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Götterblut - Kapitel 2: Gut geplant ist halb gewonnen

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Götterblut - Kapitel 2: Gut geplant ist halb gewonnen Empty Götterblut - Kapitel 2: Gut geplant ist halb gewonnen

Beitrag von Umbra Mi Okt 10 2012, 18:53

8. März 1868, 11:07 Uhr

Auch wenn der bereits stark vorangeschrittene Morgen nicht ganz so verlaufen war, wie Charles es sich gewünscht hätte, war er nun wieder guter Laune. Der Spaziergang durch die angenehm wärmende Sonne, auch wenn man die Frühlingsluft an sich wohl als frisch bezeichnen konnte, hatte bewirkt, dass er seine Sorgen für einen Moment hatte vergessen können. Auch seine körperlichen Gebrechen von letzter Nacht waren heute deutlich weniger präsent. Es war, da Sonntag selbstverständlicherweise ein arbeitsfreier Tag war, einigermaßen leer auf den Straßen Londons, sodass er bisher nicht durch Lärm oder irgendwelche Personen, die ihm nachstellen wollten, belästigt worden war. Er hatte in Ruhe Besorgungen machen können, die er nun in mehreren Papiertüten mit sich herumtrug, und hatte das erste Mal seit Wochen das Gefühl, dass er das, was er tat, völlig normal war. Unterwegs hatte er sich zum Frühstück einige Sandwiches mit Schinken und Käse und eine Tasse Kaffee mit Milch und viel Zucker gegönnt. Er hatte förmlich gemerkt, wie sein Körper gierig die Energie aus der Nahrung aufgesaugt hatte. Nun fühlte er sich besser, fast wieder auf der Höhe seiner Möglichkeiten.

Doch erst einmal hatte er sich aus Dr. Tremaines Haus geschlichen, nachdem er erstaunlich gut erholt vor etwa zweieinhalb Stunden auf dessen Couch aufgewacht war.
Dieser Mann war ihm noch immer nicht geheuer, doch Melinda schien ihm zu vertrauen. Und da Charles ihr vertraute, war es ihm auch nicht schwer gefallen, die Damen mit dem Arzt alleine zu lassen. Vielleicht schliefen sie alle ja noch und hatten noch nicht einmal bemerkt, dass er fort war. Zumindest hatten die scheinbar schlafenenden Ms. Bolt und Ms. Stead keine Reaktion gezeigt, als er sich heimlich seinen Mantel aus ihrem Zimmer geholt hatte.
Da es die Höflichkeit verlangte, hatte er dennoch eine knappe Nachricht in der penibel ordentlichen, schwungvollen Schrift, die er sich angeeignet hatte, auf einem abgerissenen Zeitungsrand verfasst und auf dem Tisch neben seiner Schlafstätte hinterlassen:

Entschuldigen Sie meine Abwesenheit, aber ich habe einige wichtige Dinge zu erledigen.
Ich lasse Ihnen mein Gewehr hier, falls es zu einer Situation kommen sollte, in der es nützlich wäre.
Auch wenn Sie nicht wissen sollten, wie man damit umgeht, wird es zumindest abschreckend wirken.
Wenn Sie es wünschen, kann ich Ihnen bei Gelegenheit Schießunterricht geben.
Sorgen Sie sich nicht, ich bin gegen Mittag zurück.
Charles
Und Charles hatte nicht vor, sich zu verspäten. Mit zügigen Schritten eines Mannes, der selbst am Sonntag keine Zeit für Müßigkeit übrig hatte, bog er in die Straße ein, in der sich Alans Adresse befand.
Das war das letzte seiner jetzigen Ziele, bevor er gedachte, wieder zu den jungen Damen und Dr. Tremaine zurückzukehren.

Zusammen mit seinem Seesack hatte Charles sich ins zuerst morgendliche Soho hinausgewagt, um seine Sachen in seine kleine Wohnung in einem Mehrparteienhaus zu bringen (in dem natürlich niemand wusste, wer er eigentlich war) und um sich dort erst einmal frisch zu machen, zu rasieren und umzuziehen.
Dann hatte ihn sein Weg wieder hinaus auf die Straße geführt. Neuigkeiten verbreiteten sich in den Straßen Londons schneller als die Zeitungsredaktionen hinterherkamen. So schnappte er schnell Gesprächsfetzen über eine Schießerei und einem Bombenanschlag vor einem Café nicht weit entfernt von Dr. Tremaines Haus auf. Er ging diesen Hinweisen nach und stand schließlich vor dem Kaffeehaus, das wohl wegen der Ereignisse der Nacht geschlossen war. Allerdings belohnte Charles einen Jungen, der auf der Straße herumlungerte, mit einem Zweipencestück, da dieser ihm den Weg zur Wohnung des Besitzers des Cafés weisen konnte. Mit ein wenig Überzeugungskraft, die eigentlich nicht mehr als das Zeigen seines Gesichts benötigte, bekam Charles von diesem ziemlich nervösen Mann die Informationen, dass Mr. Hyde noch lebte und man ihn das nächstgelegene Krankenhaus gebracht hatte, und dass Mr. Lived nicht unbeobachtet durch das Fenster des Cafés gestiegen war, um dem Kugelhagel zu entkommen.

-----

Charles betrat das Krankenhaus durch den Haupteingang. Vor Empfang standen einige Leute in zwei Schlangen, die darauf warteten, an der Reihe zu sein. Ein normaler Besucher würde wohl nach der Zimmernummer fragen, doch davon musste Charles absehen. Aber da er vermutete, dass Mr. Hyde ernsthaft verletzt worden war, müsste dieser eigentlich auf einer der Pflegestationen untergekommen sein. Auf welcher der insgesamt drei, war für Charles jedoch nicht ersichtlich. Er würde suchen müssen. Hier kannte er sich nicht aus, aber er folgte einfach den Ausschilderungen.

Charles war sich bewusst, dass er hier etwas mehr auffiel als auf offener Straße. Er sah weder wie ein Arzt oder Krankenhausangestellter aus, noch wie ein Patient, denn die lagen in den Stationen, die er abklapperte, mit Nachthemden in ihrem Betten. Doch zumindest sein Verband am Kopf kam ihm zugute. Er bot etwas Tarnung, immerhin, als er mit dem Zylinder in der Hand und mit etwas gequält wirkender Körperhaltung die Flure entlangstreifte und Treppen erklomm und mit kurzen Blicken in jedes Zimmer, das er passierte, prüfte, ob sich Mr. Hyde darin befand. Dabei hielt sich nach Möglichkeit weit links, da auf dieser Seite auch seine Narbe war, nahe an den Flurwänden und senkte seinen Blick, wenn er bemerkte, dass ihm jemand entgegenkam. Man beachtete ihn nicht sonderlich, schließlich liefen hier auch andere Leute in Zivilkleidung herum, aber er wollte es vermeiden, entdeckt zu werden, bevor er seine Zielperson gefunden hatte.

Als es schließlich soweit war, warf Charles heuchelnd einen Blick auf seine Taschenuhr, um für den vorbeilaufenden Mann im Ärztekittel eine Entschuldigung zu haben, um stehen zu bleiben, bevor Charles sich prüfend umsah und den Raum betrat, als er sich unbeobachtet fühlte. Sanft schloss er die Tür hinter sich.
Es war ein kleines, kühlweißes Zimmer mit zwei Fenstern, in dem man Mr. Hyde untergebracht hatte. Der Mann lag, ruhig atmend und mit dem Kopf auf einem unbequem wirkenden Kissen ruhend, in seinem Krankenbett und schlief offenbar. Das wirre, dunkle Haar kräuselte sich über seiner Stirn. Charles fand, dass John friedlich aussah, vielleicht sogar die Andeutung eines Lächelns auf seinem sonst entspannten Gesicht zeigte.
Vorsichtlich schlich Charles sich zum Fußende von Mr. Hydes Bett und griff nach dem Klemmbrett mit medizinischen Daten und Notizen, das man dort für die Ärzte und Schwestern zurückgelassen hatte. Mit hin- und herzuckenden Augen überflog Charles den Schrieb und Erleichterung machte sich in ihm breit.
Solange er nicht das Pech hat und seine Wunde brandig wird, wird er es gut überstehen.
„Sind Sie gekommen, um es zu Ende zu bringen? Dann machen Sie es schnell.“
Die Stimme klang schwach und die Worte kamen etwas träge, aber dennoch bestand nun kein Zweifel daran, dass Mr. Hyde nicht schlief – oder zumindest nicht mehr –, denn als Charles vom Krankenblatt aufsah, bemerkte er, dass der Angeschossene ihn nicht nur bemerkt hatte, sondern ihn auch aus müden Augen musterte.
„Nein“, erwiderte Charles mit gedämpfter Stimme.
Ihn wunderte es nicht, dass Mr. Hyde anscheinend davon ausging, dass er ihn beseitigen wollte. Es war naheliegend, dass er sich umentschieden und doch keine Kameraden und Zeugen haben wollte oder vielleicht sogar selbst der Schütze war, zu dessen Opfer Mr. Hyde geworden war. Doch das stimmte nicht.
„Sind Sie gekommen, um es zu Ende zu bringen?“, wiederholte Charles Johns Worte in Gedanken. Es war ein Vorwurf. So sprach jemand, der sich bereits ein Urteil gebildet hatte.
„Ich bin kein Mörder“, sagte er deswegen – nicht kühl, aber es gelang ihm auch nicht, völlig neutral zu klingen.
Charles hängte das Klemmbrett mit Mr. Hydes Daten wieder an das Fußende seines Krankenbettes, holte den Stuhl, der in der Ecke des Raumes stand, heran und setzte sich damit direkt neben seinen Gesprächspartner.
„Ich war in Sorge um Sie und bin gekommen, um nach Ihnen zu sehen. Als Ms. Bolt mir erzählte, Sie seien angeschossen worden und zu Boden gegangen, habe ich das Schlimmste befürchtet.“
Der Wissenschaftler blickte ihn einen Moment lang schweigend an, doch er schien darüber nachzudenken.
„Es geht ihr gut?“, fragte Mr. Hyde dann nach.
Charles hatte schon zuvor bemerkt, dass John nicht ganz bei sich zu sein schien, doch nun aus der Nähe erkannte er auch den Grund dafür: Die Pupillen dieses Mannes waren stark erweitert. Man hatte ihm Laudanum gegen die Schmerzen gegeben, wahrscheinlich, da es logisch und nachvollziehbar war, und offenbar hatte man nicht gerade damit gespart.
„Ja, sie ist in Sicherheit“, antwortete Charles und lächelte kurz. „Ich muss mich bei Ihnen entschuldigen. Das Risiko, mit mir in Kontakt zu stehen, ist größer als ich angenommen habe. Ich wollte Sie nicht gefährden und es ist meine Schuld, dass Sie nun hier sind. Ich habe versprochen, Sie zu beschützen, und bin kläglich daran gescheitert. Ich weiß, dass ich meinen Fehler nicht wieder gutmachen kann, aber ich möchte Sie bitten, mir zu verzeihen. Das habe ich nicht gewollt, das können Sie mir glauben.“
John Hyde wandte den Blick zurück zur Decke und nickte bedächtig. Charles fasste das beruhigt als Zeichen dafür auf, dass dieser seine Entschuldigung angenommen hatte.
„Ich möchte herausfinden, wer Ihnen das angetan hat“, fuhr Charles fort. „Was ist passiert? Haben Sie den Täter gesehen?“
Bevor Mr. Hyde antwortete, schluckte er und schloss für einen Moment, der wenige Sekunden andauerte, die Augen. Charles befürchtete schon fast, dass der unter Drogen stehende Verletzte eingeschlafen war.
„Nein“, murmelte dieser dann. „Ich ging nach draußen. Plötzlich durchfuhr mich ein irrsinniger Schmerz. Ich blickte an mir herab und erkannte, dass ich stark blutete. Daran erinnere ich mich noch. Dann an nichts mehr. Ich bin hier aufgewacht.“
„Sie hatten großes Glück, dass die Kugel ihre Organe verfehlt hat“, kommentierte Charles, denn das hatte er dem Krankenblatt entnommen. Aber er war auch ein wenig enttäuscht, dass Mr. Hyde nichts über den Attentäter zu berichten hatte.
„Ja… Ja, das sagte man mir“, bestätigte John eifrig, aber plötzlich noch müder klingend als zuvor. „Die Polizei war hier. Sie stellten mir viele Fragen, auch zu Ihnen. Ich… Ich habe geleugnet, Sie zu kennen, doch sie haben mich unter Druck gesetzt. Sie wollten immer mehr wissen.“
„Sie wollten Sie dazu bringen, dass Sie sich widersprechen“, vermutete Charles. Er kannte diese Verhörmethoden. Mr. Hyde tat ihm leid, doch noch fürchtete er, dass dieser zugab, der Polizei etwas verraten zu haben, dass alle Beteiligten und sein ganzes Vorhaben in Gefahr brachte. Doch seine Befürchtung schien erst einmal unbegründet.
„Ich bin nervös geworden, doch die Polizisten haben nichts von mir erfahren. Eine Schwester hat sie verjagt, als sie bemerkt hat, dass sie mich befragten.“
Charles lächelte zufrieden. „Ich danke Ihnen, Mr. Hyde. Sie sind ein sehr anständiger Mann“, sagte er und stand bereits von seinem Stuhl auf. Während er weiterredete, stellte er diesen wieder in die Ecke zurück, aus der er sich ihn geholt hatte.
„ Aber ich werde mich an dieser Stelle nun verabschieden und Lebewohl sagen, wenn wir uns nicht wiedersehen sollten – was ich für sehr wahrscheinlich halte. Ich kann nur noch einmal betonen, wie leid es mir tut, Sie in meine Angelegenheiten hineingezogen zu haben“, versicherte Charles mit ernster Aufrichtigkeit.
Er wusste nicht, wie es Mr. Hyde ergehen würde, wenn er ging und keinen Kontakt mehr zu dem Erfinder suchen würde. Vielleicht würde dieser unbehelligt weiterleben können – vielleicht war es dazu aber auch schon längst zu spät. Charles fasste sich zum Abschied nickend an die Krempe seines Zylinders, den er sich nun wieder aufgesetzt hatte, und hatte die Türschwelle schon überschritten, als er hinter sich Mr. Hydes geschwächte Stimme vernahm, die ihn zurückrief und ihn auf dem Absatz Kehrtmachen ließ.
John hatte sich aufgesetzt und sah in dieser Haltung, fand Charles, richtig angeschlagen aus.
„Ich habe etwas für Sie“, erklärte Mr. Hyde und zog einen unbeschrifteten Briefumschlag unter seinem Kopfkissen hervor.
Charles‘ Neugier war auf jeden Fall geweckt. Er nahm ihn aus Johns Hand entgegen und sah den Mann fragend an.
„Der Arzt, der mir das Leben gerettet und mich hergebracht hat“, erklärte der Erfinder, „gab mir das für Sie. Ich kenne seinen Namen nicht. Er sprach anders zu mir als die Polizisten, wissen Sie… Er wollte nicht, dass ich mich erkläre. Stattdessen drückte mir einfach diesen Umschlag in die Hand und bat mich, ihn aufzubewahren und ihn Ihnen zu überreichen, wenn Sie mich aufsuchen sollten. Auch ihm gegenüber habe ich abgestritten, Sie zu kennen, aber das wollte er nicht hören. Er sagte nur, dass er mich nicht verraten würde und dass Sie schon wissen würden, was die Nachricht bedeute.“
Während Mr. Hyde geredet hatte, hatte Charles sein Notizbuch aus seiner mit Samt ausgeschlagenen Jackentasche gezogen, und er legte nun den Briefumschlag zwischen ordentlich beschriebene Seiten, um ihn transportieren zu können, ohne dass er knickte. Dann ließ er das Buch wieder in die Tasche gleiten. Er würde sich diese Nachricht später ansehen, wenn er die Muße dazu hatte.
Charles hatte keine weiteren Fragen. Er wunderte sich über den Brief, das allerdings, aber er ahnte schon, was es damit auf sich hatte, und diese Angelegenheit würde sich klären – dazu musste er jetzt nicht hier verweilen und Mr. Hyde unnötig aufregen.
„Ich danke Ihnen, John“, lächelte Charles. „Sie sollten nun schlafen und ihre Wunde in Ruhe auskurieren lassen.“
Mr. Hyde schien den Vorschlag für vernünftig zu halten und als er Anstalten machte, sich wieder auf sein Kissen sinken zu lassen, half Charles ihm stützend, sich hinzulegen. Er wusste aus eigener Erfahrung, dass selbst viel Laudanum nicht jeden Schmerz zu ersticken vermochte und dass man bei einer schweren Verletzung lieber jede Belastung, so gering sie auch scheinen mochte, vermeiden sollte.
Charles hatte seine Hände noch an Mr. Hyde, als eine verärgerte Frauenstimme hinter ihm ertönte, und ihn ertappt zusammenzucken ließ.
„Was machen Sie da, Sir? Sie haben hier nichts verloren“, wies sie ihn mit herrischem Ton darauf hin und als Charles sich nicht zu ihr umdrehte und sich wie gebannt, in der leicht gebeugten Position verharrend, nicht rührte – denn er dachte gerade lieber fieberhaft nach, welchen Fluchtweg er wohl am besten nehmen könnte, wenn die Frau Alarm schlug – hörte er sie näher kommen. Mr. Hyde sah ihn mit benommener Panik im Gesicht an.
„Sind Sie schwerhörig, Sir? Verlassen Sie sofort dieses Zimmer oder das wird ernste Konsequen-“
Sie bracht erschrocken mitten im Wort ihr Gezeter ab, denn Charles hatte sich mit einem bewusst verschlagen wirkendem Grinsen, von dem er wusste, dass es wohl oder übel auch noch seine Narbe betonte, zu der Frau – einer Krankenschwester offenbar – umgedreht und richtete sich auf. Sie schien zu realisieren, wen sie vor sich hatte. Zwei, drei Sekunden starrte Sie sein narbiges Gesicht verdattert an, bevor sie rückwärts zurückwich und nach dem offen stehenden Zugang zum Flur tastete. Dann entschied sie sich dazu, kreischend wegzulaufen.
Charles‘ Miene nahm sofort wieder ernste Züge an, denn auch wenn er sein Ziel erreicht hatte, war nun äußerste Eile geboten. Das Krankenhaus war voller Menschen – und für die Sicherheit sorgten ausgerechnet Polizisten.
Hektisch wandte er sich an Mr. Hyde. „Der Preis des Ruhms“, scherzte er über die Reaktion der Krankenschwester. „Ich muss verschwinden. Aber es ist gut, dass man mich hier gesehen hat. Man wird denken, dass ich Sie umbringen wollte, die junge Frau wird Ihnen das bestimmt bezeugen. Beantragen Sie Polizeischutz, man wird Ihnen diesen garantiert zusichern. Hill wird sich ins Fäustchen lachen, weil er denken wird, ich würde den ‚Mord‘ an Ihnen beenden wollen und er könnte mir so eine Falle stellen. Spielen Sie einfach das Opfer und Sie bekommen mindestens einen perfekt ausgebildeten Wachhund, der Ihnen Unannehmlichkeiten wie Meuchelmörder vom Leib hält.“
John nickte perplex und Charles machte sich davon. Dieses Mal besorgte er sich einen Kittel.

-----

Nach diesem kleinen Abenteuer mit hektischer, ausweichender Flucht vor alarmierten Polizisten, kam Charles der Weg zu Mr. Lived enttäuschend langweilig vor. Niemand auf der Straße erkannte ihn, nicht einmal zwei Bobbys, von denen er erst dachte, sie würden ihn verfolgen, die dann aber an einer Kreuzung stehengeblieben waren, um zu rauchen und sich zu unterhalten. Er war wirklich enttäuscht. Wenn er keinen Ärger gebrauchen konnte, gab es diesen ihm Übermaß, und wenn er sich ein Mittel gegen Langeweile wünschte, schien sich keines zu finden. Aber vielleicht war es auch besser so, denn so konnte er die Anonymität, die er sich so oft wünschte, wenn auch in diesem Moment ungewollt, ein bisschen auskosten.

Mr. Lived war offensichtlich nicht zu Hause. Zumindestens öffnete dieser nicht die Tür.
Vielleicht hat er mich kommen sehen, überlegte Charles, aber wenn es so war und Theodore nichts mit ihm zu schaffen haben wollte, konnte es ihm auch recht sein. Er wusste, dass dieser aus dem Café hatte entkommen können und solange Charles nichts von ihm hörte, konnte dieses Nichts einen durchaus positiven Beigeschmack haben. Es war besser, keine Neuigkeiten zu hören als schlechte Neuigkeiten zu hören... Obwohl dann natürlich die Ungewissheit an ihm nagte.
Doch die Vorstellung, dass sich schon in Kürze mit Alan und dessen nervenaufreibenden Gebaren herumschlagen zu müssen, lenkte Charles etwas ab und gab ihm neuen Schwung. Er mochte solche erfrischenden Herausforderungen.

-----

Charles blieb kurz zögernd vor dem Eingangstor zu Alans Grundstück stehen. Höchstwahrscheinlich war es allen Anwohnern ein Dorn im Auge. Auch Charles betrachtete es, heruntergekommen wie es war, mit stiller Kritik. Aber vermutlich sah sein eigenes Heim in Manchester inzwischen nicht viel anders aus – so denn man es ohne sein Wissen nicht schon längst verkauft hatte. Es gehörte ihm sowieso nicht mehr, da der Staat es beschlagnahmt hatte, aber wer würde schon den ehemaligen Besitz eines vermeintlichen Massenmörders haben wollen? Es würde dem Verkäufer wohl wenig bis überhaupt nichts einbringen. Wenigstens eine geringe Genugtuung.
Seufzend überprüfte Charles kurz, ob jemand ihn mit übermäßigem Interesse beobachtete – anscheinend nicht –, und betrat dann Mr. Stirlings Grund und Boden. Wenn Nachbarn ihn sahen, würden sie in ihm wahrscheinlich nur einen Geschäftsmann mit Zylinder sehen, vielleicht einen Beamten, der die unselige Aufgabe hatte, sich am Sonntag nahe an den Trunkenbold heranzuwagen, um Ordnungsgelder einzufordern.

Charles hoffte, dass Alan im Gegensatz zu Mr. Lived überhaupt zu Haus war. Charles hatte diesen lange genug beobachtet, um zu wissen, dass das nicht der Fall sein musste, denn Mr. Stirling war jemand, der sich zu jeder möglichen Tages- und Nachtzeit irgendwo in der Stadt, vermutlich in Kneipen, herumtreiben konnte.
Voller Tatendrang nahm Charles immer zwei Stufen auf einmal, als er die Treppe hinauf zur Haustür stieg. Dann lagerte er die beiden Papiertüten, die er zuvor in seiner rechten Hand getragen hat, in seine linke um, klemmte sich die Zeitung, die er sich vorhin von einem halbwüchsigen Verkäufer, der ihn einfach nur ungläubig angestarrt hatte, besorgt hatte, ebenfalls unter seinen linken Arm und ballte dann seine freie Hand zur Faust, um energisch anzuklopfen.


Zuletzt von Umbra am Sa Mai 25 2013, 09:20 bearbeitet; insgesamt 2-mal bearbeitet
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Götterblut - Kapitel 2: Gut geplant ist halb gewonnen Empty Re: Götterblut - Kapitel 2: Gut geplant ist halb gewonnen

Beitrag von Darnamur Sa Okt 13 2012, 19:47

Randolph erwachte, als er sich schweißüberströmt auf dem Fußboden wand. Seine Augen tränten und sein Rücken, seine Beine und seine Schädel schmerzten und fühlten sich seltsam taub an. Es dauerte einen Augenblick, bis er die Besinnung wiederfand. Seine Hände umklammerten den neben ihm aufragenden Stuhl und er stemmte sich mit dessen Hilfe auf. Wann würde dies alles jemals enden? Nacht für Nacht dieselbe Tortur. Randolphs Finger tasteten nach seinen Streichhölzern, um sein Lämpchen erneut zu entzünden. Als das Licht den Raum durchflutete, musste er blinzeln.
Er drehte mühsam den Kopf und konnte sein abstoßendes Antlitz im Spiegel bewundern. Seine farblosen Augen waren wieder gerötet und das Haar klebte nass an seinem Schädel. Die Wangen waren eingefallen, die Haut weißlich. Plötzlich konnte Randolph den Anblick dieser abgemagerten Kreatur nicht mehr ertragen und er wandte sich ab. Was war gestern Abend geschehen? Hatte er nun vollkommen den Verstand verloren?
Er hatte ihnen gesagt, dass er seinen Vater umgebracht hatte? Er hatte Charles Norly, genannt Scarface, einem berüchtigtem Massenmörder Zuflucht geboten, weil er seine Taten bestritten hatten. Was war nur in ihn gefahren?
Müde starrte er auf seine altertümliche Uhr am linken Handgelenk. Es war halb sieben. So leise wie es ihm möglich war, sperrte der Doktor die Zimmertür auf und öffnete diese. Finsternis. Ein Schnarchen war zu hören. Charles, dachte er und seine Vermutung stellte sich als richtig heraus. Er konnte die Gestalt des Mannes in der Finsternis nicht ausmachen, aber offenbar war er ganz und gar in Schlaf versunken und seine Träume- sofern er welche hatte- schienen besser zu sein, als die des Doktors. Sanft schloss er die offen stehende Tür. Das kam ihm seltsam vor. Er hatte die Tür offen gelassen, aber eigentlich hätte Charles oder eine der Frauen sie doch schließen müssen. Mit einem Stirnrunzeln schloss er die Tür. Er merkte, das er geistig noch nicht ganz auf der Höhe war. Auch die Tür zum Esszimmer stand offen, wo immer noch ein halbes Dutzend leerer Flaschen auf dem Boden und der Eckbank lagen. Ein einzelnes Exemplar stand auf dem Tisch. Da Randolph nicht wusste, wie er die Zeit bis zum Morgen überbrücken sollte, machte er sich vorsichtig daran sie wegzuräumen. Als er damit fertig war, kehrte er in den Operationssaal zurück, nahm er sich wieder sein aktuelles Buch zur Hand, doch es bereitete ihm keine Freude und er hatte Mühe sich zu konzentrieren, da seine Gedanken beständig abschweiften. Also legte er seine Lektüre beiseite, hockte sich einfach nur hin und starrte dann und wann auf seine Uhr.
Um halb neun erwachte Randolph erneut, diesesmal nach einem traumlosen Schlaf, als er Geräusche hörte. Jemand ging im Haus umher. Das Knarzen der Treppenstufen. Dann herrschte Stille. Randolph wollte gerade die Türe öffnen, als er erneut gedämpft die Laute von Schritten an sein Ohr drangen. Es dauerte eine Weile, dann hörte er, wie die Haustür ins Schloss fiel. Der Doktor zog die Vorhänge ein wenig beiseite und spähte mit einem Auge hindurch. Es war Charles, der mit eiligen Schritten aus seinem Sichtfeld verschwand. Wohin trieb es den Mann? Randolph war versucht ihm hinterher zu schleichen. Stattdessen ging er ins Wohnzimmer, zu Norlys Schlafstätte, wo er dessen Nachricht fand. Wohin er gehen wollte, hatte er nicht aufgeschrieben. Die Damen schienen beide noch zu schlafen. Zumindest hörte er aus ihren Zimmern keine auffälligen Geräusche und er wollte nicht nachsehen. Stattdessen begann er damit den Koffer zu packen. Akribisch stopfte er Kleider in ihn hinein und alles weitere, was seine Mutter benötigen würde. Viel war es nicht. Im Grunde hätten ihr wahrscheinlich auch ein paar Schnapsflaschen gereicht. Nachdem Randolph dies erledigt hatte, machte er sich daran das Frühstück vorzubereiten. Er hatte sich als Gastgeber bislang ohnehin nicht mit Ruhm bekleckert. Außerdem konnte er nicht einfach so aufbrechen, er wollte es den beiden lieber zuvor noch mitteilen. Außerdem würde seine leibreizende Verwandschaft wohl nicht sehr erfreut reagieren, wenn er sie um diese Uhrzeit aufsuchte. Die Tremaines pflegten von jeher lange zu schlafen. Randolph reichten ein paar Stunden.
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Götterblut - Kapitel 2: Gut geplant ist halb gewonnen Empty Re: Götterblut - Kapitel 2: Gut geplant ist halb gewonnen

Beitrag von Elli Mo Okt 15 2012, 16:12

Die sanften Sonnenstrahlen, die durch die zerschlissene schienen, weckten Melinda, als sie langsam über ihr Gesicht überwanderten. Bevor sie richtig zu sich kam, streckte und reckte sie sich ausgiebig und öffnete dann blinzelnd die Augen. Staubpartikel tanzten im trägen Sonnenlicht vor ihren Augen, bis sie es schaffte ihren immer noch müden Körper aufzusetzen. Sie blieb auf der Bettkante sitzen und stütze ihren Kopf während sie sich schlaftrunken umsah. Johanna bewegte sich nicht und Melinda überlegte kurz ob sie sich wecken sollte, unterdessen sie sich ihr Kleid überstreifte. Das Bett in dem sie genächtigt hatte, war im Gegensatz zu ihrem eigenen geradezu luxuriös, dennoch hatte sie nicht allzu gut geschlafen, dass ihr die übliche Dosis Alkohol fehlte hatte sich bemerkt gemacht. Nur unter ständigem Zittern hatte sie es irgendwann geschafft einzuschlafen, Schafe zählen wie es die reichen Menschen ihren Kindern beibrachten, hatte Melinda noch nie begeistern können, lieber zählte sie die Pence in ihre Tasche. Wieder barfuß öffnete sie leise die Tür und stahl sich in den Flur. Am der Treppe blieb sie stehen und lauschte. Sie hörte Schritte, die sie der Küche zuordnete und das leise Klirren von Flaschen die sanft aneinander schlugen. Ansonsten lag das Haus still und ruhig da. Sich nun unten umzusehen, wäre also keine gute Idee gewesen, also beschränkte sie sich erst einmal darauf das obere Stockwerk zu erkunden. Schließlich wollte man ja wissen wo man sich aufhielt. In dem Flur gab es drei Türen, aus einer war sie gerade herausgeschlüpft. Leise näherte sie sich der anderen und drückte den Riegel so sanft wie möglich nach unten. Doch die Tür gab nicht nach. Genervt verdrehte Melinda die Augen. Wie oft war sie schon in feudal eingerichteten Häusern aufgewacht mit dem Gedanken sich einmal umzusehen und sich möglicherweise für ihre Arbeit einen gerechnet Lohn zu holen und war an geschlossenen Türen gescheitert. Vielleicht die andere Tür? Tatsächlich öffnete sich die Tür nach leichtem Druck und Melinda spähte hinein. Im Halbdunkeln lag eine Treppe vor ihr die nach oben führte, das sah nach Dachboden aus. Meist gab es auf Dachböden jedoch nichts interessantes zu finden, außer Staub, Tauben und Liebesbriefe die sich in Wohlgefallen auflösten. Ein Blick würde nicht schaden. Auf Zehenspitzen erklomm sie die wackeligen Stiegen die nach oben führten und hinterließ den Abdruck ihrer Füße auf dem Boden. Der Staub hier oben war allgegenwärtig und Melinda musste sich die Nase zuhalten um nicht los zu niesen. Sie hatte sich schnell einen Überblick über den kleinen, unordentlichen Raum geschaffen. Einige Kisten standen hier oben, zugedeckt mit mottenzerfressen Stoffen, deren Farbe nicht mehr identifizierbar war. Ein kaputter Stuhl hier, dort ein umgedrehter Tisch mit nur noch zwei abgeknickten Beinen. Überall lagen und standen leere Flaschen, in denen sich das seichte Licht, dass durch das kleine Dachfenster fiel, brach, sofern die Flaschen nicht mit fingerdickem Staub überzogen waren. Hier oben schien sich seit Monaten oder gar Jahren niemand mehr aufgehalten zu haben. Melinda zupfte ein Stück Tuch von einer Kistenburg und blickte in den darunter befindlichen Pappkarton. Sie blickte auf einen Schädel, der ihr ein schelmisches Grinsen zuwarf. Doch verwunderlicher Weise erschrak sie nicht einmal, wenn sie ehrlich zu sich war, hatte sie bei einem Arzt wesentlich schlimmeres vermutet, obwohl das natürlich noch in anderen Kisten warten mochte. Sie blickte den kahlen Schädel an und fragte sich wer das einst gewesen sein mochte. Obwohl der Mann, dessen Leben sie ausgehaucht hatte unter seinem Gesicht auch so ausgesehen haben mochte? Bilder zogen vor ihrem inneren Auge vorbei. Und wo war überhaupt die Nase an diesem Kopf hier? Melinda beschloss Randolph danach zu fragen. Irgendwo im Haus klapperte eine Tür und Melinda schrak aus ihrem Trancezustand auf. Sie zog das Tuch so gut es ging zurück und kehrte zu der Treppe zurück. Beim hinuntergehen wischte sie ihre Fußspuren so gut es möglich war mit ihrem Rocksaum fort. Die Luft anhaltend schloss sie die Tür wieder und klopfte energisch den Staub aus ihrem Kleid. Sie ging zurück in das Zimmer in dem sie die Nacht verbracht hatte und schlüpfte in ihre Stiefel. Beim vorbeigehen berührte sie Johanna leicht an der Schulter. "Ich gehe nach unten.", sie wusste nicht ob sie es mitbekommen hatte, da sie den Raum schnell verließ. Die ging die Treppe hinab ins Wohnzimmer, niemand hielt sich dort auf. Sie sah einen Zettel den sie nur unter großer Anstrengung schaffte zu lesen und zum unzähligsten Male darüber ärgerte nie besser lesen gelernt zu haben. Sie ging weiter zur Küche und traf dort auf Randolph. Sie lächelte ihm zaghaft zu bevor sie auf einem Stuhl Platz nahm und ihn ansah. "Guten Morgen, Randolph. Ich schätze es sind ein paar klärende Worte nötig. Ich möchte mich noch einmal entschuldigen, dass ich dich diese Nacht so überfallen habe, gerade mit Mr. Norly im Gepäck. Ich danke dir wirklich sehr, dass du uns geholfen hast. Sofern es mir möglich ist mich in irgendeiner Weise dafür erkenntlich zu zeigen, lass es mich wissen. Allerdings muss ich sagen, dass es mich doch ein wenig gestört hat, dass du denkst ich tauche mit einem Massenmörder auf, der dir nach dem Leben trachtet. Ich dachte wir seien so etwas wie Freunde…oder etwas in der Art zumindest. Nun, das war wohl mein Fehler." leise tippte sie mit dem Fingernagel gegen eine Tasse die auf dem Tisch stand und warte gespannt was er sagen würde, fast konnte sie es schon denken.
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Götterblut - Kapitel 2: Gut geplant ist halb gewonnen Empty Re: Götterblut - Kapitel 2: Gut geplant ist halb gewonnen

Beitrag von Darnamur Mo Okt 15 2012, 19:55

Randolph blickte Melinda über den Rand seiner Teetasse an. Er reagierte weder auf ihre Begrüßung, noch auf ihre Dankbarkeit. Vermutlich interessierte es Melinda auch wenig. Was will sie von mir?, dachte der Doktor finster. Das hatten sie dich alles schon gehabt. Aber doch schmerzten ihre letzten Worte. Nun, das war wohl mein Fehler... "Ich habe nicht gewusst, dass ich noch einen Freund habe", hätte er sagen können. "Es tut mir Leid, dein Vertrauen enttäuscht zu haben! Ich bitte dich inständig, mir zu vergeben!" Natürlich tat Randolph nichts dergleichen. Sie ist es, die mich nicht ins Vertrauen gezogen hat. Hätte sie mich gleich ins Vertrauen gezogen, wen ich vor mir habe, wäre die Situation nicht eskaliert. Nein, ich werde jetzt nicht zu ihr zurückgekrochen kommen. Seine Finger, die den Henkel umklammerten ,verkrampften sich. Und außerdem lügt sie... Randolph Tremaine... hat keine Freunde. Ich weiß genau, was du von mir willst. Meinen Alkohol, mein Laudanum und meine ärztliche Hilfe. Vielleicht mochten Melinda und auch Norly ganz nett sein, aber sie waren nicht seine Freunde. Freunde würden außerdem nicht in seinen alten Wunden herumstochern. "Das stimmt wohl!", sagte er also verbittert und fügte schließlich noch widerwillig hinzu: "Das dachte ich auch! Aber dann wissen wir ja nun, woran wir sind!"
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Götterblut - Kapitel 2: Gut geplant ist halb gewonnen Empty Re: Götterblut - Kapitel 2: Gut geplant ist halb gewonnen

Beitrag von Elli Di Okt 16 2012, 11:07

Verärgert schnaubte Melinda Luft aus ihrer Nase. "Wir wissen nun also, woran wir sind? Es hat den Anschein, du hättest diesen Entschluss wesentlich früher gefasst als ich. Aber du wunderst dich sicher nicht darüber, schließlich bin ich ja nur, wie sagtest du es so schön, Gesindel. Doch eins sei dir gesagt: Erwarte nicht, dass man dich mit Samthandschuhen anfasst, wenn du selbst die Peitsche auspackst." Sie war wütend, aber hatte keine Lust, sich weiter aufzuregen. Also griff sie zu der Tasse und trank einen Schluck von dem schwarzen Tee, der Schlieren ziehend in dem kalten Porzellan abkühlte. Der Tee war bitter und sie verzog das Gesicht ein wenig, obwohl ganz London, ja, ganz England, große Tee-Freunde waren, hatte sie persönlich das nie verstanden. Aber wenigstens wurde man davon wach. Sie stellte die Tasse leise klappernd wieder auf den Tisch und warf einige Blicke durch die Küche. Sie konnte sich nicht erinnern, jemals hier gewesen zu sein, immer nur in dem Zimmer, in dem Randolph sie versorgt hatte, oder im Flur davor, darauf bangend, eine Freundin wieder lebend aus dem Operationssaal kommen zu sehen. "Wie machen wir nun also weiter? Muss ich mir einen neuen Arzt suchen? Vermutlich schon, was. Du scheinst nicht sehr erpicht darauf zu sein, dich weiter mit mir abgeben zu müssen. Ich kann auch gerne vor der Türe auf Norly warten, wenn es dir lieber ist. Schließlich möchte ich nicht, dass du dich mit einer wie mir umgeben musst." Sie wusste, dass sie provozierte, aber ihr reichte das Selbstmitleid, in dem sich der Arzt zu befinden schien.
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Beitrag von Darnamur Di Okt 16 2012, 16:11

Randolph ließ sich von ihr nicht provozieren und nahm einen tiefen Schluck aus seinem Tee: "Das ist ein überaus großzügiges Angebot", witzelte Randolph. "Ich mache aber keine Unterschiede zwischen meinen Patienten! Solltest du Hilfe benötigen, werde ich sie dir gewähren! Wenn du dir einen anderen Doktor suchen willst - tu dir keinen Zwang an."
Er dachte kurz nach. Nein, so konnte er es nicht belassen. Es war an der Zeit, dass sich ihr Verhältnis klärte: "Vielleicht ist es dir immer noch nicht ganz klar, Melinda! Aber ich bin nicht mehr der Mann für den du mich hältst, der schüchterne Arzt, der gerne Witze macht und zurückhaltend lächelt. Vielleicht denkst du, dass ich das in Wirklichkeit noch immer bin, aber das stimmt nicht. Du kennst mich nicht und auch ich erkenne dich nicht mehr! Deshalb glaube ich auch nicht, dass wir Freunde sein können. Wenn du - wie du gesagt hast - zur Peitsche greifst, dann hast du jedes Recht dazu. Mit der Bezeichnung "Gesindel" wollte ich im Übrigen niemanden beleidigen, es sollte ein schlechter Witz sein! Aber das spielt, denke ich, keine Rolle mehr!
Ich bin nicht dein Freund. Und ich bin auch nicht der Freund deiner Freunde, die bei mir mitten in der Nacht aufkreuzen. Ihr habt mich nicht eingeweiht, obwohl dabei das Leben meiner Mutter... und mein eigenes in Gefahr gebracht worden sind! Ich werde euch in diesem Haus dulden, weil ich nicht glaube, dass Mr. Norly ein Massenmörder ist, aber macht nicht den Fehler, mich als euren Komplizen mitanzusehen. Wenn du mir den Vorwurf machst, dir gegenüber kein Vertrauen gehabt zu haben, dann kann ich dir genau dasselbe vorwerfen! Also mach, was du willst, und kämpfe, wenn du willst mit deinen Freunden gegen Scotland Yard, sofern das euer Ziel ist. Wie ich mitgekriegt habe, seid ihr ja bereits dezimiert worden. Lange wird es sicher nicht dauern, bis ihr alle sterbt, so wie dieser Hyde. Aber bitte, das ist eure Entscheidung: Folgt eurem Pazifisten-Scarface, was auch immer er vorhat.
Wenn ihr am Ende alle tot seid, wird mir sicher keiner vorwerfen, meine chirurgischen Pflichten vernachlässigt zu haben!"

Er nahm einen letzten Schluck seines Tees, um seine Kehle zu lockern. Dann setzte er die leere Tasse vorsichtig ab.
"Ich werde, nachdem ich gegessen habe, meine Mutter zu unseren liebreizenden Verwandten bringen. Hier ist es zu gefährlich. Ich fühle mich für sie verantwortlich, weil ich an ihrem schlechten Zustand schuld bin. Sie sollte nicht hier in der Gefahrenzone sein! Ich werde dann gegen Mittag zurückkehren!"
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Beitrag von Druzil Mi Okt 17 2012, 09:05

Alans Morgen war von Schlaftrunkenheit und Erinnerungen an wirre Träume geprägt. Die Nacht war kurz gewesen, anstrengend und so aufwühlend, wie kaum eine vorher.
Er hatte es sich an dem alten Holztisch im Wohnbereich bequem gemacht und liess seine Finger über die feinen Schnitzerein am Rand der wuchtigen Platte gleiten. Der Tisch selber, der problemlos Platz für eine Großfamilie bot, war von Kratzern, Krümeln und kleinen Unrathaufen übersät. Der dunkelrote Teppich unter seinen Füssen war fleckig und von schwarzen Glutlöchern durchzogen.
Alan hatte sich gerade einen Tee aufgegossen, mehr aus Gewohnheit, denn weil er ihm schmeckte, und ihn mit einem guten Schuss Rum versetzt. Er nippte vorsichtig an der dampfenden Flüssigkeit. Warum kam er nur jeden Morgen auf die dämliche Idee Rum mit Tee zu verwässern? Alan seufzte. Nach dem Aufstehen schon puren Schnaps zu trinken... So weit war er noch nicht und er hatte nicht vor es dazu kommen zu lassen. Also trank Alan seinen Tee und dachte nach. Norly, Mr. C., Revolution,... Alan hatte das Gefühl, dass noch andere Kräfte ihre Finger in diesem Spiel hatten, dass es weitere Spieler gab und geben wird, von denen er jetzt noch nichts ahnte. Wer würde sich an einem Umsturz beteiligen und in welcher Form? Wer würde seinen Nutzen daraus ziehen wollen und wer gegen sie arbeiten? Was hatten sie eigentlich vor zu tun?
Es klopfte an der Tür und Alan schreckte hoch.
Verflucht! Waren schon die Bullen hinter ihm her? Alan schüttelte den Kopf. Ausgeschlossen. Die würden nicht anklopfen. Er erhob sich mühsam und machte sich auf das Wohnzimmer zu durchqueren und in die Vorhalle zu schlurfen. Der Mamorboden hier hatte schon bessere Tage gesehen. Er war zerkratzt, dreckig und rissig.
Alan öffnete einen Flügel der Tür und blickte in Norlys Gesicht.
"Verflucht Norly, sie Irrer!"
Alan griff nach Norlys Mantel um ihn rasch ins Innere zu ziehen.
"Sind Sie komplett verrückt hier aufzutauchen?", keuchte Alan überrascht.
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Beitrag von Elli Mi Okt 17 2012, 11:21

Der 'Sturm' der von Randolph über sie hereinbrach, ließ Melinda still über sich ergehen. Sie war es schließlich gewöhnt von Männern und auch von Frauen angepampt zu werden. Allerdings nahm sie Anfeindungen solcher Art normalerweise durch einen angenehmen Alkoholschleier war und nicht so deutlich und bewusst sie jetzt. Sie führte ihre rechte Hand zur Nasenwurzel und drückte diese, bis ihr Sterne vor den Augen tanzten. Sie seufzte auf und dachte über seine Worte nach. “Zeit verändert alles nicht wahr?“ Es stimmte sicher, er war nicht mehr der Mann den sie kannte, aber sie war auch nicht mehr das Mädchen das er einst kannte. “Randolph wenn ich dir nicht vertrauen würde, wäre ich wohl kaum mitten in der Nacht hier aufgetaucht, noch hätte ich mich seelenruhig hier zum Schlafen niedergelassen. Es tut mir aufrichtig leid, dass ich dich und deine Mutter damit in Gefahr gebracht habe. Aber wie du schon sagtest, wir sind keine Freunde. Das sehe ich jetzt auch so. Schade. Ich sah dich immer gerne als Freund an.“ Melinda trank ihren Tee aus und erhob sich. Jaja, das war er also der letzte Freund der Hure. Hast du es auch erfolgreich geschafft diesen zu vergraulen! Aber das muss man eben sagen, wer will schon eine Hure als Freundin. Huren sind für ganz andere Zwecke da. Du hast dir das selbst ausgesucht! Niemand mehr da in ganz London auf den du dich verlassen kannst. Nicht mal auf dich selbst, weil, hihi, ich ja noch da bin. Am liebsten hätte Melinda schreiend ihrer eigenen Stimme geantwortet. Aber da sie sich noch im Raum mit Randolph befand, unterließ sie das lieber “Ehrlich gesagt verstehe ich nicht, weshalb du deine Mutter hier wegschaffen willst. Sobald Norly wieder auftaucht, werden wir verschwinden. Da ich ja ohnehin nicht erwünscht bin und du mir offensichtlich nicht traust…aber vielleicht ist es besser so. Mitgegangen, mitgefangen, mitgehangen. Das sagt man doch so. Das war keine Drohung, versteh mich nicht falsch. Auch wenn du es nicht in Erwägung ziehst, mir könntest du trauen.“


Zuletzt von Elli am Mo Okt 22 2012, 09:24 bearbeitet; insgesamt 1-mal bearbeitet
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Beitrag von Darnamur Mi Okt 17 2012, 14:20

"Und du kannst mir insofern trauen, das ich nicht zu Scotland Yard gehen werde", verkündete Randolph. "Und meine Mutter werde ich trotzdem wegbringen. Es ist durchaus nicht unwahrscheinlich, das irgendjemand gesehen hat, wie ihr hierhergekommen seid. Wenn schon keine Polizisten, dann vielleicht Zivilisten. Möglicherweise haben sie Geräusche auf der Straße gehört und dann durch ihre Fenster gespäht: Und dann sahen sie zwei Frauen und einen Mann, die um späte Uhrzeit mein Haus aufgesucht haben. Außerdem wirst du gesucht, wenn ich das gestern richtig verstanden haben. Nein, bei meinen Verwandten ist meine Mutter sicher besser aufgehoben.
Außerdem...wenn ich vielleicht schon bald in einem Grab liege, will ich sie nicht hier zurücklassen!"

Er nahm seine Tasse und trug sie in die Küche. Als er zu Melinda zurückkehrte hatte er einen schwarzen perfekt sitzenden Anzug an und hielt seinen kleinen schwarzen Zylinder in der Rechten. "Ich breche jetzt auf und werde hoffentlich zurück sein, wenn Mr. Norly hier ankommt. Kümmer dich bitte um Ms. Stead in der Zwischenzeit. Das Gewehr liegt noch in der Kommode, wenn ihr euch verstecken müsst klettert auf den Dachboden. Dort gibt es eine hohle Wand, hinter der es relativ eng ist, aber es ist ein gutes Versteck. Ich habe es als kleines Kind entdeckt."
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Beitrag von Umbra Mi Okt 17 2012, 23:53

„Auch Ihnen einen guten Morgen, Alan“, wünschte Charles unbeirrt lächelnd, nachdem dieser hastig die Tür hinter ihm geschlossen hatte. Dann wurde sein Gesicht jedoch ernster, denn Mr. Stirling stieß mit seinem Atem den Geruch von Alkohol aus und dieses Mal glaubte Charles, die Sorte unverwechselbar zuordnen zu können.
„Haben Sie schon wieder getrunken oder beschäftigen Sie sich seit gestern Abend damit? Rum, nicht wahr? Das sollten Sie sich dringend abgewöhnen, mein Freund, bevor Sie sich Ihren Verstand damit vollkommen ruiniert haben“, riet Charles im gutmütigen Ton.
Dann war es an der Zeit, zum eigentlichen Thema zu kommen, das er mit Alan besprechen wollte.
„Komplett verrückt wäre es eher gewesen, nicht hier aufzutauchen, nach dem, was letzte Nacht alles passiert ist“, begann er und tat Alans Worte, der es anscheinend schon wieder nicht lassen konnte, ihn für unzurechnungsfähig zu erklären, mit einem Schulterzucken ab.
„Ich muss zugeben, ich habe mich etwas verschätzt, was meine Situation betrifft, und bin von daher froh, Sie in einem Stück zu sehen. Dass es zu Explosionen, Schießereien und Morden kommt, wenn ich in Reichweite bin, und das in so kurzer Folge, kann kein Zufall sein. Ich glaube sowieso nicht an Zufälle. Irgendjemand verfolgt mich, das ist mir nun eindeutig klar, und dieser jemand will anscheinend verhindern, dass wir zusammenarbeiten. Ich vermute zumindest, dass man mir damit bedeuten will, dass Ihre Entführung ein Fehler war. Es war wirklich ein Fehler, das sehe ich ein. Es tut mir leid, aber das lässt sich nun nicht mehr rückgängig machen. Mr. Hyde hat das schon zu spüren bekommen.“
Und nicht nur er.
Aber das würde Charles an anderer Stelle erwähnen. Er selbst musste noch zur Ruhe kommen und verarbeiten, was er alles über die Geschehnisse der letzten Nacht an diesem Morgen gehört hatte. Gewissheit zu suchen, bevor er aufgeschnappten Gerüchten Glauben schenkte, war auf jeden Fall ratsam. Ein weiterer Mord nach dem Scarface-Schema. Ausgerechnet. Charles ahnte, dass es stimmte, was man sich erzählte: Edward Tilling, Ed, der Kutscher, dessen Wagen Charles sich „geborgt“ hatte, war zum vierzehnten Opfer dieser irrsinnigen Mordserie geworden. Es musste geschehen sein, nachdem Charles seine Gäste in Hills Haus und dann die Kutsche zurück zu ihrem Standort gebracht hatte.
Da hat er noch gelebt. Zwar habe ich ihm übel mitgespielt, aber daran hätte er sich vermutlich noch nicht einmal erinnert. Selbst wenn, hätte er es mir sicher verziehen. Schließlich wollte ich ihn mit der Betäubung auch schützen, das hätte er bestimmt eingesehen. Doch stattdessen habe ich wohl das Gegenteil damit bewirkt.
Das würde für Charles, neben der Strafverfolgung, vielleicht noch ernste, persönliche Konsequenzen haben, ahnte er. Aber vor Allem war es seine Schuld. Er hatte nicht aufgepasst und nun hatte der Mann, der ihm – wenn auch unfreiwillig – einen Gefallen erwiesen hatte, auf grausame Weise das Ende finden müssen. Es war eine Warnung, für ihn selbst… und für andere.
Wer mir hilft, ist des Todes. Ist es das, was der Mörder damit sagen will? Bisher hat man nur Opfer aufgeschlitzt, zu denen ich keinen Kontakt gehabt habe. Will dieser Mistkerl allen damit zeigen, dass ich selbst vor Mord an Freunden nicht zurückschrecken würde?
Dieser Gedanke nagte an Charles, im Inneren, dort, wo niemand es sah. Er musste es den anderen sagen, möglichst bald. Er musste das richtig stellen. Das war nur gerecht – außerdem wollte er nicht, dass man so über ihn dachte.
Als sei es noch nicht schlimm genug, dass man mich überhaupt für ein blutrünstiges Monster hält!
„Ein Bauchschuss aus dem Hinterhalt, aber er wird es wahrscheinlich überleben“, erzählte Charles im Plauderton weiter, nachdem ihm bewusst geworden war, dass er in seiner Rede einen kurzen Moment gestockt hatte, und schob sich mit einer Selbstverständlichkeit an Alan vorbei, als würde er hier nicht Gast sein, sondern das Haus ihm gehören.
„Ich habe mich vorhin mit ihm unterhalten und ihm dazu geraten, Polizeischutz zu beantragen. Vor mir, ironischerweise, aber so wird Hill persönlich sich bemühen, ihm fähige Männer an die Seite zu stellen, die ihn hoffentlich vor weiteren Übergriffen beschützen.“
Charles seufzte.
„Ich will nicht lange darum herumreden, Alan: Ich habe Sie durch meine Kontaktaufnahme in ernsthafte Gefahr gebracht. Dass die Polizei Sie mit mir zusammen sehen könnte, dürfte nun leider Ihre geringste Sorge sein. Vielmehr möchte ich Sie nun bitten, zu Ihrer eigenen Sicherheit in meiner Nähe zu bleiben.“
Während er geredet hatte, war er zielsicher, denn er hatte sich bereits vor einiger Zeit hier umgesehen, in den Wohnraum getreten und hatte seine Einkaufstüten an ein Bein des schweren Tisches gelehnt, der dort stand.
Nun wischte Charles mit der Hand über eine etwas schmutzige Stelle auf der Tischplatte, um dort gefahrlos seinen Zylinder ablegen zu können, und zog sich danach einen Stuhl heran. Gelassen machte er es sich darauf bequem.
„Ich habe gesagt, dass ich Sie beschützen werde, und ich stehe zu meinem Wort. Aus keinem anderen Grund bin ich hier. Wenn ich das nicht für absolut wichtig und notwendig halten würde, hätte ich auf unser Wiedersehen bis Mittwoch gewartet. Aber ich muss gewährleisten, dass Sie unversehrt bleiben. Also wollen wir keine Zeit verlieren.“
Er musterte Alan mit einem kurzen, kritischen Blick von oben bis unten und begann dann, seine Times zu entfalten.
„Packen Sie Ihre Sachen und ziehen Sie sich etwas Vorzeigbares an. Es reicht ja schon, dass ich auf der Straße auffalle.“
Charles hatte vor, solange hier auf dem Stuhl zu warten, bis Alan sich zum Aufbruch bereit gemacht hatte.
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Beitrag von Druzil Do Okt 18 2012, 10:01

Alan ignorierte die belehrenden Wortes seines Gastes, in Bezug auf seinen Frühstücksrum und folgte ihm in den Wohnbereich. Als Norly geendet hatte liess sich Alan auf einen der Stühle sinken.
"Ein Bauchschuss, sagen Sie? Um Gottes Willen."
Diese Nachricht musste er erstmal verdauern. In was für einen Irrsinn hatte sie dieser Geisteskranke nur manövriert? Alan nahm einen tiefen Schluck aus seiner Tasse und spührte die wohltuende Schwere des Rums auf seiner Zunge und ihre beruhigende Wirkung auf seinen Geist. Die Explosion liess er unerwähnt.
"Sie sagen selber, dass ihre "Kontaktaufname" einen jeden von uns in Gefahr bringt und dann tauchen Sie auch noch hier auf? Und fordern, dass ich mit Ihnen komme? Sind Sie denn von allen guten Geistern verlassen? Wohin wollen Sie uns denn dieses mal verschleppen? In Hills Lieblingsbordell?" Alan trank einen weiteren Schluck und verfluchte erneut den Tee, der den guten Rum verwässerte.
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Beitrag von Umbra Fr Okt 19 2012, 17:40

Warum musste Alan die Situation komplizierter machen als sie sowieso schon war? Charles verstand, dass Mr. Stirling auf sein unerwartetes Auftauchen alarmiert reagiert hatte und noch immer ungehalten war, aber dafür hatte er keine Geduld. Nicht nur die Zeit saß ihm im Nacken.
Seufzend Charles rieb sich die Stelle des Kopfverbandes, unter dem seine Wunde während seiner Flucht aus dem Krankenhaus wieder begonnen hatte, zu pochen, und Charles nun schon wieder mit einem unangenehmen Druckgefühl störte.
„Nein, nein, Hill ist im Moment völlig unwichtig. Wenn die Zeit gekommen ist, werde ich mich um ihn kümmern, aber nun geht es mir darum, Sie in Sicherheit zu wissen, Alan“, murmelte er, bevor er seine Hand wieder herunternahm und Blickkontakt zu seinem Gesprächspartner suchte.
„Man hat mich gestern verfolgt, wahrscheinlich, denn anders machen die Ereignisse letzter Nacht keinen Sinn. Das bedeutet, dass man Sie und mit mir zusammen gesehen hat. Es ist zu spät, um nun vorzutäuschen, dass wir uns nie begegnet seien, und auch, um Ihr Leben ungestört weiterleben zu können“, stellte Charles geknickt klar. Zu viel war in so kurzer Zeit geschehen, als dass für ihn auch nur ein Zweifel an seinen Worten bestand.
„Sie werden nicht unbehelligt bleiben, da bin ich mir sicher, denn wer auch immer das Attentat auf Mr. Hyde verübt hat, wird vermutlich auch nicht davor zurückschrecken, Sie ins Visier zu nehmen – selbst wenn Sie nichts mehr mit mir zu tun haben wollen.“
Plötzlich fühlte Charles sich von einer verärgerten Aufgewühltheit ergriffen und das spiegelte sich in seiner Stimme wieder.
„Bei dieser Angelegenheit geht es nicht um Sie, verstehen Sie?“, schnaubte er düster. Charles hatte darüber nachgedacht und war zu diesem Schluss gekommen.
„Das ist ein grausames Spiel und neuer Weg, um mich zu quälen! Anstatt nun irgendwelche armen Leute in meinem Namen abzuschlachten, die ich überhaupt nicht kenne, sind nun diejenigen an der Reihe, die mir nahe stehen… Oder zumindest näher als andere.
Mr. Stirling“
, sprach Charles diesen eindringlich an, „ich werde schuld sein, wenn Sie bald zu den Opfern gehören, die zu Schaden kommen oder abgestochen werden – nur weil ich mit Ihnen geredet habe! Ich denke, das wäre genauso wenig in Ihrem Sinne wie in meinem.
Ich werde Sie nicht verschleppen, denn von Entführungen und dergleichen habe ich nun wahrlich genug. Ich bitte Sie einfach, Vernunft anzunehmen, und freiwillig mit mir mitzukommen. Sie sind sicherer, wenn Sie nicht alleine durch die Gegend streifen, und ich denke, ich kann Sie in diesem Fall am besten beschützen. Als ich gestern sagte, es sei Ihre Entscheidung, ob Sie mich begleiten wollen oder nicht, meinte ich das vollkommen ernst, aber unter den Umständen, die sich nun offengelegt haben, würde ein Rückzug Ihrerseits ein nicht vertretbares Risiko bedeuten.
Es tut mir wirklich unendlich leid; wenn Sie mir schon sonst nichts glauben, dann zumindest das. Aber was geschehen ist, ist geschehen.
Bitte zögern Sie es nun nicht hinaus, Alan, ich will nicht länger als nötig hier verweilen. Machen Sie, was ich Ihnen gesagt habe: Packen Sie das ein, was Sie mitnehmen wollen, und vergessen Sie dabei Ihren Revolver nicht, ziehen Sie sich etwas Ordentliches an und versuchen Sie, sich ein bisschen zusammenzureißen. Es ist schwer, kein Blickfang zu sein, wenn man eine Narbe im Gesicht und einen Verband um die Stirn trägt, aber erst recht, wenn man in Begleitung eines Mannes ist, der wie ein Landstreicher aussieht und wie eine Schnapsbrennerei riecht. Wir haben ein gutes Stück Weg vor uns, da können wir es uns nicht leisten, nachlässig zu sein.
Ich werde hier auf Sie warten.“

Nun hatte Charles ausgesprochen, was er zuvor nur angedeutet hatte. Hoffentlich würde das reichen, denn er hatte jetzt schon wieder Kopfschmerzen. Stirnrunzelnd und innerlich fluchend, wandte er seinen Blick von Alan ab und widmete sich nun konzentriert seiner Zeitung. Aber eigentlich war es die Abendausgabe, die er kaum erwarten konnte. Wahrscheinlich würde Charles wieder irgendetwas über sich zu lesen bekommen, das ihm selbst fremd war. Auch in diesem Blatt mochte sich vermutlich ein Artikel über ihn finden, aber letzte Nacht war das Chaos erst nach dem allgemein üblichen Redaktionsschluss ausgebrochen – und das konnte für die Journalisten Londons nur gefundenes Fressen sein.
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Beitrag von Druzil Fr Okt 19 2012, 19:07

"Ach ja, natürlich.", pampte Alan zurück, dem Norlys Stimmungsschwankung gar nicht behagte.
"Die ganze Welt dreht sich ausschliesslich um Sie. Norly, wissen Sie...? Ach lassen wir das. Was haben Sie diesen Leuten eigentlich getan? Wenn Sie behaupten, kein Mörder zu sein und Ihre Taten nicht begangen zu haben, wer war es dann und warum?", hakte Alan nach, doch seine Worte bestärkten nur die Annahme, dass Norly ein Verrückter war.
Seine ganze Geschichte schrie doch förmlich nach Irrsinn.
"Also gut, ich werde ein paar Sachen packen, auch wenn ich Ihren Verfolgungswahn nicht teile. Aber ich erwarte eine Antwort, bevor ich mit Ihnen durch die Strassen ziehe und mich dadurch erst in Gefahr bringe."
Alan machte sich auf, einige Dinge zusammenzusuchen.
"Nehmen Sie sich ruhig etwas Tee, solange ich am Packen bin", rief er noch aus dem Nebenzimmer und verschwand dann in die obere Etage, um sich neu einzukleiden.

Wenige Minuten später hatte sich Alan einigermassen hergerichtet und stand, mit einem fleckigen Seesack über der Schulter, wieder im Wohnzimmer.
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Beitrag von Scáth Sa Okt 20 2012, 19:12

Als Johanna aufwachte, befand sie sich noch am selben Platz, an dem sie sich schlafen gelegt hatte. Es war also doch kein Traum gewesen, obwohl sie sich das zuletzt noch gewünscht hatte. Etwas zerknirscht stieg sie aus dem Bett. Sie war alleine im Zimmer, vermutlich waren alle anderen schon längst hellwach, nur sie war die Letzte. Seltsam eigentlich, denn sie war es durch ihren Beruf gewohnt, recht früh aufzustehen. Johanna lief die Treppen hinunter und folgte dem Stimmgewirr. Es dauerte nicht lange, bis sie Melinda und Randolph fand. Beide sahen leicht angespannt aus und Johanna hoffte, dass nichts Schlimmes geschehen war.
"Guten Morgen.", sprach sie und war anfänglich selbst über ihre gut gelaunt klingende Stimme überrascht. "Sie wollen uns schon verlassen, Dr. Tremaine?", fragte sie den Arzt, und blickte dabei auf dessen Anzug und den Zylinder. "Ich hoffe doch, es ist nichts vorgefallen."
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Beitrag von Darnamur Sa Okt 20 2012, 20:22

Randolph blickte sich überrascht über die Schulter, als er Ms. Steads Stimme hörte. Insgesamt fiel ihm auf, dass sie selbstbewusster wirkte als noch am vorherigen Abend. Aber er war müde gewesen - noch mehr als jetzt und sie hatte nur wenig gesagt. Vielleicht war es eine Fehleinschätzung gewesen, sie einfach als naiv abzustempeln. "Nein, nichts Besonderes", behauptete Randolph. Er sah keinen Grund, warum er diese Frau in sein Gespräch mit Melinda einweihen sollte. "Achja...", fügte er dann noch hinzu. "Mr. Norly ist zwischenzeitlich verschwunden und hat uns eine ominöse Nachricht hinterlassen. Aber darüber sollten wir uns keine Sorgen machen. Schließlich ist er einer von Londons angesehensten Bürgern! Und mit Sicherheit wird ihn niemand sehen und für verdächtig halten, wenn er tagsüber durch irgendwelche Gassen schleicht und zu meiner Praxis zurückkehrt. Und selbst, wenn er eine Auseinandersetzung mit ein paar Bobbies riskiert: Wen juckt das schon? Schließlich muss er ja körperlich topfit sein, wenn er meinen Rat bezüglich seiner Kopfverletzung keine Beachtung schenkt!" Randolph endete und setzte sich mit einer schwungvollen Bewegung den Zylinder auf, sein Gesicht hatte sich zu einer abfälligen Grimasse verzogen. Er wusste, dass er es übertrieben hatte, aber im Moment war ihm das relativ egal. Im Grunde hatte er nicht einmal etwas gegen Norlys Ausflug auszusetzen. Wäre er noch da gewesen, hätte Randolph die Praxis sicherlich nicht verlassen.
"Um noch einmal auf ihre Frage zurückzukommen: Ja, ich werde gehen. Aber hoffentlich bin ich bald wieder zurück. Das Gewehr in der Kommode ist bereits geladen, sollte es zum Ernstfall kommen und im Dachboden gibt es ein Versteck. Ich habe Melinda bereits eingeweiht. Aber nun könnt ihr erst einmal in Ruhe essen! Gibt es noch etwas, das ihr wissen wollt, oder kann ich schon aufbrechen?"
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Beitrag von Umbra So Okt 21 2012, 18:15

Charles erkannte, dass er erreicht hatte, was er hatte erreichen wollen, auch wenn er Mr. Stirlings Worte mit kritischem Schweigen verfolgt hatte. Alan hatte nachgegeben und würde mitkommen – widerwillig, aber das Ergebnis zählte.
„Danke“, antwortete Charles, als sein Gastgeber ihm Tee anbot, jedoch rührte er sich nicht, um sich etwas einzuschenken. Er verabscheute Tee und das hatte eigentlich nichts mit dem Geschmack zu tun. Mit genug Milch und vielleicht auch Zucker war dieser schon erträglich, wie es auch bei Kaffee der Fall war, jedoch war ihm der Wille, Tee überhaupt anzurühren, stark vergangen. Wie auch Dr. Tremaines Vater war er Opfer von Betäubungsmittel geworden. Auch in seinem Fall hatte ein Chirurg ihm das verabreicht – in Form eines Nachmittagstees, den Charles in einem kleinen Café zu sich genommen hatte. Jedoch nicht mit der Absicht, ihn anschließend umzubringen. Charles war nach diesem feigen Anschlag wieder aufgewacht, doch das Erwachen war wahrlich unerfreulich gewesen. Seinen damaligen Urlaub in Paris hatte er sich... anders vorgestellt.
Offenbar scheinen alle dieser Bluthunde sonderlich zu sein – egal, wo man hinkommt.
Auf Dr. Tremaine würde er aufpassen müssen, solange er sich in dessen Nähe aufhielt – auch wenn er zugab, dass dieser Gedanke vielleicht in der Tat paranoid sein könnte, doch Vertrauen war ein Gut, mit in dem Charles in diesen Tagen lieber nicht um sich schleudern sollte.

„Verfolgungswahn…“, schnaubte Charles kopfschüttelnd, als er Alan die Treppe nach oben nehmen hörte. „Dass ich nicht lache.“
Diesen Vorwurf musste er sich nicht zum ersten Mal gefallen lassen. Bisher war vorrauschauender Argwohn, wie er es nannte, noch immer besser gewesen als überrumpelt zu werden.
Seine Nachbarn in Manchester hatten ihn deswegen in den letzten Jahren, wenn er sich dort gezeigt hatte, von Mal zu Mal mit mehr Misstrauen und später sogar mit Angst betrachtet. Das war darin gegipfelt, dass er die Polizei und einen psychiatrischen Gutachter hatte abwimmeln müssen – die waren äußerst hartnäckig gewesen und hatten ihn erst in Ruhe gelassen, nachdem er eine lange, hitzige Diskussion mit diesen gehabt und sowohl die Beamten als auch den Arzt schließlich bestochen hatte. Über die ungeheure Summe, die diese unverschämten Mistkerle verlangt hatten und die Charles mürrisch bezahlt hatte, mochte er lieber nicht nachdenken.
Aber Charles hatte es damals niemandem übel genommen, wenn wieder einmal neue, wilde Gerüchte über ihn im Umlauf gewesen waren. Ihm war relativ egal gewesen, was die Leute über ihn gedacht hatten und was davon stimmte oder nicht. Jede Nachbarschaft brauchte einen gemeinsamen Feind. Das förderte den Zusammenhalt. Außerdem mochte es stimmen, dass er sich eine Zeit lang im Auge der Öffentlichkeit seltsam aufgeführt hatte. Aber in seinem Haus verschanzt und es kaum verlassen…
Seine Nachbarn hatten nicht gewusst, dass er sich in Wahrheit höchstens am Wochenende zu Haus aufgehalten hatte. So sehr er auch froh gewesen war, die ehemaligen Bewohner los zu sein – ihm größtenteils unliebsame Familienangehörige und Angestellte –, war es ihm nach dem Tod seiner Mutter immer seltsam leer vorgekommen.
Auch die Erinnerungen an seinen Vater und seinen Bruder, die er mit seinem Heim verband, hatten ihn dazu bewegt, dort lieber nicht allzu häufig Zeit zu verbringen. Das hatte ihn, wenn es ihn in einem falschen Moment erwischt hatte, nur wütend gemacht und ihn dazu gebracht, den sortierten Vorrat an teuren Spirituosen, den sein Vater sich angelegt und zurückgelassen hatte, zu plündern.
Das waren noch ganz andere Voraussetzungen als bei dieser aktuellen Scarface-Sache gewesen! Das in Manchester war noch Gerede gewesen, im Grunde harmlos und auch für Charles meist amüsant, aber inzwischen wucherte der Berg von Gerüchten drastisch vor sich hin wie ein Krebsgeschwür, das drohte, ihn Stück für Stück zu zerfressen und letztendlich komplett zu verschlingen. Viele der alten Gerüchte sah man heute als Tatsache an – die sogar, wohlgemerkt, sich teilweise einen Weg in seine Polizeiakte geschlichen hatten.
Es war eine Verschwörung, durchaus, auch wenn Alan das nicht sah. Untermauert mit blutigen Toden, die man ihm unterjubelte.
„Wahn“ nennt er es… Von wegen!

Nachdenklich zupfte Charles mit den Fingern an seinem Bart herum. Einen Rum könnte er nun wohl auch vertragen. Doch, nein, nach der Kritik, die er an Alan aufgrund dessen morgendlicher Getränkewahl geübt hatte, würde er sich diese Blöße nicht geben.
Charles versuchte, sich von der trübsinnigen Stimmung zu lösen, die ihn befallen hatte, und Zeitung zu lesen, so wie er es sich vorgenommen hatte. Doch es fiel ihm schwer, die gedruckten Worte, die er in sich aufnahm, zu behalten, und gab es schließlich auf, als er dazu ansetzte, denselben Artikel zum dritten Mal von vorn zu lesen – irgendetwas Unwichtiges über Prinz Alfred, der wohl auf dem Weg nach Sydney war… oder auch bereits dort war. Charles war es egal. Irgendwelcher Klatsch über die königliche Familie hätte ihn selbst dann nicht interessiert, wenn er mit den Gedanken nicht ganz wo anders gewesen wäre.
Charles ließ die Zeitung auf seinen Schoß sinken, starrte einen Moment grübelnd in die Leere und rieb sich mit den Fingerkuppen gerade über die geschlossenen Augenlider, als er hörte, dass Alan wieder zu ihm ins Wohnzimmer trat. Er blickte auf.
„Gut“, urteilte Charles lächelnd über Alans neue Aufmachung. „Zu behaupten, Sie würden jetzt wie ein ganz anderer Mensch aussehen, wäre arg übertrieben, aber es ist zumindest besser als vorhin.“
Bevor Charles von seinem Sitzplatz aufstand, faltete er die Times zusammen und schob sie in eine seiner Tüten.
„Ich fürchte, in Bezug auf die Antwort, die Sie von mir erwarten, muss ich Sie enttäuschen“, gab er zu, während er sich den Zylinder wieder auf den Kopf setzte, behutsam, damit dabei nicht seinen Verband verschob.
„Seit Wochen zerbreche ich mir den Kopf darüber, wer hinter dieser Mordserie stecken könnte und warum, doch ich komme einfach zu keiner logischen Erklärung. Wenn ich wüsste, wer mir das antut, könnte ich Ihnen auch sagen, was den- oder diejenigen dazu bewegt haben und noch immer bewegen. Zurzeit gibt es einfach zu viele Variablen, müssen Sie wissen“, sagte Charles seufzend, griff nach seinen Sachen und ging zu Alan herüber.
„Leider, so muss ich Ihnen gestehen, habe ich in den vergangenen Jahren vieles getan, was in den verschiedensten Leuten aus den verschiedensten Gründen Hass auf mich hervorgerufen haben könnte. Aber um zu so vielen Morden fähig zu sein, benötigt es mehr als nur Hass, meinen Sie nicht? Bei Gott, mir fällt bei Bestem Willen nichts ein, was ich getan haben könnte, das so etwas hier rechtfertigt. Mord ausschließlich an mir selbst vielleicht, obwohl auch das übertrieben wäre, würde ich wagen zu behaupten – nicht, dass man es nicht schon versucht hätte…“, murmelte Charles selbstkommentierend und kehrte in den Eingangsbereich zurück.
„Glauben Sie, was Sie wollen, Alan“, meinte er dann gelassen, während er auf die Haustür zuspazierte. „Sie denken, ich wäre paranoid? Fein, schieben Sie mich schön in diese Schublade, aber ich sage Ihnen, dass ich Recht habe. Die Morde geschehen, um mich damit zu vernichten – vor ganz Britannien und vor mir selbst. Jemand will mich in den Wahnsinn treiben! Bisher ohne Erfolg, dazu wird es auch nie kommen, sage ich Ihnen, auch wenn Sie das offenbar anders sehen. Aber das ändert nichts daran, dass ich das nicht einfach so über mich ergehen lasse! Ich weiß, was ich weiß, und ich will gar nicht wissen, wie Sie sich an meiner Stelle verhalten würden. Ich versuche jedenfalls, mir selbst zu helfen. Bis heute bin ich gescheitert, offenbar, aber immerhin habe ich es geschafft, Hill und seinen Lakaien zu entkommen. Doch sobald ich Genaueres über das Geschehen um uns herum in Erfahrung bringe, werden Sie der Erste sein, mit dem ich es teile. Sind wir jetzt zufrieden und können aufbrechen?“
Charles griff nach der Klinke und wandte sich um, um Alan in die Augen zu sehen.
„Sie müssen übrigens nicht an meiner Seite bleiben, wenn Ihnen meine Gesellschaft so unangenehm ist. Versuchen Sie einfach, mich nicht aus den Augen zu verlieren und keinen Ärger zu machen, während Sie mir folgen.“
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Götterblut - Kapitel 2: Gut geplant ist halb gewonnen Empty Re: Götterblut - Kapitel 2: Gut geplant ist halb gewonnen

Beitrag von Druzil Mo Okt 22 2012, 18:35

"Halten Sie sich doch wenigstens die Zeitung vors Gesicht!", wies Alan Norly an, als dieser nach der Türklinke griff und Anstalten machte ins Freie zu treten.
"Immerhin sehen Sie auch nicht gerade wie ein anderer Mensch aus."
Dann folgte Alan seinem Gast nach Draussen und verriegelte die Tür sorgfälltig.
"Sie wollen also wirklich sagen, Sie wüssten nicht wer in Ihrem Namen diese Untaten begeht?", erkundigte sich Alan weiter, während sie das Grundstück verliessen.
"Norly..., oder sagen wir besser Timothy, während wir in der Öffentlichkeit sind. Also Timothy, es ist doch so. Mittlerweile kann jeder Strassenstrolch einen hinterrücks erdolchen und behaupten eine Narbenvisage wäre es gewesen. Stellen Sie sich folgendes vor. Ein Ehestreit gerät ausser Kontrolle, es wird laut und dramatisch, die Nachbarn rufen die Polizei und Mr. Ehemann erschlägt seine Alte. Ich meine, der muss doch nur sagen, dass ein Typ mit Narbe durchs Fenster gekommen ist und seine Gattin gemeuchelt hat!"
Alan gestikulierte wild.
"Was ich sagen will, mitterweile kann jeder für die Scarface-Taten verantwortlich sein. Die ganze Sache kann innerhalb kurzer Zeit ausser Kontrolle geraten."
Alan dämmerte erst nachdem er seine Gedanken ausgesprochen hatte welche Bedeutung sie wirklich hatten. Der Scarface Mythos, so sehr sich Norlys verschrobene Seele wohl auch in geheimen Momenten von ihn umschmeichelt fühlte, drohte Auswüchse annehmen zu können, die einem eine Gänsehaut über den Rücken jagten.
"Okay Timothy. Ich weiss, dass Ihnen diese Frage missfallen wird." Vermutlich wird er gleich ausrasten, dachte Alan, aber dennoch stellte er sie.
"Können Sie ausschliessen, dass Sie die Taten doch begangen haben? In einem Zustand... geistiger..."
Alan wusste, dass Norly sofort klar war worauf er hinauswollte, dennoch fiel es ihm schwer die Worte auszusprechen und er rang eine Weile um die Formulierung.
"In einem Zustand, in dem Sie möglicherweise nicht Sie selbst waren?"
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Götterblut - Kapitel 2: Gut geplant ist halb gewonnen Empty Re: Götterblut - Kapitel 2: Gut geplant ist halb gewonnen

Beitrag von Umbra Di Okt 23 2012, 22:13

„Nein“, weigerte sich Charles klar und schlicht, Alans Vorschlag mit der Zeitung, die er sich vor das Gesicht halten sollte, umzusetzen.
„Ich will sehen, wo ich hinlaufe“, fügte er hinzu, als er schon die Haustür öffnete und ins Freie tat.
Alans Grundstück war, auch wenn es verwildert war, ein Fleckchen Grün, das sich vom sonst viel zu grauen London abgrenzte. Das war durchaus positiv, fand Charles. Er mochte die Natur viel lieber als gepflasterte, stinkende Gassen. Er hatte die Abwesenheit von bürgerlicher Zivilisation während seiner Reisen zu schätzen gelernt. Besonders vermisste er die eindrucksvolle Landschaft des chinesischen Hochlands. Charles wusste, dass er sie wohl nie wieder zu Gesicht bekommen würde.
Nun war er in London und das würde sich wohl nicht so schnell ändern. Vermutlich würde er die Stadt nicht mehr lebend verlassen.

So durchwuchert wie Alans Garten sah auch Charles‘ Inneres aus. Er spürte eine massige Last von Schuldgefühlen auf sich, aktuell hauptsächlich deswegen, weil er sich für Edward Tillings Tod und Johns Zustand, der vielleicht noch in den Tod überschwenken würde, verantwortlich fühlte. Andererseits empfand er gleichzeitig eine Art von Leichtigkeit, denn die Umsetzung seines Plans war im Gange und das Hochgefühl, das sich schon im Laufe des Morgens entwickelt hatte, war noch nicht ganz verschwunden.
Es war… verrückt, auf irgendeine Art und Weise. Charles musste unwillkürlich lächeln, als er auf das Tor zur Straße zumarschierte.
Jedoch verschwand dieses Lächeln wieder von seinem Gesicht, weil Alan wieder zu sprechen begann und ihn „Timothy“ nannte. Charles spürte, wie sich seine Muskeln anspannten und sich schmerzender Druck in seinen Schläfen aufbaute, da er die Zähne zusammenpresste. Dieser Umstand – und auch, dass er mit jeder weiteren Erwähnung dieses Namens fester zubiss – hinderte ihn daran, Alan sofort anzufahren.
Doch als Mr. Stirling ihn fragte, ob nicht doch die Möglichkeit bestehe, dass er selbst der Mörder war, platzte ihm der Kragen. Oh ja, diese Frage missfiel ihm in der Tat!
Ruckartig blieb Charles stehen und wandte sich Alan zu.
„Natürlich kann ich das ausschließen! Halten Sie mich für einen Idioten? ‚In einem Zustand geistiger Umnachtung‘! Darauf wollten Sie hinaus, nicht wahr? Ich allein bin Herr meiner Sinne und derer bin ich mir immer, immer“, wiederholte er betonend, „vollkommen und klar bewusst, stellen Sie sich nur vor! Ich bin immer ich selbst, verdammich! Aber sollte Ihnen auffallen, dass ich meine Freizeit damit verbringe, mir meinen Kopf gegen die nächstbeste Wand zu schlagen“, höhnte Charles sarkastisch, „halten Sie mich bitte auf!
Sie sind ein unglaublicher Quälgeist, wissen Sie?“
, wetterte er weiter.
„Wenn Sie mich noch einmal ‚Timothy‘ nennen, könnte es wirklich sein, dass ich mich vergesse!“
Damit hatte Mr. Stirling, sicher unbewusst, wirklich einen äußerst wunden Punkt getroffen. Wunder ging es kaum.
„Nehmen Sie, was Sie wollen, wenn Sie mich unbedingt mit einem Namen ansprechen müssen, aber nicht den meines Bruders! Ich…“
Charles hielt inne, erkennend, dass er zumindest verbal schon wieder die Fassung verloren hatte und dass er für die Art von „Gespräch“, die er gerade mit Alan führte, eindeutig am falschen Ort war, unterdrückte verärgert einen Fluch und sprach erheblich leiser weiter.
Zum Glück schien niemand in der Nähe zu sein, der seinen Ausbruch hätte verfolgen können.
„Verzeihen Sie, das konnten Sie unmöglich wissen“, räumte Charles sich entschuldigend, aber weiterhin zerknirscht, ein, und nahm missmutig wieder den Weg Richtung Soho auf. Von alleine würden sie nicht beim Haus des Doctors ankommen, sie standen ja noch quasi auf Alans Türschwelle!
Leicht entnervt rieb sich Charles mit seiner freien Hand die Schläfe, jedoch half das nur kurz gegen seine Kopfschmerzen. Hätte er nur seinen Stolz vergessen und doch etwas von Alans Rum getrunken! Das hätte geholfen, vielleicht.
Oder das hätte es nur schlimmer gemacht.
Es war zu spät, um sich Gewissheit zu verschaffen.
„Ich bin einfach angespannt und noch nicht wieder auf der Höhe“, erklärte Charles selbstkritisch, nun ohne jegliche Form von Aggressivität in seiner Stimme.
„Ich wollte Ihnen jetzt keine Szene machen, Alan, das ist hier auf der Straße ungünstig. Und ich sollte mich nicht so aufregen“, erinnerte er sich selbst daran, dass er sich aus gesundheitlichen Gründen lieber schonen sollte.
„Aber eins sei Ihnen versichert: Wenn ich nicht absolut – und damit meine ich das auch genauso – davon überzeugt wäre, dass ich kein Mörder bin, würden diese Worte nicht über meine Lippen kommen. Ich bin ein ehrlicher Mensch, Mr. Stirling, ich belüge niemanden, selbst mein Spiegelbild nicht. Ich könnte es nicht ertragen, das Blut dieser Leute an meinen Fingern zu wissen, auch wenn mir das niemand glauben will.
Sehen Sie, ich kann mich nicht daran erinnern, die Morde begangen zu haben – was ja nichts heißt, sollte ich wirklich vollkommen wirr sein, ohne es zu merken. Aber wenn das tatsächlich der Fall sein sollte, müsste es Lücken in meiner Erinnerung geben; Zeit, von der ich nicht weiß, wie ich sie verbracht habe. Oder sehe ich das falsch? Auch stand ich nicht unter Drogeneinfluss – nicht unter so starkem, dass ich den Überblick hätte verlieren können. Ich kann Ihnen genau sagen, was ich gemacht habe, als die Morde geschehen sein müssen. Bei jedem einzelnen!“
, begann er, zu gestikulieren. Die Papiertüten knisterten in seiner linken Hand.
„Meist war ich sogar nicht einmal in der Nähe der jeweiligen Tatorte! Ich sage nicht, dass ich vollkommen unschuldig bin – irgendetwas muss es ja sein, das den oder die Täter dazu bewegt, die Verbindung zu mir zu schaffen –, aber ich selbst bin es nicht gewesen! Ich besitze ja noch nicht einmal ein Messer!“
Das Gesprächsthema bedrückte und verärgerte Charles, auch wenn er das größtenteils herunterschluckte, doch ihre Unterhaltung bestand inzwischen daraus, dass er jammerte und sich über seine Situation beschwerte. Dazu hatte er gutes Recht, fand er.
„Ich habe keine Alibis, das ist mein Problem, es gibt nur angebliche Zeugen, die beteuern, mich beim Morden beobachtet zu haben. Mit Ihrem kleinen Szenario, das Sie da gerade gezeichnet haben, haben Sie den Nagel auf den Kopf getroffen: Jeder kann behaupten, dass ich verantwortlich sei.“
Das war eine Tatsache. Alan hatte das richtig erkannt.
„Ich schließe nicht aus, dass mir bereits einer oder mehrere der Morde von beliebigen Tätern untergejubelt wurden, die sich schon am Galgen sahen, in ihrer Not eine Ausweg suchten und nochmal zur Klinge gegriffen haben, um sie ihren Opfern quer über das Gesicht zu ziehen – das halte ich sogar, muss ich zugeben, für äußerst wahrscheinlich. Aber das ändert nichts daran, dass der Rest der Morde geplant und gezielt darauf ausgerichtet wurde, um mich damit zu treffen. Da können Sie meinem Urteil ruhig trauen!“
Er war versucht, den Mord, der in der letzten Nacht geschehen war, zu erwähnen. „Scarfaces“ vierzehntes Opfer. Aber damit würde er lieber warten. Auch die anderen der Gruppe sollten es erfahren, am besten möglichst bald und von ihm selbst – er wollte sich nur nicht wiederholen.
„Wissen Sie, egal, wer ermordet wird: Es braucht nur ein entstelltes Gesicht oder einen Zeugen, der aussagt, mich gesehen zu haben, und Scotland Yard stimmt mit ‚Ja!‘ und ‚Amen!‘ zu, weil der Chief Commissioner ‚Ja!‘ und ‚Amen‘ schreit. Man sucht noch nicht einmal nach anderen Möglichkeiten, nach anderen Tätern!
Sie müssen verstehen, die ganze Sache kann nicht innerhalb kurzer Zeit außer Kontrolle geraten“
, griff Charles Alans Wortwahl auf.
„Sie ist bereits außer Kontrolle geraten. Es hat nie Kontrolle gegeben! Und daran ist allein Hill schuld!“, knurrte er grimmig und voller Überzeugung von der Richtigkeit seines Urteils.
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Götterblut - Kapitel 2: Gut geplant ist halb gewonnen Empty Re: Götterblut - Kapitel 2: Gut geplant ist halb gewonnen

Beitrag von Druzil Do Okt 25 2012, 20:37

Was für eine Diva, dachte Alan im Stillen, als Norly so abweisend auf den Namen Timothy reagierte und es ebenfalls ablehnte sein Gesicht mit der Zeitung zu verdecken. Das er es zudem kategorisch ablehnte nicht ganz bei Trost zu sein war sowieso vorhersehbar gewesen. Doch so eindringlich seine Beteuerung auch sein mochte - Alan war nicht vollends überzeugt. Norly war ein Kerl, der Dreck am Stecken hatte und das warscheinlich nicht zu knapp. Alan traute ihm einen Mord durchaus zu. Vielleicht kein kaltblütig geplanter, aber einen Spontanen, eine aus Wut geborene Tat. Norly wies Abgründe auf, die Alan noch nicht überblicken konnte. Die Reaktion auf den Namen seinen Bruders war hierbei nur ein weiteres Indiz.
Aber Alan wollte noch auf etwas anderes zu sprechen kommen. Eine weitere Facette von Norlys Wahnsinn.
"Was haben Sie eigentlich ständig mit Hill, Nicholas? Ich meine natürlich klebt Ihnen der Kerl am Arsch, aber er macht im Endeffekt nur seinen Job. Was soll er tun, wenn ein Serienmörder durch dieses Rattennest stromert? Hat er Ihnen vielleicht noch etwas angetan? Die Ehefrau ausgespannt? Ihnen eine Kutsche vor der Nase weggeschnappt?"
Alan schaute Norly interessiert an und zum ersten mal baute sich ihn im die Frage auf, ob Norly nicht einfach nur jemand war, dem man in seinem Leben zu übel mitgespielt und um seine Chancen betrogen hatte.
"Jetzt halten Sie sich doch bitte die Zeitung vors Gesicht, Norly, ich meine, Nicholas!"
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Götterblut - Kapitel 2: Gut geplant ist halb gewonnen Empty Re: Götterblut - Kapitel 2: Gut geplant ist halb gewonnen

Beitrag von Elli Fr Okt 26 2012, 16:47

Sie nickte stumm in die Richtung des Doktors. Gerade als sie zu einem Dank und einer Antwort ansetzten wollte, kam Johanna in die Küche und sprach den Arzt an. Melinda sinnierte kurz über das Gesagte nach. Hörte sie in der Stimme von Randolph verletzten Stolz, wegen der Kopfverletzung? Musste nicht letzendlich jeder selbst wissen, was er seinem Körper zumuten konnte und was nicht. Allerdings erinnerte sie sich auch daran, wie sie einst den Ratschlag des Doktors misachtete, zu früh auftstand und sie den Kopf böse aufgeschlagen hatte. Seine Einschätzungen waren also sicher nicht in den Wind zu schlagen. Das seine Worte in ihren Orten nur so vor Zynismus und Sarkasmus troffen, wunderte sie nicht. Daran würde sie sich wohl gewöhnen müssen. Sie selbst war manchmal nicht anders. Der Arzt erwiderte kurz eine Erläuterung und schien auf eine Antwort zu warten. "Sicher, geh ruhig Randolph. Sollte etwas sein, werde wir uns in das Versteck zurückziehen. Oder gibt es noch Rückfragen?" fragte sie in Johannas Richtung.
Dann griff sie eine Scheibe Brot, deren Rinde schon sehr trocken anmutete und blickte auf den Belag der sich ihr darbot. Für Johannas Verhältnis mochte es sich um ein kümmerliches Mahl handeln, aber für Meldina waren die Scheiben Schinken, eingelegte Gurken und Orangenmarmelade mehr als sie je auf einem Frühstückstisch angeboten bekommen hatte. Denn hatte sie einmal die Möglichkeit in einem feudalen Herrenhaus zu schlafen, wurde sie meist von einer resoluten Haushälterin in aller Frühe zum Teufel geschickt. Ein Frühstück hatte sie noch nie angeboten bekommen. Sie griff begeistert eine Scheibe Schinken und legte ihn auf das Brot, schnell schnappte sie sich noch eine Gurke und stopfte sie in den Mund. Laut kauend wartete sie darauf ob der Arzt bald gehen würde. "Daf ift efft gut" entfuhr es ihr dann aber doch noch.
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Beitrag von Umbra Fr Okt 26 2012, 22:00

Charles überraschte es nicht, dass Alan sich genauer nach seiner Haltung zu Hill erkundigte. Jedoch zögerte er, etwas zu erwidern. Im Grunde ging das niemanden etwas an.
Als Alan ihn aber wiederholt dazu aufforderte, sich die Zeitung vor sein Gesicht zu halten – dieses Mal mit einem erfrischendem „bitte“ als Zusatz –, schüttelte Charles leise lachend den Kopf. Er würde sich nicht darauf einlassen.
„Das können Sie vergessen, Alan“, machte er gutmütig deutlich, dass er in Bezug auf diesen Punkt nicht nachgeben würde.
„Wie wäre es, wenn Sie das stattdessen machen, mmh? Ich muss die Umgebung im Auge behalten und darauf achten, dass wir keinem Passanten zu dicht auf den Pelz rücken und keiner Bobbiestreife in die Arme laufen. Aber wenn ich, leichtsinnig wie ich bin, dabei auffallen sollte, müssen Sie sich keine Sorge machen“, versicherte er Alan lächelnd und mit freundlichem Tonfall, jedoch waren seine Worte auch von einem Hauch von Sarkasmus geprägt.
„Während ich dann bereits die Flucht ergreife, können Sie sich hinter der Zeitung verstecken und hoffen, dass man Sie ignoriert.“

Charles seufzte und bog an der Kreuzung links ab, auf die sie gerade zugesteuert hatten. Diese Straße war breiter als jene zuvor und auch geschäftiger. Mehrere hundert Yards weit konnte man an den Häuserzeilen entlangblicken, bis der erdige Boden zwischen ihnen eine Kurve bildete. Charles konnte mehrere Fußgänger, Kutschen und sogar einen Fahrradfahrer erkennen, aber keine Polizisten. Sie konnten diesen Weg ruhig einschlagen, beschloss er innerhalb eines Sekundenbruchteils. Allerdings würde er versuchen, vorsichtig zu bleiben.
„Wissen Sie, es ist verblüffend, wie wenige Leute mich überhaupt erkennen, wenn Sie mich auf der Straße sehen“, erzählte er. „Man müsste eigentlich meinen, dass wirklich jeder auf mich aufmerksam wird, da überall diese verfluchten Dinger aushängen.“
Beiläufig nickte er in Richtung eines Fahndungsplakates mit seinem Gesicht, das sie gerade passierten.
„ ‚Scarface‘ dürfte auch ziemlich selbsterklärend sein. Meine Narbe ist nicht leicht zu übersehen, dessen bin ich mir bewusst. Aber die meisten Londoner laufen einfach mit Scheuklappen durch die Stadt. Je voller es auf den Straßen ist, desto weniger achtet man auf einzelne Menschen, die man zu Gesicht bekommt“, philosophierte er vor sich hin.

Dann seufzte er erneut und setzte doch dazu an, die Sache mit Hill zu erklären. Angesichts der Tatsache, dass Charles Mr. Stirling in diese Angelegenheit mit hineingezogen hatte, war es vermutlich nur fair, diesem seine Frage zu beantworten.
„Natürlich bin ich nicht allein deswegen gegen Hill, weil er Polizist ist“, stellte Charles etwas pikiert richtig.
„So verbohrt bin ich nun auch wieder nicht. In der Tat hat er mir noch etwas angetan. Ich meine, gestern bereits erwähnt zu haben, dass es zwischen ihm und mir so etwas wie einen alten Konflikt gibt, der uns verbindet und von Zeit zu Zeit immer wieder auflebt. Offenbar hat er mich zu seinem Erzfeind erklärt. Lächerlich!“, schnaubte Charles leicht abfällig.
„Es würde zu lange dauern, Ihnen die ganze Geschichte zu erzählen, aber ich kann Ihnen sagen, wie es angefangen hat. Das war vor, mmh, inzwischen mehr als elf Jahren, also war ich ungefähr in Ihrem Alter. Damals lebte ich hier in London und Hill war noch leitender Officer eines bescheidenen Reviers der Stadtpolizei. Ein unangenehmer Bursche, ziemlich überheblich, wie meine Freunde und ich damals fanden, also haben wir uns, nachdem wir uns etwas Mut angetrunken haben, hin und wieder einige harmlose Späße mit ihm und seiner Truppe erlaubt – die aber stets sehr amüsant waren, da er immer, wenn er wütend wird, rot anläuft“, lachte Charles und kam auf einen Gedanken, für den er seine Geschichte kurz unterbrach.
„Haben Sie ihn gestern gesehen, als er aus seiner Kutsche stolperte und vor seinem brennenden Haus einen Aufstand machte?“, fragte er, denn er wusste nicht, ob Alan noch eine Weile dort geblieben war, nachdem sich ihre Wege getrennt hatten, oder nicht, und grinste schadenfroh.
„Die reinste Freude!“
Nach diesem kurzen Einschub erzählte er, ohne eine Antwort abzuwarten, weiter.
„Es hat sich also zu einem kleinen Wettbewerb entwickelt, wer wohl den dunkelsten Farbton in sein Gesicht zaubern könnte. Ich habe gewonnen, wenn man es so betrachtet, auch wenn mich darum wohl niemand beneidet hat“, fügte er an und verzog das Gesicht.
„Mit dem Stichwort ‚Ehefrau‘ liegen Sie da gar nicht falsch, allerdings ging es damals nicht um meine – ich war nie verheiratet –, sondern um seine. Doch denken Sie jetzt nichts Falsches von mir! Hill hat mich lediglich auf seinem Grundstück ertappt und daraus geschlossen, ich würde seiner Frau nachstellen – was nicht meine Absicht gewesen ist! Aber versuchen Sie sich einmal vor einem tobenden, eifersüchtigen Ehemann mit lockerem Finger am Abzugshebel zu erklären... Und sowas darf sich Gesetzeshüter schimpfen!“, knurrte Charles missbilligend.
„Ich floh unverletzt, aber das nützte mir wenig, denn er spürte mich einige Tage später auf, mit zwei seiner Kumpane im Gepäck. Sie hielten mich fest, während er mich windelweich prügelte.
Das waren noch Zeiten…“
, sich erinnernd, schüttelte Charles den Kopf und musste dann leise lachen.
Damals hatte er darüber nicht lachen können. Eine Gehirnerschütterung, drei gebrochene Rippen, ein angeknackster Unterkiefer und unzählige Prellungen... Nach Hills vermeintlicher Rache, die er wehrlos hatte einstecken müssen, hatte er einige Zeit im Krankenhaus verbracht und hatte dann, als man ihn entlassen hatte, beschlossen, die Stadt verlassen. Für einige Zeit zumindest. Charles war erst nach Manchester zurückgekehrt, um Unternehmensangelegenheiten zu regeln, die noch offen gewesen waren, und hatte dann das Land gen China verlassen. Auch das hatte sich nicht unbedingt als gute Entscheidung herausgestellt... Doch das war eine andere Geschichte.
„Seitdem klebt Hill mir wirklich am Arsch, wenn Sie es so ausdrücken wollen. Immer, wenn ich London auch nur nahe komme, sitzen mir irgendwelche seiner angeheuerten Stümper im Nacken, die mich beschatten und dann und wann auch überfallen, wenn sie eine günstige Gelegenheit sehen, um mich zu vertreiben.
Dieses Mal ist die Sache im größeren Maße eskaliert als sonst“
, meinte Charles schulterzuckend und im Plauderton, allerdings nahm er das ganz und gar nicht auf die leichte Schulter.
„Ich muss zugeben, dass es nicht eine meiner besten Ideen war, Hill aufzusuchen, nachdem ich seinen Leuten Beine gemacht habe, aber ich war wütend und wollte ihn zur Rede stellen. Ich war es einfach leid – ich bin es leid“, betonte er.
„Selbstverständlich wollte Hill mich festnehmen, schließlich bin ich ins Hauptquartier der Polizei ‚eingebrochen‘, um den guten Mann zu zitieren, dabei bin ich durch den Haupteingang gekommen und niemand hat mich aufgehalten. Ha! Soviel zum Thema, die Londoner Polizei sei die fähigste der Welt!... Aber ich habe mich widersetzt und sah mich gezwungen, Hill als Geisel zu nehmen, um da wieder herauszukommen. Den Rest kennen Sie ja:
Direkt im Anschluss wurden zwei Polizisten ermordet und ich bin ein willkommener Sündenbock. Das kann einfach kein Zufall sein, sehen Sie?“

Charles blickte Alan ernst an.
„Hill war noch nicht einmal überrascht, als ich im Scotland Yard auftauchte. Er hat mich erwartet. Er hat gewollt, dass ich komme – das hat er mir gesagt! Auch wenn er nicht selbst der Mörder ist, hat er zumindest seine Finger mit im Spiel – das weiß ich einfach! Zumindest diese beiden Opfer kamen ihm nämlich zu gelegen! Denn anstatt einen Haftbefehl auszustellen und die Angelegenheit nach Vorschrift zu regeln, gab er sofort am nächsten Tag eine Presseerklärung auf und stellte mich in der Öffentlichkeit als sadistischen Irren bloß, um mir endgültig den Garaus zu machen! Damit hat er bereits mein Todesurteil gefällt, ohne auch nur die Möglichkeit offen zu lassen, den wahren Täter zu finden! Wissen Sie, wie das läuft? Wenn er als Chief Commissioner behauptet, dass ich so ein Unhold sei, ist das eine offizielle Erklärung. Niemand, der noch ganz bei Trost ist, würde es wagen, ihm zu widersprechen! Im Tower sind stets noch Plätze für Aufrührer frei, verstehen Sie? Die Polizei ist inzwischen so mächtig, dass sie die Regierung und auch die Gerichtshöfe in der Hand hat! Man versucht, mir gezielt die ganze Mordserie anzuhängen!
Nun, ich habe mich inzwischen bereits mit dem Galgen abgefunden, aber ich bin auch nicht lebensmüde, verstehen Sie, Alan? Deswegen werde ich mich auch nicht einfach stellen. Das ist es, was Hill will – ich soll mich ihm ergeben! Doch wer meinen Tod will, muss sich ihn teuer erkaufen, das sage ich Ihnen!“
, deklarierte Charles energisch und fuchtelte mit dem Zeigefinger.
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Götterblut - Kapitel 2: Gut geplant ist halb gewonnen Empty Re: Götterblut - Kapitel 2: Gut geplant ist halb gewonnen

Beitrag von Darnamur Di Okt 30 2012, 17:30

Da von Johannas Seite keine Fragen mehr zu kommen schienen, zog Randolph, dem das nur Recht war, zum Abschied seinen kleinen Zylinder und stolzierte dann aus dem Zimmer. Als Nächstes holte er seine Mutter ab. Er hatte ihr gesagt, sie solle in ihrem Schlafzimmer bleiben, aber das hatte Elinor glatt ignoriert. Er fand sie, wie sie durch das Haus irrte und nach den Alkoholvorräten sorgte. Dabei murmelte sie den Namen ihres Mannes.
"Mutter", räusperte sich Randolph und fasste sie an der Schulter. "Es ist so weit. Wir müssen jetzt losgehen." Sie drehte sich um und schaute ihn aus vernebelten, blauen Augen an. "Losgehen", stammelte sie verwirrt. "Aber wohin denn?"
"Nach Hause", antwortete Randolph schlicht. Das schien seiner Mutter zu gefallen. Sie lächelte sogar ein wenig. Er ging zu Kommode hinüber, wo der Koffer mit Elinors wenigen Habseligkeiten stand und vergewisserte sich durch Blicke über die Schulter immer wieder, ob sie ihm auch wirklich folgte. Er hielt ihr die Tür auf und ließ dann selbst die Praxis hinter sich zurück, dem Geräusch seiner Schritte lauschend, die über das Pflaster klackten. Es war dasselbe Geräusch, das Randolph jeden Tag hörte. Das Schlagen seines Herzens. Und auch dort erinnerte ihn diese Melodie stets an ein gewaltiges Uhrwerk, dem Ticktack eines Sekundenzeigers, der sich von seinem Ursprung entfernte, sich ihm wieder näherte und endlos im Kreis weiterlief. Tick. Tack. Tick. Tack.
Der Weg führte Randolph weiter in den Nordwesten Londons. Das Anwesen der Tremaines in dem sich ein Großteil seiner Verwandtschaft eingenistet hatte, lag direkt in der Nähe der Victoria Station. Es war ein geräumiges Haus mit eigenem Garten und einem eisernen Tor. Es herrschte nur wenig Leben auf den Straßen. Einige Tagelöhner und Bettler durchstreiften die Stadt. Die meisten jener Gesellen erkannten bereits an seinem Gesichtsausdruck, dass mit ihm nicht gut Kirschenessen war. Es gab allerdings auch hartnäckigere Burschen, die Randolph mit unsanften Worten abschütteln musste. Einem kleinen Jungen, der mit seinem Hund auf der Straße saß, warf er schließlich doch noch ein paar Pennys zu. Vielleicht weil er als Kind selbst gerne einen Hund gehabt hätte.
Das Gewicht des Koffers war erträglich, auch wenn Randolph hin und wieder eine Pause einlegte. Dennoch war er der Ansicht, es auch so schaffen zu können.
Schließlich kamen sie dann bei dem Haus der Tremaines an. Sie standen vor dem Ehrfurcht gebietendem Tor, das ihn an Größe dreifach überragte. Einen Moment zögerte Randolph und sein Magen zog sich zusammen. Die Konfrontation mit seinem Cousin, seiner Cousine und seinem Onkel behagte ihm überhaupt nicht. Edgar hatte ihn schon kurz nach dem Tod seines Bruders, die Schuld daran gegeben. Selbstverständlich wusste er nicht um das volle Ausmaß der Wahrheit, aber er schien trotzdem eine Art Ahnung zu haben. Genau wie Edmure hatte er die Fähigleit aus Menschen lesen zu können. Auch die anderen hegten eine gesunde Abneigung gegen ihn, auch wenn wohl keiner von ihnen wusste, dass er ein patricida war.
Nun allerdings sah er sich gezwungen seiner Sippschaft einen Besuch abzustatten. Er drückte den rechten Flügel des Tores auf und folgte dem Weg zum Hauseingang, wo er den Türklopfer betätigte. Elinor stand mit trägem Gesichtsausdruck neben ihm und umklammerte ihre Hände.
Nach einer Zeit, die Randolph wie eine Ewigkeit vorkam, öffnete sich die Tür. Die Frau, die im Hauseingang stand, war großgewachsen, hatte haselnussbraunes, kürzeres Haare und freundlich blaue Augen. Zumindest meistens fröhliche könnte man sagen. Einen Moment schien sie ihn nicht zu erkennen, dann runzelte sie die Stirn: "Randolph? Bist du das?" Dann entdeckte sie Elinor, welche etwas verloren in der Gegend herum stand und das Haus betrachtete.
"Hallo Cousinchen, schön dich zu sehen!", sagte er mit falscher Fröhlichkeit und lächelte sarkastisch.
Catelyns Gesicht hatte alle Freundlichkeit verloren. Sie musterte ihn mit eisigem Blick. "Was willst du hier Randolph?", fragte sie mit deutlicher Verachtung in der Stimme. Randolph zog die Augenbrauen hoch. "Nur keine Sorge! Ich werde euren Grund und Boden nicht sehr lange mit meiner Anwesenheit beschmutzen", zischte der Doktor. "Keiner weiß so gut wie ich, wie sehr das eure Seelen belastet! Nein, es wird mir eine wahre Freude sein, wenn ich gleich wieder von hier verschwinde..."
"Komm zum Punkt", sagte Cate ernst. "Ich hätte allen Grund dazu dich sofort rauszuschmeißen. Sei froh das ich nicht mein Vater bin." Randolph schnaubte. "Achja, der werte Edgar Tremaine", knurrte er. "Auf den wollte ich gerade zu sprechen kommen, als du mich unterbrochen hast. Ich habe nämlich eingesehen, dass es das Beste wäre, wenn ich dem Vorschlag, den er mir an Edmures Grab gegeben hat Folge leiste" "Und das wäre?", fragte sie ungeduldig.
"Ihm dorthin zu folgen, indem ich meinen Schädel mit einem Loch verziere", erklärte Randolph mit den Augen zwinkernd.
Catelyn presste die Lippen zusammen und schien zu überlegen. "Wenn du dich wirklich dazu entschieden hast, werde ich dich nicht davon abhalten. Ich wünsche mir nicht deinen Tod, Randolph, aber ganz sicher werde ich auch nicht um dich trauern. Das ist deine Entscheidung"
Randolph nickte. "Deshalb habe ich meine Mutter mitgenommen, ich wollte wissen..."
"Sicher", meinte seine Cousine. "Willst du noch mit den anderen reden?"
"Ich lehne dankend ab", erwiderte der Doktor. "Also dann...leb wohl! Grüße deinen liebreizenden Bruder von mir" "Leb wohl, Randolph."
Randolph ging und ließ seine Mutter, die in der Zwischenzeit begonnen hatte, den Garten zu durchstreifen mitsamt dem Koffer zurück. Auf dem Weg zu seiner Praxis zurück überlegte er, ob er bereits jetzt erste Nachforschungen anstellen sollte, entschied sich aber dagegen. Dafür hatte er später noch genug Zeit. Und es wäre ihm wesentlich lieber, wenn er vor Charles Norly bei seinem Haus ankäme.
Er lauschte dem Geräusch seiner Schritte...
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Götterblut - Kapitel 2: Gut geplant ist halb gewonnen Empty Re: Götterblut - Kapitel 2: Gut geplant ist halb gewonnen

Beitrag von Umbra Mi Okt 31 2012, 13:27

Ihr Gespräch verlor sich und Charles war dankbar dafür. Er brauchte Zeit für sich, Ruhe, um zu reflektieren und seine Gedanken neu zu ordnen. Es gab im Moment wahrlich größere Probleme als Hill.
Wenn man kleine Fische am Haken hat, wirft man sie zurück ins Wasser und kommt später noch einmal wieder, wenn es sich lohnt.
Sollte der Chief Commissioner nur seiner Arbeit ungewissenhaft nachgehen und seine Intrigen spinnen! Charles hatte sich lang genug mit diesem Mann aufgehalten. Erfolge, die er in den vergangenen Jahren gegen Hill verbucht hatte, waren nur Tropfen auf den heißen Stein gewesen. Er war sich bewusst, dass es, bis ein andauernder Sieg erreicht war, noch mehr als nur Nerven und Zeit kosten würde, sich mit der Polizei herumzuschlagen.
Eins stand fest: Hill war eine Schande für seinen Berufsstand, ja für die Menschheit selbst! Eine Ausgeburt von Feigheit, Verschlagenheit und herrischem Stolz, schlimmer als das meiste Pack mit annähernder Macht. Der London Police Service war zu einem ernsthaften Problem geworden – und Hill hatte die tragende Rolle bei dieser Entwicklung gespielt.
Charles hatte mit eigenen Augen gesehen, was für eine riesige Kartei angelegt worden war. Fast jeder Bürger Londons, der auch nur irgendwie straffällig geworden oder auch eine einflussreiche Position inne hatte, war wenigstens vermerkt oder besaß sogar eine eigene Akte. Auch wenn den meisten es wohl nicht bewusst sein dürfte: Es handelte sich inzwischen nicht mehr um eine Organisation, die auf Recht und Ordnung achtgab (beziehungsweise achtgeben sollte), sondern um eine Organisation, die in ihrem Sinne dafür sorgte. Es war eine Verschwörung nicht nur politischen Ausmaßes, eine Geheimpolizei, die ihre Gegner aus dem Weg räumte.
Charles war fest davon überzeugt, dass er sich das nicht einbildete, da konnte Alan so viel spotten, wie er wollte: Dieses Archiv war der Beweis, zusammen mit dem Tower, mit Hills Gebaren, gefälschten Beweisen, den Entscheidungen des Parlaments und diesem Unsinn, den die Zeitungen verbreiteten. Dazu kamen die Morde. Es passte alles zusammen, aber irgendwie, im Großen und Ganzen, doch nicht. Es handelte sich nur um Kleinigkeiten, die störten, aber Kleinigkeiten hatten meist eine große Auswirkung auf das Gesamtbild.
Charles wusste, dass es etwas geben musste, das er übersehen hatte – und das gab ihm keine Ruhe. Dass es mehrere Parteien in diesem grausigen Spiel um Macht – ging es wirklich darum? – gab, war logisch. Es ergab Sinn, es musste so sein. Aber Charles hatte bei Weitem noch nicht alle im Dunkeln liegenden Geheimnisse ergründet. Er musste mehr herausfinden, doch die Zeit arbeitete gegen ihn. Das bereitete ihm Kopfschmerzen – in diesem Moment noch mehr als sonst.
Verfolgungswahn!
Das musste er sich nicht gefallen lassen. Er war davon übezeugt, dass man ihn vernichten wollte.
Hill... Hill ist nur die Spitze des Eisbergs! Oder vielleicht doch nicht? Vielleicht gibt es niemanden sonst, keine anderen Ränkestricker. Doch zumindest Helfer, Helfer muss Hill haben.
Wie auch immer: Eine Revolution war die einzige Lösung, selbst ohne alle Hintergründe zu kennen, war das sicher, doch war diese Lösung nicht einfach. Um für einen Aufstand zu sorgen, bedurfte es eigentlich nicht viel, aber es hatte bereits genug Tote gegeben. Genug Unschuldige waren dem System zum Opfer gefallen… oder vielmehr den Lenkern des Systems. Charles wollte es nicht zu Straßenkämpfen kommen lassen. Sofern erst einmal genug Chaos herrschte, würden Polizei, Royal Navy und die Army vereint mit Repetiergewehren, Revolvern und vielleicht sogar mit Gatling-Geschützen auf randalierende Arbeiter schießen. Es würde in einem Massaker enden. Vermutete er. Mit Aufständischen ging man üblicherweise nicht behutsam um.

Doch damit galt es sich wirklich erst später zu befassen. Im Moment zählte einzig und allein das Wohl derjeniger, die Charles aktuell eigenhändig in Gefahr gebracht hatte. Er musste dafür sorgen, dass sich ein Anschlag wie jener auf Mr. Hyde nicht wiederholte. Er hatte auch schon einen Plan. Zwar noch unausgereift und unvollkommen, doch erst einmal würde er die Gruppe – teils zumindest – wieder zusammenführen. Gemeinsam war es sicherer, wie Charles Alan bereits dargelegt hatte.
Dass dieser das anscheinend nicht einsehen wollte, war ihm relativ gleich, denn Mr. Stirling hatte trotzdem eingewilligt, mitzukommen.

Der Weg zurück zum Haus des Doktors verlief ruhig und ohne besondere Vorkommnisse. Charles brachte die Strecke zielsicher hinter sich und ließ sich von so manchen misstrauischen Blicken, die ihm dann und wann von Passanten zugeworfen wurden, nicht aus dem Konzept bringen. Die meisten waren flüchtig. Es war nicht so, als dass man ihm – oder bessere gesagt: ihnen, denn mit Alan waren sie ja zu zweit – mehr Aufmerksamkeit schenkte als irgendwelchen anderen Fußgängern.
Dennoch achtete Charles mit beiläufiger Sorgfältigkeit darauf, dass sie niemandem wirklich nahe kamen, während er grimmig schwieg und mit gerunzelter Stirn finsteren Überlegungen nachging. Er hatte wirklich Kopfschmerzen und freute sich auf die baldige Gelegenheit, sich wieder hinsetzen zu können, um zur Ruhe zu kommen. Diese verdammte Verletzung!

Schließlich bog Charles in die Silver Street ein. Hier sah es genauso aus wie vor einigen Stunden, menschenleer und beinahe friedlich. Ein beruhigender Umstand.
Charles vergewisserte sich, dass sie auch wirklich allein waren, bevor er langsamer wurde und vor die Haustür trat, neben der unter der Hausnummer in ein angelaufenes Messingschild die Buchstaben „R. Tremaine, M.D., Surgeon“ geätzt worden waren.
Charles klopfte ungeduldig an und forschte dann nach seiner Taschenuhr. Elf Uhr Zweiundvierzig. Sie waren noch gut in der Zeit, aber nur, weil er ein zügiges Schritttempo an den Tag gelegt hatte. Er hasste es, zu spät zu sein, aber wenigstens deswegen brauchte er sich nun keine Sorgen machen.
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Götterblut - Kapitel 2: Gut geplant ist halb gewonnen Empty Re: Götterblut - Kapitel 2: Gut geplant ist halb gewonnen

Beitrag von Elli Di Nov 06 2012, 11:35

Nachdem Melinda ihr ungewöhnlich reichhaltiges Frühstück zu sich genommen hatte, blieb sie noch einen Augenblick gedankenverloren am Tisch sitzen. Sie warf immer wieder Blicke zu Johanna herüber, aber ein richtiges Gespräch hatte nicht aufkommen wollen. Vielleicht war es auch einfach noch zu früh. Wenn Melinda um eine solche Zeit aufwachte, dann gewöhnlich weil sie sich übergeben musste oder aus einem Haus gescheucht wurde. Sie dachte an die wenigen Habseligkeiten die sich noch in ihrem kargen Zimmer, welches sie sich mit Patricia teilte, herumlagen. Ob es nochmal Sinn machte zurückzukehren und sie an sich zu nehmen? Die Wahrscheinlichkeit, dass sie gesehen worden war, war hoch. Sowohl bei der Explosion beim Kaffeehaus, als auch, was bedeutend brenzliger war, in der Gegenwart von Norly. Wenn sie Patricia richtig einschätze, würde diese Melinda für ein paar Pfund mit einem zuckersüßen Lächeln an einen der Bobbys verraten oder eigenhändig in den Tower bringen. Solidarität war der drallen Hure unbekannt und das hatte Melinda einigemal zu spüren bekommen. Dabei hatte sie auch reichlich schmerzlich festgestellt, dass sie rein körperlich unterlegen war.
Im Grunde befand sich nichts mehr von Wert in dem Zimmer, außer eine zweite Garderobe. Diese war vielleicht auch noch da, denn Patricia würde beim besten Willen nicht hineinpassen. Schließlich stand Melinda auf und nahm nach einer kurzen Bestätigung von Johanna deren Geschirr gemeinsam mit ihrem und stellte es in den Spülstein. Sie lächelte Johanna zu und verließ dann ohne große Worte den Raum. Sie hoffte das das Dienstmädchen dachte sie würde sich frisch machen und ihr nicht sofort folgen, denn dann würde sie vielleicht endlich einen Schluck Alkohol oder besseres erhaschen können. Gerade als sie durch den Flur eilte, ließ ein hämmerndes Geräusch ihre Schritte einschlafen. Es hatte an der Tür geklopft. Sie blickte nach hinten ob Johanna in ihrer Nähe war und ließ ihren Fächer in ihre Hand gleiten, immerhin wusste sie nicht wer vor der Tür auf sie warten würde. Sie atmete tief durch und öffnete die Tür einen Spalt. Mit Erleichterung stellte sie fest, dass das Gesicht welches ihr entgegen blickte ein willkommenes war, auch wenn ihre Möglichkeit Alkohol zu finden, nun wieder beschränkt war .Sie zog die Tür auf. "Schön, dass sie wieder da sind, Mr. Norly."
Erst jetzt sah sie den anderen Mann, der gleich nebendran stand. "Oh…und Mr. Starling? Wie war ihr Name noch gleich? Starling, Stirling?"
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Beitrag von Druzil Di Nov 06 2012, 20:53

Alan war in ein schweigsames Grübeln verfallen, seit Norly seine Sicht der Dinge geäussert hatte. Wie zu erwarten, hatte es Norly übertrieben. Er war Hill auf der Nase herumgetanzt, überheblich und in dem irrsinnigen Gefühl unantastbar zu sein. Was für ein Narr. Aber mehr als typisch für Norly. Vermutlich waren ihm in seinem Leben nicht zu viele Chancen genommen worden, sondern er hatte einfach zu selten was an die Ohren bekommen. Abgesehen von diesem Umstand, der schleunigst korrigiert gehörte, konnte sich Norlys Besessenheit von Hill als echte Gefahr für sie alle entpuppen. Natürlich hatte es Alan gefallen, an Hills Haus zu zündeln und er würde mit Freude weiter gegen diese Person vorgehen, doch war Vorsicht geboten. Zumindest in gewissen Maßen.

Mit Norly und dem unbehaglichen Gefühl von jederman angestarrt zu werden, gelangten sie zu dem Haus eines R. Tremaine. Der Name sagte Alan nichts. Melinda öffnete die Tür.
"Alan", erwiderte er. "Alan Stirling. Und das hier ist also das Hotel Scarface?", fragte er schmunzelnd und machte sich daran einzutreten.
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