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Götterblut - Kapitel 4: Jäger und Gejagte

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Götterblut - Kapitel 4: Jäger und Gejagte - Seite 9 Empty Re: Götterblut - Kapitel 4: Jäger und Gejagte

Beitrag von Elli Fr Jul 10 2015, 09:31

Ruhig folgte Melinda dem King und Randy. Lieber etwas weiter hinten zu sein, könnte von Vorteil sehen. Daher konnte sie auch anfänglich nicht sehen, was Reynard und der Doc wohl einen Augenblick vor ihr zu sehen bekamen.
Sie erschrak sich ein bisschen vor der Stimme, die plötzlich sprach und noch mehr, davor was sie sah. Da wagte es sich tatsächlich diese...diese....ARGH! Melinda konnte einen Augenblick lang keinen klaren Gedanken fassen.
KNALL SIE AB! KNAAAAALL SIE AB UND DEN KING AUCH GLEICH! KNNN-AAAAAAAA-LL sie ab!
Doch diesmal hatte die Stimme in ihrem Kopf nicht recht. Nein. Sie hatte unrecht. Schoss Melinda nun, wäre es wohl mit Charles zu Ende.
Das ist DEINE Maus.
Ruhig bleiben. Sie musste ruhig bleiben. Sie musste die Frau überzeugen ruhig zu bleiben und die Waffe wegzulegen. Sollte sie ihre Waffe ziehen? Oder doch lieber nicht? Sie würde es mal mit Reden versuchen vielleicht würde das Früchte tragen.
"Pass auf Mädchen. Wir können die Sache ganz einfach klären. Du nimmst die Waffe runter und unser Doc hier, macht das auch. Dann legen wir die Waffen auf den Boden und gehen einfach ein Stück zurück. Dann ist alles gut. Wir können doch über alles reden. Denn sieh mal, wenn du schießt...ist Bowen tot. Und du auch. Wir sind nicht alleine gekommen und sind bewaffnet. Das macht doch keinen Sinn. Los....ich zähle bis 3 und wir legen alle die Waffen hin, ja?"
Naaaa, hoffentlich macht dir da Randy keinen Strich durch die Rechnung!
"Der Doc wird die Waffe eben so niederlegen, wie du." Sie warf Randolph einen eindringlichen Blick zu und hoffte, dass sie ihn mit der für sie so ungewöhnlich ruhigen Art überzeugen können würde, eben so wie die Frau die Charles in ihrer Gewalt hatte.
Melinda atmete durch. Woher sie die Ruhe nahm, die sie gerade an den Tag legte wusste sie selbst nicht. Sie sah nur wie sich stetig der Brustkorb von Charles hob und senkte. Er lebte und atmete ruhig. Sie verbuchte das als ein gutes Zeichen.
Was sollte sie auch anderes tun? Im Grunde hatte sie große Lust der Schlampe den Hals umzudrehen. Ihr die letzte Luft aus den Lungen zu pressen und dabei zuzusehen, wie kleine Blutungen in den Augen schichtbar wurden, bis die Pupillen stumpf wurden und der Körper gänzlich erschlaffte. Oh ja. Darauf hätte sie wirklich Lust. GROSSE LUST!
Aber...zusammenreißen. Sollte die Schlampe Charles etwas antun...dann würde sie Melly kennen lernen und sie würde keine ihrer Waffen brauchen um ihr das Leben auszuhauchen. Das würde sie mit ihren bloßen Händen machen.
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Götterblut - Kapitel 4: Jäger und Gejagte - Seite 9 Empty Re: Götterblut - Kapitel 4: Jäger und Gejagte

Beitrag von Darnamur So Jul 12 2015, 02:36

Als Randolph die Stimme hörte, blieb er ruhig. Sein Blick flog nur kurz auf Norly. Er lebte. Das konnten die erfahrenen Sinne des Doktors innerhalb weniger Sekundenbruchteile analysieren. Wenn man genau hinsah, konnte man erkennen, wie sich der Brustkorb langsam hob und senkte. Auch seinen Atem nahmen Randolphs scharfe Ohren war. So weit, so gut.
Eine solche Situation hatte der Doktor erwartet. Die einzige Frage, die sich ihm gestellt und die ihn gequält hatte, als er in das Verwaltungsgebäude gehumpelt war, hatte gelautet: Lebt Norly noch? Und dass dies der Fall war, erleichterte ihn nun stark. Sorgenvoll ließ er seine Augen kurz auf der Gestalt verweilen, aber aus seinem Blickwinkel heraus konnte er keine neuen Verletzungen erkennen. Wenigstens das. Diese Leute hatten sich humaner verhalten, als er es erwartet hatte.
Nun galt es diesen Konflikt noch zu lösen und sie konnten wieder verschwinden. Und das konnte doch nicht so schwer sein. Das war genau der Grund, warum sich Randolph diesen Bowen als Geisel besorgt hatte. Damit sie ein Druckmittel hatten. Und bei dieser dunkelhaarigen Frau schien es sich wohl um seine Frau oder Geliebte zu handeln.
Sie wäre durchaus schön aussehen, wäre da nicht dieser hasserfüllte Ausdruck, der ihr aufs Gesicht getreten war. Lynette hatte genau so ausgesehen, als sie ihn damals angeschrien und verlassen hatte. Jetzt wo er die Frau so vor sich sah, erinnerte sie ihn stark an Lynette. Auch sie hatte lange, schwarze Haare gehabt. In Locken waren sie ihr über die Schultern gefallen. Randolph hatte diese Haare geliebt. Er hatte geliebt, seine Finger durch sie hindurch gleiten zu lassen. Aber eigentlich hatte er ohnehin alles an ihr geliebt…
Vom Alter her würde er die Frau auf etwas über dreißig schätzen. Er selbst war einunddreißig. Auch Lynette war damals etwa in seinem Alter gewesen. Sie könnte jetzt ganz genauso aussehen, wenn sie noch lebte. Seit jenem Tag hatte er sie nie wiedergesehen. Vielleicht war sie auch tot. Randolph erinnerte sich verschwommen an seinen wirren Traum, in dem er ihr Grab zugeschaufelt hatte. Als ich dir endlich entkommen bin, habe ich dann einen anderen Liebhaber gefunden. Reicher als du und sehr talentiert! Er konnte noch ihr schadenfrohes Kichern erklingen hören.
Randolphs Augenbrauen senkten sich. Warum dachte er über solche Dinge nach? Es war ohnehin nur ein bescheuerter, wirrer Traum gewesen. Und außerdem: Wenn Lynette so einen Liebhaber gefunden hatte, dann gönnte er ihr das. Wenn er mehr Geld hatte…sie könnte bei ihm ein besseres Leben führen. Das war doch etwas Schönes. Randolph sollte sich für sie freuen, würde das, was sie in dem Traum erzählt hatte, tatsächlich stimmen. Ja, das sollte er wirklich.
Missmutig gab der Doktor die Überlegung auf. Pah, sinnlos darüber nachzudenken! Außerdem sah die Frau Lynette nun wirklich nicht so ähnlich. Lynette hatte zum Beispiel blaue Augen gehabt. Daran konnte er sich noch deutlich erinnern. Die von dieser Frau waren braun. Und die Hellste musste sie auch nicht sein, wenn sie sich Lloyd, diesem Pisser um den Hals geworfen hatte.
Also. An die Verhandlung. Melinda lieferte schon mal einen guten Start ab. Es war eine gute Idee. Und wäre die Frau bereit auf dieser Basis zu verhandeln, dann würde er sich auch daran halten, was Melly vorhatte. Seine grauen Augen durchbohrten die Gestalt, während er seinen Revolver auf Bowens Herz gerichtet hielt. Immerhin zielen konnte er in der Hinsicht relativ gut. Als Chirurg wusste man halt, wo das Herz saß und wo sein Zentrum lag.
„Einen guten Tag wünsche ich“, sprach er die Frau an. Sein zorniges Gemüt hatte sich wieder gekühlt, nachdem er festgestellt hatte, dass es Norly nicht so schlecht ging, wie er es zunächst vermutet hatte. „Mein Name ist Doktor Thomas Benton. Darf ich fragen, mit wem ich hier die Ehre habe? Ich finde es schade, dass meine Gespräche heute nie auf vernünftige Art und Weise zu beginnen scheinen.“ Randolph blieb ruhig, um so zu tun, als hätte er die Lage völlig unter Kontrolle. Was er wohl in gewisser Hinsicht auch hatte. Er glaubte daran, die Frau überzeugen zu können.
„Es liegt nicht in meinem Interesse Bowen zu erschießen. Es liegt nicht auch nicht in meinem Interesse euch oder euren Kindern irgendein Leid zuzufügen“, meinte Randolph eindringlich. Die Kinder hatte er nochmal erwähnen wollen. In solchen Momenten der Panik, blendete das Gehirn oft wichtige Dinge einfach aus. Randolph vermutete das es sich bei den Bälgern, auch um ihre Kinder handelte. Das wollte er ihr nochmal ins Gedächtnis rufen.
Nicht das er vorgehabt hätte den Kleinen in irgendeiner Form Schaden zuzufügen. Aber er wollte der Frau demonstrieren, dass sie in der Machtposition waren und sie keine andere Wahl als zu kapitulieren hatte. „Aber wenn sie abdrücken, was sie mir gerade angedroht haben, besiegeln sie das Schicksal ihrer Familie. Ich bitte sie darüber nachzudenken, ob es ihnen das Wert ist.“
Randolph warf einen kurzen Blick durch eines der Fenster hinaus auf das Gelände vor der Fabrik. In der Ferne konnte er die Kinder mit ihrem Lederball erkennen, die ihm schon zuvor aufgefallen waren. „Meiner Meinung nach ist das Angebot meiner Begleiterin äußerst großzügig. Wenn sie kooperieren, können wir diese Angelegenheit schnell, friedlich und professionell abhandeln. Wenn nicht…wird es ein Blutbad geben.“
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Götterblut - Kapitel 4: Jäger und Gejagte - Seite 9 Empty Re: Götterblut - Kapitel 4: Jäger und Gejagte

Beitrag von Umbra Mo Jul 13 2015, 00:01

Gilbert war draußen bei der Kutsche geblieben, als sich Melinda und der Doktor aufgemacht hatten, King Reynard mit vorgehaltener Waffe ins Haus zu begleiten. Es war durchaus seltsam, dass der Arzt ihn aufgefordert hatte, sich das Innere der Kutsche genauer anzusehen – genauso wie es seltsam war, dass Maura Thomson bisher die Füße stillgehalten hatte.
Aber als er der Sache gerade nachgehen wollte, bemerkte Gilbert, dass er nicht so alleingelassen worden war, wie angenommen. Die Kinder waren immer noch da. Ihre Kleidung wirkte etwas abgerissen. Sie standen im hohen Gras neben dem Weg und starrten ihn böse an, allesamt. Es handelte sich um fünf Jungen in einer Altersspanne von etwa 8 bis 11, aber die Entschlossenheit, die in ihren Blicken entsprang, ließ sie eindeutig älter wirken, als sie waren.
Das, was gerade passiert war, schien ihnen nicht besonders gefallen zu haben. Sie waren nun nicht mehr nur neugierig. Einer von ihnen hatte eine Zwille in den Händen, mit der er Gilbert anvisierte.
„He, Fatzke!“, rief der Bursche.
Auch die anderen bückten sich und hoben etwas vom Boden auf, das Gilbert schon bald als Steine ausmachen konnte, als diese ihm entgegenflogen.[1]

[1] Bitte 5 Verteidigungswürfe gegen: +1, +1, -1, 0, -3… Bei Treffer erleidet Gilbert keinen Schaden in Form von Belastungspunkten, aber es tut weh.




In den Augen der Frau, die sich nicht von Randolph abwandten, funkelte inzwischen nur umso deutlicher Zorn und Hass.
„Wie können Sie es nur wagen, die Kinder mit hineinzuziehen?“, presste sie, sich nur mühsam beherrschend, hervor. Dennoch verpasste sie es nicht, Randolph dabei zu siezen. Sie war Engländerin, vermutlich noch nicht einmal aus den schlechtesten Verhältnissen.
„Sie sind wohl der abscheulichste Abschaum, den Charles jemals hier angeschleppt hat, oh werter Dr. Thomas Benton, spottete sie dennoch schnaubend, ohne sich eingeschüchtert zu zeigen.
„Rosie Tilling“, stellte sie sich anschließend, kurz und knapp vor, „wenn Sie es unbedingt wissen müssen. Aber glauben Sie nicht, dass ich jemandem wie Ihnen auch nur ein Fünkchen Ehre im Leib zutraue“, stellte sie klar.
„Ich werde bestimmt nicht die Waffe niederlegen“, sagte Rosie, „nur damit Sie uns trotzdem erschießen.“
Misstrauisch verengten sich ihre Augen. Sie schien sich, und da gingen die Meinungen in diesem Raum auseinander, nicht in einer ausweglosen Situation zu sehen. An Selbstbewusstsein mangelte es ihr jedenfalls nicht.
„Ich glaube  kaum, dass Ihr Freund hier“, sie deutete mit einem leichten Nicken auf Charles, „mit Ihrer Vorgehensweise einverstanden wäre, Sie Wichtigtuer.“
Vielleicht trieb ihr momentaner, sichtbarer Hass auf Randolph sie dazu, ihm auf diese Weise die Stirn zu bieten.
„Fragen wir ihn doch einfach“, schlug sie vor und rüttelte etwas an Charles‘ Kragen, den sie festhielt.
„Komm schon, wach auf, Süßer“, redete sie ihm auf gereizte Weise gut zu, als dies nicht so ganz zu funktionieren schien, und tätschelte ein paarmal mit Nachdruck die vernarbte Wange ihrer Geisel – die sich daraufhin tatsächlich rührte.

Charles zuckte zusammen, als er erwachte. Es war, als hätte irgendwer ihn angesprochen.
„Waswiebitte…?“, murmelte er benommen und wunderte sich gerade, warum sein Schädel brummte, als etwas Kaltes an seiner Schläfe ihn erstarren ließ und er nicht wagte, sich im Sitzen – ja, er saß, anscheinend – gerade aufzurichten. Das bedeutete nichts Gutes.
Etwas desorientiert wurde er sich gewahr, was geschehen war. Er hatte das Verwaltungsgebäude der Norman Mill betreten und Lloyd Bowen hatte ihn in Empfang genommen… auf unsanfte Weise. Der Schlag musste Charles ausgeknockt haben.
Er entdeckte den stark tätowierten Mann nur wenige Schritte vor sich – aber, was Charles‘ Blut jetzt, abgesehen von seiner eigenen Lage, in Wallungen brachte, war eindeutig der Revolver in des Doktors Hand, den dieser auf Lloyds Brust richtete.
„Tremaine“, knurrte Charles beunruhigt, „was treiben Sie da, zum Teufel?“
Er wusste bei diesem Anblick sofort, dass er selbst gerade eine Geisel war.
Lloyd schmunzelte in dieser bizarren Situation und äußerte leise: „Tremaine. Soso…“
Das ging allerdings darin unter, dass jemand anderes die Antwort für den Doktor übernahm. Charles erkannte die Stimme dicht hinter ihm.
„Er und seine kleine Freundin“, erklärte Rosie Tilling mit hörbarem Zorn in der Stimme, „haben mir gerade das ‚äußerst großzügige Angebot’ unterbreitet, Bowen, die Kinder und mich nicht zu erschießen, wenn ich dich am Leben lasse.“
„So?“, antwortete Charles vorsichtig. Sein etwas gequältes Lächeln sah sie, hinter ihm, eher nicht. Natürlich gefiel ihm nicht, was er hörte. Seine Augäpfel zuckten ihn ihren Höhlen umher, während er jedes Detail der Szene vor sich erfassen wollte.
Angesichts des Stück Metalls, das er an seiner Schläfe spürte und das mit Sicherheit die Mündung einer Schusswaffe war, musste er nun gut überdenken, was er von sich gab und was nicht. Falsches Verhalten konnte nun fatal
Er entschied sich für selbstsicheren Charme, mit dem er Rosie schon geneckt hatte, als sie noch eine Heranwachsende gewesen war:
„Wie gut, dass du das ohnehin vorhattest, junge Lady“, behauptete er einfach, in Wirklichkeit eher hoffend als überzeugt davon, öffnete seine rechte Hand und hob sie leicht an, um sie so stumm aufzufordern, ihm das Ding auszuhändigen, mit dem sie ihn bedrohte.
„Da sei dir mal nicht so sicher, Scarface, zischte sie schnippisch, entspannte dann aber tatsächlich den Hahn des Revolvers und drückte Charles die Waffe unwirsch in die  Hand. Er spürte, wie der Kloß in seinem Hals sich sofort verflüchtigte, und auch, dass die Hitzewallung, die ihn überkommen hatte, vor Erleichterung abklang. Dass Rosie ihn „Scarface“ nannte, war zwar schmerzlich für ihn, allerdings hatte sie wohl alles Recht der Welt, sauer auf ihn zu sein. Es war nicht einmal eine Woche vergangen, seitdem ihr Vater, Ed Tilling, auf nächtlicher Straße in London aufgeschlitzt worden war.
Charles gab sich selbst die Schuld daran. Vermutlich sahen Rosie und Lloyd dies genauso. Ein kräftiger Kinnhaken war deswegen nichts, weswegen er nachtragend gestimmt war. Es war, im Gegenteil, ein gutes Gefühl, damit davongekommen zu sein. Dass ihm Rosie die Waffe ausgehändigt hatte (Charles erkannte nun, dass es seine eigene war), war schon einmal ein Zeichen dafür, dass sie ihm zumindest nicht zutraute, Ed eigenhändig dieses grausame Verbrechen angetan zu haben.
Nun blieb nur zu hoffen, dass der Doktor nun keine Dummheiten anstellte. Charles Blick wanderte zum in Schach gehaltenen Lloyd herüber, der stirnrunzelnd (und den Doc finster anstarrend) wohl das Gleiche zu denken schien… und weiter zu Melinda. Sie war offensichtlich wohlauf – zum Glück. Charles brachte ein leichtes Lächeln zustande. Ihm ging es gut. Einigermaßen. Zumindest nicht schlechter als zuvor. Es bestand kein Grund zur Sorge.
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Götterblut - Kapitel 4: Jäger und Gejagte - Seite 9 Empty Re: Götterblut - Kapitel 4: Jäger und Gejagte

Beitrag von Elli Di Jul 14 2015, 10:09

Leider verliefen die nächsten Augenblicke nicht ganz so wie Melinda es sich erwünscht hatte. Ihr Grundgedanke war gewesen, dass Randy keine großen Reden schwang, sondern einfach mal tat was sie sagte. Nur ein einziges Mal. Aber natürlich eskalierte die Sache fast. Kinder. Wieso musste immer alle Kinder mit reinziehen? Das war doch der wunde Punkt von jedem. Naja. Fast jedem. Sie selbst machte sich nicht allzu viel, von diesen Mini-Duplikaten irgendwelcher Pärchen die meinten es wie die Karnickel treiben zu müssen und sich auch so schnell zu vermehren. Und natürlich war auf die Frau die Charles als Geisel gefangen hielt, nicht besser, wie all die anderen Weltverbesserer die immer nur schrien ‘Und wer denkt an die Kinder???‘ Ekelhaft. Randolph hatte seine Macken, aber er hatte sicherlich weitaus mehr Kindern das Leben gerettet, als die Frau aus sich herausgepresst hatte. War ja keine Hochleistungsgebärmaschine. Aber das zu erwähnen wäre fehl am Platz gewesen. Noch immer war die Hure von einer stoischen Ruhe befallen, die sie daran hinderte, auszuflippen und der Frau die Nase nach innen zu biegen. Dennoch war sie höchst angespannt was Charles betraf. Der aber nun auch endlich die Augen aufmachte und es zu einem Gespräch zwischen Geiselnehmerin und Geisel kam. Als Charles wieder die Waffe in seiner Gewalt hatte, spürte Melinda regelrecht wie die Anspannung aus ihren Schultern wich. Was die Schlampe da von ihr sagte, musste Melinda aber korrigieren. So ging das ja nicht.
“Die kleine Freundin hat nichts dergleichen gesagt. Mit keinem Wort habe ich irgendwelche Gören erwähnt!“ Wenn sie etwas nicht leiden konnte, dass man ihr Worte in den Mund legte, die sie nicht gesagt hatte. Zum Verrückt werden sowas.
Erst dann erwiderte sie das Lächeln von Charles kurz und kehrte dann wieder zur ihrem üblichen emotionslosen Gesichtsausdruck zurück.
Nun wussten die beiden zumindest Randolphs korrekten Namen. Ob das noch zu einem Problem werden würde, würde sich zeigen.
“Ich dachte schon die Londoner seien nichts als Dreck, aber wenn man in Manchester seine Freunde mit Schlägen und Waffen am Kopf bedroht, will ich lieber in London im Dreck versinken, als hier nur einen Moment länger als nötig zu bleiben.“ Diesmal war sie es, die auf den Boden spuckte und damit noch einmal unterstrich was sie von Manchester hielt.
“Norly? Kann man dieses Theaterspiel hier vielleicht mal beenden?“ während sie sprach überlegte sie sich, was sie gerne mit dem King machen würde, dafür dass er Charles zu Boden gestreckt hatte. Ebenso wie sie mit der Schlampe einige nette Pläne hätte, dafür dass sie die Pistole an den Kopf gehalten hatte.

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Götterblut - Kapitel 4: Jäger und Gejagte - Seite 9 Empty Re: Götterblut - Kapitel 4: Jäger und Gejagte

Beitrag von Thorgrimm Mi Jul 15 2015, 01:54

Aus seinem sicheren Versteck heraus beobachtete Gilbert das weitere Geschehen und musste mit ansehen, wie der "King" klein beigab und die Gruppe in das Verwaltungsgebäude führte. Für den Maler war offensichtlich, dass noch weitere angespannte und gefährliche Momente auf den Doktor und seine Gefährtin warteten. Wenn er ihnen jetzt gefolgt wäre, hätte er sich nur unnötig selbst in Gefahr gebracht.
Wieder kreisten die Gedanken Gilberts um die letzten Stunden, die er mit diesen Menschen verbracht hatte. Menschen... das war eigentlich noch eine viel zu freundliche Beschreibung für diese Verrückten. Geisteskranke passte schon fast besser. Sie waren nicht viel besser als einfache Mörder und das wurde Gilbert jetzt klar. Mit wem hatte er sich da nur abgegeben und aus welchem Grunde überhaupt? Was hatte er hier zu suchen? Die Antwort auf diese Frage war eindeutig. Nichts. Die letzten Stunden, die ihn zum Mittäter eines Mordes und eines Diebstahls hatten werden lassen, konnten nicht durch einfache Neugierde gerechtfertigt werden. Er hatte hier ganz einfach nichts verloren, das wurde ihm ein weiteres Mal klar. Fast war er gewillt, wieder auf den Kutschbock zu steigen und einfach davonzureiten, ohne einen Blick zurückzuwerfen.

Es gab lediglich eine Sache, die ihn davon abhielt. Die Worte des Doktors und dieses schelmische, ja fast herausfordernde und belustigte Zwinkern. "George, du könntest dir in der Zwischenzeit schon einmal das Innere der Kutsche ansehen." Was hatte der Mann damit nur gemeint? Gilbert dachte nach und dann fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Natürlich! Wieso hatte er nicht vorher schon daran gedacht? Thomson war bisher seltsam ruhig geblieben und hatte sich anscheinend nicht einen Meter von der Stelle gerührt. Hatten sie die Frau etwa...?
Er wandte sich zum Eingang der Kutsche um - wurde aber unterbrochen, bevor seine Befürchtungen bestätigt werden konnten. Gerade als sein Blick über das umgebende Fabrikgelände streifte, fielen ihm einige Kinder auf. Sie mussten so um die 10 Jahre alt sein - vielleicht auch älter. Ein Lächeln bildete sich auf dem Gesicht des Malers, das recht schnell wieder verschwand als er erkannte, dass die Kinder ihn böse anstarrten.
Sicherlich hatte ihnen die gesamte Situation gerade genauso wenig gefallen wie ihm. Vielleicht sogar noch weniger wenn er daran dachte, dass sie die Kinder dieses Mannes sein konnten. Er versuchte sich in ihre Situation hineinzuversetzen. Der eigene Vater bedroht von einem verrückten Arzt und ein möglicherweise ebenso verrückter Mann blieb zurück um den Rückzug zu decken. Wer konnte schon ahnen, was sich diese armen Kinder gerade für Horrorszenarien ausdachten. Gilbert hatte Mitleid mit den Jungen. Aber nur für einen Moment, denn schon wurde er als Fatzke bezeichnet und mit Steinen beworfen. Verübeln konnte er es den Kindern nicht aber das bedeutete nicht, dass er diese Aktion guthieß.
"He! Hört auf! Ich hab damit nichts zu tun!" rief er den Kindern zu und versuchte den Steinen auszuweichen. Wahrscheinlich hatte er mehr Glück als Verstand, denn nur ein einziger Stein traf ihn hart auf der Brust. Einen Moment wurde Gilbert die Luft aus der Lunge gedrückt und er musste sich an die Wagenwand lehnen um Luft zu holen. "Dem Mann wird nichts geschehen! Beruhigt euch bitte!" versuchte er die Kinder zu beruhigen. Das hatte er also davon, mit diesen Leuten zusammen zu reisen. Jetzt wurde er auch noch von Kindern gehasst, mit Steinen beworfen und auf eine Stufe mit diesen Verrückten gestellt. Ganz toll.
Trotzdem zog sich Gilbert anschließend in das Innere der Kutsche zurück und schloss vorsichtshalber die Tür hinter sich, um weiteren Steinwürfen zu entgehen. Da entdeckte er sie zusammengesunken auf den Sitzen der Kutsche. Gilbert fiel das Herz in die Hose, als er sie dort so liegen sah und befürchtete schon das schlimmste. Angefacht von den vorherigen Gedanken dachte er sofort an Mord. Doch langsam bohrte sich die Realität in seine Wahrnehmung. Er bemerkte dass nirgendwo Blut zu sehen war und dass sie ruhig und gleichmäßig atmete. Nachdem dieser Schreck verdaut war, beugte er sich etwas über die Frau, um sie an den Schultern zu rütteln und aufzuwecken. "Ms. Thomson? Ms. Thomson ist bei Ihnen alles in Ordnung? Was ist geschehen? Ms. Thomson so wachen sie doch auf!" versuchte er vergeblich die Frau wieder in diese Welt zurückzuholen.
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Götterblut - Kapitel 4: Jäger und Gejagte - Seite 9 Empty Re: Götterblut - Kapitel 4: Jäger und Gejagte

Beitrag von Darnamur Mi Jul 22 2015, 15:31

Tilling…Rosie Tilling…
Randolphs äußere Augen weiteten sich unmerklich als er den Namen hörte. Vor Randolphs innerem Auge hingegen tanzten weit deutlichere, blutige Bilder. Fotografien eines verregneten, blutumspülten Schauplatzes. Der Tote- Tilling! – vornübergebeugt auf dem Kutschbock sitzend. Die Todeswunde ein Einstich an der Articulatio sternoclavicularis. Verfluchte Scheiße...
Rosie musste eines der vier Kinder sein, die Drake erwähnt hatte. Edward Tilling, vierundsechzig, verwitwet, vier Kinder, neun Enkelkinder, konnte der Doktor die verhasste Stimme des Chief Inspectors mit dem breiten irischen Akzent in seinem Schädel hören.
Wollte Rosie nun Rache für den Tod ihres Vaters? Es wäre vielleicht sinnvoller gewesen, sie nicht so sehr zu reizen. Andererseits…er hatte ihr angedroht, dass sie auch noch ihre restliche Familie verlieren würde, wenn sie abdrückte. Vielleicht würde sie das aufhalten.
Dann entschied sie sich Charles aufzuwecken. Er ignorierte ihre vorherigen, von Abscheu triefenden Worte erstmal. Er war nicht höflich gewesen, das stimmte. Aber sein Ziel war es in erster Linie Charles aus seiner Lage zu befreien. Höflichkeit hatte keine Priorität. Er war hier, um einen Gefangenenaustausch vorzunehmen, nicht um sich mit irgendwelchen leidgeprägten Fremden anzufreunden. Anfreunden…haha.
Randolphs Blick blieb kritisch und ernst auf Charles gerichtet. Das er geweckt wurde, war schon mal ein gutes Zeichen…was dann aber geschah, überraschte den Doktor. Rosie überließ Norly die Waffe. Er atmete leise aus. Seine Fragen klärten sich dadurch, aber nicht völlig. Wenn diese Beiden mit Norly befreundet waren, warum schlugen sie ihn dann nieder. Warum verwehrten sie seiner Begleitung den Zutritt.
Aber der Doktor war zufrieden mit dieser Entwicklung. Fürs Erste senkte er seinen Revolver und nach kurzer Überlegung und einen Blick auf Llyod, steckte er ihn ganz weg. „Es tut mir Leid, wegen ihres Vaters“, erklärte er Rosie Tilling lediglich mit ruhiger, nicht sonderlich emotionaler Stimme. Das war Alles was er auf ihre Worte erwiderte. Kein Grund nun unnötigen Streit anzufangen. Sie hatten die Situation friedlich lösen können und das war auch gut so. Rechtfertigen für seine Worte würde sich der Doktor allerdings auch nicht.
Jetzt blickte er Norly erwartungsvoll an: „Ich dachte, ihr wärt in Gefahr. Entschuldigung dafür, dass ich nicht realisiert habe, dass es sich bei deiner Bewusstlosigkeit, die wohl auf einen Hieb oder dergleichen zurückzuführen ist, nur um ein Begrüßungsritual gehandelt hat.“ Ein wenig Ironie konnte sich Randolph dann doch nicht ersparen. Im Grunde fand er Norlys Verhalten ziemlich daneben. Er hatte sich darum gekümmert, ihn aus der Lage herauszuboxen und alles was er dafür erntete war ein „Was treiben sie da, zum Teufel?“
Aber nun gut, damit würde er leben müssen. So lange sie hier friedlich wieder davonkommen würden, konnte es ihm eigentlich auch egal sein. „Wie geht es jetzt weiter?“
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Götterblut - Kapitel 4: Jäger und Gejagte - Seite 9 Empty Re: Götterblut - Kapitel 4: Jäger und Gejagte

Beitrag von Thorgrimm Fr Jul 24 2015, 04:44

So sehr sich Gilbert auch anstrengte, die alte Frau zu wecken, nichts funktionierte. Weder reagierte sie auf seine Worte, noch auf das Schütteln. Was auch immer man mit ihr angestellt hatte, hatte sie völlig außer Gefecht gesetzt. Was war nur der Grund dafür gewesen? Natürlich trauten Norly, der Doktor und Melinda der Frau nicht aber ihm selbst trauten sie wohl genauso wenig. Trotzdem hatte man bei ihm auf solche Maßnahmen verzichtet. Einen Streit oder sogar eine Auseinandersetzung konnte er ausschließen. Die hätte er selbst beim Lenken der Kutsche gehört. Es musste schnell, überraschend und leise vonstatten gegangen sein - schließlich hatte Ms. Thomson nicht einmal geschrien. Es war schon erschreckend, dass diese Leute so kaltblütig und geplant vorgingen.
Würde man ihm das gleiche antun? Vielleicht sogar noch deutlich schlimmere Maßnahmen ergreifen? Im Gegensatz zu Ms. Thomson wussten diese Leute - zumindest Norly - dass er Kontakte zur Polizei gehabt hatte. Dachten sie, er sei ein Verräter? Ein Spitzel?
Gilbert hatte entschieden. Er würde etwas tun, dass er schon vor Stunden hätte tun sollen. Diese ganze Sache war aus dem Ruder gelaufen und seiner Kontrolle entsprungen. Diese Leute waren gefährlich. Mörder und Kriminelle. Norly mochte nicht Scarface sein aber sein Weg war trotzdem mit Blut besprenkelt. Gilbert konnte das alles einfach nicht mehr mit sich selbst vereinbaren. Er zog jetzt vorerst den Schlussstrich.
Nicht nur sein Leben war gefährdet, sondern auch das von Ms. Thomson. So ging Gilbert wieder aus der Kutsche heraus und setzte sich auf den Kutschbock. So gut es ging, versuchte er den geworfenen Steinen der Kinder auszuweichen und fing an, die Kutsche von dem Gelände zu steuern. Sein Ziel würde erst einmal Norlys Haus sein. All sein Gepäck und seine Medikamente befanden sich dort. Die würde er mitnehmen und sich dann absetzen. Wohin wusste er noch nicht. Vielleicht würde er das Rätsel um Scarface und Norly alleine lösen. Auf seine Art und Weise.
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Götterblut - Kapitel 4: Jäger und Gejagte - Seite 9 Empty Re: Götterblut - Kapitel 4: Jäger und Gejagte

Beitrag von Umbra Sa Jul 25 2015, 23:43

Charles steckte den Revolver wieder in seinen Hosenbund – dort gehörte er hin. Vermutlich wäre es sicherer, unbewaffnet herumzulaufen. Rosie war immerhin nicht die Erste, die ihm den Revolver abgenommen und diesen gegen seinen eigentlichen Besitzer eingesetzt hatte. Dr. Tremaine… Dieser Polizist namens Leeland…
Charles war unendlich müde. Allein das Adrenalin, das noch in seinem Körper zirkulierte, verhinderte vermutlich, dass er nun im Sessel einschlief. Stattdessen war er so gezwungen, die sich abspielende Szene zu verfolgen. Er kam zu der Erkenntnis, dass es keine gute Idee gewesen war, hierherzukommen. Die Lage war aus dem Ruder gelaufen. Er bezweifelte nicht, dass Dr. Tremaine und Melinda aus guter Absicht gewaltbereit gehandelt hatten, aber damit hatten sie alles nur schlimmer gemacht. Gerade, dass eine Drohung gegen die Kinder ausgesprochen worden war, wirkte wohl wie Gift auf alles, was nun noch folgen mochte. Die Aussicht auf eine sichere, ruhige Unterkunft war schon vertan, fürchtete Charles. Dass Melinda dann auch noch ausspuckte und damit besiegelte, nicht hier bleiben zu wollen, war die Entscheidung, aufzubrechen, beschlossene Sache.
Charles war nicht froh darüber, aber musste es akzeptieren.
Er sah nicht, wie Rosie hinter ihm Randolph als Antwort auf dessen Kondolenzbekundung nur anblickte. Aber Charles selbst war wohl gefragt, weil Melinda ihn darum bat, die Situation aufzuklären und Dr. Tremaine wissen wollte, wie es nun weitergehen würde.
„Nein, das war kein Begrüßungsritual“, korrigierte Charles erst einmal unglücklich Randolph Kommentar über die eigentliche Harmlosigkeit der Situation – Lloyd hatte nun zum ersten Mal überhaupt die Hand gegen ihn erhoben – und betastete vorsichtig seinen Kiefer. Der Schlag schien ihm immer noch in den Knochen zu sitzen, aber wenigstens waren diese heil geblieben. Auch sein Gebiss fühlte sich vollständig an. Gut. Dass, darüber hinaus, offenbar niemand sonst verletzt worden war, war ebenfalls erfreulich. Dennoch gefiel es Charles wirklich nicht, dass sich die Situation so entwickelt hatte, wie sie sich entwickelt hatte.
„Wir besprechen dies hier lieber später, Miss“, wandte sich Charles wiederum an Melinda und brachte anschließend seinen Entschluss bezüglich des weiteren Vorgehens vor:
„Ich denke, es wird erst einmal das Beste sein, wieder aufzubrechen.“
„Gute Idee“, pflichtete Bowen sofort bei. Charles nahm es ihm nicht unbedingt übel, fühlte sich durch den entschlossenen Klang in der Stimme des Mannes, den er eigentlich zu seinen Freunden zu zählen glaubte, aber dennoch etwas gekränkt.
Allerdings spürte Charles, als er nun Anstalten machte, sich aus dem Sessel zu hieven, Hände auf seinen Schultern, die ihn davon abhielten, aufzustehen. Rosie sah die Sache offenbar anders:
„Kommt nicht in Frage!“, protestierte sie und redete mit Bowen. „Schau nur, wie furchtbar er aussieht. Das hat er sicher nicht allein deiner fürsorglichen Ader zu verdanken.“
„Ich denke nicht…“, setzte Charles an.
Jedoch fuhr Rosie ihm ins Wort.
„Genau das ist dein Problem, Charles Norly: Du denkst nicht nach“, warf sie ihm vor. „Nicht langfristig. Du legst dir die Dinge zurecht, wie sie kommen, und nun schau dir an, wo das wieder hingeführt hat! Diesmal hast du dich richtig in die Scheiße geritten – und wäre das nicht genug, musst du andere, wie Vater, auch noch mit in deine Machenschaften hineinziehen. Ich frage mich, wer als nächstes dran glauben muss. Vielleicht ich oder einer deiner reizenden Freunde hier.“
„Rosie, ich…“, versuchte Charles, sich zu erklären. Er wollte sich entschuldigen.
„Kein Wort nun, ich will nichts hören!“, unterbrach sie ihn wieder. „Später erwarte ich ehrliche Antworten von dir, und wehe, du verschwindest wieder, bevor ich sie bekommen habe.“
„Aber…“, protestierte nun der Tätowierte.
„Keine Widerrede, Bowen“, befahl sie ihm und musterte dann Randolph und Melinda. Die Strenge wich aus ihren Gesichtszügen und hinterließ Kummer.
„Seid unsere Gäste, solange ihr wollt“, bot sie in gefassterem Tonfall an.
„Ruht euch aus. Ihr seht so aus, als hättet ihr es verdammt nötig. Es sind oben noch Zimmer und Betten frei, die ihr nutzen könnt, und hier unten findet ihr alles andere, was man braucht.“
Dennoch schlich sich ein verächtliches Funkeln in ihren Blick, als sie noch einmal Randolph fixierte.
„Sie, Herr Doktor, wenn Sie denn tatsächlich ein Arzt sind, sollten sich vielleicht einmal Charles ansehen. Er scheint zu bluten.“
Ohne sich zu verabschieden oder zu bitten, sie zu entschuldigen, verließ sie den Raum durch eine Tür in ein benachbartes Zimmer.
Lloyd Bowen blickte ihr besorgt hinterher, machte aber keine Anstalten, ihr zu folgen. Scheinbar unschlüssig, was er von der Situation halten sollte, fuhr er sich mit der Hand über den Nacken.
„Nun… Dann seid willkommen“, sprach er zögernd. Komplett war er von der ausgesprochenen Einladung offenbar nicht überzeugt, aber er ließ Rosie ihren Willen.
„Verzeiht, normalerweise ist sie nicht so… herrisch“, entschuldigte er ihr Verhalten dann allerdings.
„Die letzten Tage waren nicht leicht für sie.“
„Für uns alle nicht“, mischte sich Charles nun ein – und wurde diesmal nicht unterbrochen. Vor Schmerz leise ächzend, lehnte er sich im Sessel nach vorn und drückte sich dann mit den Händen an den Armlehnen ab, um wieder auf die Beine zu kommen. Das Pochen seines Schädels, der ziehende Schmerz in seiner Seite und der Rest seines geschundenen Körpers wollten ihn davon abhalten, doch Charles‘ Willen war stärker. Dennoch ließ ihn diese Qual schmerzgeplagt die Miene verziehen und er legte, sobald seine Hände wieder frei waren, eine auf die Stelle an seiner Seite, die Rosie vermutlich gemeint hatte, als sie erwähnt hatte, dass Charles blutete. Die hatte wohl unter seinen Mantel geschaut, als sie ihm die Waffe abgenommen hatte. Oder meinte sie offen sichtbares Blut? Charles befühlte vorsichtig erst die bereits genähte Wunde an seinem Haaransatz und seinen Hinterkopf. Und er glaubte, dass sein Handschuh danach tatsächlich feucht glänzte. Allerdings konnte er sich noch auf den Beinen halten.
„Ich bin untröstlich, Lloyd“, sagte er mitfühlend und selbst in Trauer. „Ich hätte Ed nicht kontaktieren dürfen.“
Wie er ihn kontaktiert hatte – mit Betäubungsmittel –, verschwieg er allerdings.
„Hätte ich geahnt, dass so etwas passieren würde“, bereute Charles, „hätte ich geahnt, dass ich verfolgt werde, hätte ich ihn vor dem beschützt, was ihm widerfahren ist. Oder ich hätte den Täter gar nicht erst auf diese abscheuliche Idee gebracht.“
Bowen nickte. Charles war erleichtert. Das reichte ihm.
Lloyd, jedenfalls, ging nicht mehr verbal auf dieses Thema ein, sondern wandte sich wieder an alle.
„Lasst in Zukunft bitte einfach die Waffen stecken; wir wollen euch nicht schaden – und tut mir den Gefallen und sorgt dafür, dass die Jungs sie nicht in die Hände bekommen.“
Er seufzte und lächelte dann leicht.
„Wie wär’s mit einem Drink?“
Kaum hatte Bowen diesen Satz ausgesprochen, erregte etwas draußen vor dem Fenster seine Aufmerksamkeit.
„Euer Kutscher haut gerade ab“, stellte er fest.
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Götterblut - Kapitel 4: Jäger und Gejagte - Seite 9 Empty Re: Götterblut - Kapitel 4: Jäger und Gejagte

Beitrag von Elli Mo Jul 27 2015, 14:35

Überrascht stellte Melinda fest, dass nicht alle Konfrontationen nur mit Gewalt zu lösen waren. Ihre „Verhandlung“ hatte Früchte getragen. Natürlich keine strahlend schöne grüne Äpfel, die man auf einem Markt verkaufen könnte, aber immerhin kleine saure Äpfel. Im Grunde ungenießbar, aber im Notfall könnten sie vor dem Hungertod schützen.
Was ist den falsch mit dir? Was sollen denn die beschissenen Metaphern? Himmel, denk mal wieder geradeaus, wofür hast du denn deine Knarre? Ist das nur ein hübsches Armband? Pffff.
Unrecht hatte ihre innere Stimme nicht. Sie seuftze und verfolgte die Gesprächsabläufe der anwesenden Personen.
Also Bowen von einem Drink sprach, wurde ihr erst bewusst wie schmerzlich ihr Körper nach Alkohol schrie. “Ich hätte gerne einen Drink. Einen großen.“
Dann drehte sie sich um und blickte der davonfahrenden Kutsche davon. Wright hatte offenbar keine Lust mehr auf dieses ganze Theater. Melinda eigentlich auch nicht. Nach wie vor fühlte sie sich in Manchester verloren, die Menschen hier seltsam und sie sich schlicht und ergreifend fehl am Platz. Sie hatte hier keine Möglichkeiten sich frei zu bewegen, sondern war darauf angewiesen Norly zu folgen. Das war auch soweit in Ordnung, wenn dieser nicht gerade zusammen geschlagen wurde. Die Situation fand sie noch immer ganz fürchterlich seltsam.
Sie blickte zu Randolph herüber. Sie suchte nach einem Anker, einem Fels in der Brandung. Ihr Leben lang schon. Da war nun ihr alter väterlicher Freund, der eindeutig seine Nerven nicht mehr unter Kontrolle hatte und dann eben Norly. Sie hatte sich regelrecht darauf gestürzt, dass er eben jener Fels sein könnte und nun ließ er sich niederschlagen und war damit total einverstanden.
Verlässt man sich auf andere, ist man verlassen. Trink einen, dann geht es wieder.
Sie hoffte der King würde den Drink schnell rüberwachsen lassen. Sie brauchte dringend einen.
“Na, dann setzen wir uns doch mal zusammen und reden miteinander, was? Wäre nett wenn der King mir zur Begrüßung nicht auch auf die Fresse haut, aber ansonsten bin ich für fast alles zu haben.“ sie lächelte den King an. Los geht die wilde Fahrt.
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Götterblut - Kapitel 4: Jäger und Gejagte - Seite 9 Empty Re: Götterblut - Kapitel 4: Jäger und Gejagte

Beitrag von Umbra Do Jul 30 2015, 12:58

Als Gilbert das Firmengelände der Norman Mill verließ, liefen ihm die Jungen einige Schritte nach und warfen ihm, neben Steinen, auch Schimpfworte hinterher. Sie schienen, dem anschließenden Jubel und Grölen nach zu urteilen, ganz zufrieden mit sich zu sein, den Fremden mit der Kutsche verscheucht zu haben.
Somit ließ Gilbert nicht nur einen Ort und Menschen hinter sich, die er für gefährlich erachtete, sondern brachte auch die bewusstlose Maura Thomson in Sicherheit, die auf ähnlich unglückliche Weise in diese Angelegenheit hineingezogen worden war wie er. Allerdings hatte sie die Gruppe nicht freiwillig begleitet. Sie war davon ausgegangen, heimgebracht zu werden, als sie in die Kutsche gestiegen war.
„Victoria Street 31, bitte“, hatte sie zu ihm gesagt. Gilbert hatte aber stattdessen Charles Norlys Anweisungen befolgt.
Nun war es Zeit, das zu tun, was Gilbert selbst für richtig hielt. Dazu brauchte er jedoch sein Gepäck… und seine Medikamente – was bedeutete, dass sein erster Halt Norlys Haus sein musste.
Das Firmengelände war nicht allzu weit von der Wohnsiedlung entfernt, in der sich das Anwesen des vermeintlichen Serienmörders befand. Gilbert gelang es, sich zu orientieren und ohne große Umwege dorthin zurückzufinden. Das Haus sah genauso friedlich und ruhig aus, wie die Gruppe es vor einigen Stunden verlassen hatte. Auf den ersten Blick deutete nichts auf drohenden Ärger hin, aber Gilbert beschloss, auf Nummer sicher zu gehen, und ließ die noch immer regungslose Mrs. Thomson in der Kutsche in der Nähe des hinteren Zugangs zum Gelände zurück, um sich allein ein genaueres Bild machen zu können.
Allerdings fiel Gilbert auch, nachdem er durch das Tor getreten war und sich dem Haus näherte, nichts auf, was ihm merkwürdig vorkam.
Dann jedoch wurde ihm klar, dass er nicht unbemerkt worden war. Die Hintertür wurde geöffnet und Oxley blickte ihm entgegen – dieses Mal unbewaffnet. Doch seine gerunzelte Stirn und die zusammengezogenen, buschig-weißen Augenbrauen des Butlers verrieten, dass dieser nicht unbedingt wusste, was er von Gilberts Auftauchen halten sollte.
„Sie sind allein“, stellte Oxley ohne Umschweife fest.
„Was ist geschehen?“, fragte er dann geradeheraus. „Wo ist Mr. Norly?“
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Götterblut - Kapitel 4: Jäger und Gejagte - Seite 9 Empty Re: Götterblut - Kapitel 4: Jäger und Gejagte

Beitrag von Darnamur Do Jul 30 2015, 15:36

Randolphs stierte der Kutsche durch das Fensterglas hindurch nach. Um seine blassen, grauen Augen herum hatten sich Sorgenfalten gebildet. Nein, Wright, tu das nicht… Doch er konnte Gilbert mit seinen Gedanken nicht erreichen. Die Pferde setzten sich in Bewegung und das rollende Gefährt nahm rasch an Geschwindigkeit auf, bis es aus dem Blickfeld des Doktors verschwand. Scheiße…
Er war ein Chirurg. Er wusste bestens über den menschlichen Körper Bescheid. Aber der menschliche Geist würde für ihn immer nur ein Mysterium bleiben. Randolph hatte einen Fehler begangen. Das wurde ihm nun bewusst. Er hatte nicht damit gerechnet, dass Wright die Flucht ergreifen würde. Er hatte ihn falsch eingeschätzt, obwohl diese Reaktion eigentlich sogar vorhersehbar hätte sein können.
Wright hatte schon in der Lagerhalle nach O’Sullivans Tod eine Sinnkrise erlebt. Und als er jetzt Mrs.Thomson erblickt hatte, waren wohl die Nerven mit ihm durchgegangen. Vermutlich hatte er herausgefunden, dass sie noch lebte, aber nicht gewusst, was man ihr angetan hatte. Daraufhin hatte er es mit der Angst zu tun bekommen und die Flucht ergriffen. Und jetzt würde er die Polizei verständigen und sie hierher bringen. Und das wäre dann das Ende der Geschichte. Lloyd und seine Familie hätten sie dann auch noch mit ins Unglück gerissen.
Das musste verhindert werden…um jeden Preis.
Aber wie? Bis er eine Kutsche gefunden hatte, wäre Wright schon lange vor Ort. Es sei denn der Mann ging nicht direkt zur Polizei. Vielleicht würde er sich erstmal ein wenig von den grausigen Geschehnissen erholen wollen. In seinem Eigenheim. Aber das konnte Randolph nicht wissen. Er hatte keine Ahnung, wo Wright sein Gefährt hinsteuern würde. Er konnte sich nicht darauf verlassen und hatte keine Adresse.
Die würde sich eventuell mit Lloyds Hilfe ausfindig machen lassen, aber das war es vermutlich nicht wert. Zu viel Risiko. Zu viel verschwendete Zeit. Vielleicht wäre es das Beste dieses ganze Gebäude zu evakuieren. Aber wo sollten sie dann hin? Zu Charles‘ Haus? Dort wären sie auch nicht mehr sicher…
Randolph biss die Zähne zusammen. Vielleicht würden sie Glück haben. Wright hatte sich in gewisser Hinsicht bereits mitschuldig gemacht. Eventuell würde ihn das davon abhalten zur Polizei zu marschieren. Es war aber auch gut möglich, dass er einfach die ganze Zeit ein Spitzel gewesen war.
Ich hätte ihn nicht in die Kutsche schicken sollen. Ich hätte ihm sagen sollen, dass er sich auf dem Kutschbock für eine Flucht bereithalten soll. Diese Gedanken kamen ihm leider viel zu spät.
Randolph wandte sich vom Fenster ab und fühlte sich gealtert. Ihre Probleme wurden immer größer. Sein bei jeder Bewegung schmerzendes Bein machte die Angelegenheit auch nicht besser. In seinem Schädel pochte es, als würde er von kleinen Hämmern malträtiert werden. Doch er hatte keine Zeit sich auszuruhen. Sie brauchten eine Lösung.
„Einen Drink?“, ächzte Randolph, nachdem er Melindas Kommentar gehört hatte. Das war nun sein letztes Bedürfnis. Sie waren gerade in einer ernsteren Lage, als Melinda das vermutlich einschätzte. Natürlich. Er könnte seinen Kummer jetzt in Alkohol ertränken und dann möglicherweise als Besoffener sterben. Aber so stellte sich der Doktor ihrer aller Ende nicht vor.
„Mit etwas Pech haben wir bald die Polizei am Hals“, verkündete er düster. „Das war mein Fehler. Ich habe ihn falsch eingeschätzt…“ Der Doktor wusste nicht wirklich, was er jetzt vorzuschlagen hatte. Der weiseste Entschluss wäre vermutliche eine Flucht. Doch das so eine unauffällig gelingen würde, vor allem, wenn noch die ganzen Kinder dabei wären, war fraglich. Außerdem würde er vermutlich auf massiven Protest stoßen.
Er blickte Melinda, Charles und Lloyd der Reihe nach an: „Hat jemand eine gute Idee, was wir tun könnten?“ Er persönlich war überfragt. Wenn den anderen keine Lösung einfiel, würde er eine Flucht vorschlagen.
Oder Moment…vielleicht würde es jemanden geben, der ihnen helfen konnte. Solange Sie in Manchester sind, können Sie mich kontaktieren, indem Sie eine Nachricht an eine dieser beiden Adressen schicken. Die erste befindet sich in Wigan, die andere im Stadtzentrum…
Sie waren im Augenblick in Wigan. Aber wie schnell würde Mister C schon reagieren können? Würde er überhaupt intervenieren wollen? Randolph hatte noch nichts Großartiges herausgefunden. Nein, auch das war vielleicht nicht unbedingt eine optimale Lösung. Wahrscheinlich war Crowne auch nicht gerade vor Ort oder in den nächsten Stunden zu erreichen. Bis dahin war es wohl schon zu spät…
Am Besten wäre es natürlich, wenn sie sich darauf verlassen könnten, dass Wright sich bedeckt hielt. Aber konnten sie das?
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Götterblut - Kapitel 4: Jäger und Gejagte - Seite 9 Empty Re: Götterblut - Kapitel 4: Jäger und Gejagte

Beitrag von Thorgrimm Di Aug 04 2015, 11:08

Gilbert starrte und schwieg Oxley einige Sekunden lang an. Was sollte er nur auf diese Fragen antworten, ohne sich selbst in Schwierigkeiten zu bringen? Den ganzen Weg von der Norman Mill bis zu diesem Punkt hatte er sich Gedanken gemacht, was er sagen konnte und jetzt war alles wie weggefegt. Der Maler bemerkte, wie sich Erschöpfung und Angst der letzten Stunden, die er bisher hatte unterdrücken können, in ihm ausbreiteten. Jetzt war er mehr oder weniger in Sicherheit - Oxley besaß zwar eine Waffe und konnte damit vermutlich auch gut umgehen aber er bezweifelte, dass der Butler sie auch gegen ihn einsetzen würde - und all die unterdrückten Gefühle begannen sich zu befreien. Er atmete ruhig, versuchte sich zu beruhigen und konzentrierte sich auf das Wesentliche.
"Es gab einige Probleme. O'Sullivan ist tot, Mr. Norly ist verletzt. Er ist mit den Anderen noch in der Norman Mill." Gilbert hatte nicht vor, den alten Mann anzulügen aber er hatte jetzt auch keine Zeit, um alles groß und breit zu erklären. "Ich bin sicher, dass es ihnen gut geht, was man aber nicht von unserem Gast sagen kann." Mit diesen Worten ging er zu der Seite der Kutsche und öffnete die Tür. Mit einigen Handzeichen, gab er dem Butler zu verstehen, dass er näher kommen sollte. "Kommen Sie, sie müssen mir helfen." Er stieg in die Kutsche und wartete darauf, dass Oxley in der Tür erschien. "Das ist Miss Thomson. Sie ist..." Ja, aus welchem Grund war sie eigentlich im Lagerhaus gewesen? Gilbert erinnerte sich an eine Diskussion zwischen ihr und Norly, kurz nachdem sie aus dem Gebäude geflohen waren und ging den Verlauf noch einmal durch. "Sie hat wohl die Flucht von Mr. Raker beobachtet und wollte sicher gehen, dass es allen gut ging oder war einfach zu neugierig. Auf jeden Fall ist sie unschuldig und hat nichts mit dieser Sache zu tun." Er setzte zu einer Erklärung für ihren Zustand an. "Ich weiß nicht aus welchem Grund sie ohnmächtig ist - vermutlich hat das Mr. Norly während der Kutschfahrt veranlasst - aber irgendwie kriege ich sie einfach nicht wach. Wir sollten sie erst einmal ins Haus bringen und dann schauen, wie es weitergeht. Meinen Sie nicht?"
Gilbert machte sich bereit, die Frau mit Hilfe von Oxley ins Haus zu tragen. Er hoffte, dass sich der alte Butler jetzt nicht quer stellen und ihm verbieten würde, das Haus zu betreten. Vielleicht sollte er etwas diplomatischer sein. "Ich beantworte Ihnen dann alle Fragen." Er versuchte sich dabei ein Lächeln abzuringen.
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Götterblut - Kapitel 4: Jäger und Gejagte - Seite 9 Empty Re: Götterblut - Kapitel 4: Jäger und Gejagte

Beitrag von Umbra Di Aug 11 2015, 21:09

Charles‘ Blick wechselte zwischen den Anwesenden. Offenbar verließ Dr. Tremaine sich wieder darauf, dass Charles einen Plan aus  seinem Zylinder zauberte… aus seinem Zylinder, den er in der Kutsche gelassen hatte, mit der sich gerade Writh von dannen machte.
„Ich, für meinen Teil, nehme auch einen Drink“, sagte Charles schließlich finster, anstatt Randolph sofort zu antworten. Die Entführung seines geliebten Huts war gerade ein kleines Übel im Vergleich zu der eigentlichen Tatsache, dass Wright mitsamt Mrs. Thomson verschwand.
Lloyd Bowen reichte unterdessen Melinda und Charles jeweils ein Glas mit Gin.
Charles mochte dieses Zeug nicht sonderlich… aber es war besser als nichts.
„Sie hören mir nicht zu, Doktor“, bemerkte Charles, während er höflich darauf wartete, bis alle ihren Drink hatten. Er hasste es, sich wiederholen zu müssen, aber bevor Panik aufkam, tat er es lieber als zu schweigen.
„Wir sind hier sicher.“
Lloyd nickte bestätigend. „Niemand kann sich diesem Ort nähern, ohne gesehen zu werden“, brummte er und gesellte sich mit zwei Gläsern, von denen er eins Randolph anbietend entgegenhielt, wieder zu seinen Gästen.
„Lloyd hat eine Abmachung mit der hiesigen Polizei getroffen“, erklärte Charles, warum er es nun nicht als notwendig erachtete, die Norman Mill fluchtartig zu verlassen. Die Aussicht darauf, sich hier ausruhen zu können, rief zusätzliche Abneigung gegen eine solche Vorgehensweise in ihm hervor.
„Und aus deiner hast du auch Nutzen geschlagen, da du uns heute mit deiner Anwesenheit beehren kannst“, kommentierte Lloyd trocken. „Wie ich hörte, hast du am Bahnhof für ordentlichen Aufruhr gesorgt und bist verhaftet worden.“
Charles lächelte kurz, jedoch ohne darauf einzugehen. „Selbst wenn Wright die Männer vom Scotland Yard anstiften sollte, hier nach uns zu suchen“, versicherte er, weiterhin an Dr. Tremaine gewandt, „wird man uns hier nicht antreffen können, wenn wir es nicht wollen. Dieser Ort bietet genug Fluchtmöglichkeiten“, wusste er. Das Firmengelände machte keinen sonderlich beeindruckenden Eindruck, aber was im Verborgenen lag, war umso interessanter. Seitdem Charles diesen Betrieb aufgegeben hatte, hatte sich hier einiges geändert – nicht immer zum Besseren, aber Lloyd wusste etwas damit anzufangen… und Charles war es lieber, seinen Besitz in Lloyds Obhut zu wissen, als in den Händen seiner ehemaligen Konkurrenten.
„Dass Mr. Wright uns so plötzlich verlassen hat, ist natürlich trotzdem alles andere als erfreulich“, fuhr Charles fort. „Aus der Sorge heraus, er könnte andernfalls etwas Unbedachtes tun, habe ich ihn auf den Kutschbock gesetzt… Und kaum lasse ich Sie für einen Moment allein, versinkt alles im Chaos.“
In der Hinsicht kristallisierte sich langsam ein Muster heraus.
„Aber ich will es Ihnen nicht zum Vorwurf machen, Doktor“, zeigte Charles sich nachsichtig, „auch wenn Sie die Schuld auf sich nehmen wollen. Sie dürfen nicht vergessen, dass unsere Situation nicht nur belastend für Mr. Wright ist, sondern für uns alle. Da wir nun die Gelegenheit dazu haben, sollten wir uns etwas Ruhe gönnen, um neue Kraft zu schöpfen. Ich werde mir Gedanken über Mr. Wright und auch Mrs. Thomson machen. Da wir die Kutsche ohnehin nicht einholen können, kommt es auf ein paar Stunden mehr, die verstreichen, nun auch nicht mehr an.“
Dies klang vernünftig in Charles‘ Ohren, aber dennoch war es frustrierend, nun nichts unternehmen zu können, was das Dilemma um Mr. Wright und Mrs. Thomson sofort lösen würde. Innerlich kochte in Charles der Ärger, allerdings fühlte er sich zu ausgelaugt, um diesen an die Oberfläche brodeln zu lassen.
„Ich hoffe, Sie alle nehmen es mir nicht übel, wenn ich es nun bevorzuge, mich zurückzuziehen“, wechselte er das Thema.
„Die Ereignisse der letzten Tage und besonders die letzte Nacht fordern langsam ihren Tribut.“
Der Gedanke, den Doktor um ärztliche Versorgung zu bitten, kam ihm an dieser Stelle zwar in den Sinn, aber alles in ihm sträubte sich dagegen, von sich aus eine Behandlung zu veranlassen. Ihm war, als würde er, neben all den anderen Leiden, die seinen geschundenen Körper quälten, nun auch noch pochenden Schmerz in seiner nicht mehr vorhandenen Hand spüren.
Charles versuchte, das mit einem Lächeln, das er den anderen zeigte, zu überspielen.
„Aber zuvor noch…“ Er hob sein Ginglas, um mit den anderen anzustoßen.
„Cheers. Auf uns und bessere Tage!“



Oxley folgte Gilbert aus dem Haus zur geparkten Kutsche, auch wenn er nicht unbedingt begeistert von dem, was er sah und hörte (und wen er nicht sah), schien.
„Das will ich Ihnen auch geraten haben“, brummte der alte Butler missmutig auf Gilberts abschließende Zusicherung, im Haus alle Fragen zu beantworten, nachdem die bewusstlose Dame hineingebracht worden war. Er half Gilbert dabei, ihren schlaffen Körper aus der Kutsche zu hieven und zu tragen. Dabei war er aber offensichtlich beunruhigt, dass irgendwer sie beobachten könnte.
„Wenn ich wegen Ihnen und Ihrer fixen Idee, diese Frau ausgerechnet hierher zu bringen, auf meine alten Tage noch in einer Haftanstalt ende, werde ich mich revanchieren – das ist Ihnen hoffentlich bewusst“, murrte Oxley, während sie Maura zum Haus brachten.
„Als ob es nicht schon reicht, einen Angeschossenen in meinem Bett liegen zu haben. Die Polizei hat es Dank Mr. Norly ohnehin schon auf mich abgesehen. Denen fehlt nur noch ein konkreter Grund, um mich festzunehmen.“
Obwohl der Weg in die erste Etage des Hauses anstrengender war, als Maura im Erdgeschoss zu lassen, bestand Oxley darauf, die Dame in ein richtiges Bett zu legen. So führte der Weg der beiden Männer mitsamt ihrer betäubten Begleitung die Treppe hinauf und ins Gästezimmer am Ende des Flurs. Es war ein luxuriös eingerichteter, großzügiger Raum mit einem Fenstererker, von dem man eine ausgezeichnete Aussicht über das Grundstück hatte. Neben einem Bett mit Nachttisch und einem Kleiderschrank, befanden sich auch eine Kommode, ein (leeres) Bücherregal und eine Leseecke mit Sessel und Beistelltisch im Zimmer. Angrenzend befand sich ein eigenes Gästebad. Gilbert erkannte, dass sich Melindas Gepäck noch hier befand. Sein eigenes war nur wenige Schritte entfernt – im Nachbarzimmer.
Oxley atmete erleichtert auf, als er die Last, die Mauras Gewicht bedeutete, endlich losgeworden war. Schweißperlen standen auf seiner runzeligen Stirn und er fischte ein Taschentuch aus seinem Ärmel, um sie abzutupfen. Schnaufend rang er nach Atem und betrachtete das vollbrachte Werk einen Moment lang mit unergründlichem Gesichtsausdruck.
Anschließend wandte sich der Butler jedoch Gilbert zu, den er nun vor sich her aus dem Zimmer scheuchte und die Tür hinter sich selbst schloss.
„So… Und nun noch einmal ausführlich und verständlich: Was ist geschehen? Und wer ist dieser Mr. Raker, von dem Sie vorhin gesprochen haben?“
Mit einer Geste bat Oxley Gilbert, weiterzugehen, wieder auf die Treppe zu. Offenbar hatte er die Absicht, das Gespräch in Ruhe und unten zu führen.

Karte Erdgeschoss:
Karte 1. Etage:
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Götterblut - Kapitel 4: Jäger und Gejagte - Seite 9 Empty Re: Götterblut - Kapitel 4: Jäger und Gejagte

Beitrag von Leo Fr Aug 14 2015, 00:38

Als Maura erwachte, hatte sie das Gefühl, nicht wenige Stunden, sondern Monate verschlafen zu haben.
Ihr Körper fühlte sich so taub an, dass sie sich fragte, ob sie überhaupt noch alle Glieder besaß. Womöglich hatte der verrückte Doktor ein paar Amputationen vorgenommen … ihr wurde leicht übel. Ihr Kopf war schwer, als hätte ihn jemand mit Backsteinen gefüllt, doch als sie ihn anhob, stellte sie fest, dass sie noch beide Arme und Beine besaß. Mit einem erleichterten Seufzer (ihre Stimme klang heiser, fast fremdartig) ließ sie den Kopf zurückfallen.
Sie lag weich, wohl auf einem Bett. Der Raum war angenehm dämmerig und roch nach Holz. An der gegenüberliegenden Wand erkannte sie einen Erker, das Licht malte helle Quadrate auf den Fußboden davor.
Sie schloss die Augen wieder. Obwohl sie gerade erst erwacht war, fühlte sie sich müde. In ihrem Mund war ein bitterer Geschmack, ihre Schläfe puckerte, als würde sie von innen mit einem Meißel bearbeitet.
Als sie die Augen öffnete, war der fremde Raum immer noch da.
Maura stöhnte leise, stützte sich auf die Ellenbogen und stemmte sich hoch, quälend langsam, aus Sorge, sonst gleich wieder ohnmächtig zu werden. Trotzdem wurde ihr schwindelig. Ihre Füße (nicht einmal die Schuhe hatten sie ihr ausgezogen) suchten den Boden, die Finger griffen um die Bettkante. Der Raum schien zu schwanken, und sie kniff die Augen erneut zusammen, doch davon wurde es nicht besser. Heiße Magensäure brannte ihr im Hals, einen Moment lang fürchtete sie, sich übergeben zu müssen.
Was zum Teufel hatten diese Dämonen ihr angetan?
Sie hatte keine Ahnung, wo sie sich befand. Eine Weile lang saß sie einfach nur da, während die Erinnerungen zurückkehrten. Norly, die düstere Kutsche. Der verrückte Doktor und die Frau. Sie mussten sie betäubt haben. Sie erinnerte sich, dass sie sich gewehrt hatte, doch sie hatten sie festgehalten.
Und sie an diesen Ort gebracht.
Ein Gedanke loderte in ihr auf, und sie sah sich hastig im Zimmer um. Sie war allein. Niemand war da, niemand hatte bemerkt, dass sie wach war. Doch sie hatte den Kopf zu schnell bewegt, und nun verschwamm ihre Sicht wieder, der Geschmack kehrte zurück. Mit einem Ächzen ließ sie sich wieder nach hinten gleiten. Ein paar Sekunden blieb sie so liegen, eine Hand an der Stirn, und hoffte, wieder einschlafen zu können, doch ihr Bewusstsein klammerte sich an diese Welt wie ein Schiffbrüchiger an eine rettende Planke.
Sie schlug die Augen erst wieder auf, als sie das Gefühl hatte, sich nicht mehr übergeben zu müssen, zumindest nicht sofort. Dieses Mal ging das Aufstehen schon etwas schneller, und als sie die Füße auf den Boden stellte, wurde ihr nicht einmal schwindelig. Sie belastete probeweise einen Fuß; ihre Beine waren furchtbar zitterig, doch sie hatte das Gefühl, stehen zu können. Mühsam stand sie auf und torkelte ein paar Schritte, bis sie vor dem Erkerfenster stand. Ihr Schatten verwischte die feinen Schattenlinien auf dem Fußboden und verformte die sauberen Lichtquadrate zu unförmigen Flecken.
Sie hatte gehofft, durch den Blick aus dem Fenster etwas darüber herausfinden zu können, wo sie sich befand, doch sie sah auf eine breite Straße hinaus, die sich überall befinden mochte. Die Sonne blendete. Prächtige Häuser mit Vorgärten und weiß getünchten Erkerfenstern säumten beiderseits den Weg. Sie befand sich wohl in einem reicheren Viertel; die Vermutung lag nahe, denn auch ihr eigenes Zimmer war nicht gerade armselig eingerichtet, sondern mit luxuriösen Möbeln aus dunklem Holz bestückt, die sogar bedeutend prächtiger wirkten, als bei ihr zu Hause.
Sofort blitzte in ihrem Verstand ein Gesicht auf.
William.
Ihr Sohn. Wo war ihr Sohn? Hatte Norly ihn auch? Sie hatte ihm gesagt, wo sie wohnte …
Beruhige dich, Maura. Alles wird gut. Gerate jetzt nur nicht in Panik.
Warmes Adrenalin flutete durch ihren Körper, doch sie spürte, dass sie sich wieder unter Kontrolle hatte. Stattdessen wurde sie mit jeder Sekunde, die verstrich, wacher, ihre Gedanken geordneter.
Sie musste herausfinden, wo sie sich befand.
Oder noch besser – hier raus. Fliehen, so lange es ging. Das hier war ihre Chance.
Sie suchte die Wände nach Türen ab, fand zwei und humpelte auf die erstbeste zu.
Blieb nur zu hoffen, dass der ekelige Doktor nicht auf der anderen Seite stand. Sie fühlte sich nicht bereit für einen Kampf.
Leo
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Götterblut - Kapitel 4: Jäger und Gejagte - Seite 9 Empty Re: Götterblut - Kapitel 4: Jäger und Gejagte

Beitrag von Darnamur Fr Aug 14 2015, 23:42

Sicher. Sicher sind wir sicher. Ein Leben in Sicherheit. So stellst du dir das wohl vor, Charles Norly. Und die Polizei ist nur ein Haufen Idioten, die man nach Belieben zum Narren halten kann. Randolphs Augen folgten Lloyd, als er die Gläser mit farbloser Flüssigkeit füllte. Wenn man keine Ahnung hatte, könnte man das Getränk vom Aussehen her mit Wasser verwechseln. Nur das es eine gänzlich andere Wirkung auf Menschen hatte.
Ja, lehnt euch nur zurück und lasst den Alkohol euer Hirn vernebeln. Charles genauso wie Melinda. Er konnte es ihr ja nicht verbieten. Dafür war sie zu alt und er war verdammt nochmal nicht ihr Vater. Das es besser für alle wäre, einen klaren Kopf zu behalten, konnte er sich wohl sparen zu sagen. Seltsamerweise war es oft der Fall, dass Menschen gerade in Augenblicken, in denen es auf ihren Verstand ankam, zur Flasche griffen. Sie suchten die Lösungen für ihre Probleme dann am Boden ihrer Gläser. So wie es seine Mutter getan hatte. So wie es Alan mit Sicherheit gerade tat.
Der Doktor hatte das nie verstanden. Alkohol war ein Luxus. Ein Luxus, auf den er gut verzichten konnte. Wenn man ihn bei dem Behandeln von Patienten verwendete war das eine Sache. Beim Behandeln von gesunden Menschen konnte er sich stattdessen viel mehr als schädlich entpuppen. Bis zu einem Zeitpunkt, an dem man ihm geradezu verfallen war.
Das war einer der wenigen Punkte, an denen sein Vater und er einer Meinung gewesen waren. Edmure hatte dem Alkohol nicht völlig abgeschworen, aber er trank äußerst selten und äußerst wenig. Als Arzt konnte man es sich nicht leisten, sich zu besaufen. Und es wäre auch hirnrissig, Randolphs Meinung nach.
Was nicht hieß, dass es keine Chirurgen gab, die gerne mal einen über den Durst tranken. Er kannte genug Geschichten von gescheiterten Gestalten, die sich vor Operationen erst einmal einen kräftigen Schluck Schnaps einverleiben mussten.
Er selbst wollte davon nichts wissen. Im Grunde trank Randolph nie. Und sich jetzt, in dieser heiklen Situation einen Drink zu gönnen, erschien ihm auch nicht sonderlich intelligent. Er verzog den Mundwinkel, als Lloyd die Flasche absetzte und die anderen mit Gin bediente. Ich hoffe, ihr genießt es. Er nickte Norly nur knapp zu, als dieser seinen Toast aussprach. Dann wandte er sich wieder dem Fenster zu und starrte auf das Gelände vor der Fabrik. Es war in der Tat sehr übersichtlich.
Ein schöner, schwarzer Kaffee wäre mir jetzt lieber gewesen. Er selbst hatte die Anstrengungen des Tages auch nicht ohne weiteres weggesteckt. So war es nicht. Aber manchmal konnte man es sich einfach nicht leisten, sich auszuruhen. Das Norly es tat war wohl richtig. Er war angeschlagen und verletzt. Nach den Wunden sollte er besser gleich noch schauen. Norly wäre sicher zu stolz ihn um Hilfe zu beten, selbst wenn ihm ein Arm abfallen würde.
Aber darum würde er sich gleich kommen. Jetzt wollte der Doktor das Gehörte erst noch einmal Revue passieren lassen. Mit klarem Kopf darüber nachdenken. Dabei hätte ihm ein Kaffee vielleicht geholfen. Danach war man meistens etwas wacher und aufmerksamer.

Er durchstreifte mit seinen grauen Augen die Landschaft des Firmengeländes, wie ein Adler, der analysierte, ob sich auf den Feldern unter ihm potentielle Beute- Kaninchen, Mäuse und ähnliche Versager der Nahrungskette- herumtrieben. Was Lloyd Bowen angemerkt hatte, stimmte. Wenn hier jemand eindringen würde, würde man ihn schnell entdecken. Sofern jemand Ausschau hielt, natürlich.
Das bedeutete selbstverständlich auch, dass Lloyds Schlag keine Kurzschlussreaktion gewesen war. Er hatte Norly kommen sehen und hatte ihn auch niederschlagen wollen. Was auch immer dahinter steckte, Randolph würde sich davor hüten, diesem Mann zu vertrauen, selbst wenn er nun plötzlich als Freund dargestellt wurde.
Also gut, darum konnte er sich kümmern, wenn Norly erst schlief. Sollten sich die anderen auskurieren. Er hatte eine gute Beobachtungsgabe und hier Wache zu halten, würde ihm nichts ausmachen. Er könnte die Zeit zum Nachdenken nutzen. Ein Stuhl wäre dann natürlich angenehm. Randolph war bereit auf ein Bett zu verzichten, aber er war kein Masochist.
Okay, dieser Punkt war abgehakt. Sie würden die Polizei kommen sehen, wenn sie aufkreuzte. Waren sie deshalb sicher? Nein. Randolph konnte nicht wissen, wie viele Personen hier lebten, aber seine Vermutung war, dass sich außer der Familie nicht viele Menschen oder gar niemand hier herumtrieb. Die Fabrik war stillgelegt, hier gab es keinen Platz mehr für Arbeiter. Und ansonsten würde Lloyd nur Personen dulden, denen er auch vertraute. Damit für seine Frau und seine Kinder Sicherheit bestand.
Also. Er konnte also von Lloyd, Rosie, Charles, Melinda und seiner Wenigkeit ausgehen. Sie wären zu fünft, wenn es darum ginge, eine Invasion des Gebäudes abzuwehren. Vielleicht auch sechs oder sieben, wenn es noch mehr Bewohner gab. Und gegen wie viele würden sie bestehen müssen? Manchester hatte bestimmt nicht das kleinste Polizeiaufgebot. Vielleicht nicht ganz so groß wie das von London, aber dennoch groß genug, um mit ihnen fertig zu werden. Und was würde Manchester wohl tun, wenn herausgefunden wurde, dass sich hier der hochgefährliche und gesuchte Serienmörder Scarface verschanzt hatte? Sie würden ihr gesamtes Aufgebot nutzen. Sie würden wissen, dass es vermutlich verstärkende Begleitung besaß. Und sie würden versuchen ihn auf jeden Fall sicher zu bekommen.
Tja, Charles und Lloyd glaubten ja, die Manchester Polizei wäre ihnen etwas schuldig. Aber dieser Kredit war womöglich bereits aufgebraucht. Wer auch immer Norly aus dem Gefängnis gelassen hatte, hatte vermutlich bereits erheblichen Ärger am Hals. Und wenn sie dann erst O’Sullivan entdeckt hatten…was sie bestimmt schon haben…die Polizei würde um jeden Preis verhindern wollen, dass sich Manchester in ein ähnliches Schlachtfeld wie London verwandelte. Randolph wusste nicht wie viel diese Männer Norly und seinen Freunden schuldig waren, aber er wusste eines: Sicher waren sie hier drinnen nicht.
Das Einzige was wirklich gut war, waren die Fluchtmöglichkeiten. Aber auch diese boten vielleicht nur eine vermeintliche Sicherheit. Polizisten waren nicht dumm. Und man würde sie nicht auf ewig überlisten können. Zudem war zumindest er nicht in bester Verfassung für eine Flucht. Norly ging es gerade auch nicht überragend.
Aber gut. Das sie die Chance hatten, von hier zu entkommen, war schon einmal etwas Gutes. Sie hätten auch ein wenig zusätzliche Zeit um zu reagieren, wenn er hinter den Fenstern Wache hielt. Es war also vermutlich immer noch eine der besten Optionen in ihrer jetzigen Situationen hier zu bleiben. Aber derart sicher, wie Charles sich fühlte, waren sie nicht.
Um Norly zu behandeln, würde er sich trotzdem entfernen können. Zumindest in der nächsten Stunde erwartete er keine Polizei. Anderenfalls müsste sie, aber auch Wright und Thomson verdammt schnell reagieren. Thomson…ha. Ich hätte nie gedacht, dass ich die alte Schachtel irgendwann einmal vermissen würde. Einen Moment lang verzog sich Randolphs Mund zu einem höhnischen Grinsen, das aber schnell wieder verschwand, als er sich den anderen wieder zuwandte.
„In Ordnung“, meinte er lediglich knapp und kalt auf Charles‘ Worte hin. Die Bemerkung „Und kaum lasse ich Sie für einen Moment allein, versinkt alles im Chaos“ ließ er unkommentiert. Dafür hatte er nun wirklich keinen Nerv mehr. Er hätte sich besser um Wright kümmern sollen, ja. Aber zuerst war es Norly gewesen, der sie in diese Situation überhaupt erst gebracht hatte. Blindlings war er in das Gebäude hineingestürmt, als hätte ihm Randolph bei der Operation an seiner Kopfhaut auch das Hirn entfernt. Unwesentlich. Das spielt keine Rolle mehr. Nicht, bis wir in eine ähnliche Situation geraten.
„Ich denke die Erholungsphase wird ihnen gut tun.“ Norly sah in der Tat so aus, als würde er bald umkippen, wenn er keinen Schlaf fand. „Zuvor würde ich mir aber gerne noch ihre Wunden ansehen, wenn sie gestatten, Mr. Norly. Als Arzt und Chirurg der Gruppe sehe ich mich dazu verpflichtet. Keine Sorge…allzu lange wird es hoffentlich nicht dauern.“
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Götterblut - Kapitel 4: Jäger und Gejagte - Seite 9 Empty Re: Götterblut - Kapitel 4: Jäger und Gejagte

Beitrag von Elli Do Aug 20 2015, 13:13

Endlich etwas zu Trinken. Mit Freunden nahm Melinda das Glas entgegen und trank nach dem Toast einen großen Schluck. Da war es wieder das Gefühl des brennenden Alkohols in ihrer Kehle. Sie wusste was gleich kommen würde. Das Glas reichte bei Weitem nicht aus, um sie betrunken zu machen, doch das Zittern welches sich langsam aber sicher anbahnte, würde aufhören. Es war herrlich wenn das geschah.

….mit Schrecken erinnerte sie sich daran, als sie das erstemal inhaftiert gewesen war. Abgesehen von den hygienischen Umständen, den anderen Frauen und den Wächtern, die sich an den inhaftierten Frauen gütlich taten, hatte Melinda eine viel größere Sorge gehabt. Dass sie nicht an Alkohol kommen würde. Ab und zu konnte man einen der Wächter verführen und zumindest ein Schluck Ale ergattern, aber selbst das war Mangelware. Zudem reichte ihr Bier nicht aus, über diesen Punkt war sie lange hinaus gekommen. Sie brauchte etwas ordentliches um ihren Kopf in Watte zu packen und nicht daran denken zu müssen, wie es morgen weiter gehen sollte. Doch wo kein Alkohol war, da war der kalte Entzug. Zuerst waren da die Kopfschmerzen – oh sie schlugen mit voller Wucht zu. Doch auch der Rest des Körper schmerzte, selbst wenn man sich in eine Ecke zusammenrollte und versuchte so flach wie möglich zu atmen. Doch das konnte man selten, einfach ruhig da liegen uns es über sich ergehen lassen. Das funktionierte bei Freiern, aber nicht bei Alkohol. Schaffte man es sich hinzulegen, so jagte das Herzrasen einen bald wieder in die Höhe, meist um von Erbrechen gekrönt zu werden. Die Hände die versuchten an der kalten Gefängnismauer halten zu finden, rutschten vor lauter Schweiß und Zittern ab, während man die karge Brotmahlzeit auf den mit Stroh bedeckten Boden kotze. Doch damit nicht genug – oh nein! Der Körper hatte noch mehr auf Lager. Während die anderen Inhaftierten einen anstarrten, mit Unrat bewarfen oder nach einem traten, kamen Seh- und Sprachstörungen dazu. Das man nicht richtig sprechen konnte, war nicht allzu schlimm. Niemand der Leidensgenossinnen hätte auf ein “Hört bitte auf.“ gehört. Zu groß war der Spaß ein wehrloses Opfer zu haben. Doch wenn man nicht einmal mehr einem Fuß ausweichen konnte, weil man ihn nicht mehr richtig sah, dann wurde es erst richtig spaßig. Zum Ende hin krampfte der Körper meist nur noch. Geschwächt von Tritten und Schlägen. Doch schlafen konnte man nicht. ZU sehr sehnte man sich nach einem Tropfen. Egal was für einen. Melinda hatte schon häufig mit dem Gedanken gespielt sich das Leben zu nehmen. Wozu auch daran festhalten? Was hatte sie schon? Außer ein paar reiche Freier, bei denen man schwer aufpassen musste, dass niemand sah, dass man dort Stammhure war hatte sie nichts. Kein zu Hause, keine Freude, kein Leben. Doch als sie damals zum ersten Mal in ihrem Leben einen kalten Entzug auf dem dreckigen Boden des Towers durchlebte, wünschte sie sich entweder eine Flasche Absinth oder ihren Tod. Hätte sie die Möglichkeit – sie hätte sich die Pulsadern aufgeschnitten, nur damit der Schmerz aufhörte. Der körperliche. Der seelische. Doch es war ihr nicht vergönnt. Zum einen hatte sie weder die Materialen noch die Fähigkeit ihrem erbärmlichen Leben ein Ende zu setzen. So blieb ihr nicht übrig, als dort auf dem Boden zu liegen, die Stirn gegen den Boden gepresst, ruckartig atmend. Nach einer Weile war sie sicher, sie würde so sterben. Aber so kam es nicht. Ihr Körper beruhigte sich, wurde schläfrig und sie fand zumindest etwas Ruhe. Als sie am nächsten Morgen erwachte, schaffte sie es sich an die Wand zu setzen und etwas durchzuatmen. Noch immer raste ihre Herz und die Schmerzen, nun gepaart mit Muskelkater dank der Krämpfe, waren noch allgegenwärtig, doch sie wusste wieder wer sie war. Eine Hure im Tower. Dagegen konnte man etwas unternehmen. Sie war nicht besonders klug, aber dumm war sie auch nicht. Sie hatte einen Plan und setzte ihn in die Tat um.
Sofort nachdem sie den Tower verlassen konnte, machte sie sich auf den Weg in die nächste Spelunke und kippte drei Gläser Rum in sich hinein. Ungeduldig wartet sie, doch da kam der Moment. Kein Zittern, kein Herzrasen, sanfter Nebel ums Hirn. Wie sie den Rum zahlen sollte? Sie wusste es in diesem Moment nicht, es war ich auch egal. Dann hatte sie lachen müssen. Wie bezahlten? Beine breit machen, wird wohl genügen….

Als Randolph sprach bemerkte sie erst das sie im Hier und Jetzt war und gerade nicht im Tower saß.
Sie blickte sich um und fand einen Kalender an der Wand. Sie blickte auf das Datum. Ein spöttisches Naserümpfen überkam sie. Bald war es wohl mal wieder so weit. Ob sie es diesmal bewusst erleben würde? Oder wieder erst Tage später bemerken? Wenn kümmerte es schon.
Sie nickte, der Doc sollte sich die Wunden ansehen. Dann würde sie wohl mit Norly gehen, je nachdem was ihm vorschwebte. Sie musste etwas daran arbeiten, dass die Maus wieder in die Falle geriet.
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Beitrag von Thorgrimm Fr Aug 21 2015, 16:10

"Raker war derjenige, der Norlys Freund angeschossen hat, soweit ich das verstanden habe. Er und die anderen Männer wurden von einem gewissen Mr. T angeworben, um Mr. Norly zu beobachten. Als er sie entdeckte, haben sie geschossen." antwortete Gilbert auf die letzte Frage des Butlers, nachdem sie Treppe und Entree des Hauses hinter sich gelassen und sich im Kaminraum des Hauses niedergelassen hatten. Der Maler war noch immer erschöpft. Er zitterte. Nicht unbedingt aufgrund der Anstrengung Thomson zu tragen - auch wenn diese Aufgabe ihn sicherlich einige Kräfte gekostet hatte, da er es nicht gewohnt war, körperlich hart zu arbeiten - sondern infolge der Ereignisse, welche in den letzten Stunden ihren Lauf genommen hatten. Gilbert konnte jetzt wirklich einen Schluck Gin vertragen. Ach was. Ihm war egal, was er trank. Hauptsache es beinhaltete Alkohol und schmiegte sich sanft über seine zum Bersten gespannte Nerven. Doch er verzichtete darauf, Oxley nach Alkohol zu fragen. Zum Einen hatte Gilbert das Gefühl, dass der alternde Mann allgemein nicht gut auf Alkohol zu sprechen war und zum Anderen hatte er ihm versprochen, seine Fragen zu beantworten und etwas großzügiger mit Informationen umzugehen.
Ihm war nicht entgangen, dass Oxley ihm nicht gerne geholfen hatte und er Angst davor hatte, etwas Verbotenes zu tun. Das zeigte Gilbert wieder einmal, um was für einen Mann es sich bei Norly wirklich handelte, wenn selbst der Butler schon Angst hatte festgenommen zu werden. Aufgrund der letzten Stunden und den Entscheidungen Norlys, war sich der Maler auf einmal nicht mehr ganz sicher, ob es sich beim Herrn dieses Hauses nicht doch um einen Verrückten oder Psychopathen handelte.
Doch eine Überlegung nach der Anderen. Vielleicht würde es ihm helfen, wenn er den Verlauf des Tages durchging und Oxley einfach alles erzählte. Zumindest würde ihn die Ruhe und relative Geborgenheit des Hauses etwas entspannen lassen.

"Ich fange am Besten ganz am Anfang an." seufzte Gilbert und ließ sich mit diesen Worten in einen nahen Sessel fallen. "Wir haben das Lagerhaus schnell erreicht und sind in zwei Gruppen hineingegangen. Einer der Männer hatte am Boden eine Blutspur hinterlassen - es war also einfach sie zu finden. Ms. Thomson, die wir gerade nach oben gebracht haben, befand sich bei den Männern aber sie erzählte später sehr glaubwürdig, dass sie nichts direkt mit ihnen zu tun hat. Norly entwaffnete einen der Männer und nach ein paar Augenblicken waren sie gefesselt und wir konnten uns mit ihnen und Ms. Thomson... unterhalten..." Es war eher ein Verhör gewesen aber was machte dieser kleine Unterschied schon? Oxley war nicht dumm und wusste wahrscheinlich genau, wie so etwas ablaufen würde. "Aus irgendeinem Grund hat O'Sullivan dann auf einmal angefangen, durchzudrehen. Er hat Ms. Thomson geschlagen und ist anschließend mit einem Messer auf Melinda losgegangen. Thomson hat dann mit einer kaputten Flasche den Iren angegriffen und plötzlich hatte jeder eine Waffe in der Hand. Norlys Freund hat dann O'Sullivan erschossen. Ich glaube Harry war sein Name..." Die Erinnerung an das Massaker im Lagerhaus, ließ Gilbert innehalten. Er musste ein paar mal tief durchatmen, um weitersprechen zu können. "Da der Schuss des Revolvers sehr laut gewesen war, sind wir geflohen und haben Ms. Thomson mit uns genommen. Wir haben eine Kutsche geklaut und wollten auf dem Gelände der Norman Mill untertauchen. Ich habe die Kutsche gelenkt aber irgendetwas müssen der Doktor, Norly und Melinda mit der alten Frau angestellt haben." Wieder seufzte der Maler. "Mir wurde das alles zu viel. Ich habe nie damit gerechnet, dass Menschen sterben oder ich eine Kutsche klauen muss. Ich bin jetzt Mittäter und für den Tod von O'Sullivan verantwortlich. Als ich gesehen habe, dass auch mit Thomson irgendetwas nicht stimmt und man mich in diesen Plan nicht eingeweiht hat, habe ich die Kutsche genommen und habe sie hierhergebracht."

Einen Moment lang überlegte Gilbert, ob er noch etwas über seine Pläne für die Zukunft verraten sollte aber er entschied sich schließlich dagegen. Oxley war immer noch ein Freund Norlys und es war nicht ganz sicher, wie er reagieren würde, wenn Gilbert sich absetzen wollte. Vielleicht würde der alte Butler das nicht zulassen und mit einem störrischen Oxley wollte er jetzt wirklich nichts zu tun haben.
In der Stille, die sich nach diesem kurzen Monolog gebildet hatte, vernahm er plötzlich das Geräusch einer sich öffnenden Tür. War Ms. Thomson etwa schon wach? Was mochte sie in diesem Augenblick denken? Sicher war nur, dass sie nicht damit rechnete, in Sicherheit zu sein. Sie wurde auf irgendeine Weise in die Ohnmacht getrieben und wachte anschließend in einem fremden Bett und Raum auf. Vermutlich hatte sie gerade Horrorvisionen und dachte an eine Entführung. "Entschuldigen sie mich. Unser Gast ist aufgewacht." erklärte er und erhob sich dann ächzend aus dem Sessel. Langsam ging er wieder auf die Treppe zu und lugte nach oben. Natürlich sah er sie nicht aber er konnte ihre Schritte hören. Er entschied sich dazu, sie direkt anzusprechen. "Ms. Thomson? Sind sie wach? Hören sie, sie sind in Sicherheit. Ich habe sie mit der Kutsche zu einem Bekannten gebracht. Mr. Norly, der Doktor und Melinda sind nicht hier. Sie haben sie ohne mein Wissen irgendwie betäubt, während ich die Kutsche gesteuert habe. Ich werde ihnen nichts tun." versuchte er recht freundlich zu erklären und wartete schließlich auf eine Antwort oder Reaktion der Frau. Hoffentlich glaubte sie ihm. Es gab zumindest die Chance, dass sie sich an seine Stimme erinnerte und so wusste, dass er sich an den Angriffen im Lagerhaus nicht beteiligt und tatsächlich die Kutsche gesteuert hatte.
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Beitrag von Umbra Sa Aug 22 2015, 21:07

Charles wollte gerade gehen, als Dr. Tremaine ihn noch einmal ansprach. Er hatte den Arzt bewusst nicht nach einer Behandlung gefragt, weil er es hasste, wenn jemand an ihm herumdoktorte. Ihm war, als würde sich ein blutroter Schleier aus Benommenheit und Schmerz über seine Wahrnehmung legen. Für einen Moment lang war er wieder in Indien, so wie es vielleicht auch dem Iren O’Sullivan in dessen letzten Atemzügen ergangen war. Charles spürte die drückende, feuchte Luft des Dschungels auf seinem Körper und die Hitze des Fiebers unter seiner Haut, während er den kalten, grauen Blick Tremaines erwiderte. Jetzt merkte er erst, dass sein Puls sich stark beschleunigt und sich Schweiß an seinem Hemdkragen gesammelt hatte.
Charles beschloss, dass er umso dringender Schlaf benötigte, schließlich schien er bereits zu halluzinieren – auch wenn sich das Verkrampfen der übrig gebliebenen Muskeln in seinem linken Armstumpf verdammt real anfühlte.
Kurz zögerte er, dem Schlächter vor sich die Erlaubnis zu geben, sich an seinem Körper auszulassen, jedoch war das Unbehagen, das er verspürte, genauso irrational wie das plötzliche innere Bedürfnis, durch die Tür zu stürzen und die Flucht zu ergreifen.
Charles setzte sich darüber hinweg.
„Nun gut, wenn Sie darauf bestehen“, gestattete er dem Doktor, der Pflicht nachzukommen, die dieser meinte, erfüllen zu müssen.
„Aber nicht hier“, fügte er hinzu. Charles wollte, wenn er sich schon (teils) entkleiden musste, ein wenig Privatsphäre haben, statt die Prozedur hier in einem der Wohnräume über sich ergehen zu lassen, wo jederzeit irgendjemand hineinschneien konnte (und wahrscheinlich auch würde). Für Charles war es schon unangenehm genug, dem Doktor den Zustand seines Körpers zu offenbaren, den die Kleidung so wunderbar verbarg. Die vergangenen Tage hatten einfach zu viele Hämatome an ihm zurückgelassen. Alles schmerzte. Dies würde schrittweise vergehen. In ein paar Stunden, nach einer Mütze voll Schlaf, würde es schon wieder etwas weniger unangenehm sein. Morgen würde Charles sich vielleicht wieder wohl in seiner Haut fühlen. Aber in diesem Moment musste er wohl oder übel Schwäche offenbaren.
„Kommen Sie, Doktor“, bat er und schritt behutsam voran. Mit einem Kniff in seine Nasenwurzel versuchte Charles, wieder zu sich selbst zu finden. Rosie hatte erwähnt, dass oben Zimmer frei waren.
„Ich fürchte, uns stehen einige Stufen bevor.“
King Reynard hegte offenbar keine Intentionen, die beiden Männer aufzuhalten. Jedoch sprach er Charles, bevor sie den Raum verließen, noch einmal an:
„Eins noch: Ihr könnt gleich mit uns essen, wenn ihr mögt. Oder ich lasse euch eine Portion bringen, solltet ihr eure Ruhe haben wollen“, bot er an. „Rosie und die Mädchen kochen gerade. Es sollte genug da sein.“
Charles nickte. „Danke.“
Er wusste nicht, ob er in der Lage sein würde, etwas zu essen. Hunger oder Appetit hatte er momentan nicht. Eigentlich wollte er nur noch schlafen.
Er trat zurück in den Eingangsbereich des Hauses und wandte sich der Treppe zu. Die Stufen hinaufzusteigen war kein Vergnügen, für den Doktor wahrscheinlich noch weniger, weswegen Charles auch nicht beabsichtigte, sofort in sein ehemaliges Büro hinaufzusteigen. Stattdessen betrat er den ersten freien Raum im ersten Stock, der ihm ins Auge fiel. Die letzten Jahre hatten einige Gebrauchsspuren an diesem ehemaligen Verwaltungsbüro hinterlassen. Ein Schreibtisch stand noch hier – an die Wand mit löchriger Tapete geschoben, um mehreren Etagenbetten, die insgesamt sechs Schlafplätze boten, und einer abgewetzten Couch Platz zu machen.
Charles klopfte den Schreibtischstuhl mit der Hand ab, um ihn grob vom Staub zu befreien. Anschließend begann er, als besäße er keine Hemmungen diesbezüglich, seine Kleidung abzulegen, und sie ordentlich auf dem Stuhl zu drapieren. Sein rechter Handschuh, allerdings, fand einfach Platz auf dem Schreibtisch. Charles hatte sich bereits seines Mantels, des Jacketts und seiner Weste entledigt, als der Doktor in Begleitung von Melinda eintraf, die ihm die Stufen hinaufgeholfen hatte.
Charles musste sich eingestehen, dass Melindas Anwesenheit ihn etwas verunsicherte. Sie hatte zwar schon weitaus mehr von seinem Körper gesehen als nur einen freien Oberkörper, aber im Beisein Tremaines zögerte Charles kurz und merkte, sich darüber ärgernd, dass ihm die Röte ins Gesicht stieg. Ohne ein Wort zu verlieren, konzentrierte Charles auf die Krawatte und anschließend auf die Knöpfe seines Hemdes, auf dem ein handgroßer Blutfleck prangte – neben feinen Spritzern in Kragennähe, die Spuren von O’Sullivans Ableben waren. Die Wunde, die Charles von diesem Säufer beigebracht worden war, brannte, aber die Blutung schien inzwischen vom Hemd und dem Druck, den Charles darauf ausgeübt hatte, gestillt worden zu sein.
„Möchten Sie, dass ich mich setze oder hinlege, Doktor?“, fragte Charles, während er sich etwas umständlich aus dem Stück Stoff schälte. Er war bereit, sich untersuchen zu lassen, auch wenn er sich dabei unwohl fühlte – wenn nicht sogar ungeschützt, denn es behagte ihm nicht, jemand anderem so viel von sich preiszugeben. Es waren nicht nur die Wunden der letzten Tage, die er offenlegte, sondern auch ältere Narben, die Geschichten erzählten. Freilich würde der Doktor diese Geschichten hinter den Narben nicht erkennen können, aber allein dass die Narben existierten, war für Charles schon Privatangelegenheit.
„Scarred Charlie“ war gar nicht so ein unpassender Name, auch wenn die Presse dies eigentlich nur auf sein Gesicht bezogen hatte. Dass er mindestens eine Narbe besaß, die schlimmer war als dieser markante Schnitt, hatte er schon einmal erwähnt. Sein linker Handschuh, den er fest um seine Prothese geschnallt trug und der ihm fast bis zum Ellenbogen reichte, verdeckte Charles‘ größtes Makel nicht vollständig. Von der Mechanik war nichts zu erahnen, das war ihm das Hauptaugenmerk gewesen, aber grobe, weiße Narben, die von einst sehr tiefen Wunden zeugten, ragten unter dem braunen Leder hervor. Kleinere, vernarbte Kratzer hatte Charles überall – wer hatte die nicht? – aber dem Doktor würde auch die verheilte Schussverletzung an seiner Schulter nicht entgehen; genauso wenig wie die auffällige Narbe zwischen seinen Schulterblättern, sollte der Doc einen Blick auf Charles‘ Rücken erhaschen. Jedoch wirkten die alten, blassen Narben vielleicht auch neben den frischen, farbenfrohen uninteressant. Charles war dankbar, dass er sich heute nicht wirklich hatte Prügeln müssen. Blaue Flecken hatte er bereits zur Genüge – der frischeste stammte von der Verhaftung am Bahnhof, als der Scotland Yard-Inspector ihm kräftig in die Magengegend geboxt hatte. Die frische Stichverletzung und das Blut, das ihm am Schädel klebte, waren zwar wenig erfreulich, das Wichtigste war allerdings, dass Charles Melinda davor bewahrt hatte, vom Iren verletzt zu werden und dass sie alle nun hier in Sicherheit rasten konnten.
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Götterblut - Kapitel 4: Jäger und Gejagte - Seite 9 Empty Re: Götterblut - Kapitel 4: Jäger und Gejagte

Beitrag von Leo Di Aug 25 2015, 22:27

Maura erstarrte, als sie gerade die Tür hinter sich schließen wollte.
Eine Stimme rief ihren Namen.
Verflucht! Wie hatte sie nur so dämlich sein können, so laut zu sein? Bestimmt hatte das halbe Haus sie gehört, und binnen Sekunden würden sie alle wieder da sein: Der Doktor, Norly, die Frau. Und was die mit ihr anstellen würden, wollte sie lieber nicht wissen. Sie versuchte sich zu erinnern, ob in einem der Scarface-Morde von einer Entführung berichtet worden war, doch soweit sie sich erinnerte, waren die meisten der Morde schnell und sehr spontan passiert.
Bis auf den gefolterten Ingenieur.
Ihr wurde schlecht.
Aber warum sie, warum gerade sie? Weil sie zur falschen Zeit am falschen Ort war? Oder war es eine späte Rache für ihr Vergehen? Sah Scarface sich als Weltverbesserer, tötete er nur Leute, die Dreck am Stecken hatten? Gar keine schlechte Idee. Sie nahm sich vor, sie später als Idee in ihr Notizbuch zu schreiben, vorausgesetzt, sie würde dazu lange genug leben.
Der Türknauf war angenehm kühl, und für einen Moment wollte sie die Stirn dagegen lehnen und die Augen schließen, doch die Stimme sprach weiter. Maura brauchte einen Moment, um sie zuzuordnen.
Was haben Sie sich nur dabei gedacht? Das war nicht nur dumm, sondern vollkommen überflüssig und gefährlich!
Das war Wright. Der einzige von Norlys Gefolgschaft, von dem sie den Namen kannte.
Der einzige von Norlys Gefolgschaft, der nicht den Verstand verloren hatte.
Sie machte ein paar hastige Schritte zum Treppengeländer, doch sie hatte sich erneut überschätzt; die Welt verschwamm ihr vor den Augen zu einem schwarz-gelben wirbelnden Etwas. Sie griff nach dem Geländer, um nicht umzufallen und war versucht, mit der Stirn dagegen zu schlagen, damit die Welt endlich wieder normal wurde. Sie hörte, was Wright rief – warum kommt er nicht rauf? – doch es dauerte ein wenig, bis sie es auch verstand, als hätte er in einer Fremdsprache gesprochen.
Was war nur los mit ihrem verfluchten Kopf?
Wright log. Natürlich log er. Er würde Norly und seine Kumpane nicht verraten, natürlich nicht, er gehörte ja selbst dazu. Gleich würden sie aus den angrenzenden Räumen springen, sie packen und wieder betäuben. Oder gleich umbringen. Sie wusste nicht, was ihr lieber war.
Sie stöhnte, schloss die Augen, legte die Unterarme auf das Treppengeländer und den Kopf darauf. Sie wollte nichts sehen, nichts hören. Einfach nur Ruhe. Und wissen, ob es ihrem Sohn gut ging. „Seien Sie still“, flüsterte sie, doch Wright hörte nicht auf sie. Wie Nadeln stach ihr sein Gerede in die Ohren. Sie wünschte sich in das Zimmer zurück, auf das weiche, stille Bett, zu dem Fenster mit den hellen Quadraten.
Kommen Sie nicht rauf!“ Sie hatte laut gesprochen, laut genug, dass man es am anderen Ende der Treppe hören musste, doch sie selbst hörte sich wie durch einen dicken Vorhang. Sie sprach undeutlich, sie hatte Probleme, den Mund richtig zu öffnen. „Lassen Sie mich in Ruhe …“ Die letzten Worte wurden leiser, als würden sie ihr halb gesprochen aus dem Mund fallen. Die Welt war schwarz, sie roch den Stoff ihrer eigenen Ärmel. Nur ein kleiner Moment Ruhe. Den brauchte sie jetzt …
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Götterblut - Kapitel 4: Jäger und Gejagte - Seite 9 Empty Re: Götterblut - Kapitel 4: Jäger und Gejagte

Beitrag von Darnamur Do Aug 27 2015, 14:17

Randolph nickte Norly knapp zu. Zeit sich an die Arbeit zu machen. Wenn er es so wollte, dann würde die Untersuchung anderenorts stattfinden. Auch wenn dem Doktor bei dem Gedanken an die bevorstehenden Stufen bereits jetzt die Galle hoch kam.
Er verzog den Mundwinkel. Wenn er wenigstens einen Stock hätte. Der Alte hatte ja unbedingt zerbrechen müssen.
Vorsichtig begann der Doktor mit seinem Marsch. Das rechte Bein setzte er zuerst vor und versuchte dorthin sein Körpergewicht zu verlagern. Sehr schön. Und jetzt das linke Bein vorsichtig nachziehen. In Ordnung. Jetzt kam die schwierige Stelle. Um das rechte Bein weiter vorwärts bewegen zu können, würde er seinen linken Fuß und den damit verbundenen, verletzten Unterschenkel belasten müssen. Ganz vorsichtig…
Randolph biss die Zähne zusammen, als ihn der bereits bekannte Schmerz durchzuckte. Dadurch dass man sich an ihn gewöhnte, wurde er auch nicht angenehmer. Die Wunde würde einfach Zeit brauchen, um zu verheilen. Und diese Zeit hatte er wohl nicht. So…es geht weiter.
Schnell fand er wieder in die mittlerweile zur Routine gewordene Gangweise zurück. Vorsichtig belasten. Rechtes Bein vor. Belasten. Linkes Bein nachziehen. Vorsichtig belasten…
Tick. Tack. Tick. Tack. In seinem eigenen Rhythmus arbeitete sich der Doktor zum Treppenabsatz vor. Verbergen tat er seine schlechte Stimmung nicht gerade. Ein mürrischer Ausdruck war auf sein Gesicht getreten, als er die Menge an Stufen betrachtete, die sich vor ihm in die Höhe wand. Er wusste nicht, ob er danach noch Lust hatte, wegen eines Essens hier wieder herunter zu marschieren. Oben gab es sicher auch Fenster. Dennoch nickte er Bowen knapp zu. Genauso wie er zuvor Norly zugenickt hatte.
Seine blassen, grauen Augen blieben eine Sekunde an dem Gesicht des Tätowierten hängen. Auf einmal begann er sich, wie der freundliche Gastgeber zu benehmen. Der Doktor war gespannt, wie lange der Kerl diese Fassade aufrechterhalten würde. Keine Sorge, mein Freund. Ich werde dich im Auge behalten. Und aufpassen, dass du nichts Dummes tun wirst.
Sein Blick schwankte zur Treppe zurück. Na schön. Dann wollen wir mal.
Glücklicherweise war Melinda da, die ihm beim Aufstieg zur Hilfe kam. Das erleichterte die Angelegenheit sehr. Alleine hätte sich das Ganze schnell in einen Höllentrip entwickeln können. Tick. Tack. Mühevoll kämpfte sich Randolph aufwärts. Stufe für Stufe. Das musste die längste Treppe sein, die er jemals in seinem Leben hinaufgestiegen war! Schweiß begann dem Doktor auf der Stirn auszutreten, während er sein Duell mit den teuflischen Stufen bestritt. Mit der einen Hand stützte er sich auf Melinda, mit der anderen auf das Treppengeländer. Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit bis sie endlich das Ende erreicht hatten. Sie waren im ersten Stock.
Charles wählte ein nahe liegendes Zimmer aus und Randolph humpelte hinterher. Hier gab es immerhin genug Sitz- und Liegemöglichkeiten. Als der Doktor den Raum betrat, begann Norly bereits zügig sich von seiner Kleidung zu befreien. Sonderlich viel Schamgefühl, wie Randolph es von manchen seiner etwas weniger heruntergekommenen Patienten kannte, schien er jedenfalls nicht zu besitzen. Nur ein wenig Röte vermeinte Randolph im Gesicht des Mannes zu erahnen, der ihn zusammen mit Melinda in dieses wirre Possenspiel hineingeführt hatte.
Dann wollen wir mal sehen. Gänzlich schamlos und kritisch ließ der Doktor seine Augen über den Körper seines Patienten wandern. Norly schien wirklich ein Ausgebund an Narben zu sein. Nicht nur im Gesicht. Besonders stach ihm dabei der linke Handschuh ins Auge, der ihm schon ein paar Mal aufgefallen war. Er hatte sich noch nie Gedanken darüber gemacht, aber scheinbar schien Norly dort eine schwere Wunde zu verbergen. Aber das ging ihn wohl auch nichts an.
Aber auch eine Schusswunde fiel ihm auf, direkt an Norlys Schulter. Das Leben dieses Mannes war offensichtlich schon mehrmals in ernsthafter Gefahr gewesen.
Was jedoch wirklich relevant war, waren die anderen, frischen Verletzungen. Aus seinem Arztkoffer, den Melinda für ihn mit nach oben genommen hatte, holte er einen Lappen heraus.
„Darf ich?“, fragte er seinen Patienten und wischte ihm das Blut von der Stirn. Er musste nachsehen, ob er die Wunde noch einmal würde vernähen müssen. Und die Stichwunde sollte er sich auch mal genauer ansehen.
„Sie haben Glück“, stellte er schließlich fest, nachdem er zu einer Diagnose gekommen war. „Die Wunde an ihrem Kopf muss nicht mehr vernäht werden.“ Es wäre äußerst unschön gewesen, wenn die Naht aufgerissen wäre und er das Ganze hätte neu vernähen müssen. Doch das blieb dem Doktor nun glücklicherweise erspart. „Auch die Stichwunde an ihrer Seite ist nicht sonderlich weit vorgedrungen und das sie nicht mehr blutet ist ein gutes Zeichen. Mit ihrer Erlaubnis würde ich mich gerne der beiden Sachen annehmen. Beide Wunden müssen desinfiziert werden und an der Hüfte würde ich ihnen einen Verband anlegen.“
Er blickte Norly an, ob er einverstanden war.
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Götterblut - Kapitel 4: Jäger und Gejagte - Seite 9 Empty Re: Götterblut - Kapitel 4: Jäger und Gejagte

Beitrag von Elli Fr Aug 28 2015, 14:35

Mittlerweile war es für Melinda fast schon zur Gewohnheit geworden jemandem die Treppe hinaufzuhelfen. Sei es nun Randy oder Charles. Ob die beiden insgeheim hassten, dass sie in diesem Moment auf eine Frau angewiesen waren? Bei den Herren war sie sich nicht sicher, ob sie vielleicht nicht wie der Rest der männlichen Gesellschaft Frauen nur als Abfallprodukt empfanden.
Innerlich zuckte sie mit den Schultern. Herausfinden würde sie es wohl nie.
Nach dem Aufstieg, der auch sie etwas mitgenommen hatte, konnte sie mit Freuden feststellen, dass Charles etwas rot wurde als er sich auszog.
Nein! Ist er nicht goldig!!!
Die Untersuchung brachte ein einigermaßen gutes Ergebnis zum Vorschein. Kein Nähen. Nur ein bisschen säubern und weiter geht es.
"Nun leg schon los Randy, wir haben nicht den ganzen Tag Zeit." sagte sie ungeduldig.
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Beitrag von Thorgrimm Sa Aug 29 2015, 03:56

'Kommen sie nicht rauf.' In Ordnung. Gilbert hatte nicht vor, der Frau weiter Angst einzujagen und blieb unten vor der Treppe stehen. Er war unsicher, was er tun sollte. Zum einen wollte er Ms. Thomson helfen aber es konnte sein, dass sie ihn aus Angst und Selbstschutz angriff und das war wirklich das Letzte, dass er jetzt gebrauchen konnte. Vermutlich glaubte sie ihm kein Wort. Gilbert würde sich selbst, wenn er in dieser Situation stecken würde, auch nichts glauben. Wenn Thomson ihn schon für einen Komplizen dieser Verrückten hielt, was würde dann erst die Polizei glauben, wenn sie ihm endlich auf die Schliche gekommen waren? "Das alles war ein riesiger Fehler." Wieso hatte er diesem Mann überhaupt geholfen? Ob er nun einfach nur Norly oder tatsächlich Scarface war, wäre vollkommen egal. Gefährlich war er auf jeden Fall. Gilbert würde den Kontakt erst einmal nicht wieder aufnehmen, auch wenn ihn dieses ganze Thema immer noch interessierte. Er wollte seine Ruhe haben.
Doch was sollte er nun mit Ms. Thomson tun? Sollte er ihre Bitte ignorieren und nach dem rechten sehen oder sollte er einfach abwarten? Er entschied sich dazu, nach ihr zu sehen. Vielleicht war das nicht die beste Idee aber er musste sichergehen, dass es ihr gut ging. Er wollte die Fehler der letzten Stunden irgendwie wieder gut machen. Einen Moment lang ließ er ihr allerdings Zeit, sich zu erholen. Die Küche war sein Ziel. Langsam füllte er ein Glas mit Wasser und machte sich schließlich ruhigen Schrittes auf den Weg, die Treppe hinaufzugehen. "Ms. Thomson, ich komme hoch und bringe ihnen ein Glas Wasser. Ich bin unbewaffnet und werde ihnen nichts tun. Sie sind in Sicherheit. Tun sie bitte nichts unüberlegtes, wie im Lagerhaus." rief er ihr zu, während er langsam und vorsichtig die Treppen hinaufstieg. Das volle Glas vor sich halten wie ein Schutzschild, näherte er sich dem Ende der Treppe. Die andere Hand hielt er nach oben, um zu zeigen, dass er unbewaffnet war.
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Beitrag von Umbra Di Sep 01 2015, 19:38

Charles war es äußerst unangenehm, dass Dr. Tremaine ihn beäugte wie ein Metzger bei der Fleischbeschau. Bei ihrem ersten Treffen, als der Chirurg ihnen mit blutbesudelter Schürze die Tür geöffnet hatte, hatte er auch wie ein Metzger ausgesehen. Nun wirkte Tremaine in seiner schwarzen Kleidung eher wie ein Bestatter – auch nicht gerade vertrauenserweckend und beruhigend. Charles‘ Abneigung gegen Ärzte kam nicht von ungefähr. Misstrauen und höchste Aufmerksamkeit war in jedem Fall angebracht, wenn so einer Hand an ihn legte. Bisher hatte Dr. Tremaine fachlich hervorragende Arbeit abgelegt… jedoch bedeutete das für Charles nicht, dass er deswegen nicht bei jeder Berührung dieses Mannes durch die Hölle ging. Bei der ersten Behandlung vor einigen Tagen hatte Charles sich wenigstens am Operationstisch Halt suchen können, um ein Ventil für seine Anspannung zu finden. Jetzt würde sich das etwas schwieriger gestalten.
Charles wollte die Prozedur einfach nur hinter sich bringen. Dass der Doktor diese mit einer nochmaligen Frage um Erlaubnis verzögerte, trug nicht gerade zu Charles‘ Geduld bei.
„Tun Sie, was Sie für nötig halten“, pflichtete Charles deswegen Melinda leicht gereizt bei, die den Doktor aufforderte, anzufangen. „Ich habe der Behandlung bereits zugestimmt und mich nun nicht entblößt, um Sie lediglich meinen Körper bewundern zu lassen. Es sei Ihnen versichert, dass ich die Reinigung meiner Wunden begrüße, denn ich habe keinerlei Interesse an einer Infektion – nicht auch noch das. Bitte, nur zu: Fangen Sie an. Es wird mir schon etwas kühl.“
Tatsächlich war es nicht gerade warm hier in diesem Zimmer. Es war März, hier wurde nicht geheizt… hinzu kam, dass Charles sich aufgrund seiner Müdigkeit, die ihn zu überwältigen drohte, ohnehin anfällig für Kälte fühlte. Es fiel ihm schwer, die Augen offen zu halten, aber auch wenn sie ihm zuzufallen drohten, zwang er sich, wach zu bleiben. Im Stehen einzuschlafen wäre ohnehin nicht sonderlich praktisch. Charles beobachtete den Doktor genau.
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Beitrag von Elli Do Sep 03 2015, 21:23

Für Melinda gab es erst einmal nichts mehr zu tun. Sie wusste, dass Randy nun die Wunden versorgen würde und Charles dementsprechend beschäftigt sein. Für das Schäferstündchen auf das sie eine Menge Lust hatte, würde wohl weder Raum noch Zeit sein. Sie überlegte was sie mit sich anfangen könnte. Sollte sie sich weiter mit dem King unterhalten? Das reizte sie auch nicht sonderlich. Vielleicht sollte sie versuchen Wright zu finden. Doch wo und wie? Auch ein sinnloses Unterfangen. Hier in Manchester kannte sie nur die Adresse von dem Haus von Charles und die, an der sie Johanna abgeliefert hatten.
Du weißt was ich dir dazu vorschlage. Jo und ihre Mutter müssen verschwinden. Denk nur daran, was passiert ist weil man Alan hat ziehen lassen! Viel zu gefährlich. Das verlogene Weib hat Charles sehr verletzt! Das können wir nicht einfach so auf ihm sitzen lassen! Wir müssen etwas tun!
Einen Augenblick der Ruhe, den Melinda genoß und in Sekundenschnelle einen Plan entwarf. Sie blickte zu dem Arzt und Norly und entschied, dass man sie defintiv nicht brauchen würde. “Ich denke ich werde hier gerade nicht gebraucht, ich gehe etwas frische Luft schnappen und mich umsehen.“ sagte sie in einem gelassenen Tonfall und verließ das Zimmer. Es musste niemand wisesen, schon gar nicht Charles, was sie als nächstes vorhatte bzw. tun würde.
Ohne jede Hast ging sie die Treppe hinunter und durchquerte die große Lagerhalle. Tatsächlich freute sie sich die frische Luft einzuatmen, auch wenn es in dem Gebäude nicht stickig gewesen war. Sie blickte sich kurz um und versuchte sich einen Überblick zu verschaffen. Von wo war sie gekommen? Ohne Karte würde das nichts bringen. Sie brauchte eine Kutsche.
Sie lief ein wenig planlos umher, bis sie schlußendlich fand was sie suchte – eine Kutsche die bereit war Fahrgäste zu transportieren. Zum Glück hatte sie ein paar Pfund einstecken. Bevor sie einstieg, fragte sie den Kutscher umauffällig aus. Er durfte sich später keinesfalls erinnern, dass er sie überhaupt gesehen hatte. Sie entschied sich für die Rolle des schüchternen Mädchens. Sie erinnerte sich auf dem Weg zu Jo’s Mutter eine Kirche gesehen zu haben. Die erschien ihr als perfekte Planung.
“Verzeihen Sie Sir, ich suche eine Kirche. Auf dem Weg vom Bahnhof bin ich daran vorbeigekommen. Sie war nicht so recht groß, aber wunderschön anzusehen.“ kurz beschrieb sie Umgebung und ungefähre Lage etwas genauer.
Der Kutscher nickte. “Da kann ich sie hinbringen. Sicher.“
Sie lächelte schüchtern und blickte fast schon verlegen zu Boden. Dann jedoch wand sie den Blick wieder nach oben und riss ihre Augen dabei erstaunt auf. “Sagen Sie gibt es dort viele Penner? Ich habe immer recht Angst vor ihnen.“
Der Mann rutschte etwas auf dem Kutschbock hin und her. “Ja, doch da gibt es einige. Aber keine Sorge, ich setze sie gleich vor der Kirche ab. Da wird sie niemand behelligen.“
PERRRRRRFEKT!
Wieder ein schüchternes Lächeln, ein kleiner Augenaufschlag und sie stieg behände in die Kutsche ein. Sie ließ sich aufs Polster fallen und verdrehte die Augen. Die Rolle der unterwürfigen Frau, die sich kaum traute zu sprechen beherrschte sie ohne jede Frage – doch gerne machte sie das nicht. Es war anstrengend in der Rolle zu bleiben. Da sie alleine in der Kutsche saß, hatte sie genügend Zeit sich weitere Schritte zu überlegen. Fieberhaft durchkämmte sie ihr Hirn nach Gesprächen die sie im Tower mitgehört hatte.
Sie hatte beispielsweise mitbekommen, dass man dazu übergegangen war, Fingerabdrücke zu sammeln. Offenbar war jeder Abdruck anders – Melinda nahm bei dem Gedanken ihre Fingerspitzen unter die Lupe. Für sie sah das alles gleich aus. Nichts destrotrotz würde sie sich später ihre Handschuhe anziehen. Sie trug sie in letzter Zeit selten, hatte sie jedoch bevor sie aufgebrochen waren in einer der kleinen Taschen im Kleid versteckt. Sie hatte jedoch eher vor, diese zu tragen, damit sie kein Blut unter den Nägeln haben würde. Das war immer sehr unangenehm und ließ sich immer nur schwer reinigen. Eine Qual. Auch wenn vielleicht kein Blut fließen würde. Sie müsste nur die beiden Stead-Frauen dazu bekommen England zu verlassen. Melinda überlegte ihnen die Überreise in die Vereinigten Staaten zu spendieren. Dann hätten alle Ruhe.
Wenn sie aber nicht darauf eingehen würden, musste sie zu anderen Mitteln greifen. Das war ihr bewusste. Dafür bedurfte es einer Planung. Sie brauchte nur noch zwei weitere Dinge und eins davon, würde sie von einem Penner bekommen. Da war sie sich sicher.
Die Kutsche hielt nach einer Weile an und Melinda spähte aus dem kleinen Seitenfenster. Sie war genau zu der Kirche gebracht worden, die sie gemeint hatte und konnte nicht umhin zu grinsen. Sie stieg aus, bedankte sich schüchtern und reichte dem Kutscher das Geld. Sie ging dann langsam auf die Kirche zu und betrat diese mit der der nötigen Demut um ihrer Rolle gerecht zu werden. Die Kirche war bis auf einen sehr alten Mann in der ersten Kirchenbank leer, so nutze Melly die Zeit und setzte sich so leise es ging in die hinterste Bank. Ihre Planung bedurfte noch ein paar Minuten und sie ging die unterschiedlichen Möglichkeiten durch. Nach einer Verschnaufpause sah sie das die Kutsche ihren Platz vor der Kirche verlassen hatte und sie schlüpfte aus dem Gebäude.
Sie irrte zugegenbenermaßen entwas hin und her, bis sie die richtige Straße fand, doch zuerst musste sie noch etwas besorgen. Und wie der Teufel es wollte, fand sie auch den Penner nach dem sie gesucht hatte. Der Mann war unverkennbar ein Abfallprodukt der Gesellschaft, wie sie es selbst auch war. Zielsicher steuerte sie auf ihn zu. Er entblößte sein verfaultes Gebiss. “Miss, ham se nen Pence für nen guten Kerl?“ Sie lächelte und betrachtete ihn näher.
“Ich habe etwas noch viel besseres!“ Sie zog einen Pfundschein aus ihrer Tasche – ein kleines Vermögen und hielt ihn hoch. “Dafür will ich mir nur eine Kleinigkeit von dir. Hm?“ Der Blick der eben noch so verschleiert war, klart sich etwas auf, bei dem Blick auf den Schein. Es scheint, als würde ihr Gegenüber überlegen, was er nun tun sollte. Ein hastiges Nicken, den Blick starr auf das Pfund gerichtet.

Melinda zog weiter, zurück in die Straße die sie eben ausfindig machen konnte. Ein ruhige Nebengasse – gerade zu perfekt. Das es manchmal noch besser kommen kann, als gedacht war kaum zu glauben. Aber dennoch real. Johanna kam aus dem Haus heraus und verschwand ein paar Häuser weiter in einer weiteren Nebengasse. Der Pulsschlag der jungen Hure beschleunigt sich, nun galt es also. Ein paar eilige Schritte brachten sie vor die Haustür, hinter der nun die Familie Stead wieder ein schönes Leben führte. Noch.
Die Tür war nicht abgeschlossen und Melinda konnte die Tür leise und ohne Schwierigkeiten öffnen. Auf Zehenspitzen schlich sie durch den Flur. Mama Stead war gerade dabei etwas zu Essen zuzubereiten.
Schleichen konnte sie – zu oft musste sie in ihrem Leben leise sein. Der Schwung mit der auf dem Tisch stehenden Vase, die krachend auf dem Kopf von Mrs. Stead landete, reichte vollkommen dazu aus, diese benommen zu Boden gehen zu lassen. Zugebenermaßen hatte Melinda was nun kommen sollte, nicht sonderlich gut durchdacht. Nur unter größter Anstrengung schafft sie es, den bewusstlosen Körper auf den Stuhl zu hieven. Schweiß rann ihr aus allen Poren, als sie die Gute endlich in der richtigen Position hat und einige Lumpen, die wohl eigentlich für das Geschirr gedacht waren, dazu nutzte um Stead an den Stuhl zu fesseln. Einen Lumpen hob sie sich auf, später würde sie diesen noch brauchen. Die Alte würde sicher schreien wie eine Irre. Hastig verließ die junge Hure den Raum und sah sich schnell um – offenbar hatte niemand etwas bemerkt. Keine Bewegung auf der Straße bisher. Gut.
Sie positinierte sich anschließend wieder in der Küche. Stead begann sich langsam zu bewegen und zu stöhnen. Ein gutes Zeichen. Nun würde es wohl gleich los gehen.
Huuuuuu, endlich mal wieder was zu lachen toll! Haha!
Langsam öffnen sich die Augen, Melinda weiß nur zu gut, dass vor dem Blick ein Schleier liegt, der nur langsam aus dem Sichtfeld verschwinden wird. Tatsächlich erfolgt einiges Blinzeln, bis die noch verwirrten Augen das Abbild von Melinda finden und sich schlagartig darauf konzentieren. Melinda kann gerade zu sehen, wie sich die Zornesfalte zwischen den Augen tiefer und tiefer in die Stirn gräbt.
UhuhuuhuhuhuhuuuuuU! Jetzt wird’s gut! Achtung gleich!
“Was machst du drecks Miststück in meiner Küche?“
“Nana, wir wollen doch nicht gleich ausfallend werden. Ich möchte mich doch nur unterhalten. Ich würde nicht so an den Fesseln ziehen. Das schmerzt nur noch mehr und hinterlässt unschöne Male auf der Haut.“ Melinda lächelt. Vielleich zu sehr. Vielleicht zu irre. Vielleicht war DAS hier, genau das was sie war.
“Wenn du Schlampe dich unterhalten wollen würdest, hättest du mich wohl kaum angebunden!“
“Das ist nur eine Vorsichtsmaßnahme. Wenn Johanna ihre gute Erziehung von ihnen genoßen hat, ist das hier die einzige Möglichkeit zumindest zu sagen worum es geht…ich will auch gleich zur Sache kommen. Die Tochter von Scarface zu sein, beziehungsweise sich angeblich dafür auszugeben, ist äußert gefährlich. Ich habe daher ein Angebot zu unterbreiten. Entweder die Steadfrauen verlassen das Land, ich bin gewillt eine hübsche Kreuzfahrt in die Staaten springen zu lassen, oder….nun Plan B…“
“Ich zeige dir gleich mal Möglichkeiten du Hure! Bind mich los!“
“Da können wir drüber reden. Ich würde zuerst gerne wissen ob Johanna wirklich den Lenden von Charles entsprungen ist.“
Nun war es an der Zeit den Kopf den Nacken zu legen und zu lachen. “Nein! Ist sie nicht. Sie ist das Produkt meiner einzig wahren Liebe, Harold! Leider war er adligen Ursprungs und von uns durfte niemand erfahren. Aber auch wenn du nun die Wahrheit kennst, bringt dir das nichts! Niemand wird dir glauben. Wer glaubt schon einer Hure!“ Melinda wusste das uneheliche Kinder von Adligen wenig zu lachen hatten. Mitunter fand man sie und danach fand sie niemand anders mehr. Zack – verschwunden von der Bildfläche. Das Lachen verstummte und ein trauriger Blick hatte sich in das Gesicht von Stead gelegt. “Norly kam mir gerade recht. Er war interessiert und ich war bereits schwanger. Ich wollte das Geld des Vaters. Nicht mehr und nicht weniger.“
KLICK. KLICK. KLICK. Da fallen die Dominosteine.
“Herzlichen Glückwunsch! Es wurde Alternative B gewählt!“ Melinda stand wieder auf und näherte sich der Gift und Galle spuckenden Frau lächelnd. In ihrer Hand hatte sie ein weiteres Küchenhandtuch, welches sie sich aufgehoben hatte und nun mit einiger Gewaltanstrengung in den Mund schob. “Sch, schhhhh…nur nicht aufregen.“ Sie arbeitete mit einer Präzension, die sie vielleicht eher einem Arzt zugestanden hätte, als einer Hure, aber hier das war nun einmal etwas was sie gerne tat – nein, sie liebte es eigentlich.
Endlich war das unerträgliche Gezeter nur noch ein gedämpftes Ankämpfen gegen den Stoff im Mund. Ein herrliches Geräusch – so befriedigend. Doch nach einer Weile wurde auch das langweilig. Melinda bediente sich der halb zerplitterten Vase und schickte Mama Stead erneut ins Land der Träume. Entspannt lehnte sie sich dann an die Küchenarbeitsplatte und wartete…und wartete…und wartete…
Es dauerte lange bis sie endlich das Geräusch der Tür hörte und dann die sachten Schritte von Johanna. Vielleicht weil sie keine Geräusche hörte. Vielleicht weil sie etwas ahnte.
Besonders überrascht schien sie nicht, als sie um die Ecke in die Küche kam und Melinda an der Küche gelehnt stehen sah. Tränen traten ihr in die Augen.
Immer zu muss sie heulen! Immer zu! Sie ist so nervig!
“Nana! Nicht gleichen weinen. Noch kannst du sie retten! Du musst nur tun was ich sage. Hm?“ Wieder lächelte Melinda zu irre, als es gesund war. Doch Johanna schien sich geschlagen zu geben. Sie blickte zu Boden und nickte wären Tränen aus ihren Augen rannen und auf den Stein tropften.
“Auf dem Tisch liegt ein Zettel. Los greif zu. Schreib drauf Es tut mir leid. Ich habe gelogen. Ich bin nicht die Tochter von Charles Norly, ich kann mit der Schande nicht länger leben. Wir müssen beide gehen. Los, los! Du wusstest die ganze Zeit, dass Charles nicht dein Daddy ist, hm? Ich hab dich von Anfang an durchschaut. Ha!“ Mit ein bisschen mehr Gegenwehr hatte sie schon gerechnet, vielleicht auch ein wenig darauf gehofft, aber Johanna tat einfach wie ihr befohlen wurde. Sie schrieb die Worte und unterzeichnete sogar mit ihrem Namen. Auf ein Nicken hin folgte sie Melindas Blick und sah das Seil das an dem Haken befestigt war, an dem normalerweise Fleisch trocknete. Die Investion bei dem Penner hatte sich sichtlich gelohnt. Sie nickte und klettere schluchzend auf den Tisch und legte sich die Schlinge um den Hals. Melinda musste nicht einmal was sagen. Sie macht einfach! Eine Enttäuschung!
Gerade als Jo über die Tischkante trat, wachte Mama Stead auf. Es war ein Genuss das Schreien gegen den Knebel im Mund zu hören und die Augen von Johanne zu betrachten, während sie zappelnd an der Schlinge hing. Die Fallhöhe war nicht tief genug gewesen. Es dauerte bis der Körper den Kampf aufgab und schlaf von der Decke hing. Mama Stead schrei noch immer. So sehr das es fast wie ein Gurgeln erklang.
Melinda trat hinter die Frau und fühlte sich mit einer tiefen Ruhe erfüllt. Langsam griff sie nach dem Messer das vorhin noch zur Essensvorbereitung genutzt worden war und betrachtete es fast verliebt. So schöner Stahl. So schön glatt…so wunderschön. Das Gefühl als sie in die Haare der schreienden Frau griff und den Kopf nach hinten zog, war berauschend. Als das Messer sich durch Haut und Muskeln arbeitet lachte Melinda.
Sie genoss es ihr Opfer verstummen zu hören und ihre Augen brechen zu sehen. So wunderbar. Sie betrachtete dann die große Blutlache auf dem Boden und strahlte. EEEEEENDLICH!
Sie legte das Messer neben den Zettel den sie Jo hatte schreiben lassen und verließ die Küche, darauf bedacht keine Spuren im Blut zu hinterlassen. Sie selbst hatte nicht einen Tropfen abbekommen. Wieder ein Punkt für sie. Fast wie Geburtstag. Oder so wie man sich einen Geburtstag vorstellen könnte, hätte man ein normales Zuhause. Sei es drum. Sie hatte gerade bekommen, was sie gewollt hatte. Die Ruhe die sie erfasst hatte, konnte ihr nun niemand mehr nehmen. Dieses Gefühl würde für eine ganze Weile anhalten.
Sie schaute vorsichtig aus der Tür heraus. Doch niemand war zu sehen. Sie verließ das Gebäude und eilte wieder auf die belebteren Straßen und hielt sich schüchtern ihren Fächer vors Gesicht. Erst ein ganzes Stück entfernt, traute sie sich erneut eine Kutsche zu besteigen.
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Beitrag von Leo Fr Sep 04 2015, 20:26

Ein paar Sekunden lang versuchte Maura noch, an nichts zu denken, doch das unbekannte Haus und die unglückliche Situation, in der sie sich befand drückten auf ihre Schläfen wie eine Schraubzwinge. Sie stöhnte ein letztes Mal, dann öffnete sie die Augen und hob den Kopf. Es half nichts, sie musste sich damit abfinden. Und das Beste daraus machen – was in diesem Fall wohl bedeutete, nicht zu sterben.
Norly und seine Freunde waren noch immer nicht da, außer Wright hatte scheinbar noch niemand ihr Erwachen bemerkt. Das war gut. Sie wusste nicht viel über den Mann, doch von den Norly-Leuten schien er ihr der tölpelhafteste zu sein; vielleicht konnte sie ihn überreden, ihr zu helfen …
Und was dann? Dann befand sie sich immer noch an einem unbekannten Ort, vermutlich weit weg von zu Hause, und wenn Norly klug war (wovon sie ausging), dann auch weit weg von der nächsten Polizeiwache. Sie mochte die Polizei nicht, doch dies hier … einen anderen Ausweg sah sie nicht.
Ganz ruhig Maura. Nicht zu sehr reinsteigern. Wie Wright schon sagt: Tu nichts Unüberlegtes …
Sie schnaufte tief durch, dann löste sie sich von der Balustrade, erst nur mit einer Hand, dann vorsichtig auch mit der zweiten. Dass ihr kaum noch schwindelig war, wertete sie als gutes Zeichen.
Natürlich kam Wright hoch, wie sollte es anders sein. Sie war nicht sicher, ob das Glas Wasser nur ein Vorwand sein sollte; eins war klar – sie würde auf jeden Fall Abstand halten. Und keinen Schluck trinken.
Wrights Kopf tauchte hinter den Treppenstufen auf, und Maura entschied, vorerst defensiv zu bleiben. Gestern hatte Wright ihr helfen wollen – vielleicht, wenn sie ihm die arme alte Dame vorspielte, würde er es noch einmal tun. Sofort griff sie wieder nach dem Treppengeländer, obwohl sie sich eigentlich nicht mehr festhalten musste, dann setzte sie einen verwirrten Gesichtsausdruck auf und hielt sich die Stirn.
Schließlich tauchte Wright in voller Größe vor ihr auf (und war noch immer kleiner als sie), das versprochene Glas Wasser umklammert wie eine Waffe.
Tja, vielleicht war es auch eine.
Sie stöhnte erneut, dieses Mal jedoch unecht. „Was ist passiert? Wo bin ich hier?
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