vor ihrem Ende, ihrem Namen gerecht geworden.[1]
[1] Alle Springer dürfen schonmal einen Athletik- oder Fingerfertigkeitswurf gegen „Ordentlich“ (+2) für meinen nächsten Beitrag ablegen. Wenn Randy seinen Wurf nicht schafft, erhält Charles einen Malus auf seinen.
„Sie scheinen mir vernünftig zu sein“, antworte er dann, während er auch schon an Bruce vorbeischlüpfte, „... und ein besorgter Bürger. Eigenschaften, die wir teilen“, meinte er. Schnellen Schrittes steuerte der Fremde auf die Treppe zu, auf die er auch schon einen Fuß setzte, bevor er innehielt und zu Bruce zurücksah.
„Wer weiß? – Vielleicht werden wir heute Zeugen eines ausbrechenden Kriegs“, sprach er mit ernstem Unterton. „Ich will es nicht beschwören, aber Sirenen und Geschütze sind kein gutes Omen.“
Als Bruce zurück in die Nacht eintauchte, fiel ihm auf, dass die Atmosphäre, die sich über die Straßen gelegt hatte, nun ganz anders war als noch vor wenigen Minuten. Bevor er das Haus Dr. Tremaines betreten hatte, vor dem Aufheulen der Sirenen, hatte der semi-schäbige, lockere Charme Sohos über allem gelegen... nun herrschte eher eine Angespanntheit vor, die mit Ungewissheit geschwängert war. Man konnte die Angst der Bürger Londons förmlich riechen.
Dabei war es gerade, in diesem Moment, einigermaßen still. Die Sirenen waren verstummt, wie auch das Geschützfeuer in der Ferne. Die Stadt wartete der Dinge ab, die noch folgen mochten... oder, bevorzugt, auf das angekündigte Entwarnungssignal.
Der Fremde hatte den Bürgersteig verlassen und mittig auf der Straße, direkt vor Dr. Tremaines Haus, einen Zwischenhalt eingelegt. Er sah sich um und schien zu lauschen.
Sicher war, dass Bruce und er nicht die einzigen waren, die sich draußen aufhielten. Tatsächlich dauerte es nur wenige Augenblicke, bis ein alarmiert wirkender Trupp von Bobbies ganz in der Nähe rennend die Silver Street kreuzte. Die gezogenen Schlagstöcke ließen darauf schließen, dass sie eindeutig mit Ärger rechneten. Kein Wunder: Ein Kollege rief mit einer Trillerpfeife, deren schaurig-schiefen Töne durch die Gassen hallte, nach Verstärkung.
Der Fremde zögerte nicht lang.
„Kommen Sie, versuchen wir es dort“, forderte er Bruce auf und lief den Uniformierten hinterher.
Sie waren in Richtung Soho Square unterwegs, dem offiziellen Herzen dieses Stadtbezirks (während inoffiziell sicher den verwinkelten Gassen mehr Aufmerksamkeit geschenkt wurde – vor allem seitens der Nachtschwärmer). Obwohl sich viele davon in Sicherheit gebracht hatten, denn die Straßen waren weit weniger bevölkert als zur Zeit von Bruces Suche nach dem Heim des Docs, hatten andere offenbar beschlossen, die Gunst der Stunde zu nutzen und plündernd durch die Einkaufsstraßen zu ziehen. Die Polizisten eilten zu einer Schlägerei, die nahe des Soho Squares zwischen den übermütigen Randalierern und anderen Gesetzeshütern ausgebrochen war. Doch auch wenn das ausbrechende Chaos bestimmt schon für sich ein überraschendes Bild abgab, selbst für diese moralisch schon eher zum East End gehörenden Ausläufer des West Ends, so lenkte etwas Anderes im Blickfeld noch mehr Aufmerksamkeit auf sich, sobald es einem erst einmal aufgefallen war. Der Soho Square drängte eine Lichtung inmitten das Häusermeer und gab so freie Sicht auf ein ungewöhnliches Spektakel, das für Bruce und seinen Begleiter zuvor noch hinter den Fassaden und Dächern verborgen geblieben war. Und es war just in dem Moment, als der Fremde dieses ferne Leuchten am nordwestlichen Nachthimmel zu entdecken schien, als er seine Geschwindigkeit schlagartig drosselte und stehenblieb. Den Polizeieinsatz, nur hundert Yard von ihnen entfernt, ignorierend, fixierte der Mann das fremdartige Licht, das in einiger Höhe über der Stadt zu schweben schien.
„Sehen Sie das auch?“, erkundigte er sich, etwas außer Atem, bei Bruce, ohne den Blick abzuwenden.
Nur eine Sekunde später tauchte ein Feldstecher in seinen Händen auf, den er aus seinem Mantel zog. Die Geräuschkulisse, angefüllt mit gebrüllten Befehlen, gebrüllten Beleidigungen, Krachen und Klirren, brachte ihn nicht davon ab, sich den seltsam erhellten Himmelskörper über ihnen genauer anzusehen.
„Grundgütiger...“
Es lagen gleichermaßen Erschütterung und Überraschung in seiner Stimme.
„Das sieht nach einem Schiff aus... einem fliegenden Schiff. Es brennt lichterloh.“
Langsam ließ er sein Fernglas sinken und hielt es anbietend in Bruces Richtung.
„Sie müssen es abgeschossen haben.“
Die Hitze der ausgebrochenen Feuer schien kontinuierlich zu steigen. Sie trieb Charles zur Eile an. Umso besser, dass alle Anwesenden sich bereitwillig in die Westen schälten. Nun konnte jede Sekunde zwischen ihrem Überleben oder einem grausigen Tod entscheiden.
Es war offensichtlich, dass er gerade tatkräftig dafür Sorge, dass sie alle diese Tragödie, in der sie sich befanden, überlebten. Dennoch schien Mrs. Thomson die Situation für geeignet zu erachten, ihn zu verspotten und die Schwere der Situationen mit Träumereien herunterzuspielen. Charles hätte sich unter anderen Umständen vielleicht auch dazu hinreißen lassen, freiwillig über Bord zu springen, einfach um zu erleben, wie es sich wohl anfühlen mochte – aber das war etwas Anderes, als mit einem Kugelhagel dazu gezwungen zu werden. Die Angst, dass jemand schwer verletzt oder sogar getötet werden konnte, überwog momentan in ihm als anregende Abenteuerlust. Diese glänzte zwar nicht durch vollkommene Abwesenheit, allerdings hatte Charles gerade keinen Nerv dafür übrig, dem Beachtung zu schenken... genauso wenig, wie er keinen Nerv dafür übrighatte, sich kritisieren zu lassen. Er musste sich konzentrieren, um in der Hektik nicht nachlässig zu handeln.
„Meine Pläne würden ganz wunderbar funktionieren“, entgegnete Charles Maura missgelaunt, was allerdings in Nervosität und Sorge etwas unterging, „wenn es da nicht immer wieder wen geben würde, der mir nach dem Leben trachtet.“
Ihr in den Einstiegsbereich der Endeavour folgend, aber nicht zur Tür, sondern die gegenüberliegende Seite des schmalen Raums aufsuchend, fand Charles trotz Zeitdrucks Zeit, ihren Seitenhieb nicht auf sich sitzen zu lassen.
„Seien Sie mir lieber dankbar, Madam, dass ich für solche Fälle immer mindestens ein Hintertürchen parat habe. In welch Dilemma würden wir nun stecken, wenn ich nicht einer derjenigen gewesen wäre, der auf die Implementierung gerade dieser Notfallvorkehrung bestanden hätte?“
Eigentlich redete er eher mit sich selbst als mit Mrs. Thomson. Er suchte ein Ventil für die Verzweiflung, die in ihm hochkochte, während er den Inhalt eines Notfallinfoblatts überflog, das sich in einem Bilderrahmen an dem Schrank befand, in dem die Fallschirme untergebracht waren. Hektisch verfolgte er die Zeilen mit seinem Zeigefinger. Wie ein Fallschirm funktionierte, wusste er, in der Theorie. Jedoch hatte er sich bisher nicht näher mit der genauen Funktionsweise der Absprungvorrichtung hier an Bord beschäftigt. Sie war schon ein bisschen ausgefeilter als Garnerins Methode.
„Ich hätte zwar nie damit gerechnet, dass man die Endeavour mal abschießen würde, aber nun, da es so ist, geben Sie nicht mir die Schuld für die ironische Dummheit derjenigen, die beschlossen haben, dass ein Abschuss der richtige Weg sei, statt am Boden auf uns zu warten, wenn sie schon wussten, dass wir kommen.“
Charles blickte an die Decke, wo er die metallene Führungsschiene entdeckte, die auf dem Blatt erwähnt wurde. Sie erstreckte sich vom Eingang über die ganze Länge des Flurs, bis sie im Schrank verschwand. Zum Glück schien hier noch alles intakt zu sein. Vorerst flogen keine Kugeln... vielleicht hatten die Aggressoren am Boden beschlossen, dass eine Salve sich bereits als ausreichend erwiesen hatte. Blieb zu hoffen, dass sie es dabei beließen.
Charles las weiter.
„Ironisch deswegen“, führte er währenddessen weiter aus, „weil das Schiff in intaktem Zustand überhaupt keine Gefahr darstellt, während nun brennende Trümmerteile über die Stadt verstreut werden, die womöglich wen erschlagen, und Funken dorthin bringen, wo sie lieber nicht hingelangen sollten. Ein Glück, dass gerade kein trockener Sommer da draußen herrscht, sonst würde sich der Große Brand von 1666 vielleicht wiederholen.“
Es ärgerte ihn wirklich... es machte ihn traurig. Enttäuscht. Die Endeavour und ihre Schwesternschiffe waren ein Projekt, was ihm sehr am Herzen lag. Die Unmengen an Geld, die sich gerade in Rauch und Asche auflösten, schmerzten ihn dabei herzlich wenig. Es war der Traum, der Gedanke dahinter, den man gnadenlos in den Untergang geschickt hatte. Genauso wie den Traum einer Familie, nur wenige Stunden zuvor. Selbst, wenn Johanna nicht seine Tochter war... und selbst, wenn sie auch nicht seine Nichte war... man hatte ihm vorgegaukelt, dass sie zu ihm gehörte. Seine Vatergefühle waren echt gewesen.
„Verzeihen Sie mir meinen Zynismus“, endete Charles seine Beschwerde, „ich werde diesen Moment sicher bald genießen können. Aber erst dann, wenn ich dafür gesorgt habe, dass Sie alle von Bord gesprungen sind. Deswegen muss ich als letzter gehen... zusammen mit Ihnen, Doktor.“
Nicht, dass Charles sich dafür entschieden hätte, wenn er eine Wahl gehabt hätte. „Meine Beine sind gesund genug für uns beide, um die Landung zu überstehen“, erklärte er diese Entscheidung.
Charles beschloss außerdem, dass er genug Zeit mit dem Sicherheitsblatt vergeudet hatte. Er hatte versucht, sich alles zu merken, und war nun davor, die einzelnen Schritte abzuarbeiten. Viele waren es nicht.
Zunächst befreite er die Fallschirme aus dem Schrank. Sie waren zusammengefaltet in Leinentaschen verstaut worden, die wiederum an einer Aufhängevorrichtung an der Führungsschiene hingen. Die Aufhängung mit Reißleine sollte garantieren, dass sich der Schirm auch wirklich und sofort nach dem Absprung öffnete. Mit Karabinerhaken ließ sich der Schirm an den Ösen der Westen befestigen, die sie alle bereits trugen.
Charles zog den ersten Schirm zu Maura Thomson herüber, da sie unbedingt zuerst springen wollte – ihm sollte es recht sein.
„Erlauben Sie, Madam?“, erkundigte er sich, ohne Antwort abzuwarten, und befestigte die Karabiner an ihren Schultern. Dann drückte er ihr zwei an Seilen hängende Holzringe in die Hand, die stark an entsprechende Turnringe erinnerten und aus dem verschnürten Fallschirmpaket herauslugten.
„Lass Sie die nicht los. Durch Zug daran können Sie den Schirm lenken“, erklärte er ihr knapp und so, dass ihn alle hören können. Währenddessen trat er auch schon weiter, um dem nächsten Passagier mit dem Schirm zu helfen.
„Er wird Ihren Fall abbremsen, sodass Sie nicht am Boden zerschellen, aber es liegt an Ihnen, ob Sie sanft landen oder nicht. Versuchen Sie nicht, irgendetwas zu rammen oder im Wasser zu landen“, riet er, „… oder sich abschießen zu lassen“, ja, das wäre unschön, „– das könnte übel enden. Ich werde unser Gepäck als Erstes abwerfen. Folgen Sie ihm, wenn möglich, aber lassen Sie es bleiben, wenn das Risiko zu hoch wäre.“
Als Charles bei Oxley angelangt war, fiel es ihm schwer, dem alten Mann in die Augen zu sehen. Er fühlte sich schuldig. Sein Butler hatte seit seinem Eintritt in die Dienste der Familie Norly den Niedergang jedes einzelnen von ihnen erlebt... doch Charles war sich sicher, dass er derjenige war, der Oxley am meisten Kummer bereitet hatte.
Als hätte Oxley seine Gedanken gelesen, sprach der Butler mit einem aufbauenden Schmunzeln, während Charles auch ihm half, den Fallschirm an der Sicherheitsweste zu befestigen: „Ich würde eine Gehaltserhöhung gutheißen, Sir.“
Charles sah, dass es seinem Butler eigentlich alles andere als zum Scherzen zumute war, daher schätzte er es umso mehr, dass Oxley trotzdem versuchte, ihn aufzuheitern.
„Schon wieder?“, entgegnete Charles daraufhin mit einem Lächeln, zu dem er sich tatsächlich hinreißen ließ, und klopfte Oxley gutmütig auf die Schulter, während er sich an ihm vorbeischob, um mit den Absprungvorbereitungen fortzufahren.
„Langsam wirken Sie etwas gierig, mein Freund“, fügte er hinzu, unterdessen er nochmal zum Schrank zurückkehrte und einige Schutzbrillen aus einer Schublade dort fischte, die Schweißerbrillen recht ähnlich waren. Sie würden verhindern, dass während des Falls Gegenwind die Augen zum Tränen brachte und so die Sicht störte. Charles verteilte sie auf seinem Rückweg zur Eingangstür.
Mit einer Hand den Sicherungshebel umfassend, der die Tür in den Angeln hielt, und seine Prothese nutzend, um sich eisern an das Handgeländer zu klammern, das den Eingangsbereich säumte, um gleich nicht in die Tiefe gerissen zu werden, wandte er sich noch einmal um.
„Setzen Sie die Brillen auf und machen Sie sich bereit!“, rief er den Wartenden zu. „Möge Gott Sie schützen, Ladies and Gentlemen!“
Mit diesem Wunsch riss er am Hebel und die Tür verschwand in der orange erleuchteten, verqualmten Nacht. Sogleich entkam Charles dem Schicksal, der Tür unfreiwillig zu folgen, nur knapp, da ihn der Sog, den er erfuhr, fast von den Beinen und mit sich riss.
Keuchend klammerte er sich ans Geländer und nahm nun auch seine Hand aus Fleisch und Blut zur Hilfe, um sich daran wieder hinaufzuziehen und aufzurichten. Es war, als stünde er in der Mitte eines kaltbeißenden Orkans. Doch Charles ließ sich davon nun nicht aufhalten.
„Erst das Gepäck!“, schrie er dem flatternden, tosenden Wind entgegen, und legte dabei den Hebel direkt neben der Türentankerung um. Wenn der Mechanismus noch so funktionierte, wie er sollte, würde das Gepäck aus den Staufächern in ein großes Netz rutschen, das dann an einem Fallschirm die Reise Richtung Erdboden antrat. Nah an der Tür, hielt er Ausschau nach diesem ersten Fallschirm. Die weite Tiefe unter ihm kam ihm plötzlich nicht mehr faszinierend, sondern beklemmend vor. Nur wenige Sekunden dauerte es, da fiel tatsächlich etwas in die Tiefe... Erst an einem langen, ausschlagenden Seil, doch sobald es sich spannte, riss es an der Fallschirmtasche und zog den Fallschirm daraus hervor. Er öffnete sich sofort. Es war ein beruhigendes Gefühl, dass diese Konstruktion funktionierte. Die Chancen standen also gut, dass auch die menschliche Fracht, wie geplant, gen Boden segeln würde, anstatt zu fallen.
„– Und nun Sie! Los!“
Charles konnte nun nicht mehr tun, als zu hoffen, dass alle dies hier heil überstehen würden. Er konnte nur hoffen, Melinda bald wieder in die Arme schließen zu können. Er konnte nur hoffen, dass diese Holzköpfe am Boden nicht auch noch auf die Schirme schießen würden. Und hoffen auf einen Moment, in dem er wirklich würde zur Ruhe kommen können, um die Ereignisse der vergangenen Stunden zu verarbeiten.
Er suchte die Nähe zur Wand, um den Springern Platz zu machen, und drängte mit einem energischen Handwinken zur Eile.
Als es so weit war, dass nur noch Dr. Tremaine bei ihm war, verlor Charles nicht viel Zeit.
„Gut, Doktor“, meinte er ernst, und schulterte sein Gewehr mithilfe des daran befestigten Gurts, bevor er begann, sich selbst an eine der Fallschirmvorrichtungen zu schnallen, „jetzt sind Sie und ich an der Reihe.“
Nachdem er nochmal überprüft hatte, ob die Ösen geschlossen waren, trat er direkt an den Doktor heran, sodass sich ihre Oberkörper schon fast berührten. Es war, zugegebenermaßen, recht unangenehm. Aber Charles widerstand in dieser Situation auf das Bedürfnis, einen Wohlfühlabstand zu halten. Er hakte den Doktor in dieselben Ösen ein, an denen auch er in wenigen Augenblicken hängen würde.
„Keine Scheu, das wird nun kuschelig“, kommentierte Charles ihre abstruse Nähe mit Fassung und setzte sich die Schutzbrille auf. Sie verzerrte die Sicht ein wenig.
„Halten Sie an mir fest wie ein putziges Klammeräffchen.“
Nicht die unangenehmste Umarmung, die Charles jemals bekommen hatte... aber auch nicht die einfachste. Der Doktor mochte dünn sein, war aber bei Weitem kein Leichtgewicht. Es war zwar nur ein kurzes Stück, dass er ihn tragen musste, aber dass Charles selbst seine Hände nicht frei hatte, sondern die Lenkringe festhalten musste, erschwerte die Sache ein wenig. Charles kompensierte das, indem er nicht langsam zur Tür stapfte, sondern indem er sich beeilte. Vielleicht hätte er auch nur gezögert, wenn er am Rand gestanden und in die Tiefe gestarrt... Charles rannte die letzten Schritte einfach und sprang, ohne anzuhalten.
Der Fall war kurz und stoppte so abrupt, dass ein heftiger, atemraubender Ruck an Charles und auch an Randolph riss. Das Geräusch, als sich der Schirm öffnete, glich einem Regenschirm, der, starken Wind nachgebend, in die falsche Richtung umschlug. Hin- und herschaukelnd, konnten Randolph und Charles über sich den mittig mit einem Loch versehenen Stoffkreis sehen, der sich im Fall wie zu einer starren Oberfläche aufgebauscht hatte. Charles verspürte sofort Schwindel und war dankbar dafür, dass sich das Schaukeln langsam stabilisierte.
Unter ihnen erstreckte sich das Lichtermeer Londons. Fünf weitere beige-braune Schirme hoben sich ein wenig aus der Dunkelheit ab. Sie alle hatten sich geöffnet und glitten gen Boden. Vielleicht war damit das schlimmste überstanden. Die Endeavour, in der Höhe immer kleiner werdend, blieb brennend auf ihrem Kurs. Irgendwann, so wusste Charles, würde sie abstürzen... Aber zumindest nicht direkt über ihnen. Wenigstens war sie, vor ihrem Ende, ihrem Namen gerecht geworden.[1]
[1] Alle Springer dürfen schonmal einen Athletik- oder Fingerfertigkeitswurf gegen „Ordentlich“ (+2) für meinen nächsten Beitrag ablegen. Wenn Randy seinen Wurf nicht schafft, erhält Charles einen Malus auf seinen.
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Re: Götterblut - Kapitel 5: Spiel im Schatten
Randolph Tremaine hatte nicht mehr viele Worte für die Situation übrig.
Er hatte bereits gesagt, was er sagen wollte.
Seine Gurte noch einmal kontrollierend lauschte er den Worten und dem Tosen des Feuers. Die Flammen schlugen nun immer höher und greller. Der Doktor war dankbar für sie. Denn auf sie alle wartete ein dunkler Ort. Ein sehr, sehr dunkler Ort.
Und ruhig würde er sein. Seine Schuldgefühle, sein Kummer, sein Hass, alles würde zurückbleiben. Es würde ihn nie wieder belasten. Nicht das Knirschen der Knochen unter der Säge, das Sprudeln des Blutes, die Schreie der Patienten, die sich aufbäumenden Leiber, die verzweifelten Blicke der Angehörigen, der Anblick seiner Mutter wie sie betrunken durch den Flur kriecht, die Träume, die ihn des nachts heimsuchen, das Grab seines Vaters und das Kreischen der Raben, die Gedanken an Lynette, den Mord. Bald war er erlöst. Seine Uhr tickte dem Ende entgegen.
Mit schlagendem Herzen erfasste Randolph seine Mitstreiter. Seine Weggefährten. Es waren keine Gefährten, die er gewählt hatte und unter normalen Umständen wäre er mit manchen sicher nie in Kontakt getreten. Doch hier waren sie nun. Alle zusammen. Sie würden diese Reise in den Abgrund antreten müssen, aber sie würden es nicht alleine machen müssen.
Dann ging alles schnell. Maura Thomson war die Erste, die ins Freie stürzte, der Rest folgte. Wright. Oxley. Melinda. Melly. In seinem Innerem zog sich etwas zusammen.
Bald ist es vorbei. Denk nicht mehr darüber nach.
Er schloss sich an Charles an und klammert sich wie gewünscht an ihm fest.
Wie ein Klammeräffchen. Der Doktor hob eine Augenbraue hinter dem Glas der Schutzbrille.
"Keine Sorge, da ich habe schon Schlimmeres hinter mir"
Randolphs Miene war wie üblich grimmig, aber sein linker Mundwinkel hob sich ein wenig.
Dann stürzten sie in die Nacht hinein.
Er hatte bereits gesagt, was er sagen wollte.
Seine Gurte noch einmal kontrollierend lauschte er den Worten und dem Tosen des Feuers. Die Flammen schlugen nun immer höher und greller. Der Doktor war dankbar für sie. Denn auf sie alle wartete ein dunkler Ort. Ein sehr, sehr dunkler Ort.
Und ruhig würde er sein. Seine Schuldgefühle, sein Kummer, sein Hass, alles würde zurückbleiben. Es würde ihn nie wieder belasten. Nicht das Knirschen der Knochen unter der Säge, das Sprudeln des Blutes, die Schreie der Patienten, die sich aufbäumenden Leiber, die verzweifelten Blicke der Angehörigen, der Anblick seiner Mutter wie sie betrunken durch den Flur kriecht, die Träume, die ihn des nachts heimsuchen, das Grab seines Vaters und das Kreischen der Raben, die Gedanken an Lynette, den Mord. Bald war er erlöst. Seine Uhr tickte dem Ende entgegen.
Mit schlagendem Herzen erfasste Randolph seine Mitstreiter. Seine Weggefährten. Es waren keine Gefährten, die er gewählt hatte und unter normalen Umständen wäre er mit manchen sicher nie in Kontakt getreten. Doch hier waren sie nun. Alle zusammen. Sie würden diese Reise in den Abgrund antreten müssen, aber sie würden es nicht alleine machen müssen.
Dann ging alles schnell. Maura Thomson war die Erste, die ins Freie stürzte, der Rest folgte. Wright. Oxley. Melinda. Melly. In seinem Innerem zog sich etwas zusammen.
Bald ist es vorbei. Denk nicht mehr darüber nach.
Er schloss sich an Charles an und klammert sich wie gewünscht an ihm fest.
Wie ein Klammeräffchen. Der Doktor hob eine Augenbraue hinter dem Glas der Schutzbrille.
"Keine Sorge, da ich habe schon Schlimmeres hinter mir"
Randolphs Miene war wie üblich grimmig, aber sein linker Mundwinkel hob sich ein wenig.
Dann stürzten sie in die Nacht hinein.
Darnamur- Jünger des Pinguins
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Re: Götterblut - Kapitel 5: Spiel im Schatten
Es gab keine wirkliche Alternative, als dem Mann zu folgen, wenn er mehr über die großen Geheimnisse der Stadt herausfinden wollte und so begleitete Bruce seinen unverhofften Leidgenossen schließlich anstandslos auf die Straße hinab. Der Körpersprache nach war sein Begleiter kein aggressiver Typ, sondern wohl eher jemand, der mit dem Kopf arbeitete und ganz offenbar behielt er selbigen im Moment, in dem wohl die meisten Menschen in der Stadt, einschließlich des Schottens, keinerlei Vorstellung darüber besaßen, was genau gerade losbrach.
Als der Mann plötzlich vom Krieg sprach, schluckte der Schotte. Der Mann tat zumindest so, als ob er Wissen über die Hintergründe der Nacht besaß, oder wenigstens einen Teil ihrer Vorgeschichte kannte.
Immerhin widersprachen die Anzeichen, welche sich auf der offenen Straße zeigten, wenigstens für den Augenblick den Befürchtungen des Mannes. Es erschien wieder ruhig und eine Anspannung, die sich wohl gerade ein Großteil der Bevölkerung teilte, lag wie kalter Nebel in der Luft.
Bruce nahm sich den Moment, die Türe des Hauses vom Doktor wenigstens soweit zu schließen, wie es ihr Zustand gestattete. Warum er das tat, hätte er sich im Anbetracht der Umstände wohl selbst nicht erklären können, doch beruhigte es etwas sein Gewissen, da er nun wohl mit dem offensichtlichen Einbrecher gerade schon gemeinsame Sache machte.
Bruce hatte als trainierter Sportler keine Schwierigkeiten, mit dem Mann schritt zu halten, als dieser in Richtung der Polizisten aufbrach, die offensichtlich gerade ein Szenario erlebten, von dem jeder trotz bester Vorbereitung hoffte, dass es nie eintraf.
Bruce hatte im Grunde keinen Schimmer davon, was genau der Mann zu finden gedachte, doch was immer es war, es war wohl auch von Vorteil für die Ziele des Schotten, wenn er es mitverfolgen konnte. Das alles hier irgendwie mit Norly zu tun haben konnte erschien für den ersten Eindruck eigentlich absurd, doch hatte dessen Exbegleiter schon prognostiziert, dass Scarface einen Aufstand anzuzetteln gedachte und in gewisser Weise trug es die Handschrift dieses Mannes, möglichst viel aufsehen zu erzeugen, wie in der denkwürdigen Nacht mit der Hill-Residenz.
Die ganze Welt wirkte surreal auf den jungen Schotten. Die Plündernden und die Polizei überall in der Gegend, die Aufregung, in der er nun gerade mitten drin steckte. Bruce fühlte, wie sein Herz wild zu schlagen begann.
In diesem Rauschzustand hätte er das Schauspiel am Himmel fast übersehen, auf dass sein Weggefährte ihn aufmerksam machte. Der erste Gedanke, der dem Schotten durch den Kopf ging, als dieser nun den Feldstecher aus dem Mantel zog, war ganz profan, ob dieser nicht vielleicht eine bessere Waffe dargestellt hätte, als die zerbrochene Flasche, mit der er sich zu behaupten gedacht hatte. „Gut vorbereitet.“ Kam es Bruce in einer leicht sarkastischen Anerkennung über die Lippen, da der Fremde sich damit als offenbarer Spitzel zu erkennen gab.
Natürlich stellte der helle Punkt am Himmel die Unterhaltung in den Hintergrund und alle Ereignisse der Nacht schienen im Verstand des Schottens mehr oder minder konfus durcheinander zu fliegen. Ein Angriff auf die Hauptstadt des British Empires? Warum nur ein Schiff? Warum ein Schiff? Was hatte das zu bedeuten?
In normalen Situationen hätte Bruce darauf verzichtet. Das Angebot des Fremden anzunehmen und die Übersicht über seine nahe Umgebung durch einen Blick auf etwas Fernes einzutauschen, was für ihn keinerlei unmittelbare Bedeutung besaß. Es hätte auch ein riesenhaftes brennendes Schaf am Himmel sein können und Bruce hätte es dem Mann vielleicht sogar geglaubt, denn es klang nicht fantastischer als ein fliegendes Schiff. Hier und jetzt aber siegte die Neugier über den sonst eher kühlen Verstand des Schotten und er ergriff das angebotene Fernglas. Der Fremde hatte im Moment keinen Grund Bruce zu attackieren auch wenn es immer noch schleierhaft war, was er sich von seiner Teilnahme am ganzen Unterfangen versprach.
Bruce fand keine Worte für das, was er am Himmel erblickte. Er hätte es wohl nicht als Schiff bezeichnet. Vielleicht als riesigen Ballon. Die Kanzel an der Unterseite wirkte, sicherlich durch das Geschützfeuer, schwer in Mitleidenschaft gezogen und er fragte sich, ob die Besatzung dieses Dings soetwas überlebt haben konnte. Es fiel dem Schotten schwer, bei dem Gefährt an einen Angriff zu glauben, wie der Fremde spekuliert hatte. Er erkannte zumindest keine Art von Bewaffnung, welche daran Platz gefunden hätte und für einen richtigen Angriff war seit den ersten Salven eigentlich zu wenig geschehen. Für einen Moment stellte er sich tatsächlich vor, dass Norly dieses Ballonschiff an den Himmel gebracht hatte. Warum? Sah er gerade dem ganzen Treiben zu und belachte abermals die Ordnungskräfte von London? Ein Täuschungsmanöver wäre wohl der beste Grund für so eine aufsehenerregende Aktion. Man hatte es immerhin geschafft, wenigstens die halbe Stadt an die Fenster und auf die Straße zu holen. Wem außer den Plünderern gereichte dies nun zu Vorteil und welches Ziel rechtfertigte diesen Aufwand? Bruce drohte Gedanklich in Traumwelten abzudriften, während der Blick mit dem Feldstecher immer noch auf die brennende Kanzel geheftet blieb.
---
Etwas dunkles, womöglich ein Trümmerstück, löste sich mit einem male von der Kanzel ab. Bruce versuchte mit dem Fernglas zu folgen, doch wechselte sogleich wieder zur Kanzel, als er das etwas im dunkeln verloren glaubte. Tat sich dort etwas, wo eine öffnung zu sein schien? Er war kurz unschlüssig, doch dann war da wieder irgendeine Bewegung auszumachen, die man dank den Flammen gut sehen konnte und ein weiteres etwas löste sich von der Kanzel. Es fiel dem Schotten wie Schuppen von den Augen und im gleichen Moment senkte er das Fernglas und setzte sich in westlicher Richtung in Bewegung, wo er die ungefähre Landezone abschätzte. "Sie springen ab." Rief er seinem Begleiter dabei tonlos, doch laut genug zu, dass dieser es verstehen musste.
Er war bereits zu weit, als dass er dem Fremden das Fernglas gerade zurückreichen konnte, war jedoch sicher, dass dieser ihm ohnehin sogleich folgen würde. Es ging um jeden Moment, wenn sie die Besatzung vor der Polizei erreichen wollten. Nur Gott wusste, ob diese den Absprung ebenfalls schon bemerkt hatte und wie schnell sie ihre Leute koordinieren konnten.
Noch während er lief, rechnete Bruce sich das Risiko aus, welchem sie sich aussetzten, wenn sie die möglichen Feinde konfrontieren würden. Wenn es wirklich Angreifer waren, dann würden sie vermutlich bereits beim ersten Blickkontakt auf sie schießen, doch viel Zeit blieb dann wohl ohnehin nicht, da sie damit ihre Position veraten würden. Der junge Mann fühlte, wie eine Art von Jagdtrieb von seinem Körper besitz ergriff. Die Sinne begannen, sich nach vorne zu konzentrieren und den Rest der Welt dabei in den Hintergrund zu drängen. Sein Begleiter würde zweifellos mühe haben, mit dem Schotten gerade Schritt zu halten, dabei war sein Wissen zu der ganzen Situation vielleicht gerade kostbarer als Gold.
Als der Mann plötzlich vom Krieg sprach, schluckte der Schotte. Der Mann tat zumindest so, als ob er Wissen über die Hintergründe der Nacht besaß, oder wenigstens einen Teil ihrer Vorgeschichte kannte.
Immerhin widersprachen die Anzeichen, welche sich auf der offenen Straße zeigten, wenigstens für den Augenblick den Befürchtungen des Mannes. Es erschien wieder ruhig und eine Anspannung, die sich wohl gerade ein Großteil der Bevölkerung teilte, lag wie kalter Nebel in der Luft.
Bruce nahm sich den Moment, die Türe des Hauses vom Doktor wenigstens soweit zu schließen, wie es ihr Zustand gestattete. Warum er das tat, hätte er sich im Anbetracht der Umstände wohl selbst nicht erklären können, doch beruhigte es etwas sein Gewissen, da er nun wohl mit dem offensichtlichen Einbrecher gerade schon gemeinsame Sache machte.
Bruce hatte als trainierter Sportler keine Schwierigkeiten, mit dem Mann schritt zu halten, als dieser in Richtung der Polizisten aufbrach, die offensichtlich gerade ein Szenario erlebten, von dem jeder trotz bester Vorbereitung hoffte, dass es nie eintraf.
Bruce hatte im Grunde keinen Schimmer davon, was genau der Mann zu finden gedachte, doch was immer es war, es war wohl auch von Vorteil für die Ziele des Schotten, wenn er es mitverfolgen konnte. Das alles hier irgendwie mit Norly zu tun haben konnte erschien für den ersten Eindruck eigentlich absurd, doch hatte dessen Exbegleiter schon prognostiziert, dass Scarface einen Aufstand anzuzetteln gedachte und in gewisser Weise trug es die Handschrift dieses Mannes, möglichst viel aufsehen zu erzeugen, wie in der denkwürdigen Nacht mit der Hill-Residenz.
Die ganze Welt wirkte surreal auf den jungen Schotten. Die Plündernden und die Polizei überall in der Gegend, die Aufregung, in der er nun gerade mitten drin steckte. Bruce fühlte, wie sein Herz wild zu schlagen begann.
In diesem Rauschzustand hätte er das Schauspiel am Himmel fast übersehen, auf dass sein Weggefährte ihn aufmerksam machte. Der erste Gedanke, der dem Schotten durch den Kopf ging, als dieser nun den Feldstecher aus dem Mantel zog, war ganz profan, ob dieser nicht vielleicht eine bessere Waffe dargestellt hätte, als die zerbrochene Flasche, mit der er sich zu behaupten gedacht hatte. „Gut vorbereitet.“ Kam es Bruce in einer leicht sarkastischen Anerkennung über die Lippen, da der Fremde sich damit als offenbarer Spitzel zu erkennen gab.
Natürlich stellte der helle Punkt am Himmel die Unterhaltung in den Hintergrund und alle Ereignisse der Nacht schienen im Verstand des Schottens mehr oder minder konfus durcheinander zu fliegen. Ein Angriff auf die Hauptstadt des British Empires? Warum nur ein Schiff? Warum ein Schiff? Was hatte das zu bedeuten?
In normalen Situationen hätte Bruce darauf verzichtet. Das Angebot des Fremden anzunehmen und die Übersicht über seine nahe Umgebung durch einen Blick auf etwas Fernes einzutauschen, was für ihn keinerlei unmittelbare Bedeutung besaß. Es hätte auch ein riesenhaftes brennendes Schaf am Himmel sein können und Bruce hätte es dem Mann vielleicht sogar geglaubt, denn es klang nicht fantastischer als ein fliegendes Schiff. Hier und jetzt aber siegte die Neugier über den sonst eher kühlen Verstand des Schotten und er ergriff das angebotene Fernglas. Der Fremde hatte im Moment keinen Grund Bruce zu attackieren auch wenn es immer noch schleierhaft war, was er sich von seiner Teilnahme am ganzen Unterfangen versprach.
Bruce fand keine Worte für das, was er am Himmel erblickte. Er hätte es wohl nicht als Schiff bezeichnet. Vielleicht als riesigen Ballon. Die Kanzel an der Unterseite wirkte, sicherlich durch das Geschützfeuer, schwer in Mitleidenschaft gezogen und er fragte sich, ob die Besatzung dieses Dings soetwas überlebt haben konnte. Es fiel dem Schotten schwer, bei dem Gefährt an einen Angriff zu glauben, wie der Fremde spekuliert hatte. Er erkannte zumindest keine Art von Bewaffnung, welche daran Platz gefunden hätte und für einen richtigen Angriff war seit den ersten Salven eigentlich zu wenig geschehen. Für einen Moment stellte er sich tatsächlich vor, dass Norly dieses Ballonschiff an den Himmel gebracht hatte. Warum? Sah er gerade dem ganzen Treiben zu und belachte abermals die Ordnungskräfte von London? Ein Täuschungsmanöver wäre wohl der beste Grund für so eine aufsehenerregende Aktion. Man hatte es immerhin geschafft, wenigstens die halbe Stadt an die Fenster und auf die Straße zu holen. Wem außer den Plünderern gereichte dies nun zu Vorteil und welches Ziel rechtfertigte diesen Aufwand? Bruce drohte Gedanklich in Traumwelten abzudriften, während der Blick mit dem Feldstecher immer noch auf die brennende Kanzel geheftet blieb.
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Etwas dunkles, womöglich ein Trümmerstück, löste sich mit einem male von der Kanzel ab. Bruce versuchte mit dem Fernglas zu folgen, doch wechselte sogleich wieder zur Kanzel, als er das etwas im dunkeln verloren glaubte. Tat sich dort etwas, wo eine öffnung zu sein schien? Er war kurz unschlüssig, doch dann war da wieder irgendeine Bewegung auszumachen, die man dank den Flammen gut sehen konnte und ein weiteres etwas löste sich von der Kanzel. Es fiel dem Schotten wie Schuppen von den Augen und im gleichen Moment senkte er das Fernglas und setzte sich in westlicher Richtung in Bewegung, wo er die ungefähre Landezone abschätzte. "Sie springen ab." Rief er seinem Begleiter dabei tonlos, doch laut genug zu, dass dieser es verstehen musste.
Er war bereits zu weit, als dass er dem Fremden das Fernglas gerade zurückreichen konnte, war jedoch sicher, dass dieser ihm ohnehin sogleich folgen würde. Es ging um jeden Moment, wenn sie die Besatzung vor der Polizei erreichen wollten. Nur Gott wusste, ob diese den Absprung ebenfalls schon bemerkt hatte und wie schnell sie ihre Leute koordinieren konnten.
Noch während er lief, rechnete Bruce sich das Risiko aus, welchem sie sich aussetzten, wenn sie die möglichen Feinde konfrontieren würden. Wenn es wirklich Angreifer waren, dann würden sie vermutlich bereits beim ersten Blickkontakt auf sie schießen, doch viel Zeit blieb dann wohl ohnehin nicht, da sie damit ihre Position veraten würden. Der junge Mann fühlte, wie eine Art von Jagdtrieb von seinem Körper besitz ergriff. Die Sinne begannen, sich nach vorne zu konzentrieren und den Rest der Welt dabei in den Hintergrund zu drängen. Sein Begleiter würde zweifellos mühe haben, mit dem Schotten gerade Schritt zu halten, dabei war sein Wissen zu der ganzen Situation vielleicht gerade kostbarer als Gold.
Zuletzt von Fade am Mo Feb 27 2017, 20:40 bearbeitet; insgesamt 3-mal bearbeitet
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Re: Götterblut - Kapitel 5: Spiel im Schatten
Die Aufregung überrannte Melly. Die Nebennieren erzeugten mehr Adrenalin, als es gut sein konnte.
Sie spürte wie ihr Herz pochte, als sei es nicht mehr von dieser Welt. Sie hörte, spürte nichts mehr. Nur das stetige Pochen schien da zu sein. Noch einmal durchatmen. Vielleicht ein letztes Mal auf dieser Welt.
Ihre Aufmerksamkeit fokussierte sich dann auf Charles, der sagte was es zu tun galt. Sie atmete tief durch, schob die Brille nach unten und hielt den Atem an.
As Luftschift knarzte bedenklich und die Flammen schlugen weiter um sich. Es gab keinen Ausweg.
Als Maura gesprungen war, nahmen die anderen auch ihren Weg ins Freie und sprangen ins Ungewisse. Sie sah den Haarschopf von Ox und lief los. Sie wollte nicht langsam an den Ausgang treten, sondern mit voller Kraft in den Himmel springen. Über ihr rasselte die Führschiene, bis das Geräusch mit einem kleinen "Ping" endete und Melinda auf ihr London blickte.
Sie hatte erwartet panisch zu werden, keine Luft mehr zu bekommen. Doch weit gefehlt. Es war einfach großartig!
Schon hatte sie sich darauf eingestellt, dass sie ihr Leben vor ihrem inneren Auge davon ziehen sehen würde (welch grausamer Gedanke!), doch stattdessen spürte sie eine Freude in sich, die sie nie zu vor erlebt hatte. Zum ersten Mal in ihrem Leben fühlte sie sich frei. Nichts anderes als gnadenlos frei.
Trotz des schneidenden Windes musste sie lachen, bis ihr siedend heiß bewusst wurde, dass sie nicht zu lange warten sollte, den Schirm zu öffnen. Außerdem waren sie nicht außer Gefahr. Sicherlich waren sie am Nachthimmel zu sehen.
Beherzt zog sie an der Leine. Sie hatte erwartet, dass sie sanft aufgefangen werden würde, stattdessen riss sie ein gewaltiger Ruck nach oben. Sie erschrak sich und dachte sie würde festhängen, doch woran? Nach hier oben schaffte es kein Baum, kein Bauwerk.
Sie warf einen Blick nach oben. Es musste wohl einfach der Schirm gewesen sein.
In ihrer Nähe entdeckte sie zwei weitere Schirme, ohne zu wissen, wer darunter hin.
Sie erinnerte sich, dass Charles die Lenkung erwähnt hatte und zog kräftig an dem Ring in ihrer rechten Hand. Sie würde grob zur Seite geschleudert - auch das hatte sie sich sanfter vorgestellt. Das musste sie wohl etwas üben. Diesmal zog sie nur leicht an dem linken Ring und der Schirm neigte sich leicht zur Seite. Nun musste sie nur noch einen Platz finden, der zum landen geeignet schien.
Sie spürte wie ihr Herz pochte, als sei es nicht mehr von dieser Welt. Sie hörte, spürte nichts mehr. Nur das stetige Pochen schien da zu sein. Noch einmal durchatmen. Vielleicht ein letztes Mal auf dieser Welt.
Ihre Aufmerksamkeit fokussierte sich dann auf Charles, der sagte was es zu tun galt. Sie atmete tief durch, schob die Brille nach unten und hielt den Atem an.
As Luftschift knarzte bedenklich und die Flammen schlugen weiter um sich. Es gab keinen Ausweg.
Als Maura gesprungen war, nahmen die anderen auch ihren Weg ins Freie und sprangen ins Ungewisse. Sie sah den Haarschopf von Ox und lief los. Sie wollte nicht langsam an den Ausgang treten, sondern mit voller Kraft in den Himmel springen. Über ihr rasselte die Führschiene, bis das Geräusch mit einem kleinen "Ping" endete und Melinda auf ihr London blickte.
Sie hatte erwartet panisch zu werden, keine Luft mehr zu bekommen. Doch weit gefehlt. Es war einfach großartig!
Schon hatte sie sich darauf eingestellt, dass sie ihr Leben vor ihrem inneren Auge davon ziehen sehen würde (welch grausamer Gedanke!), doch stattdessen spürte sie eine Freude in sich, die sie nie zu vor erlebt hatte. Zum ersten Mal in ihrem Leben fühlte sie sich frei. Nichts anderes als gnadenlos frei.
Trotz des schneidenden Windes musste sie lachen, bis ihr siedend heiß bewusst wurde, dass sie nicht zu lange warten sollte, den Schirm zu öffnen. Außerdem waren sie nicht außer Gefahr. Sicherlich waren sie am Nachthimmel zu sehen.
Beherzt zog sie an der Leine. Sie hatte erwartet, dass sie sanft aufgefangen werden würde, stattdessen riss sie ein gewaltiger Ruck nach oben. Sie erschrak sich und dachte sie würde festhängen, doch woran? Nach hier oben schaffte es kein Baum, kein Bauwerk.
Sie warf einen Blick nach oben. Es musste wohl einfach der Schirm gewesen sein.
In ihrer Nähe entdeckte sie zwei weitere Schirme, ohne zu wissen, wer darunter hin.
Sie erinnerte sich, dass Charles die Lenkung erwähnt hatte und zog kräftig an dem Ring in ihrer rechten Hand. Sie würde grob zur Seite geschleudert - auch das hatte sie sich sanfter vorgestellt. Das musste sie wohl etwas üben. Diesmal zog sie nur leicht an dem linken Ring und der Schirm neigte sich leicht zur Seite. Nun musste sie nur noch einen Platz finden, der zum landen geeignet schien.
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Re: Götterblut - Kapitel 5: Spiel im Schatten
Maura ignorierte, was Norly antwortete, konnte sich aber ein schmales Lächeln nicht verkneifen. Es war so unglaublich einfach, diesen Mann zu reizen. Wunderbar. Menschen, besonders Männer, waren so viel einfacher zu berechnen, wenn sie wütend waren. Dankbar sollte sie ihm also sein? Dafür, dass er auf diese gottverdammt dumme Idee mit dem Luftschiff bestanden hatte? Sie war dagegen gewesen, sie hatte sich um den Finger wickeln lassen von ihrer vermaledeiten Abenteuerlust. Jetzt standen sie da, in lächerlichen Aufzügen auf einem brennenden Schiff, bereit, in den beinahe sicheren Tod abzuspringen.
Und da sollte sie nicht spöttisch werden? Keine Chance.
„Wenn Sie das sagen“, murmelte sie nur als Antwort, obwohl sie die Hälfte dessen, was Norly tatsächlich gesagt hatte, schon wieder vergessen hatte. Klage, blah, Beschwerde, angekratzter Stolz, blah blah blah. Das Übliche eben. Erstaunlich, dass sie sich erst einen Tag in Begleitung dieses Mannes befand, und er ihr schon derart gut auf die Nerven gehen konnte …
Sie erinnerte sich kurz an diesen Morgen, an dem sie die Eier verkohlt, ihren Mantel geholt und einfach losgegangen war, und ihr Lächeln wurde etwas breiter. Eine großartige Idee. Nur war sie selbst nicht ganz sicher, ob sie das nun ironisch meinte. Sicher war nur, dass, sobald sie mal wieder zum Schreiben kam, es bestimmt in der wildesten und inspiriertesten Geschichte enden würde, die sie je verfasst hatte. All das hier war ein Musenkuss par excellance.
Die Winde zerrten an ihrer Kleidung, als Charles die Tür aufriss, und wäre dieser dumme Fallschirmmantel nicht so eng um ihre Brust gewesen, hätte er bestimmt aufgebauscht; so waren es nur die Enden ihres langen Mantels, die darunter hervorschauten, und die im Gegenwind auf und nieder flatterten. Sie krampfte die Hände noch stärker um die rettenden Holzringe, während Adrenalin durch ihr Blut pumpte und ihre Sicht verschleierte. Sie hörte Norly nur noch dumpf reden, alles, was sie sehen konnte, war der dunkle Nachhimmel, der plötzlich überall war, vor, unter und über ihr.
Los!, schrie Norly neben ihr, und das war der Startschuss. Maura dachte nicht mehr nach. Sie sprang.
An den Moment des Absprunges, in dem der Sprung zum Fall wurde, konnte sie sich schon gleich darauf nicht mehr erinnern. Mit einem Mal fiel sie, atemberaubend schnell – atemberaubend im wahrsten Sinne des Wortes. Der Wind peitschte ihr ins Gesicht und schnitt in ihre Lunge. Sie konnte nicht anders – ein wilder, euphorischer Schrei stieg ihre Kehle hinauf, ein Jubeln vor Angst und Freude zugleich. Es war fantastisch, noch viel besser, als sie es erwartet hatte. Sie hatte Arme und Beine weit ausgebreitet, ihre Frisur zerzauste im Fallen, doch all das war jetzt egal. Unter ihr lag London, und sie kam ihm entgegen, ihrer alten Heimat – auf einem Weg, den sie sich im Traum nicht hätte ausmalen können.
Der Fall wurde immer schneller, aber genauso schnell war er auch schon wieder vorbei, als sie der Schirm öffnete – und Maura erneut aufschrie, dieses Mal vor Überraschung, als der Ruck sie nach oben riss. Sie sah hoch und erblickte den weißen Schirm, wie er den Himmel nun fast ganz verdeckte. Ihr Fall wurde majestätischer, aber es war nicht mehr das gleiche. Sie zerrte am linken Ring, und schon war alles Majestätische dahin: Mit einem schmerzhaften Rucken neigte sich der Schirm zur Seite, viel zu stark, viel zu plötzlich.
Okay … Sie schnaufte, ärgerlich auf sich selbst, und sah wieder hoch, als könne der Schirm etwas dafür. Das Fliegen würde sie wohl noch etwas üben müssen. Was man nicht alles lernte, wenn man mit Scarface unterwegs war.
Und da sollte sie nicht spöttisch werden? Keine Chance.
„Wenn Sie das sagen“, murmelte sie nur als Antwort, obwohl sie die Hälfte dessen, was Norly tatsächlich gesagt hatte, schon wieder vergessen hatte. Klage, blah, Beschwerde, angekratzter Stolz, blah blah blah. Das Übliche eben. Erstaunlich, dass sie sich erst einen Tag in Begleitung dieses Mannes befand, und er ihr schon derart gut auf die Nerven gehen konnte …
Sie erinnerte sich kurz an diesen Morgen, an dem sie die Eier verkohlt, ihren Mantel geholt und einfach losgegangen war, und ihr Lächeln wurde etwas breiter. Eine großartige Idee. Nur war sie selbst nicht ganz sicher, ob sie das nun ironisch meinte. Sicher war nur, dass, sobald sie mal wieder zum Schreiben kam, es bestimmt in der wildesten und inspiriertesten Geschichte enden würde, die sie je verfasst hatte. All das hier war ein Musenkuss par excellance.
Die Winde zerrten an ihrer Kleidung, als Charles die Tür aufriss, und wäre dieser dumme Fallschirmmantel nicht so eng um ihre Brust gewesen, hätte er bestimmt aufgebauscht; so waren es nur die Enden ihres langen Mantels, die darunter hervorschauten, und die im Gegenwind auf und nieder flatterten. Sie krampfte die Hände noch stärker um die rettenden Holzringe, während Adrenalin durch ihr Blut pumpte und ihre Sicht verschleierte. Sie hörte Norly nur noch dumpf reden, alles, was sie sehen konnte, war der dunkle Nachhimmel, der plötzlich überall war, vor, unter und über ihr.
Los!, schrie Norly neben ihr, und das war der Startschuss. Maura dachte nicht mehr nach. Sie sprang.
An den Moment des Absprunges, in dem der Sprung zum Fall wurde, konnte sie sich schon gleich darauf nicht mehr erinnern. Mit einem Mal fiel sie, atemberaubend schnell – atemberaubend im wahrsten Sinne des Wortes. Der Wind peitschte ihr ins Gesicht und schnitt in ihre Lunge. Sie konnte nicht anders – ein wilder, euphorischer Schrei stieg ihre Kehle hinauf, ein Jubeln vor Angst und Freude zugleich. Es war fantastisch, noch viel besser, als sie es erwartet hatte. Sie hatte Arme und Beine weit ausgebreitet, ihre Frisur zerzauste im Fallen, doch all das war jetzt egal. Unter ihr lag London, und sie kam ihm entgegen, ihrer alten Heimat – auf einem Weg, den sie sich im Traum nicht hätte ausmalen können.
Der Fall wurde immer schneller, aber genauso schnell war er auch schon wieder vorbei, als sie der Schirm öffnete – und Maura erneut aufschrie, dieses Mal vor Überraschung, als der Ruck sie nach oben riss. Sie sah hoch und erblickte den weißen Schirm, wie er den Himmel nun fast ganz verdeckte. Ihr Fall wurde majestätischer, aber es war nicht mehr das gleiche. Sie zerrte am linken Ring, und schon war alles Majestätische dahin: Mit einem schmerzhaften Rucken neigte sich der Schirm zur Seite, viel zu stark, viel zu plötzlich.
Okay … Sie schnaufte, ärgerlich auf sich selbst, und sah wieder hoch, als könne der Schirm etwas dafür. Das Fliegen würde sie wohl noch etwas üben müssen. Was man nicht alles lernte, wenn man mit Scarface unterwegs war.
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Re: Götterblut - Kapitel 5: Spiel im Schatten
Vollkommen ruhig, ja, zufrieden, wartete Gilbert darauf, dass sie aus dem brennenden Luftschiff springen konnten. Auch wenn sein Herz wie wild klopfte und er endlich in Richtung des Bodens fliegen wollte, um sein Schicksal nicht noch weiter hinauszuzögern, war der Maler nicht aufgeregt. Er hatte mit seinem Leben abgeschlossen und seinen Frieden in der Erkentniss gefunden, dass er schon in den nächsten Sekunden für all seine Taten bezahlen würde. Er freute sich fast schon darauf, dass seine Qualen bald ein Ende haben würden. Keine Schmerzen mehr. Keine Schuldgefühle. Kein Verstecken. All das, was auf ihn zukommen würde - ob nun durch Gottes Hand, puren Zufall, schlechte Entscheidungen oder Schicksal - würde er ertragen und glücklich empfangen.
Norlys Worten hörte er kaum zu. Gilbert war in seiner eigenen Gedankenwelt versunken und blendete einen Großteil seiner Umgebung komplett aus. Hätte er allerdings Norlys Verteidigungen gegenüber Thomson gehört, dann hätte er sich unter anderen Umständen kaputtgelacht. Wie konnte der Mann seine Entscheidungen immer noch so verbissen verteidigen? Er hatte sie alle in den Tod gestürzt - das konnte man überhaupt nicht anders formulieren oder schönreden. Der Plan war von Anfang an völliger Schwachsinn gewesen. Alles auf Leute zu schieben, die ihm nach dem Leben trachten, war ein besonders schwaches Argument. Langsam sollte der Mann gelernt haben, dass er als Serienmörder angesehen wurde und dass man ihn deshalb tot sehen wollte. Damit musste er rechnen und planen. Selbst wenn man nicht wusste, dass Norly in dem Luftschiff war, würde man eine Bedrohung darin sehen. Hätten sie doch lieber auf den feigen Maler gehört, der sich für den Zug oder ein Schiff ausgesprochen hatte. Selbst wenn sie der Yard dort entdeckt hätte, wären ihre Chancen auf ein Überleben höher gewesen, als gegen Gatling-Guns.
Doch im Moment kümmerte es Gilbert sowieso nicht, weshalb er weiterhin geduldig darauf wartete, abspringen zu können. Nachdem Norly endlich alles erklärt hatte, war es soweit. Die Tür wurde geöffnet und der Maler von einem Sog erfasst. Fast wollte er sich mitreißen lassen und einfach loslassen, ohne weiter darüber nachzudenken aber im letzten Moment stemmte er sich dagegen. Mit aller Macht zog es ihn in Richtung der Tür, ganz so als wolle ihn eine Hand aus dem Luftschiff reißen und endlich alles beenden. Doch Gilbert legte seine Brille an, damit seine Augen nicht so tränten und hielt sich fest. Es war ein fast schon sadistisches Festhalten, um sein eigenes Ende noch ein bisschen hinauszuzögern und vielleicht zu genießen. Erst wurde das Gepäck in die Luft befördert und dann war es soweit. Thomson war die erste. Er selbst der nächste. Gilbert brauchte sich dieses Mal keinen Mut zu machen. Hatte er sich in den letzten Tagen von seiner feigen Seite gezeigt, so sah man ihm dies nun nicht mehr an. Ohne zu zögern sprang er aus dem Luftschiff, nachdem Thomson irgendwo im Nichts verschwunden war.
Der Maler schloss seine Augen, als er im freien Fall auf London zuraste. Er fühlte sich befreit. Nicht nur von so manchen Regeln und Gesetzen, sondern auch von Ängsten und allem anderen, dass ihn in den letzten Jahren seines Lebens behindert hatte. In diesem Moment war er ein völlig anderer Mensch. Soweit es ihm möglich war, lächelte er. Er genoss das Gefühl zu fallen und den Wind, der an jeder Stelle seines Körpers zog. In dem Wissen, dass er schon sehr bald von einem Geschoss der Gatling-Guns zerfetzt werden könnte oder vielleicht irgendwo aufprallen würde - falls der Fallschirm sich nicht löste - fiel er weiter. Doch mit einem heftigen Ruck wurde er wieder nach oben gezogen und die Luft wurde ihm für einen Moment aus den Lungen gepresst. Er atmete tief ein und öffnete schließlich wieder die Augen.
Unter sich sah er die Fallschirme von Thomson und dem Gepäck aber auch eine Szenerie, die er nie wieder vergessen würde. Im freien Fall war London noch viel schöner, als er die Stadt je gesehen hatte. Die hässlichen Details konnte er durch die Entfernung nicht erkennen, sodass es den Anschein hatte, als würden sie gar nicht existieren. Was übrig blieb, war eine leuchtende Stadt. Hier und da konnte man einen größeren Park oder einen Fluss sehen. Gilbert hätte sich nichts Schöneres als diese Sichtweise auf seine Heimatstadt wünschen können, bevor er starb. Er war glücklich und wartete auf sein Ende.
Norlys Worten hörte er kaum zu. Gilbert war in seiner eigenen Gedankenwelt versunken und blendete einen Großteil seiner Umgebung komplett aus. Hätte er allerdings Norlys Verteidigungen gegenüber Thomson gehört, dann hätte er sich unter anderen Umständen kaputtgelacht. Wie konnte der Mann seine Entscheidungen immer noch so verbissen verteidigen? Er hatte sie alle in den Tod gestürzt - das konnte man überhaupt nicht anders formulieren oder schönreden. Der Plan war von Anfang an völliger Schwachsinn gewesen. Alles auf Leute zu schieben, die ihm nach dem Leben trachten, war ein besonders schwaches Argument. Langsam sollte der Mann gelernt haben, dass er als Serienmörder angesehen wurde und dass man ihn deshalb tot sehen wollte. Damit musste er rechnen und planen. Selbst wenn man nicht wusste, dass Norly in dem Luftschiff war, würde man eine Bedrohung darin sehen. Hätten sie doch lieber auf den feigen Maler gehört, der sich für den Zug oder ein Schiff ausgesprochen hatte. Selbst wenn sie der Yard dort entdeckt hätte, wären ihre Chancen auf ein Überleben höher gewesen, als gegen Gatling-Guns.
Doch im Moment kümmerte es Gilbert sowieso nicht, weshalb er weiterhin geduldig darauf wartete, abspringen zu können. Nachdem Norly endlich alles erklärt hatte, war es soweit. Die Tür wurde geöffnet und der Maler von einem Sog erfasst. Fast wollte er sich mitreißen lassen und einfach loslassen, ohne weiter darüber nachzudenken aber im letzten Moment stemmte er sich dagegen. Mit aller Macht zog es ihn in Richtung der Tür, ganz so als wolle ihn eine Hand aus dem Luftschiff reißen und endlich alles beenden. Doch Gilbert legte seine Brille an, damit seine Augen nicht so tränten und hielt sich fest. Es war ein fast schon sadistisches Festhalten, um sein eigenes Ende noch ein bisschen hinauszuzögern und vielleicht zu genießen. Erst wurde das Gepäck in die Luft befördert und dann war es soweit. Thomson war die erste. Er selbst der nächste. Gilbert brauchte sich dieses Mal keinen Mut zu machen. Hatte er sich in den letzten Tagen von seiner feigen Seite gezeigt, so sah man ihm dies nun nicht mehr an. Ohne zu zögern sprang er aus dem Luftschiff, nachdem Thomson irgendwo im Nichts verschwunden war.
Der Maler schloss seine Augen, als er im freien Fall auf London zuraste. Er fühlte sich befreit. Nicht nur von so manchen Regeln und Gesetzen, sondern auch von Ängsten und allem anderen, dass ihn in den letzten Jahren seines Lebens behindert hatte. In diesem Moment war er ein völlig anderer Mensch. Soweit es ihm möglich war, lächelte er. Er genoss das Gefühl zu fallen und den Wind, der an jeder Stelle seines Körpers zog. In dem Wissen, dass er schon sehr bald von einem Geschoss der Gatling-Guns zerfetzt werden könnte oder vielleicht irgendwo aufprallen würde - falls der Fallschirm sich nicht löste - fiel er weiter. Doch mit einem heftigen Ruck wurde er wieder nach oben gezogen und die Luft wurde ihm für einen Moment aus den Lungen gepresst. Er atmete tief ein und öffnete schließlich wieder die Augen.
Unter sich sah er die Fallschirme von Thomson und dem Gepäck aber auch eine Szenerie, die er nie wieder vergessen würde. Im freien Fall war London noch viel schöner, als er die Stadt je gesehen hatte. Die hässlichen Details konnte er durch die Entfernung nicht erkennen, sodass es den Anschein hatte, als würden sie gar nicht existieren. Was übrig blieb, war eine leuchtende Stadt. Hier und da konnte man einen größeren Park oder einen Fluss sehen. Gilbert hätte sich nichts Schöneres als diese Sichtweise auf seine Heimatstadt wünschen können, bevor er starb. Er war glücklich und wartete auf sein Ende.
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